Árni Thórarinsson - Todesgott

  • Der Autor: (modifiziert von amazon)
    Árni Thórarinsson, geboren 1950, lebt in Reykjavík und arbeitet als Journalist und Autor für Zeitung, Radio und Fernsehen. Er gehört zu den Autoren, die Ende der neunziger Jahre den Grundstein für die isländische Kriminalliteratur legten. Mittlerweile sind bereits fünf Romane mit dem Reporter Einar als Hauptfigur erschienen.


    gekürzte Kurzbeschreibung von amazon:
    Der Reporter Einar wird von Reykjavík in die tiefste Provinz versetzt. Widerwillig versucht er, sich in der kleinen Stadt Akureyri im hohen Norden Islands zurechtzufinden. Die Menschen dort sind verschroben, das Leben fließt eher ereignislos dahin, und Einar langweilt sich gehörig. Doch zwei merkwürdige Todesfälle erschüttern die kleine Gemeinde ... Zuerst kommt eine Frau ums Leben, als sie bei einer Wildwasserfahrt auf einem Gletscherfluss aus dem Schlauchboot stürzt. Alles sieht wie ein Unfall aus, doch der Reporter Einar bekommt den Hinweis, dass die Frau mit Medikamenten narkotisiert war. Zur selben Zeit wird die Leiche des Gymnasiasten Skarphédinn Valgardsson auf einer Müllhalde gefunden. Und es war bestimmt kein Unfall.


    Meine Meinung:
    Ein sehr gemächlicher, sozialkritischer Krimi aus dem höchsten Norden (Nord-Island), der mir sehr gut gefallen hat.


    Der Großteil der Handlung spielt, wie gesagt, im Norden der Insel, genauer in Akureyri. Ein zweiter Handlungsstrang der Geschichte spielt ein bisschen weiter östlich, einem Teil Islands, in dem es den Menschen nicht so gut geht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele sind in die Nähe Reykjavíks geflüchtet und es gibt viele Immigranten. Arbeitslosigkeit - Alkohol- und Drogenkonsum – Armut - Ausländer, das ist überall auf der Welt eine gefährliche Mischung.


    Ich bin deshalb so fasziniert, da ich nicht nur Akureyri kenne und somit all die Straßen und Orte an denen sich der Protagonist, ein Zeitungsreporter, aufhält. Der Autor beschreibt die Plätze sehr genau, so dass das lesen großen Spaß mach. Auf unserer Island-Rundreise haben wir einen unfreiwilligen Umweg über den Nord-Osten gemacht, und uns war die Armut dort auch aufgefallen, und wir haben uns gefragt, wie wohl das Leben hier sein muss. Landschaftlich wunderschön, aber davon wird schließlich auch noch längst keiner satt.


    Der Protagonist Einar wurde gemeinsam mit seinem Vorgesetzten und einer Fotografin in diese Provinz zwangsversetzt. Und hier also passieren zwei Todesfälle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Einar hadert noch mit seinem Schicksal, versucht von seiner Alkoholsucht loszukommen, berichtet über dieses und jenes was in der Umgebung so passiert und freundet sich langsam mit dem Papagei an, mit dem es sich sein Zimmer teilt (er ist Untermieter und muss den Vogel versorgen) – sehr vergnüglich, übrigens.


    Die Handlung plätschert die meiste Zeit nur vor sich her und was die Todesfälle angeht passiert relativ wenig. Trotzdem wurde mir das lesen nicht langweilig, da viel über Land und Leute berichtet wird. Zum Ende hin löst sich der Fall auf, und das passt auch alles zusammen. Wer Action mag, braucht es mit diesem Krimi nicht zu versuchen, wer Island mag, der ist hier gut bedient.


    Dieser Krimi ist der vierte Teil von fünfen, und wurde für den isländischen Literaturpreis nominiert. Aus diesem Grund hat der isländische Verlag dieses Buch dem Droemer-Knaur-Verlag angeboten und diese sind deshalb zum „Quereinsteiger“ in diese Reihe geworden. Der erste Band „Die verschwundenen Augen“ wurde 2002 von einem kleinen Verlag herausgegeben, ist aber vergriffen und wird auch nicht mehr aufgelegt. Der fünfte Band soll laut Aussage von Droemer-Knaur wahrscheinlich Anfang 2012 erscheinen – HOFFENTLICH! (Diese Info habe ich vom Verlag auf Nachfrage erhalten.)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Ein sehr gemächlicher, sozialkritischer Krimi aus dem höchsten Norden (Nord-Island), der mir sehr gut gefallen hat.

    Würdest Du sagen, dass man dieses Buch mit den Krimis von Arnaldur Indriðason vergleichen kann?



    wer Island mag, der ist hier gut bedient.

    Ich war zwar noch nie in Island, lese aber gern isländische Krimis: Indriðason, Sigurðardottir .

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Danke für die tolle Rezension. :thumleft:
    Ich warte ja schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf die TB-Ausgabe. Auch, dass "Todesgott" der vierte Teil ist wusste ich nicht.
    Weißt du denn, ob der Verlag - wenn er eventuell Band 5 veröffentlicht - auch die anderen nach und nach veröffentlicht? Schließlich würden sie doch Geld damit machen.

  • Würdest Du sagen, dass man dieses Buch mit den Krimis von Arnaldur Indriðason vergleichen kann?

    Ich finde nicht. Es ist weniger Ermittlungsarbeit, dafür deutlich humorvoller.


    Ich war zwar noch nie in Island, lese aber gern isländische Krimis: Indriðason, Sigurðardottir .

    Das ist eine gute Voraussetzung :wink:


    Ich warte ja schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf die TB-Ausgabe

    Dann musst du leider noch länger warten:

    Zitat

    Die Rechte am nächsten Roman der Reihe, Dauði trúðsins/Tod eines Clowns (2007), haben wir - das zu Ihrer Beruhigung - bereits erworben und werden ihn wohl Anfang 2012 bringen. Vorher, zum Islandschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2012, wird erst noch Todesgott als Knaur Taschenbuch erscheinen.

    Wahnsinn, oder? Das Buch ist im September 2008 erschienen und ich habe auch immer auf die TB-Ausgabe gewartet, nun aber großes Glück bei mb-db gehabt :D Wegen der anderen Bücher hat er nichts geschrieben. Da werde ich nochmal nachfragen!


    Wobei, ist Island nicht 2011 Schwerpunkt bei der Büchermesse :scratch: Muss ich nachher mal nachschauen...

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Hab vor kurzem das TB gekauft und daraufhin innert 4 Tagen auch schon verschlungen.


    Der Krimi ist sehr kurzweilig, locker und trotzdem auf seine Art sehr packend. Geschrieben ist der 400-Seiter sehr flocking und liest sich wirklich wie im Fluss - nur ein interesse an Island sollte man aufbringen können, sonst wird man vom Autor im Norden des Inselstaates fehlplatziert.


    Die Charaktere sind allesamt lustige, etwas skurrile und äusserst Unterhaltsame Genossen. Der Protagonist Einar, ein nachdenklicher nikotinabhängiger Journalist, sowie seine lesbische und sehr gutmütige Gefährtin Joa treffen in der nordischen Porvinz aber nicht nur auf Freunde. Antigonisten stellt das Buch auch eine ganze Reihe auf um die Auflösung gekonnt zu verschleiern.


    Ich empfehle das Buch für Fans des typisch-skandinavischen "kalten" Krimis, die eine unterhaltsame Story suchen aber doch keine weltbewegende Literatur erwarten.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Ich hatte einen riesen Spass an diesem Buch und gebe deshalb 4.5 Punkte. Ein Stieg Larsson ist's dann doch nicht ganz. :wink:

  • Es ist schon erstaunlich, was seit dem Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts an interessanter und spannender Krimiliteratur von der dünn besiedelten Insel im Norden Europas kommt. Das nur 320 000 Einwohner zählende Island hat eine stattliche Anzahl von Autoren vorzuweisen, die seit dieser Zeit nicht nur die deutschen Krimileser mit ihren Krimireihen begeisterte und erstaunlich hohe Auflagen erzielte. Neben anderen gehört der 1980 geborene, in Reykjavik, der Hauptstadt Islands lebende und arbeitende Journalist Arni Thorarinsson zu denjenigen, die für dieses ganz besondere Genre den literarischen Grundstein legten.


    „Todesgott“ ist der vierte Roman einer Serie, in dem der Reporter und Journalist Einar die Hauptrolle spielt. Er ist so etwas wie das Alter Ego des Autors und verschafft diesem die Möglichkeit, dem Leser nicht nur interessante Einblicke in die Zeitungs -und Medienwelt des modernen Island zu geben, sondern über dessen Lebensgestaltung und Reflexionen auch Informationen zu vermitteln über den Wandel Islands von einem vormodernen Agrarland, das hauptsächlich durch Fischerei und Seefahrt geprägt war und wenigen Touristen wegen seiner heißen Quellen als Ziel diente, zu einem Turbostaat, der vor der Pleite steht.


    Wer die wunderbaren Romane von Jan Kalman Stefansson gelesen hat, kennt die Geschichte dieser Insel gut und hat einen Eindruck davon, wie gewaltig die Modernisierung dieses kleine Land getroffen hat.


    Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses Romans 2005 war das zwar alles nicht abzusehen, aber quer durch die Handlung des Buches zieht sich ein durchaus skeptisch-kritischer Blick auf die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung in Island.


    Der Arbeitgeber Einars, das Reykjaviker Abendblatt hat beschlossen, in den kleinen Stadt Akureyi im Norden der Insel, eine Zweigstelle zu eröffnen. Diese 16 000 Einwohner große Stadt war im 20. Jahrhundert ein Zentrum der respektablen Fischereiindustrie Islands und lange Zeit ein Anlaufpunkt für junge Menschen aus dem Inneren des Landes, die dort, zumindest zeitweise, einen Arbeitsplatz fanden und eine Existenz gründen konnten.


    Der schon aus den früheren Romanen bekannte engagierte und auch etwas skurrile Reporter Einar wird jedoch nicht allein dorthin versetzt. Der Büroleiter Asbjörn, mit dem er sich so gar nicht versteht und die lesbische Fotografin Joa, die er umso mehr schätzt und mag, sollen als Team in Akureyi erreichen, dass die Auflage der Zeitung zulegt. Dafür sollen sie nach Meinung der Hauptstadtzentrale allerlei mehr oder weniger einfallslose Dinge recherchieren und publizieren, auch hier eine Anpassung an das Niveau der anderen Länder.


    Doch Einar, eine Figur, die sein Schöpfer mit vielen Eigenschaften aus amerikanischen Detektivgeschichten ausgestattet hat, ist das nicht genug und ebenso wenig seiner Kollegin Joa. Einar, gerade mühsam von einer schweren Alkoholkrankheit „genesen“ , will richtig und engagiert seinen Beruf ausüben und so kommt ihm die Nachricht gerade recht, als eine Frau bei einem Betriebsausflug stirbt. Sie ist während einer Wildwasserfahrt auf einen Gletscherfluss aus dem Schlauchboot gestürzt und im Beisein ihres Ehemanns ertrunken.
    Einar schenkt der offiziellen Version, es sei ein Unfall gewesen, keinen Glauben und beginnt, auf seine Art zu recherchieren und stößt sehr schnell auf einige Merkwürdigkeiten.


    Fast zur gleichen Zweit geht die Meldung ein, dass die Leiche eines Oberschülers auf einer Müllkippe gefunden wurde. Skarphedinn Valgardsson, so heißt das Opfer, war eine Schülerpersönlichkeit mit bemerkenswerter charismatischer Ausstrahlung.


    Auch hier beginnt Einar zu recherchieren und erkennt bald schon mögliche Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen,


    Arni Thorarinsson lässt Einar in der Ich-Form erzählen, was den Roman nicht nur sehr authentisch macht, sondern ihn ein plastisches, durch die kritische Persönlichkeit Einars gefiltertes Bild der Realität der gegenwärtigen isländischen Gesellschaft zeichnen lässt. Ein Land, das mit einer Turboentwicklung fast ein Jahrhundert übersprungen und dafür einen hohen Preis gezahlt hat.

  • Inhalt

    Die isländische "Afternoon News" hat sich auf ihre Leser und Anzeigenkunden außerhalb der Hauptstadt besonnen und eine Lokalredaktion in der Kleinstadt Akureyri eingerichtet. Einar, die Hauptfigur in Thórarinssons Islandkrimi, soll die Arbeit machen, Ásbjörn mimt den Chef und Jóa unterstützt das neue Büro als Fotografin. In den ersten drei Bänden der Reihe (von denen nur "Die verschwundenen Augen" ins Deutsche übersetzt wurde) ermittelte Einar noch in der isländischen Hauptstadt. Die Versetzung der beiden Männer in die Provinz als Folge eines Herausgeberwechsels ihrer Zeitung ist als berufliche Degradierung gemeint und wird von beiden auch so empfunden. Einar muss früher gern tief ins Glas geschaut haben und versteht es, der Arbeit möglichst aus dem Weg zu gehen. So gerät er gleich zu Beginn der Geschichte mit seinem Chefredakteur aneinander, der nicht akzeptieren will, dass im Zeitalter elektronischer Kommunikation der Informationsfluss aus der kleinen Außenstelle angeblich langsamer fließen soll als noch zur Zeit des Bleisatzes. Einar soll nun einerseits das Blatt täglich mit Informationen aus dem Norden versorgen, andererseits erfährt er halboffizielle Dinge, die seine Informanten ausdrücklich nicht für die Presse freigeben.


    In der Woche vor Ostern werden zwei Todesfälle gemeldet. Zunächst ist die Frau eines Süßigkeitenfabrikanten an den Folgen eines Rafting-Unfalls verstorben. Kurz darauf wird auf der städtischen Müllkippe die stark angesengte Leiche eines Oberstufenschülers gefunden, der mit seiner Theatergruppe "Loftur, der Magier" probte, eine isländische Version des Dr. Faust. Obwohl in einer Kleinstadt von nur 20 000 Einwohnern die Informationen zu beiden Toten geschmeidig fließen müssten und die Theatergruppe des toten Skarphédinn als Informanten zur Verfügung steht, laufen Einars Ermittlungen nur zögernd an. Ohne mit Sozialkritik zu penetrant zu nerven, charakterisiert Thórarinsson, der selbst Journalist ist, den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund Islands. Der Strukturwandel von Schwerindustrie und Fischfang zu Energieerzeugung und Tourismus ist zum Zeitpunkt der Handlung noch nicht in Gang gekommen. Junge Isländer auf Jobsuche müssen aus der Provinz abwandern. Angesichts der Zuwanderer aus fremden Kulturen, die für schlechtbezahlte Jobs angeworben werden, macht sich unter Jugendlichen rechtsradikales Gedankengut breit. Einar würde gern für seine Zeitung über die Profiteure der wirtschaftlichen Neuordnung schreiben. Dass er bisher nicht viel mehr lieferte als die Meldung über einen vermissten Hund, hat auch mit der Wagenburgmentalität lokaler Seilschaften zu tun.


    Fazit

    Ári Thórarinsson lässt seinen schnoddrigen und dabei phlegmatischen Ermittler in dem beruflichen Umfeld handeln, das ihm selbst als Journalist vertraut ist. Wer in einem Krimi weder einen steilen Spannungsbogen noch unappetitliche Details erwartet und Geduld für die sozialkritischen Töne aufbringt, wird sich mit Thórarinssons widerspenstigem Laien-Ermittler gut unterhalten. Jóa in ihrer Nebenrolle hat sich in Akureyri aktuell in eine Frau verliebt, so dass in weiteren Folgen der Reihe das Privatleben der drei Zeitungsmitarbeiter noch Entwicklungsmöglichkeiten hat.


    (11.11.2012)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow