Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages / L' isola del giorno prima

  • Inhalt


    "Im Jahre 1643: Der junge Piemontese Roberto de La Grive ist in geheimer Mission unterwegs. Als Spion im Dienste Frankreichs begibt er sich auf die Suche nach dem Nullmeridian, dem zur exakten Navigation notwendigen Fixpunkt der Erde. Doch genau in dem Moment, als er der Aufklärung des Rätsels nahe gekommen ist, sinkt sein Schiff in einem Sturm und nur Roberto kann sich retten. Tagelang treibt er im Pazifik, bis er auf ein verlassenes Schiff stößt. Aber nach einer Weile merkt er, daß noch jemand außer ihm an Bord ist. Und der Fremde ist, wie sich zeigt, hinter dem gleichen Ziel her wie Roberto ... Dennoch sieht Roberto in dem Fremden seinen Schicksalsgenossen. Von seinem Versuch, zu der Insel des vorigen Tages, die östlich der Datumsgrenze liegt, zu gelangen, kehrt der Fremde jedoch nicht mehr zurück. In seiner Verlassenheit beginnt Roberto sich einen Roman auszudenken, in dem sich Wahn und Wirklichkeit immer mehr vermischen. Dies führt zu einer waghalsigen Entscheidung ..."
    Quelle: amazon.de



    Aufbau / Handlung


    Ein unbekannter Erzähler entführt uns in das 17 Jahrhundert und bringt uns eine Geschichte nahe, die er afgrund fragmentarischer Aufzeichnungen und Briefe rekonstruiert hat.


    Der junge Roberto de La Grive hat mit dem Segelschiff "Daphne" nahe der Datumsgrenze Schiffbruch erlitten und befasst sich nun als einziger Überlebender vornehmlich damit, Briefe an eine seine Herzensdame zu verfassen, aus denen der Leser erfährt, wie Roberto aus dem beschaulichen Italien bis auf das schiffbrüchige Schiff Daphne gelangte.


    Aufgrund seiner jeher vorherrscheinden Einsamkeit hat sich Roberto bereits in früher Kindheit einen Halbbruder mit dem Namen Ferrante erdichtet. Nachdem sein Vater in einem der mantuanischen Erbfolgekriege im Kampf gefallen ist und Roberto noch stärker von Einsamkeit geplagt ist, als zuvor, geht Roberto nach Frankreich um dort ein STudium aufzunehmen und wird so in die dortigen freigeistigen Kreise aufgenommen. Dort verliebt er sich in die schöne Lilia, der er seine Gefühle jedoch nicht gesteht. Sein einziger Annäherungsversuch ist ein Vortrag über die Liebe, die er dem „sympathetischen Pulver“ gleichsetzt. Eine Substanz, mit der Wunden auf Distanz beeinflußt werden konnten. [Interessanter Weise war dies zugleich eine der damaligen Navigationshilfen.]


    Noch am Abend des Vortrags wird Roberto verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Seine einzige Überlebenschance sieht er in der Durchführung einer geheimen Mission, die Colbert anführt. Ziel dieser Mission soll es sein, die Breitengrade auszumachen, um so die Navigation auf See zu vereinfachen. Da Colbert allerdings erfahren hat, dass die Engländer hier auf einem guten Wege sind, soll Roberto sich heimlich an Bord der "Amerilli"begeben und Doktor Byrds scheinbar bahnbrechende Methode ausspionieren. Byrds Geheimmittel ist eben jenes „sympathetisches Pulver“, über welches Roberto bereits refferierte. Hierdurch kann der aktuelle Längengrad bestimmt werden, indem die Wunde aus der Heimat um eine festgelegte Uhrzeit gereizt wird, der Verwundete befindet sich auf dem Schiff und reagiert darauf. Aufgrund des Sonnen/Sternenstandes bei Einsetzen der Quälerei/Schmerzensschreie kann nun der genaue Standpunkt ermittelt werden. Doch noch während der Expedition sinkt die Amarilli und Roberto rettet sich auf die "Daphne", ein komplett verlassenes Schiff, die östlich einer paradiesischen Insel liegt, die jedoch für Roberto unerreichbar scheint.


    Als er nach und nach das Schiff zu erkunden beginnt, findet er exotische Pflanzen, ein Vogelhaus, einen Raum voller Uhren und schließlich den Jesuitenpater Caspar Wanderdrossel aus Rom. Aufgrund seiner Himmelsbeobachtungen ist Pater Caspar sicher, dass er sich nahe des 180. Längengrads befindet, der die Datumsgrenze darstellt. Nachdem Pater Caspar Wanderdrossel Roberto eine seiner Erfindungen vorführen möchte und dabei vom Meeresboden verschluckt wird, ist Roberto auf sich alleine gestellt. Eine Krankheit führt ihn schließlich in den Fieberwahn, der ihm seinen erfundenen Halbbruder ins Gedächtnis ruft...

    Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht, um euch die Spannung nicht zu verderben
    :wink:



    Eigene Meinung
    Als erstes muss ich gestehen, dass ich im Germanistik-Studium ein ganzes Seminar zu dem Buch besucht habe, ohne vorab wirklich etwas über das Buch zu wissen. Doch war ich zu der Zeit bereits Eco-Fan.
    "Die Insel des vorigen Tages" ist für mich aus vielerlei Hinsicht ein wirklich grandioses und auch lesenswertes Buch. Abgesehen von der Handlung, die ab einem gewissen Punkt durchaus verwirrend werden kann, weil Hauptgeschichte und im Roman erzählte Geschichte miteinander verschmelzen, so habe ich unheimlich viel Spannendes über die Navigation im 17. Jahrhundert und die oft doch mehr als fragwürdigen Methoden gelernt. Als Ergänzung kann hier vielleicht auch Dava Sobels: Längengrad hinzugezogen werden.


