Arno Geiger - Der alte König in seinem Exil

  • Am liebsten hätte ich es einfach umgdreht und von vorne begonnen, so sehr hat es mich berührt.


    Genau das MUSSTE ich. Ich hatte das Buch in den Kurzurlaub mitgenommen - passt ja gut zu Vorarlberg - und dachte, es sei wesentlich schwerer und langwieriger zu lesen. Daher stand ich am Abend vor der Abreise auf einmal ohne Buch da; es war Sonntag, die Bahnhofsbuchhandlung war geschlossen. :shock:
    Aber ohne Buch einschlafen? Oder (auf dem Beifahrersitz) im Autobahnstau stecken? Geht nicht. Dann habe ich es halt direkt ein zweites Mal gelesen.


    Wenn mir nicht im nächsten halben Jahr ein unglaublich gutes Buch zwischen die Finger gerät, ist dieses mein Top-Buch des Jahres. Nicht nur die Art, wie der Sohn im Verlauf der Alzheimer Erkrankung des Vaters damit umzugehen lernt, sondern generell der Umgang der Kinder mit alt werdenden Eltern hat mich berührt und vieles, das ich kenne, wiederfinden lassen.
    Umgekehrt lehrt das Buch auch Verständnis für die Kinder, die bei Alterserscheinungen der Eltern (irgendwas vergessen, irgendwas erzählt, was man gestern bereits erzählt hat, ...) unwillig oder aggressiv reagieren: Das Alter weist auf den Tod hin, und Kinder wehren innerlich ab, dass die Eltern sterben.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Herzlichen Dank an Euch alle für eure Rezension und die ergänzenden Links.


    Vielleicht ist das Buch "Pflegegeschichten" für einige von Euch interessant? Ist eine wissenschaftliche Veröffentlichung, aber es geht um die Geshcichten von 40 Angehörigen und wie diese die Pflege erlebt haben. Dies wird eben nur ergänzt durch wissenschaftliche Erklärungsansätze, indem das lezte Kapitel das mit dem wissenschaftlichen Aufsatz ist.

  • Hallo,


    ich habe das Buch im Osterurlaub gelesen und war entäuscht. Mir war es zu oberflächlich. Ich muss dazuschreiben ich arbeite in einem Pflegezentrum wir haben auch eine Demenzstation und ich führe die Informationsgespräche bis hin zur Aufnahme neuer Bewohner, da bekommt man viel mit und mir hat irgendwie die Tiefe gefehlt. Ich gebe dem Buch nur :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: .


    Liebe Grüße Marlies

  • "Der alte König in seinem Exil" ist ein wunderschönes Buch, ein Vater-Sohn-Roman der ganz anderen Art. Sehr berührend beschreibt Arno Geiger das Leben und die Welt seines an Demenz erkrankten Vaters. Demenz ist eine schreckliche Krankheit, aber irgendwie hat es Arno Geiger geschafft, mir mit diesem Buch ein wenig die Angst davor zu nehmen, denn "Ein guter Stolperer fällt nicht"!

  • irgendwie hat es Arno Geiger geschafft, mir mit diesem Buch ein wenig die Angst davor zu nehmen


    So ging es mir auch.
    Falls es mich eines Tages erwischen sollte, dann werde ich drei Exemplare des Buches kaufen und an meine Kinder verteilen, damit sie wissen, wie sie mit mir umzugehen haben. (Für alle Fälle habe ich meinen Mann davon unterrichtet, nicht dass mir der Titel dann nicht mehr einfällt.)

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  • Der Alte König in seinem Exil von Arno Geiger stellt für mich wirklich genau das dar: Die Geschichte eines Leidens, erzählt ohne jegliches Pathos.
    Die liebevollen, warmen Erinnerungen an frühere Zeiten in der Familie, mit denen der Autor das Bild vom Vater ausfüllt und in Gegensatz zu dessen jetzigem Verfall stellt, vervollständigen das Büchlein zu einer wunderschönen Lektüre.


    Das Buch ist eine Darstellung des Alters, mit oder ohne altersbedingte Demenz, als wertvoller und wichtiger Bestandteil des Lebens, nicht das lästige zeitliche Anhängsel, wenn die Jahre des „eigentlichen“, des „richtigen“ Lebens schon gelaufen sind; auch wenn es nicht immer leicht ist, mit einem alten Menschen auszukommen.
    Aber wann war es jemals leicht für einen Sohn oder eine Tochter, mit seinen/ihren Eltern auszukommen? Es ist möglich und schön, an solch einem Punkt des Verzeihens anzukommen und den letzten Jahren im Bewusstsein des Beisammenseins noch so viel Positives wie möglich zu abzugewinnen.


    Für die wenige Zeit, die man für die Lektüre aufwenden muss (zwei bis drei Stunden), bietet Der alte König in seinem Exil eine enorme, emotional- positive Ausbeute für den Leser.


    Erstaunt hat mich übrigens die Ehrlichkeit im Versuch, das Aufeinanderwirken der konträren Charaktere seiner Eltern innerhalb ihrer Ehe zu analysieren (Seite 80 bis 91); eine Stelle im Buch, die mir neben vielen anderen sehr gut gefallen hat.


    Abschließen möchte ich mit einem Zitat auf Seite 57/58:

    Zitat

    Für uns alle ist die Welt verwirrend, und wenn man es nüchtern betrachtet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, das Verwirrende an der Oberfläche zu kaschieren. Darunter tobt das Chaos. Auch für einen einigermaßen Gesunden ist die Ordnung im Kopf nur eine Fiktion des Verstandes.




    Übrigens Karthause: tolles Interview zum Buch - Danke!

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich bin sehr gespannt auf die baldige Entdeckung und Lektüre des Buches!


    Von einigen hier erwähnten Aspekten her erinnert es an mich an ein Buch von Christian Bobin, in dem er die Alzheimerkrankheit seines Vaters verarbeitet. Anscheinend immer noch nicht auf Deutsch erhältlich...


    La présence pure von Christian Bobin! Rezi hier im BT...

  • Ich war tief beeindruckt von dem Buch.


    Arno Geiger gelingt es, nicht nur die Krankheit und das Abgleiten seines Vaters in dieselbe zu schildern, sondern ein Bild der Familie zu zeichnen. Es geht nicht nur um Alzheimer, sondern um Familienbande, den Wandel der Gesellschaft und ihrer Werte... in vielen kleinen Nebensätzen zeigt er dem Leser, wie schön und vor allem wertvoll das Leben trotz einer derartigen Diagnose noch sein kann. Ganz besonders berührend fand ich die den Kapiteln vorangestellten kleinen Unterhaltungen mit seinem Vater.


    Das Ende fand ich auch sehr, sehr gelungen!


    Ich habe in den letzten Jahren einige derartige Berichte über an Demenz erkrankte Familienmitglieder gelesen, keines davon war dermaßen warmherzig, mit einem Schmunzeln in den Augen geschrieben und trotzdem verharmlost es diese schreckliche Krankheit nicht.

  • Hallo,


    ich habe das Buch gerade fertig gelesen, es wurde mir empfohlen, da meine Mutter im Früstadium der Demenz ist und man mir sagte, das es ein sehr schönes Buch ist, um die Krankheit zu begreifen.


    Irgendwie ist es bei mir nicht so angekommen. Ich denke, wenn man nicht selbst betroffen ist und keine Informationen darüber zu erfahren wünscht, was auf einen selbst zukommt, liest man es aus einem anderen Blickwinkel, aber für mich war es enttäuschend!


    Die Hälfte des Buches geht es um das Leben des August Geiger (dem Vater des Autor, um den es auch geht) von der Kindheit bis zum derzeitigen Zustand. Hat mich echt gar nicht interessiert, kam mir so vor, als würde der Autor halt gern alle dran teilhaben lassen, weil er sich selbst erst damit beschäftigt hat, als sein Vater krank wurde. Ich kenne das Leben meiner Mutter und erfrage diese Dinge nicht erst, wenn sie sich kaum noch erinnern kann. :(


    Dann hatte ich Schwierigkeiten mit den Diologen, da es nunmal Österreicher sind, sprechen sie doch eine andere Sprache, selbst wenn es (für sie) Hochdeutsch ist. Was schade war, denn gerade diese Diologe zwischen Vater und Sohn waren wirklich gut und haben einen guten Eindruck über das Denken des Demenzkranken gegeben. Ferner wurden mir zuviele Zitate im Buch erwähnt, aber das ist schließlich Geschmacksache!


    Was mich am meisten ägert, ist die Tatsache, dass ich 17,90 Euro (!) für ein Buch mit 190 Seiten (sehr klein bedruckt) ausgegeben habe, von denen mir nur ca. 50 Seiten wirklich etwas bedeutet haben. Dieses Buch ist nicht zu empfehlen, wenn es darum geht, sich einen Einblick über Demenz zu verschaffen. Wenn man am Leben von August Geiger interessiert ist und eine schöne Vater und Sohn Geschichte lesen möchte, dann nur zu. Hat ja schließlich vielen sehr gut gefallen...

  • Eine Krankheit hält schleichend Einzug in das öffentliche Bewusstsein, nachdem sie schon seit vielen Jahren immer mehr Menschen betroffen hat. Die Alzheimer-Krankheit und andere Formen der Demenz geraten immer mehr in den Blickpunkt auch der Gesundheitspolitik. Neben der Situation der von der Krankheit betroffenen Menschen sind die Rolle der meist pflegenden Angehörigen und die professionellen Anforderungen an die pflegenden Berufe Gegenstand einer intensiven gesellschaftlichen Debatte.


    Auch in der Literatur hat dieses Thema Einzug gehalten. Man denke an Tilman Jens` breit diskutiertes, 2009 erschienenes Buch "Demenz. Abschied von meinem Vater", in dem er die Krankheit und seine Beziehung zu Walter Jens, den begnadeten Autor und Rhetoriker beschrieb. Die Debatte war so kontrovers, dass Tilman Jens sich genötigt sah, im Mai 2010 mit einem weiteren Buch zu antworten: "Vatermord. Wider einen Generalverdacht.'"


    Ganz anders kam im letzten Jahr das Romandebüt der 1975 geborenen englischen Schriftstellerin Samantha Harvey daher, das unter dem Titel "Tage der Verwilderung" bei DVA erschien, und den verzweifelten
    Kampf eines Mannes gegen seinen Gedächtnisverlust und das erbitterte Ringen um die Wiedergewinnung seiner Erinnerung beschrieb.


    Das neue Buch des preisgekrönten österreichischen Schriftstellers Arno Geiger ("Es geht uns gut", "Alles über Sally") geht bei der Annäherung an Alzheimer und Demenz einen anderen, sehr persönlichen und intimen Weg. Er beschreibt seinen an Alzheimer erkrankten Vater als den "alten König im Exil" und sein Verhältnis zu ihm, das durch die Krankheit und die Pflege des Vaters eine völlig neue, all die Jahrzehnte vorher nie gekannte und erlebte menschliche Qualität erhält.


    Es kommt allerdings nur zu dieser Entwicklung, weil Arno Geiger seinen Vater über Jahre intensiv begleitet, unterstützt von Menschen, die sich noch als eine Familie im alten Sinne verstehen und sich das Engagement um den schwächer und dementer werdenden Vater teilen.
    Insofern muss Arno Geiger im Gegensatz etwa zu Peter Härtling ("Nachgetragene Liebe", 1980) nicht lange nach dem Tod des Vaters dessen Leben rekapitulieren und so würdigen und damit seine eigene Existenz und Identität quasi neu begründen, sondern er kann es zu Lebzeiten tun.


    In vielen Gesprächen mit ihm versucht er, die oft eigenwilligen und fremden Sätze seines Vaters zu verstehen, lernt auch darüber zu schmunzeln und schließt eine ganz neue Freundschaft mit ihm. Doch das gelingt ihm erst nach längerer Zeit: "Ich stellte mich weiterhin ungeschickt an, weil ich nicht aufhören wollte zu glauben, dass ich die Verbindung des Vaters zur Realität durch Hartnäckigkeit wach halten könne."


    Erst als er lernt, diese Haltung aufzugeben und die Realität von Alzheimer zu akzeptieren, gelangt er zu einem völlig neuen und teilweise beglückenden Verständnis seiner Vaters und damit auch seines eigenen Lebens. "Und irgendwann schlugen wir einen Weg ein, der von der nüchternen Wirklichkeit wegführte und über Umwege zur Wirklichkeit zurückkehrte."


    "Der alte König in seinem Exil" ist eine bewegende Geschichte einer Liebe zwischen Vater und Sohn, die erst am Ende eines Lebens wirklich zum Tragen kommt. Aus dieser Liebe heraus beschreibt Arno Geiger das Leben eines Mannes, der nach jugendlichen ernüchternden Erfahrungen im Krieg und in der Gefangenschaft nie wieder weggehen wollte aus seinem Dorf.


    Es ist ein Buch, das trotz seines Themas an viele Stellen leicht, ja heiter, manchmal komisch daher kommt, weil sein Autor davon überzeugt, ist, das auch das Leben eines Alzheimerkranken ein Leben ist, das es "zutiefst wert ist, gelebt zu werden, und das sich vielleicht nur wenig unterscheidet von dem Leben, was wir alle tagtäglich führen."


    „Der alte König im Exil“ hat eine hohe literarische Qualität und atmet eine tiefe Menschlichkeit.

