Heinrich Mann - Der Untertan

  • Ich kann fast gar nicht glauben, dass es zum Untertan bisher noch keinen Rezensionsthread gibt - zumindest habe ich keinen finden können - ich hoffe, ich habe nichts übersehen :-k


    Zum Inhalt (lt. Amazon.de):
    Der Untertan, die Geschichte Diederich Heßlings, in jungen Jahren von einem drakonisch strafenden Vater und einer saumseligen Mutter großgezogen, anschließend weiter zurechtgeschliffen im Schul- und Militärdrill der wilhelminischen Ära, gerät bei Heinrich Mann zum Fallbeispiel deutscher Katzbuckelei und Tyrannenmentalität, die sich Macht und Gewaltstrukturen unterwirft, um letztlich an ihnen teilhaben zu dürfen. Heßling, vordergründig als Aufsteiger gefeiert, übernimmt die väterliche Papierfabrik und wird zum mächtigsten Bürger der fiktiven Kleinstadt Netzig. In seiner Mimikri geht er dabei soweit, neben der chauvinistischen Phrasendrescherei der Deutschnationalen auch noch das äußere Erscheinungsbild des Kaisers zu imitieren. Eine "Bilderbuchkarriere", wie sie nur durch "ein Sinken der Menschenwürde unter jedes bekannte Maß" zustande kommen konnte, wie Heinrich Mann in einem Brief von 1906 festhielt.


    Der Autor:
    Heinrich Mann wurde 1871 in Lübeck geboren († 1950). Sein jüngerer Bruder ist der 1875 geborene Thomas Mann. Nachdem er das Gymnasium, eine Lehre zum Buchhändler in Dresden sowie sein Volontariat beim S. Fischer Verlag in Berlin abgebrochen hat, beginnt er sein Leben als freier Schriftsteller. Von allen Romanen und Novellen, die von ihm veröffentlicht wurden, werden als bedeutendste Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (1905), Der Untertan (1914), Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935) und Die Vollendung des Königs Henri Quatre (1935) genannt.


    Mein Kommentar:
    Der Untertan spielt zur Zeit Kaiser Wilhelms II. und befasst sich mit Entwicklung und Werdegang des Diederich Heßling, Sohn eines preußischen Papierfabrikanten, vom Knabenalter über seine Studienjahre bis hin als Mann und Familienvater. Diederich entscheidet sich schon sehr früh dafür, unbedingte Kaisertreue an den Tag zu legen und sein gesamtes Wesen und dementsprechend sein Handeln danach auszurichten, denn er sieht hierin die Möglichkeit, sowohl seine finanzielle Lage als auch öffentliches Ansehen abzusichern bzw. stets zu mehren. Die Methode, die er dafür von klein auf erlernt hat, nämlich nach oben zu katzbuckeln und nach unten zu treten, vertieft und perfektioniert er mit jedem im Buch dargestellten Abschnitt seines Lebens. Doch da, wo die Kaisertreue für Diederich möglicherweise zeitweilig kleinere oder größere Einbußen bedeuten könnten, ist er unter der Hand zu einer gewissen Flexibilität bereit; dies natürlich nur unter Absicherung der absoluten Verschwiegenheit der involvierten Parteien, damit sein nach außen hin gültiges Bild der absoluten Kaisertreue auch weiterhin aufrechterhalten bleibt.


    Im Gegensatz zu Empfehlungen, in denen so manch ein Buch als leicht und flüssig zu lesen beschrieben wird, muss man sich beim Untertan auf eine holprige und wirklich ungemütliche Lektüre gefasst machen:

