Tilman Röhrig: Übergebt sie den Flammen

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    Feuer! Die Schriften Luthers brennen. Für den Seminaristen Johan wird
    dieses Erlebnis zum Wendepunkt in seinem Leben. Aus dem braven
    Priesteranwärter wird ein furchtloser Anhänger Luthers, der sich von
    niemanden mehr etwas vorschreiben lässt. Als er Wendel begegnet, die
    nach dem Tod ihres Vaters mutig allein dessen Werkstatt führt, verliebt
    sich Johan auf der Stelle in sie. Gegen alle äußeren Widerstände
    heiraten sie - und müssen nach Münster flüchten, der Hochburg der
    Wiedertäufer. Doch auch hier droht ihnen Gefahr.





    Eigene Beurteilung


    Dieser anspruchsvolle Roman zeichnet das Leben des Täuferpredigers Johannes Klopreis (ca.1500 - 1535) nach. Der Leser erlebt die Wandlung des Protagonisten vom "angepassten" Theolgiestudenten zum Anhänger der Lutherischen Lehre und schließlich bis zum fanatischen Wiedertäufer, der in Münster, dem "Neuen Jerusalem", eine steile Karriere macht, die am 1.Februar 1535 durch seinen Feuertod beendet wird.
    Der junge Johannes studiert Theologie, hat es aber als Sohn eines einfachen Schneiders inmitten seiner wohlhabenden Kommilitonen schwer und wird immer wieder wegen seiner einfachen Herkunft gedemütigt. Als er einer Verbrennung von Luthers Schriften beiwohnt, lernt er den protestantischen Reformator Adolph Clarenbach (ca.1497 - 1529) kennen und entwickelt unter dessen Einfluss einen zunehmenden Ekel für Heuchelei und Verlogenheit der katholischen Geistlichen. Nach seinem Studium lebt er unverheiratet mit Wendel zusammen und predigt in Büderich die reformatorischen Ideen. Zwei Mal wird er verhaftet, beim ersten Mal kommt er durch einen Widerruf frei, beim zweiten Mal wird er lebenslänglich eingekerkert, jedoch von einem einflussreichen Freund befreit.
    Schließlich gelangt er nach Münster, wo die Wiedertäufer unter Bernd Rothmann und zwei selbsternannten Propheten das "Neue Jerusalem" errichten wollen und ein strenges Regiment errichten, das sich in seinem diktatorischen Gebaren und der Intoleranz jeder eigenständigen intellektuellen Regung gegenüber um nichts von jenem Schreckensregiment der katholischen Kirche unterscheidet, dem die Reformatoren eigentlich ein Ende setzen wollten: wieder werden Schriften verbrannt und missliebige (= aufmüpfige") Zeitgenossen hingerichtet. Assoziationen zu "Animal Farm" drängen sich auf...
    Der Klappentext erweckt den Eindruck, es handle sich bei diesem Roman um eine Liebesgeschichte, dies trifft jedoch nicht zu. Zunächst sind Johannes und Wendel einander in Liebe verbunden und sie unterstützt ihren Lebensgefährten in allen Dingen. Je radikaler sich seine religiösen Anschauungen entwickeln, desto mehr entfremdet sie sich von ihm, bis sie sich schließlich zum Wohl ihrer gemeinsamen Kinder von ihm trennt.
    "Übergebt sie den Flammen" ist ein gut recherchierter, anspruchsvoller Roman, den man aufmerksam lesen muss, um der Handlung folgen zu können. Hochinteressant in Bezug auf den Inhalt, war ich mit der Form nicht immer einverstanden. Der Autor macht immer wieder Zeitsprünge, die den Leser verwirren. Es ist manchmal nicht gleich klar ersichtlich, wieviel Zeit vergangen ist und auch mitten im Kapitel hält eine der Figuren immer wieder gedankliche Rückblicke auf die letzten Monate.
    Vermisst habe ich ein Nachwort des Autors und ein Glossar, beides wäre bei dieser nicht gerade leichten Kost hilfreich gewesen.
    Wer sich für die religiösen Strömungen des 16.Jahrhunderts interessiert und Zeit und Konzentration aufbringen kann, hat aber einen lesenswerten Roman vor sich.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Das klingt ziemlich verlockend. Schon Röhrigs Riemenschneider-Roman hat mir sehr gefallen, und die Wiedertäufer finde ich seit "Kristus" von Robert Schneider ziemlich spannend.

  • Seit ich -Wir sind das Salz von Florenz - gelesen habe ( 2 mal ) bin ich von Tilman Röhrig begeistert.
    Ein Sittengemälde aus der Blütezeit der Renaissance .
    Girolamo Savonarola, der finstere Prediger von San Marco , ist überzeugt ,dass das Heil der Welt
    in der Abkehr von allem liegt ,was Freude bringt :twisted:

  • Inhaltlich fand ich das Buch sehr interessant, vor allem die Passagen um die Kämpfe und Kriege zwischen den mächtigen Katholiken und den aufstrebenden Protestanten. Aber weite Teile fügt der Autor zusammenhanglos hintereinander. Während er einzelne Szenen sehr detailreich beschreibt, auch Szenen, die relativ unwichtig für den Gesamtzusammenhang sind, z.B. das Spiel der Kinder in Wendels Haushalt, bleibt er bei wichtigeren Passagen den Zusammenhang schuldig.


    Wie kommt Johann, der sich vor allem wegen der Toleranz und der Gedankenfreiheit vom Protestantismus überzeugen lässt, dazu, sich den Wiedertäufern anzuschließen, deren restriktives Denken und Handeln all dem widerstrebt, was Luther und seine Anhänger der ersten Stunde lehrten?
    Wieso zwingt er seine Familie, die er bis dahin immer vor der Gewalt der katholischen Obrigkeit zu schützen versuchte, unter die Knute der neuen Sekte?


    Zuviele offene Fragen, deren Antworten man nur selten zwischen den Zeilen lesen kann, lassen trotz der guten Recherche des Autors am Ende ein unbefriedigendes Gefühl zurück.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)