Hallo alle zusammen!
Da es noch keinen Thread zum zweiten Band der Osten-Ard-Saga von Tad Williams gibt, will ich hier mit meiner Rezension mal den Anfang machen .
Wie immer sind Kommentare und Kritik willkommen .
INHALT
Der zweite Band von Tad Williams Tetralogie um „Das Geheimnis der großen Schwerter“ droht geradezu vor Handlung zu bersten und verfolgt noch weit mehr Handlungsstränge als der erste Band. So wechselt der Erzähler immer wieder zwischen den Perspektiven von Simon und seinen Gefährten, Prinz Josua, Prinzessin Maegwin, Prinzessin Miriamel, Herzog Isgrimnur, der Kammerfrau Rachel, Hochkönig Elias, Graf Guthwulf und dem Wranna Tiamak hin und her.
Die Gruppen um Simon und Josua versuchen auf Rat der Zauberfrau Geloe zum Stein des Abschieds zu gelangen. Unterwegs begegnen sie jedoch unzähligen Feinden und auch wenigen Freunden, schließlich wird Simon sogar in der Sithistadt Jao é-Tinukai'i aufgenommen.
Währenddessen ist Prinzessin Miriamel immer noch mit dem Mönch Cadrach auf der Flucht und auf der Suche nach Unterstützung für Josua und gegen ihren Vater König Elias. Cadrach stellt sich jedoch immer mehr als undurchsichtiger, hinterhältiger Mann heraus, der trotzdem in Miriamels Interesse zu handeln scheint.
Maegwin flüchtet mit den Überresten des Hernystiri-Volks in die Höhlen des Grianspoggebirges, wo sie auf Hilfe durch die Sithi hofft. Graf Eolair, der sie behütet, fürchtet, dass Maegwin dem Wahnsinn verfällt, bis beide auf eine geheimnisvolle, verborgene Stadt stoßen.
Und währenddessen scheint der böse Priester Pryrates immer mächtiger und Hochkönig Elias immer wahnsinniger zu werden, und das grausame Winterwetter und ein heraufziehender, unnatürlicher Sturm machen deutlich, dass der Sturmkönig Ineluki weiter erstarkt …
KRITIK
Während es im „Drachenbeinthron“ noch recht langsam voranging, strotzt Tad Williams‘ zweiter Band der Osten-Ard-Saga geradezu vor Handlung und Spannung. Mit häufigen Szenenwechseln an den spannendsten Handlungsstellen macht der Erzähler es dem Leser allerdings nicht gerade leicht, die Nerven zu bewahren. Trotzdem hat mich die Handlung des zweiten Bandes begeistert: Zwar fällt es dem Leser durchaus manchmal schwer, den unzähligen Handlungssträngen gleichzeitig zu folgen und die vielen Entwicklungen im Kopf zu behalten, doch entlohnt wird er mit einer unglaublich vielschichtigen und spannenden Geschichte. Allerdings zeigt „Der Abschiedsstein“ ein typisches Symptom von „Zwischenbänden“ in Reihen: er steuert auf keinen wirklichen Höhepunkt hin. Die wichtigsten Personen, Simon, Josua und ihre Begleiter, reisen auf den vagen Hinweis der Zauberfrau Geloe zum Stein des Abschieds, doch wird nicht klar, ob und wenn ja welche Bedeutung dieser hat. So kommt es auch nicht zu einem wirklich großen Finale, und der Schluss bleibt sehr offen und ein wenig unbefriedigend.
Die Charaktere hat Williams in meinen Augen sehr gut weiterentwickelt. Die wichtigen Hauptfiguren zeigen eine eindeutige Entwicklung, allen voran natürlich der eigentliche Hauptcharakter Simon, der langsam erwachsen wird und seine kindischen Charakterzüge ablegt. Trotzdem wird er nicht von einem Tag zum anderen zum erwachsenen Superhelden und dadurch wirkt seine Entwicklung sehr glaubwürdig. Aber auch Maegwin, an deren geistiger Gesundheit nicht nur Eolair sondern auch der Leser langsam zu zweifeln beginnt, und der weiter von Selbstzweifeln geplagte Prinz Josua werden zu vielschichtigen, lebhaften Charakteren ausgebaut. Zudem wird der Mönch Cadrach, der im ersten Band eher kurze Auftritte hatte, in denen er als einfacher Betrüger erschien, sehr viel mysteriöser und vielschichtiger, da er offenbar wenig Skrupel kennt und laut Vater Dinivan eine dunkle Vergangenheit besitzt, gleichzeitig aber Miriamel zu helfen versucht.
Indem die Figuren des Romans sehr viel lebendiger werden, fällt es dem Leser auch wesentlich leichter, die unzähligen Charaktere auseinanderzuhalten, als dies noch im ersten Band der Reihe der Fall war.
Die Welt Osten-Ard konnte mich ebenfalls fesseln. Tad Williams schafft eine äußerst realistische und faszinierende Fantasy-Welt, die – abgesehen vielleicht von den Sithi – ohne viele verschiedene nicht-menschliche Rassen und Monster und ohne (offensichtliche) Magie auskommt, und stattdessen mit vielen sehr unterschiedlichen und glaubwürdigen, lebensechten menschlichen Völkern besiedelt ist. Dabei lösen sich diese im zweiten Band mehr und mehr von althergebrachten Fantasy-Klischees und Williams baut zudem die Mythologie der Welt weiter aus.
Zu guter Letzt bleibt zu sagen, dass die Neuausgabe der Tetralogie im Verlag Klett-Cotta optisch sehr gelungen ist, der zweite Band jedoch einige Rechtschreibfehler aufwies, die den Lesefluss aber nicht allzu sehr störten.
FAZIT
Während „Der Drachenbeinthron“ an vielen Stellen noch langatmig war und mich nicht richtig begeistern konnte, entwickelt Tad Williams die Geschichte um den Küchenjungen Simon und die vielen anderen Figuren im Folgeband zu einer wunderbaren, komplexen Geschichte, die den Leser absolut in ihren Bann zieht. Zusammen mit den glaubhaften, tiefgründigen Charakteren und der faszinierenden Welt Osten-Ard wird „Der Abschiedsstein“ damit zu einem echten Lesevergnügen und die Osten-Ard-Saga zu einem absoluten Muss für Fantasy-Fans.