    • Die Erzählung spielt in der wilhelminischen Epoche – wenn man als Leser nicht gerade firm in Geschichte ist (dazu muss ich mich selbst zählen), kommt man nicht umhin, über das deutsche Kaiserreich, Militarismus, Sozialistengesetz, den Reichstag und seine Auflösung 1895 usw. nachzulesen, um sich in der Lektüre zurechtfinden zu können.
    • Die Sprache, in der Heinrich Mann den Untertan verfasst hat, spiegelt die geschichtliche Epoche wider und erschwert dem Leser die Lektüre, vor allem durch Begriffe wie „Kommis, pauken, Bierverschiß, Tschako“ und andere mehr.
    • Die Erzählperspektive: dass der Autor alles zwar in der dritten Person, aber aus der personalen Sicht des Diederich Heßlings erzählt, macht es dem Leser wirklich nicht leicht – er muss sich über fast 500 Seiten fast ausschließlich die intimsten Ansichten und Gedanken dieses monumental unsympathischen Menschen über sich ergehen lassen. Es erschien mir fast unglaublich (im Nachhinein jedoch nachvollziehbar), dass Heinrich Mann so wenig Kompromissbereitschaft zeigt und in dieser Hinsicht den Leser öfter mal bis an die Grenzen des Erträglichen treibt.
    • Ein weiterer Aspekt, unter dem Heinrich Mann völlig kompromisslos und mit aller vom Leser gefühlten Härte schreibt, ist seine Nichtbereitschaft zur moralischen Gerechtigkeit. Immer wieder habe ich mich bei der Lektüre ertappt, dass ich einerseits den Wunsch nach Misserfolg und Demütigung als gerechte Strafe für den menschlichen Abschaum Diederich Heßling hatte, andererseits aber die Erwartung hegte, dass die Handlung vielleicht doch nicht daraufhin abziele, damit sie nichts an Realitätsbezug, Geltung und Triftigkeit verlöre. Dass dies in ähnlicher Weise von einigen Teilnehmern der Leserunde vom Mai 2006 empfunden wurde, sh. Leserunde Der Untertan - zeugt von der Effektivität der Lektüre.


    Auch dem ungeübtesten Leser kann der beißende Humor nicht entgehen, mit dem Heinrich Mann im Untertan die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aufs Korn nimmt. Zudem muss man anerkennen, dass der Autor keinen der Charaktere im Buch, egal welcher Bevölkerungsschicht, welchem Beruf, welcher Partei und welchem Geschlecht er auch angehören mag, von der Schärfe seiner Feder verschont. Umso bedauerlicher erscheint mir, dass mir wegen mangelnder geschichtlicher Kenntnisse sicherlich ein Teil der humoristischen Tiefschläge des Autors bei der Lektüre entgangen ist.


    Die Empörung, die man bei der Lektüre des Untertan empfindet, mischt sich zeitweise auch mit dem Gefühl der Ohnmacht, wenn man als Leser über viele Seiten hinweg von einigen Déjà-Vus zu Situationen aus dem eigenen, persönlichen (Arbeits-)Leben sowie von etlichen weiteren Déjà-Vus zu Situationen aus dem öffentlichen Leben, aus aktueller Politik und Wirtschaft, heimgesucht wird. Vielleicht kommt in manch einem Leser sogar noch etwas anderes hoch – Bedenklichkeit: hat man nicht selbst schon (zu) oft im Verlauf bestimmter Situationen überlegt, wie man wohl den Moment am besten nutzen und sich am besten in ein gutes Licht rücken könne – sei es unter Zurschaustellung echter oder auch geheuchelter Überzeugung?


    Aus genau diesen Gründen möchte ich betonen, für wie wichtig ich den in Heinrich Manns Untertan dargestellten Opportunismus als Thematik erachte, die an junge Leute (sprich Schüler) unbedingt herangetragen werden sollte. Dennoch: so tief die Wirkung der Lektüre auf mich selbst auch sein mag, habe ich doch den Verdacht, dass das geschichtliche Umfeld im Buch mit all seiner preußischen Versteiftheit in der Aktualität möglicherweise verhindert, dass der eigentliche Kernpunkt dem Verständnis junger Menschen zugänglich wird. Etwas entmutigt muss ich feststellen, dass mir jedoch keine aktuellere oder leichter zugängliche Lektüre einfällt, die in vergleichbarer Weise und Tiefe den Opportunismus in seiner Verwerflichkeit genauso klar wie in Heinrich Manns Der Untertan aufzeigt, leider.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Wer in der Schule mit "Der Untertan" traktiert wurde, wird dieses Buch über Jahrzehnte hinweg nicht mehr anrühren. Allerdings sehe ich für die Lektüre im fortgeschrittenen Alter eine weit größere Chance, umfassendes Verständnis zu erlangen. Mit etwas eigener Lebenserfahrung im Hintergrund wird "Der Untertan" brandaktuell. Die Verrohung gesellschaftlicher Umgangsformen hin zum eigenen Nutzen - unter Inkaufnahme des Schadens für Andere - wie wir sie gegenwärtig erleben, würde Heinrich Mann heute wahrscheinlich zu einem ähnlichen Werk inspirieren.
    Tolkienfan

    Schaust du mich an aus dem Kristall, mit deiner Augen Nebelball, Kometen gleich die im Verbleichen; mit Zügen, worin wunderlich zwei Seelen wie Spione sich umschleichen, ja, dann flüstre ich: Phantom, du bist nicht meinesgleichen! (Annette von Droste-Hülshoff)

  • Diederich Heßling, der Protagonist des Romans, ist der perfekte Untertan, kann aber auch sehr tyrannisch agieren, nach oben buckeln, nach unten treten, das kann er schon als Kind gut, und zusätzlich schafft er es immer wieder, für sich das Beste aus einer Situation herauszuholen. Oh, wie oft ich über ihn den Kopf geschüttelt habe – wie gut, dass das Ganze satirisch gemeint ist – auch wenn es solche Typen wie Heßling sicher gibt, auch heute noch, so hat Heinrich Mann ihn doch sehr überspitzt dargestellt und manch einem seiner Zeitgenossen damit wohl auch einen Spiegel vorgehalten.


    Das Untertanenhafte ist heute vielleicht nicht mehr so verbreitet wie noch zu Kaiserszeiten, aber sich immer und überall einen Vorteil zu schaffen, auch auf Kosten anderer, gibt es immer noch, wird es wohl zu allen Zeiten geben. So ist Heßling durchaus auch ein Spiegel unabhängig von seiner Zeit. Er lügt wie gedruckt, ist heuchlerisch, aber auch ziemlich feige, Denunzieren ist sein Hobby.


    Leicht zu lesen ist der Roman nicht durchgehend, oft muss man sich schon sehr konzentrieren. Für mich gibt es einige Passagen, die mich amüsiert haben, etwa als Heßling während seiner Hochzeitsreise auf seinen Kaiser trifft, und dann nur noch im Sinn hat, diesen zu stalken, wie man heute sagen würde. Andere Passagen ziehen sich sehr und machen das Lesen schwieriger. Dennoch erzählt Mann anschaulich und die Charaktere sind gut ausgebaut, ihre Beschreibungen sehr bildhaft, wenn auch oft nicht sehr vorteilhaft.


    Meine Ausgabe beinhaltet einen umfangreichen Anhang, den ich interessant zu lesen fand.


    Heinrich Manns Roman ist gute hundert Jahre alt, wirkt aber in manchem immer noch aktuell. Ich hatte amüsante, aber auch angestrengte Lesestunden. „Der Untertan“ gehört meiner Meinung nach zu den Klassikern, die man gelesen haben sollte.

  • Heinrich Mann hätte den Lebensweg der Hauptfigur auch so darstellen können: Sie hat spannende Erlebnisse in ihrer Jugend, besiegt als Wehrdienstleistender den inneren Schweinehund und kommt als Student zu der Erkenntnis daß man sich von der Politik besser fernhält. Die Hauptfigur bewährt sich als Familienvater und baut als Unternehmer Etwas auf von dem alle Beteiligten einen Vorteil haben.

    Stattdessen lieferte Heinrich Mann einen geifernden Schundroman, der noch dazu bis heute gerühmt wird und bis heute die Klischees über das Deutsche Kaiserreich prägt.