Herman Koch - Angerichtet

  • Inhalt:
    Ein Abend im Sternerestaurant. Zwei Elternpaare – eine lebenswichtige Entscheidung.
    Der preisgekrönte Bestseller aus den Niederlanden erzählt ein Familiendrama, das um die Fragen kreist: Wie weit darf Elternliebe gehen? Was darf man tun, um seine Kinder zu beschützen? Ein Roman, der ins Herz schneidet.
    Zwei Ehepaare – zwei Brüder und ihre Frauen – haben sich zum Essen in einem Spitzenrestaurant verabredet. Sie sprechen über Filme und Urlaubspläne und vermeiden zunächst das eigentliche Thema: die Zukunft ihrer Söhne Michel und Rick. Die beiden Fünfzehnjährigen haben etwas getan, was ihr Leben für immer ruinieren kann. Paul Lohman, der Erzähler und Vater von Michel, will das Beste für seinen Sohn. Und ist bereit, dafür weit zu gehen, sehr weit. Auch die anderen am Tisch haben ihre eigene, geheime Agenda. Während des Essens brechen die Emotionen auf, schwelende Konflikte zwischen den Brüdern entladen sich, und auf einmal steht eine Entscheidung im Raum, die drei der vier mit aller Macht verhindern wollen.
    Mit unglaublicher Raffinesse und großem Sprachwitz erzählt Herman Koch eine Geschichte von bedingungsloser Liebe, Gewalt und Verrat. Nach und nach nur werden die wahren Abgründe und Motive der Personen sichtbar, ständig wird der Leser herausgefordert, sein moralisches Urteil neu zu fällen.
    Angerichtet ist ein aufwühlender Roman, der lange nachhallt. Ein starkes Stück Literatur.(Quelle: Kiepenheuer & Witsch)


    Originaltitel:
    Het Diner


    Der Autor:
    Herman Koch, geboren 1953, ist Kolumnist, Komiker, Fernsehmacher und Romancier. Seit 1989 veröffentlichte er in den Niederlanden fünf hoch gelobte Romane.
    (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)


    Meine Meinung:
    Zwei Ehepaare treffen sich in einem noblen Restaurant. Der Ich- Erzähler Paul ist einer von ihnen; Serge, der bekannte Politiker, sein Bruder.
    Paul und seine Frau Claire würden den Abend lieber auf andere Weise verbringen als mit dem oberflächlichen, selbstverliebten Serge.
    Am Anfang des Essens geht es um Filme oder über den Urlaub - amüsant zu lesen ist Pauls Zynismus über das Verhalten des Kellners oder die Essensmenge auf dem 'leeren' Teller. Das eigentliche Thema - die Kinder - wird zunächst aufgeschoben. Der Leser weiß , dass er auf dem Handy seines Sohnes etwa Beunruhigendes entdeckt hat.
    Der Roman lässt sich Zeit, die Spannung wird langsam aufgebaut - sodass der Leser Zeit hat, Symphatie für Paul zu entwickeln.
    Je weiter der Roman fortschreitet desto spannender wird es - der Ich-Erzähler schweift ab, gewährt Einblicke in die Vergangenheit, wo er über das Familienleben und dem Verhältnis zu seinem Sohn Michel erzählt. Die Geschichte erfährt Wendungen, die ich aber nicht hier verraten mag.


    Der Roman ist aufgeteilt in Aperitif, Vorspeise, Hauptgang, Dessert und Digestif und lässt sich flüssig lesen.
    Sein Thema ist aktuell und bietet Diskussionsmöglichkeiten.


    :!: Den Spoiler besser nur öffnen, wenn man das Buch schon gelesen hat oder nicht vorhat, es zu lesen :!:

  • Conor, deine Rezension macht mich total neugierig auf das Buch - aber das Cover ist schrecklich! Vielleicht bekommt die TB-Ausgabe ja ein schöneres Cover...


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Hallo Conor!
    Nach deiner Rezi freue ich mich nun um so mehr, dass ich das Buch nun auch bald lesen darf. In den Spoiler habe ich deswegen nicht rein geschaut - ich laß mich überraschen.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Carla Federico, Im Land der Feuerblume

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • @ Conor: Sieht auch nicht viel besser aus. :wink:


    In den Spoiler habe ich deswegen nicht rein geschaut - ich laß mich überraschen.


    Mich hat es sehr gereizt, in den Spoiler zu linsen, aber da ich das Buch irgendwann mal lesen möche, hab ich es natürlich nicht getan. 8) Auch wenn meine Neugier sehr groß war...


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Oh mich hat es auch gereizt in den Spoiler zu gucken und jetzt darf ich es auch - ich habe "Angerichtet" gelesen. Es las sich rasant schnell, denn es war super spannend. Ein Roman mit Zündstoff.
    Ausgesprochen komisch fand ich es im Gourmentrestaurant - den abgespreizten Finger des Maitre d'hotel mit dem er dem Gast jedes erlesene Stück Winzigkeit auf dem Teller anpries. :loool: Herman Koch scheint damit Erfahrung zu haben. :lol:
    Ansonsten war es dann weniger spaßig. Seite für Seite enträtselt der Autor mehr vom eigentlichen Grund des Restaurantsbesuches, zeigt die Unterschiedlichkeit der Brüder. Der Versuch mir Paul besonders sympathisch zu machen, zeigt bei mir nicht unbedingt Erfolg. Seine Abhängigkeit von Claire, seiner Frau, ist mir suspekt und noch vieles mehr, aber das kann ich hier ja nicht näher erläutern. Jede weitere Andeutung eines Details würde dem nachfolgenden Leser zu viel verraten. Es sei nur verkündet, es handelt um Moral, früher hätte man auch das Wort Ehre angeführt, Respekt vor dem Leben und wie man damit umgeht. Vor allen Dingen wie weit Eltern gehen, um ihr Kind zu schützen und was man unter Liebe zum Kind versteht.
    Ein Buch, das von Hilflosigkeit bis Entsetzen alle Sparten besetzt und mit vielen Fragen zum Nachdenken anregt.
    Nun diskutiere ich mit Conor weiter. Wir würden uns freuen, wenn sich die Runde vergrößert sobald ihr dieses aufregende Buch auch gelesen habt. :thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Alina Bronsky, Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Wirklich spannend an diesem Buch finde ich die Entwicklung der Hauptperson Paul in den Augen des Lesers. Würde man sich zu Anfang ihn und seine Familie sich noch als Nachbarn wünschen, ändert sich diese Meinung ziemlich dramatisch. Ich stelle mir unweigerlich vor, ob solche menschlichen Monster eigentlich in meiner Nähe auch 'rumlaufen...


    Es fällt schwer über diesen Roman zu schreiben oder zu sprechen ohne allzu viel zu verraten. Es ist ein Buch, dass sich Seite für Seite einem erschließt und wunderbar zu lesen ist. Das Ende hat mich beinahe fassungslos zurückgelassen. Bei Pauls Argumentation gegen Ende des Buches, als er versucht, das Verhalten seines Sohnes zu relativieren, hats mir fast die Schuhe ausgezogen. Auch denke ich nicht, wie ich mehrfach gelesen habe, dass das Geschehen irgendwie unrealistisch wäre, leider!



  • Dieser neue Roman des holländischen Kolumnisten, Komikers und Autors Herman Koch war in den Niederlanden ein großer Erfolg und bis jetzt ist auch die Rezeption in Deutschland ganz enorm. Das hängt mit dem Thema des Buches zusammen. Es geht um Moral, um Unmoral, über political correctness; es ist eine zutiefst verstörende und den Leser irritierenden Lektüre, die ihn gleichwohl von der ersten Seite an nicht mehr loslässt und ihn in wechselnde, dennoch immer nur kurz andauernde Solidaritäten mit den einzelnen Protagonisten zwingt.


    Die ganze Handlung dauert so lange wie das Menü, das die vier Hauptpersonen eines Abends in einem gehobenen Lokal mit gesalzenen Preisen, aber wenig substantiellen Speisen einnehmen. Da sind die beiden Ehepaare Serge und Babette und Paul und Claire. Die beiden Männer sind Brüder, ihr Verhältnis gespannt und ungeklärt. Serge ist ein hochrangiger Politiker, der nach der nächsten, in wenigen Monaten bevorstehenden, Wahl große Chancen hat, den bisher blassen Ministerpräsidenten abzulösen. Neben seinen beiden Kindern hat er zusammen mit seiner Frau Babette vor vielen Jahren schon ein Kind aus Burkina Faso adoptiert. Die Motive der beiden sind mindestens suspekt.


    Paul war Lehrer und ist nun im Ruhestand. Im Verlauf des Abendessen, in dem der Ich-Erzähler Paul immer wieder in Rückblenden für den Leser immer schockierendere Zusammenhänge herstellt, wird auch klar, warum er nicht mehr arbeitet. Er leidet an einer Krankheit, die nicht benannt wird, mich aber immer wieder an bestimmte Ausprägungen des Tourette-Syndroms erinnert hat.


    Ihr gemeinsames Essen hat einen Anlass. Serge hat um ein Treffen gebeten, weil die beiden Ehepaare über ihre beiden Söhne Michel und Rick sprechen sollen. Beide haben etwas Furchtbares getan, so wird am Anfang schon angedeutet, und erst langsam kommen ihre Taten ans Tageslicht. Aber auch die Art und Weise, wie die Erwachsenen damit umgehen. Wie weit dürfen Eltern gehen, wenn sich ihre Kinder mit großer Schuld beladen? Was müssen sie tun oder lassen, damit ihre Kinder noch eine Zukunft haben und nicht ihr ganzes Leben mit dieser Tat konfrontiert werden?


    Herman Koch nimmt in diesem Roman auf den Leser keine Rücksicht. Er stürzt ihn in einen Strudel von Gefühlen, dauernd zwingt er ihn, Stellung zu beziehen, was ist richtig, was ist falsch. Dabei haben alle Personen, Erwachsene und Jugendliche Anteil, niemand ist frei von Schuld. Herman Koch selbst enthält sich jeglicher Wertung, er mutet sie seinen Lesern zu. Und das ist gut. Denn der Roman spricht Themen an, die nicht nur Eltern von Heranwachsenden unter die Haut gehen.


    Ein hervorragender Roman um Schuld, Verantwortung und Liebe. Ein Roman, der moralisch ist, obwohl er so viel Unmoral beschreibt. Ein Buch, das den Leser sehr lange nicht loslässt. Ein Psychothriller auf der einen, und ein Psychogramm einer bestimmten Schicht auf der anderen Seite.

  • Um aus einem sympathischen, aufgeschlossenen Protagonisten eine widerwärtige und abstoßende Figur zu machen, ist die Ich-Perspektive mit Sicherheit die schwierigste. Der Ich-Erzähler hat normalerweise die Pflicht, den Leser auf seine Sichtweise einzuschwören, und am Anfang fühlt und denkt man als Leser wie Paul, der offenbar der unumgänglichere der beiden Brüder ist, denn Sascha scheint ein Großkotz und Wichtigtuer zu sein, was ihm in seinem Beruf als aufstrebender Politiker nutzt. Leider kann er auch im Privatleben den großspurigen Angeber nicht ablegen.


    Wie der Ich-Erzähler

    ist meisterhaft von Koch in Szene gesetzt. Auch, wie alles andere sich plötzlich in einer neuen Sichtweise darstellt. Bei den ersten Vorkommnissen denkt man als Leser noch: Ein Ausrutscher, kann jedem passieren, doch je weiter die Handlung fortschreitet, desto unglaublicher wirkt die Entwicklung.



    Hier würde ich gerne von Koch wissen, wie er auf eine solch absurde Idee kam.


    Von einer besonderen Art von Büchern wird oft gesagt, sie regten zum Nachdenken an (eine Formulierung, auf die ich allergisch reagiere). „Angerichtet“ drängt Fragen auf, vor allem, wenn man Vater oder Mutter ist: Was würde ich für mein Kind tun? Wie weit bin ich als Mutter oder Vater bereit, meine Grundsätze über Bord zu werfen? Tue ich meinem Kind einen Gefallen, wenn ich die Konsequenzen seiner Handlungen von ihm fern halte?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)