  • Ich habe dieses Buch nun auch endlich gelesen. Und ich habe noch nie so lange für ein so kurzes Buch gebraucht. Ich hätte es zwar in ein paar Stunden durchlesen können aber ich habe immer wieder lange Pausen gemacht und zwischendurch immer wieder anderes gelesen.


    Das lag allerdings an mir, denn das Thema ist nun mal nicht leicht. Dabei gelingt es Arno Geiger in seinem Buch sogar irgendwie leicht mit dem Thema umzugehen.


    Er versucht, sich auf irgendeine Weise in die jetzige Welt seines Vaters hineinzufinden. Besonders deutlich wird dies beispielsweise als er erzählt, dass sein Vater immer nach Hause möchte, obwohl er sich in dem Haus aufhält, das er als relativ junger Mann selbst gebaut und in dem er seither immer gelebt hat.


    Arno Geiger erklärt sich das ständige nach-Hause-wollen seines Vaters so, dass dieser die Personen um sich herum nicht mehr kennt und nicht mehr versteht, dass ihn dies verwirrt und es ihm unheimlich ist und dass er daraus schließt, hier kann unmöglich mein Zuhause sein.


    Das finde ich einleuchtend. Dass es zu diesem Krankheitsbild dazu gehört, nach Hause zu wollen und sich in seinen eigenen vier Wänden offensichtlich nicht zu Hause zu fühlen, ist bekannt. Weshalb das so ist, weiß man nicht. Und was genau die Kranken fühlen wissen wir Gesunden auch nicht, niemand wird es uns je sagen können, da niemand "von dort" zurückkommen kann.


    Aber ich finde die Erklärung von Arno Geiger nachvollziehbar. Das Gefühl zu Hause zu sein ist eben genau dies: Ein Gefühl. Und zwar ein gutes und wichtiges Gefühl. Dort fühlt man sich in der Regel geborgen und einigermaßen sicher. Und wahrscheinlich fehlt eben dieses Gefühl von Geborgenheit den an Demenz erkrankten Menschen.


    Vielleicht ist es für sie ja auch noch schlimmer. Denn es ist ja gerade nicht so, dass eine demente Person nichts mehr mitbekommt und nichts mehr weiß. (Wir anderen können nur nicht einschätzen, was derjenige alles weiß, sieht und fühlt.) Ich könnte mir aber vorstellen, dass einem dementen Menschen sehr wohl – irgendwie – klar ist, dass sich seine Situation nicht mehr ändern wird. Wenn derjenige aber in irgendeiner Form weiß oder ahnt, dass er nie wieder das Gefühl der Geborgenheit, des zu-Hause-seins haben wird, könnte dies (unter anderem) eine Erklärung der mit der Krankheit oft einhergehenden Aggressionsschübe sein. Wobei es leider den Umgang mit der Situation und dem Kranken auch nicht erleichtert, eine Idee zu haben, weshalb derjenige sich möglicherweise so verhält. Aber diese Gedanken führen immer weiter weg von diesem Buch.


    Ich habe das Buch als etwas Besonderes empfunden.


    Dieses Buch ist keine Anleitung zum Umgang mit Demenz- oder Alzheimererkrankten. Aber es gibt Gedankenanstöße hinsichtlich des Welt eines Kranken, die wiederum dazu führen können, dass man etwas gelassener mit demjenigen umgeht. Es kann einem Angehörigen nicht die Hilflosigkeit nehmen, die im Umgang und mit Dementen sehr oft auftritt. Aber ich denke das wollte Arno Geiger auch gar nicht. Er wollte davon erzählen, wie es ihm ging und geht mit der Erkrankung seines Vaters. Er wollte sich von der Seele schreiben, wie sehr er es im Nachhinein bedauert, nicht frühzeitig genug merkt zu haben, was los ist. Er bedauert, die Zeit bis sein Vater so langsam entglitten ist, nicht mehr genutzt zu haben.


    Das Buch ist kein Roman mit einer Handlung und einem guten oder schlechten Ende.


    Es ist auch keine Biografie des August Geiger, auch wenn sein Leben ebenfalls erzählt wird.


    Aber vor allem es ist kein voyeuristischer Bericht darüber, wie sich ein Demenzkranker verhält und was er tut – der Vater wird nicht einfach vorgeführt. Und gerade das finde ich an diesem Buch wichtig und das macht es lesenswert.

    Bemerkung meines Vaters beim Anblick meiner Bücherberge: "Wir haben ja alle unsere Macken... und du hast deine Bücher!"

