Michel Bergmann - Die Teilacher

  • Inhalt:
    Frankfurt am Main, 1946. Ausgerechnet nach Deutschland, ins Land der Täter sind sie gekommen.


    1972, David Bermann, der "Einstein unter den Teilachern", ist tot. 75. Ist doch kein Alter. Es ist der 11. Januar, als sich Verständig, Fajnbrot und Szoros in ihrem Stammcafé einfinden, nachdem sie David im strömenden Regen beerdigt haben. Man redet natürlich über alte Zeiten...
    1946, Frankfurt am Main. Sie hausen in ausrangierten Güterwaggons, in Kellern, halben Ruinen, ehemaligen Krankenhäusern. Die Treppen baufällig, die Nachbarn grimmig. Das politische Klima frostig, der Blick in die Zukunft schemenhaft. David Bermann, Jossel Fajnbrot, Emil Verständig, Moische Krautberg, Max Holzmann und die anderen, sie sind zurückgekehrt. Wie ist es ihnen ergangen? Fast alle waren aus den Lagern gekommen, oft als einzig Überlebende in ihrer Familie. Doch jetzt ist Aufbruch angesagt: Bei Eis und Schnee, bei Regen und Sonnenschein, mit Citroën und Horch, mit Volkswagen, Opel und Tempo-Dreiradpritsche sind sie Tag für Tag unterwegs, um allerlei Dinge zu verkaufen. Wie viel Kraft hat es gekostet, wieder an Liebe, Nestbau und Zukunft zu glauben?
    1972, gebannt lauscht der junge Alfred Kleefeld den Geschichten der alten Männer nach der Beerdigung seines Onkels David Bermann. Am Ende erfährt Alfred von einer wunderbaren Liebesgeschichte in dunklen Zeiten und von einem Geheimnis, das sein Leben für immer verändern wird.
    Michel Bergmann erzählt in diesem berührenden, zugleich humorvollen Roman, was sie, die Teilacher, aus ihrem Leben gemacht haben und wie sie sich mit viel Chuzpe durch die wilden Jahre kämpften. (Quelle: amazon)


    Der Autor:
    Michel Bergmann wird 1945 als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren. Nach einigen Jahren in Paris ziehen die Eltern nach Frankfurt am Main. Nach seiner Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau wird er freier Journalist. Er entdeckt seine Liebe zum Film und arbeitet u.a. als Autor, Regisseur und Produzent. Seit über 15 Jahren schreibt er Drehbücher für Film und Fernsehen. "Die Teilacher" ist sein erster Roman.(Quelle: Arche Verlag)



    Meine Meinung:
    ""Teilacher" ist verwandt mit jiddisch-berlinerisch "teilachen", umgangssprachlich für "abhauen". Teilacher setzt sich zusammen aus dem Begriff "Teil" und dem hebräischen Wort "laachod ", Einzelhandel. Der Teilacher, als Vertreter des Einzelhandels, ist das kleinste spaltbare Teilchen, das Atom der Kaufmannswelt. Was den Teilacher vom herkömmlichen Handlungsreisenden unterscheidet: Der Teilacher ist Jude. Oder er gibt sich als solcher aus. Denn es gab eine Zeit, da konnte das, unglaublich, aber wahr, Vorteile haben. Aber auch Nachteile."

    Erzählt wird hier im Rückblick die Geschichte von David Bermann und einer Gruppe von Überlebenden, die es nach dem Krieg nach Frankfurt verschlägt. Da sie irgendwie überleben müssen, fangen sie als Teilacher mit dem Verkauf von Wäsche an. Wirklich integriert sind die Teilacher nicht, bleiben außen vor und haben ihrerseits auch begründete Vorbehalte gegenüber den Deutschen.
    David Bermann ist der Onkel von Alfred. Als David stirbt, muss sich Alfred um die Hinterlassenschaft kümmern.
    Nun wird die Geschichte von David erzählt, der viele Verwandte verloren hat und trotzdem nicht seinen Lebensmut und seinen jüdischen Witz verloren hat.
    Michel Bergmann beschreibt das Zusammenleben von Juden und Deutschen in der Nachkriegszeit.
    Dabei bedient sich Bergmann vielen jiddischen Begriffen.
    Mit "Die Teilacher" ist Michel Bergmann ein wunderbarer, warmherzig geschriebener Roman gelungen, oft traurig, aber auch oft komisch und dem man viele Leser wünscht.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Und ich glaube das Buch hat einen weiteren Leser gefunden. Danke Conor für die sehr anregende Rezi und dafür, dass du meinem SUB absolut keine Chance auf Abbau gönnst. :loool:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Ken Follett, Sturz der Titanen

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Und nun habe ich es gelesen. Welch ein wunderbares Buch!!!
    Schon die erste Seite zog mich in ihren Bann. Wer schon wie ich das Zimmer oder die Wohnung eines lieben Verstorbenen ausräumen mußte, kennt das so gut beschriebene Gefühl. Man würde am liebsten weglaufen, kommt sich vor wie ein Eindringling, hat Hemmungen die persönlichen Dinge zu durchstöbern. Und Michel Bergmann liefert eine einfühlsame Antwort:
    "Das ist unfair, die Dinge überleben. Alle Gegenstände sollten mit ihren Besitzern sterben. Das wäre fair."
    Solche Aussagen gibt es viele im Buch, Nebensache, aber so treffend.
    Mit viel menschlicher Wärme lässt Michel Bergmann Alfred das Leben seines Onkels David, seinen Weggefährten und Freunden erzählen. Die Verfolgung der Juden wurde schon in zahlreichen Büchern verarbeitet. Das Leben danach ist für mich neu und sehr aufwühlend. Kann die ehemalige Heimat wieder zu dieser werden? Ist es möglich mit den Deutschen erneut zusammenzuleben? Kann man neben Trauer, Wut , Hass, Misstrauen den Weg zur Gemeinsamkeit finden? Einen Neuanfang wagen?
    Dem Autor gelingt das ohne Bitterkeit in leichtem, heiteren Ton und viel jiddischem Witz. Dennoch verspürt man schnell den tiefen Ernst ums Thema. Als Leser teile ich deren Schicksal, lerne zu verstehen und zu begreifen. David, der gerissene Vertreter (Teilacher) wächst mir dabei besonders ans Herz.
    Auch von mir bekommt das Buch verdiente :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: und ein Krönchen :king: , weil es etwas ganz Besonderes ist. :thumleft:
    Übrigens ab September ist es auch als Taschenbuchausgabe zu haben!