    Ich mag allerdings nicht ausschließen, dass das Buch den ein oder anderen, der nicht diesen Anreiz hat, durchzuhalten, wie ich es allein schon durch mein Seminar hatte, durchaus auch langweilen könnte.


    Wie in vielen Dingen vielleicht einfach eine Sache des Geschmacks :D

  • Zuerst einmal vielen Dank für die ausführliche Rezension. Vielleicht überlege ich mir, es mit
    einem Roman von Eco noch einmal zu versuchen. Nach seinen meisterhaften Werken >Der Name der Rose<
    und vor allem das brillante >Das Foucaultsche Pendel< habe ich mich natürlich auch auf seinen Roman >Baudolino<
    gestürzt und wurde furchtbar enttäuscht. Einer der wenigen Romane die ich nicht zu Ende gelesen habe.
    Deine Rezension zu >Die Insel des vorigen Tages< ist jedoch so interessant, dass der Roman auf jeden Fall schon
    einmal auf meine Wunschliste kommt.


    lg taliesin :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Danke für die interessante Rezi.

    Nach seinen meisterhaften Werken >Der Name der Rose<
    und vor allem das brillante >Das Foucaultsche Pendel<

    "Der Name der Rose" gehört zu meinen Lieblingsromanen, für "Das Foucaultsche Pendel" war ich irgendwie zu doof. Ich habe es zwei Mal angelesen und abgebrochen, weil ich damit nichts anfangen konnte. Danach habe ich dann nichts mehr von Eco angefasst.
    Falls die Bücherei "Die Insel des vorigen Tages" hat, werde ich vielleicht mal reinlesen, kaufen werde ich es eher nicht.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Bei mir steht das Buch noch ungelesen im Regal, doch wenn es an die Reihe kommt, werde ich Deine Rezi dazu sicher noch mal durchlesen. Hat mir gut gefallen!

  • Ich habe "Die Insel des vorigen Tages" vor 10 Jahren im Literaturkurs der 12. Klasse gelesen .... ich fand es damals schon wirklich toll und überlege es nochmal zu lesen, weil ich einfach sooooo viel wieder vergessen habe. Schön, dass das Buch scheinbar von vielen Leuten gemocht wird.

    Mein Tauschticket!!!


    Gelesen 2010: 25 Bücher (davon eins abgebrochen)
    Gelesen 2011: 26 Bücher
    Gelesen 2012: 14 Bücher (davon eins abgebrochen)


    Ich :study: gerade:


    Max Brooks - Der Zombie Survival Guide
    Sergej Lukianenko - Trix Solier II

  • Vielleicht liegt es daran, dass da niemand diese Lektüre freiwillig gewählt hat. Der Literatur-Kurs in dem ich war, der war halt freiwillig und wir haben dieses Buch unter mehreren zur Auswahl gehabt und uns somit selbst entschieden.

    Mein Tauschticket!!!


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    Gelesen 2011: 26 Bücher
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    Ich :study: gerade:


    Max Brooks - Der Zombie Survival Guide
    Sergej Lukianenko - Trix Solier II

  • Naja eigentlich hätten alle die Möglichkeit gehabt, ein anderes Seminar zu besuchen. Daher haben die schon freiwillig gewählt ;)
    Ich kann mir nur vorstellen, dass 4 Monate lang ein Buch auseinanderklabaustern einem das Buch auch ziemlich madig machen kann.

  • Das stimmt auch wieder. ;)

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  • Anspruchsvoll überladen:


    Ecos Roman ist Anspruchsvoll, keine Frage. So schreibt er und so möchte er auch schreiben. Die Leserin ist gefragt und muss sich auch geistig darauf einlassen wollen. Für mich war der Roman einerseits Genuss, sprachlicher vor allem. Andererseits aber auch langatmig und gefühlte 1000 Seiten lang. Sicher auch, weil man diese Art des Erzählens nicht mehr gewohnt ist. Weitschweifig, ausufernd, blumig in mancherlei Hinsicht. Vollgestopft mit allen möglichen philosophischen Ansätzen und Denkmustern des 16. Jahrhunderts. Aber auch jede Menge anderer Anspielungen und sogar fast schon Shakespeare-esken Formulierungen. Definitiv ist mir auch Einiges entgangen.


    Einerseits interessant, andererseits aber auch irgendwie banal, er scheint einem Ecos Spiel mit der Identität von Erzähler, Werk und Autor. Durch die Figur des Robertos vermischt sich diese Ebene sehr stark mit einander, auch wenn immer klar ist, der Erzähler (und nicht der Autor) hat das letzte Wort. Auch wenn eigentlich der Autor diktiert, das es so ist. Die Doppelbödigkeit der Literatur ist hinreichend bekannt und nichts Neues. Allein die Art wie Eco diese Eben vermittelt, ist dann wiederum auf höchstem Niveau und durchzogen von allerlei Philosophischem Gedankengut, da ich mich in der Philosophie aber nur sehr rudimentär auskenne, ist mir auch hier wohl sicher viel entgangen.


    Nach meiner Ansicht funktioniert der Roman nur teilweise ohne die Hilfe von zusätzlicher Literatur. Die Handlung um Robertos Leben erscheint nur als Rahmen für diese ganzen Ausschweifungen die Eco hier macht. Deshalb finde ich "Die Insel des bisherigen Tages" nicht so gut gelungen. Eine gute Geschichte funktioniert auch ohne, für mich funktioniert der Roman aber nur, wenn man das Wissen hat um die Gedankengänge die hier stattfinden auch zu erkennen. Sonst fragt man sich, was das eigentlich soll.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: