Die Diagnose ist niederschmetternd, gibt keinen Grund zur Hoffnung und bedeutet für Adrian Thomas eigentlich vor allem eines: er will sterben, seinem Leben ein Ende setzen. Wozu noch die Medikamente aus der Apotheke holen? Demenz. Das ist sein Todesurteil.
Allein ist Adrian Thomas schon seit einiger Zeit. Alle Menschen, die ihm wirklich etwas bedeuteten, sind tot: seine Frau Cassie, sein Bruder Brian, sein Sohn Tommy. Jetzt weiß Adrian, warum ihm diese drei immer wieder erscheinen und er mit ihnen redet, als wären sie da – er wird einfach verrückt! Eine simple, aber schreckliche Erklärung.
Doch auf seinem Weg nach Hause geschieht etwas, das Adrians Selbstmordpläne dann in den Hintergrund rückt: er sieht ein etwa sechzehnjähriges Mädchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Plötzlich fährt ein Lastwagen vor, und als dieser vorbeigefahren ist, ist das Mädchen verschwunden. Was ist passiert? Zunächst traut Adrian seinen Augen nicht und hält das Ganze für einen Streich, den ihm sein krankes Gehirn gespielt hat. Doch auf dem Gehweg liegt die Kappe, die das Mädchen getragen hat. Was ist geschehen?
Adrian hat das Gefühl, er müsse die Verantwortung übernehmen und herausfinden, was wirklich passiert ist. Er hat ein ungutes Gefühl und er scheint der einzige Zeuge der Situation gewesen zu sein. Was, wenn das Mädchen ihn braucht? Und tatsächlich, auch wenn man ihn bei der Polizei zunächst nicht ernst nimmt, bald schon passt seine Beobachtung zu dem Verschwinden der sechzehnjährigen Jennifer und die Polizei ermittelt – genauso wie Adrian, der damit auch sich selbst beweisen will, dass er noch etwas leisten kann.
Und Jennifer braucht sehr dringend und sehr schnell Hilfe, denn das Mädchen wird gefangen gehalten und Abonnenten aus aller Welt schauen sich ihr Leben in Gefangenschaft an – ein Leben, das nur zu bald schon vorbei sein wird, und es ist nicht auszudenken, was Jennifer noch erleben muss, bevor es vorbei ist…
Insgesamt wirklich ein spannender Thriller, der mir sehr gut gefallen hat. Ich fand es interessant, wie Adrian in dem Fall ermittelt hat und vorgegangen ist. Er war mir von Anfang an sympathisch. Jennifer ist ebenfalls eine sehr spannende Figur, Katzenbach hat sie sehr glaubwürdig entwickelt und gerade die Kapitel, in denen ihre Geschichte erzählt wurde, fand ich sehr bedrückend, sodass ich am liebsten manchmal nicht weitergelesen hätte (andererseits möchte man natürlich unbedingt wissen, wie das Ganze ausgehen wird).
Ebenfalls sehr gut fand ich es, dass Katzenbach immer wieder auch schildert, wie die Abonnenten Jennifers Gefangenschaft übers Internet verfolgen und wie grausam und fasziniert ihnen völlig zu entgehen scheint, dass es sich wirklich um einen Teenager handelt. Diese Szenen machen schon auch nachdenklich, ohne dass man jetzt das Gefühl hat, Katzenbach wolle seine Leser explizit auf die Abgründe des Internets aufmerksam machen (dies geschieht aber doch).
Kritikpunkte gibt es aber auch, wenn auch kleinere: am Anfang waren mir Adrians Auseinandersetzungen mit seinen toten Angehörigen manchmal zu viel. Das hätte man kürzen können. Später, zum Showdown hin, ist mir Adrian dann manchmal dafür, dass er über siebzig und dement sein sollte, zu tough und zu gewieft erschienen. Trotzdem konnte ich das Buch gerade am Ende nicht mehr aus der Hand legen, weil es sehr spannend war.
Die Grausamkeiten, die Katzenbach hier beschreibt, sind weitestgehend unblutig, dennoch ist „Der Professor“ einer der beklemmendsten Thriller, die ich in diesem Jahr gelesen habe, und Katzenbach zeigt menschliche Abgründe auf, in die man besser nicht hineingeschaut hätte.