Hans Küng - Ist die Kirche noch zu retten?

  • Klappentext:
    Sein Leben lang hat Hans Küng der katholischen Kirche gedient (allerdings nicht immer zur Freude der Päpste): als weltweit geachteter Theologe, als Priester und vielgelesener Autor. Jetzt erweist er ihr wieder einen Dienst, indem er klar ausspricht, woran die Kirche krankt. Deren Krise geht weit über die Missbrauchsfälle und deren Vertuschung hinaus: Es handelt sich um eine grundlegende Systemkrise. Eine Kirche, die weiterhin an ihrem Macht- und Wahrheitsmonopol, an ihrer Sexual- und Frauenfeindlichkeit festhält, sich Reformen und der aufgeklärten modernen Welt verweigert, wird nicht überleben – das ist Hans Küngs Fazit. Deshalb legt er eine Agenda für ein »Zukunftsgespräch« vor (von der Verlagsseite kopiert).


    Über den Autor:
    Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, ist Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschien von ihm »Was ich glaube« – sein persönlichstes Buch – sowie »Anständig wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht« (Verlagsseite).


    Aufbau / Allgemeines:
    In sechs großen, vielfältig unterteilten Kapiteln mit Einführung und Dankeswort geht Hans Küng auf 259 Seiten der Frage nach, ob die katholische Kirche in unserer Zeit eine Chance hat, weiter zu bestehen, und wenn Ja, wie. Dabei verfährt er wie ein Arzt mit einem Schwerkranken: Anamnese – Diagnose – Behandlungsmöglichkeiten.


    Inhalt:
    Anamnese: In den 2000 Jahren ihrer Geschichte gelang es der katholischen Kirche, zu einem riesigen Apparat zu werden. Mit Betrug und Korruption eignete sie sich Ländereien und Schätze an, nahm Einfluss auf politische und kriegerische Auseinandersetzungen und wurde zu einer Organisation, deren selbst entwickeltes Rechtssystem nach diktatorischem Muster mit Abweichlern, Andersdenkenden und Kritikern aus den eigenen Reihen verfährt. Das „Aggiornamento“ (Anpassung an heutige Verhältnisse), mit dem das 2. Vatikanische Konzil (1962-1965) den Beginn einer neuen Ära und eines Dialogprozesses von Laien und Klerikern, Ortskirchen und Kurie einläutete, wurde von den Päpsten Woityla und Ratzinger mehr und mehr unterhöhlt zugunsten einer Rückkehr zum römischen System. Dass Küng und Ratzinger die beiden jüngsten Konzilstheologen waren, sollte am Rande erwähnt werden.
    Diagnose: Der Missbrauchsskandal, der im letzten Jahr an die Öffentlichkeit kam, ist nur die Spitze des Eisbergs, wenn gleich symptomatisch dafür, wie die Kirche mit ihren Problemen umgeht. Aber zum ersten Mal in der Geschichte reagieren die katholischen Gläubigen mit Massenaustritten und kehren einer Kirche, die nicht mehr die ihre ist, den Rücken. Darüber können auch die zu Events gewordenen Papstbesuche und Kirchentage nicht hinwegtäuschen.
    Behandlung: Nur wenn es der katholischen Kirche gelingt, sich der Welt und ihren Problemen zu stellen, wenn sie den Dialog mit den eigenen Mitgliedern, anderen Kirchen und Religionen aufnimmt und ihre auf Macht strebende kuriale Ausrichtung zugunsten einer Mitmenschlichkeit und Demokratisierung aufgibt, hat sie noch Existenzberechtigung und die Chance, weiterhin zu bestehen.


    Eigene Meinung:
    Hans Küng gibt nicht auf. Obwohl er selbst zu denen gehört, die die Macht der Kirche am eigenen Leib erfahren haben (wegen seiner kirchenkritischen Publikationen wurde ihm 1979 als Professor für Theologie in Tübingen die Lehrerlaubnis entzogen), setzt er sich immer wieder für die Kirche ein. FÜR – auch wenn es in Rom als GEGEN verstanden wird. Sachlich und ruhig listet er Argumente und historische Fakten auf; dennoch schimmern seine persönliche Betroffenheit, sein Schmerz um die Entwicklung der Kirche und seine Hoffnung auf eine andere Zukunft durch. Konkret fordert er die Abschaffung des Pflichtzölibats, Frauenordination und Abendmahlsgemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten.
    Dieses Buch ist trotz der Fülle des Materials aus Geschichte und Kirchengeschichte ein persönliches Buch. Im Gegensatz zu früheren Werken („Christ sein“, „Die Kirche“ u.a.) arbeitet er nicht wissenschaftlich genau mit Fußnoten und Literaturliste, sondern schöpft aus seinem eigenen Wissen, gibt lediglich bei neuen Veröffentlichungen wie Zeitungsartikeln, Vorträgen u.ä. die Quelle in Klammern an. Die sprachliche Genauigkeit verrät den akademisch arbeitenden Theologen.
    Eine Frage muss ich dem Autor stellen: Hat er nicht die Gruppe von Katholiken vergessen, die sich mit der römischen Kirche identifiziert und die das hierarchische System bejaht und an ihm festhält? Zur Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe wurde eine „Petition pro Ecclesia“ mit 11.000 Unterschriften überreicht, die die Bischöfe auffordert, „den Zölibat in seiner heutigen Form zu erhalten und Aufweichungstendenzen entschieden entgegenzutreten“. Dass auch 35.000 Unterschriften reformorientierter Christen überreicht wurden, mag eine zahlenmäßige Relation andeuten, nicht aber das Ignorieren der romtreuen Christen rechtfertigen, hier gelesen
    Nachdem die Kirche Küng durch den Entzug der Lehrerlaubnis nicht mundtot machen konnte, griff sie zu einem zweiten Mittel, das einen Kämpfer zermürbt: Sie verschwieg seine Publikationen, nahm sie (angeblich) nicht zur Kenntnis und verhinderte somit eine öffentliche Diskussion auf breiter Basis. Der Autor wünscht sich Unterstützung zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit seinen Überlegungen, und ich hoffe, ihm mit meiner Rezension darin entgegenzukommen.


    Fazit:
    Die Kirche kann nicht gerettet werden, sie kann sich allenfalls selbst retten, sagt Küng, der für diejenigen, die seiner Meinung sind, und diejenigen, die nicht seiner Meinung sind, ein Buch geschrieben hat, das eine Menge Diskussionsstoff bietet.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke für diese tolle Rezension. Das Buch hört sich interessant an, und ich finde es schön, mal einen ersten persönlichen Eindruck zu lesen.

  • @ Magdalena,
    schön, wenn ich Dich neugierig machen konnte. Man liest bisweilen mit der Faust in der Tasche, denn obwohl schon einige Tatsachen (nicht nur über die Missbrauchsfälle) an die Öffentlichkeit gekommen sind, existieren noch genügend Mauscheleien, vertuschte Skandale oder merkwürdige Vorkommnisse, die nur regional oder einem involvierten Personenkreis bekannt sind.

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  • Danke für die interessante Rezi. Unsere Bücherei hat das Buch noch nicht, ich hoffe aber, dass es angeschafft wird, da sie eine Menge seiner übrigen Bücher hat.


    Kennt einer von Euch dieses Buch (s.u.) ? Das würde mich interessieren.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • @nigma,
    ich besitze einige Bücher von Küng und habe sehr viel von ihm gelesen, aber DAS leider nicht.
    Ein klarer Fall für die Wunschliste.

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