  • Arno Geiger schreibt hier über seinen Vater. Einen Menschen, der nach dem 2. Weltkrieg in einem Lazarett landete und dort zum Sterben liegen gelassen wurde. Eine Erfahrung, die ihn so sehr geprägt hat, das er danach seine Heimat nie wieder verlassen wollte. Sehr zum Ärger seiner Familie, denn auch Urlaub kommt so nicht in Frage.
    Und für diesen Mann, dem sein Heim immer das wichtigste war, vergisst nun, wo er wohnt.


    Das Fortschreiten der Krankheit erzählt Arno Geiger recht gradlinig, aber es gibt dabei immer wieder Zeitsprünge in frühere Zeiten. Vergangene Geburtstagsfeiern, die Ehe der Eltern werden immer wieder gestreift.
    In gewisser Weise soll das Buch Mut machen. Denn auch wenn der Vater immer mehr vergisst, die Familie entwickelt eine ganz neue Art der Zuneigung zu dem Vater. Und manchmal macht der Vater Aussagen, die so passend erscheinen, das alle nur staunen können. Die Schwierigkeiten und die Hilflosigkeit werden nur sehr beiläufig erwähnt, das meiste kann man nur erahnen.


    Zwischendurch sind im Buch einzelne Unterhaltungen eingestreut, die in kursiver Schrift gehalten sind. Über so manche Aussagen musste ich dann auch schmunzeln.
    Ein sehr interessantes Buch über das Vergessen, schön warmherzig erzählt.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Das Buch stand schon länger auf meiner Wunschliste, weil mich das Thema sehr interessiert hat. Besonders gefallen, und das sollte man auch speziell hervorheben, hat mir die Art wie Arno mit seinem Vater umgegangen ist. Ich habe da wirklich großen Respekt vor ihm, wie er sich auf seinen Vater einlässt.


    Es hat mich insofern berührt, weil ich 2 ähnliche Fälle in der Familie habe. In einem Fall wurde überhaupt nicht auf die demente Person eingegangen - entsprechend schwierig war auch der Alltag, im anderen Fall (von meinem Onkel) haben sich alle sehr bemüht, was auch das Leben einfacher gemacht hat. Ich glaube man kann Angehörigen und Pflegepersonen nur tiefen Respekt zollen.


    Die Lebensgeschichte fand ich ganz interessant, wenngleich es oft auch nur angeschnitten wurde.


    Das letzte Kapitel - diese Aneinanderreihung von kurzen Absätzen oder Sätzen - habe ich nicht wirklich verstanden. Irgendwie hat mir das auch den ganzen sonst durchwegs guten Eindruck des Buches zerstört. Dieser Teil passt aber überhaupt nicht wirklich zum Rest, es scheint als wollte der Autor noch schnell ein paar Anekdoten und Sinnsprüche anbringen.


    Eine der für mich ergreifensten Szenen war allerdings das Ausräumen des Hauses. Ich weiß nicht, warum gerade das mich so berührt hat. Der Vater (Augustin) hat es ja nicht mehr registriert, aber trotzdem finde ich es eigenartig ein ganzes Leben von einer noch lebenden Person in den Müllcontainer zu werfen. :(

  • Nach einigen Jahren Verspätung habe ich nun quasi in einem Rutsch dieses Buch durchgelesen.
    Von den sehr vielen und guten Ausführungen hier, könnte ich eigentlich komplett diejenige von @Susannah zitieren, einfügen und bestätigen.
    Ich fand die Erzählung ebenfalls nicht verniedlichend, sondern dachte gerade in der ersten Hälfte des Buches öfter darüber nach, wie man das als naher Angehöriger physisch und psychisch durchsteht. Ich habe es zwar als Enkeltochter über ca. zwei Jahre miterlebt, aber die Rolle als Kind ist doch eine völlig andere. Die von Geiger beschriebene neu entstandene Nähe zu dem kranken Elternteil kann ich als Beobachter auf jeden Fall bestätigen. Vieles kann man nun verzeihen und mit vielem Frieden schließen.
    Ebenso wie Susannah hat mir im Buch der Verlust der inneren Heimat des Vaters sehr zugesetzt, außerdem das Suchen nach den vermeintlich noch kleinen Kindern.
    Und auch ich dachte sehr oft, was für ein schöner Satz, den müsste ich aufschreiben.
    Daher werde ich mir das Buch (es war nur ausgeliehen) jetzt kaufen und sicher noch einmal lesen. Das 1.Quartal 2017 ist vorbei und dies war mein Highlight.

  • Meim Schmökern durch diesen Thread krieg ich doch gleich wieder Lust auf das Buch. Ich habe damals geschrieben, dass ich es bald wiederlesen möchte und so ist das mit den Vorsätzen: Bis heute hab ich das nicht getan.


    Danke fürs Rauskramen, @SiriNYC!