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: W.Somerset Maugham, Mrs. Craddock

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Am besten gleich vorweg: auch mich hat dieses Buch, das mir von einer sehr lieben Freundin geschenkt wurde, fasziniert; es hat mir gefallen, weil es sich einerseits gut lesen lässt und mich andererseits zum Nachdenken gebracht hat. Allem Anschein nach habe ich Die Teilacher jedoch ein bisschen anders empfunden als Ihr beide, Conor und Wirbelwind. Dieses Buch habe ich nicht vorrangig als eine „Erzählung mit menschlicher Wärme“ in Erinnerung, auch als traurig habe ich nichts darin empfunden.

    Diese Teilacher sind Menschen, die in ihrer Eigenschaft als Juden eine ganz erbärmliche Seite des Menschen in Person des Nationalsozialisten erlebt und unter ihm gelitten haben – würde nicht schon allein die Frage nach einem „sauberen Neuanfang“ zu einem „Zusammenleben in Gemeinsamkeit“ nach dem Krieg verlogen daherkommen?


    In diesem Buch ist die Rede von kleinen Bauernfängereien, mit denen sich die Teilacher ihre deutsche Kundschaft köderten; es ist die Rede von sporadischen kleinen Genugtuungen in Form von Handgreiflichkeiten, die sie sich als Juden gegenüber sich abfällig äußernden Deutschen endlich erlauben konnten. Es ist auch die Rede von Deutschen, die sich mit ihren Kenntnissen und ihrer Arbeitskraft untertänig und unentgeltlich den Teilachern zur Verfügung stellen wollten, um wenigstens einen kleinen Teil der Wiedergutmachung an ihnen zu leisten. Genauso gibt es im Buch jedoch Anekdoten um die Fragen des alltäglichen Lebens wie Essen und Wohnung nach dem Krieg, natürlich auch um Frauen und um Liebe.


    Hätte Michel Bergmann all dies in eine direkte Erzählung gepackt, hätte ich die Männer als weitgehend unsympathische Angeber empfunden, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Dadurch, dass er die kleinen Begebenheiten in die Rahmenerzählung um den Tod von David und in die Erinnerungen der alten Männer um die vergangenen Zeiten der Nachkriegsjahre gebettet hat, erhält das Ganze den nötigen Abstand und der spitzbübische Charme der alten Männer lässt eine schelmische Note wirksam werden, die auch mich oft genug zum Grinsen gebracht hat. Auf diese Weise konnte der Autor sogar das Kapitel 17 in sein Buch Die Teilacher einbauen, das ich mittlerweile, nach mehrmaliger Rücksprache mit Conor (Danke :friends: ), soweit verarbeitet habe, dass ich dieses Kapitel für das gelungenste am ganzen Buch erachte. Ich werde jetzt aber nicht verraten, was in diesem Kapitel passiert (selber lesen, wen’s interessiert :P ) – ich sage nur, dass ich zuerst gegrinst und plötzlich fast empört innegehalten habe, nur um schließlich feststellen zu müssen, dass das Kapitel so raffiniert geschrieben ist, dass man beim besten Willen keine Schuldzuschreibungen äußern kann – zum einen, weil die ethische Frage einen als Leser in Zwiespalt setzt und zum andern, weil man beim besten Willen nicht genau sagen kann, was eigentlich genau in diesem Kapitel abgelaufen ist :pray: .


    Und das ist der Punkt, der mir an Michel Bergmanns Die Teilacher letztendlich imponiert hat: dieses Buch handelt in einer nicht ganz zurückhaltenden, aber recht schelmisch-sympathischen Art davon, dass es nach dem Krieg keinen Neuanfang mit „Alles vorbei, vergeben und vergessen“ gegeben hat; das Buch weckte außerdem beim Lesen in mir ein bisschen das Gefühl, in einer Kneipe ein paar alten Männern beim Aufwärmen alter Erinnerungen zuzuhören, unterhaltsam, amüsant, informativ, zuweilen angeberisch und manchmal fast ein bisschen schockierend - alles in allem eine schöne Lese-Atmosphäre.


    Ich stimme mit Wirbelwind und Conor in diesem Punkt (wie auch in den meisten anderen Punkten) überein: Michel Bergmanns Die Teilacher halte ich für ein ein sehr gutes und lesenswertes Buch.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

    2 Mal editiert, zuletzt von Hypocritia ()

  • Etwas Neues habe ich nicht zu diesem Buch zu schreiben, meine Vorrednerinnen haben bereits genau das gesagt, was mir auch an diesem Buch so gut gefiel.


    Daher staube ich nur den Thread ab und schiebe ihn hoch in der Hoffnung, dass das Buch noch weitere Leser findet, die ebenso viel Lesevergnügen dabei haben wie diejenigen, die es schon hinter sich haben.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)