Roy Jacobsen - Das Dorf der Wunder / Hoggerne

  • Inhalt:
    In seiner Heimat Norwegen gilt der Bestsellerautor Roy Jacobsen als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. Nun erscheint sein Erfolgsroman endlich auf Deutsch. Dem Autor gelingt ein feinfühliger und lakonischer Roman über einen Sonderling, der zufällig zum Helden wird. Eine wunderschöne Erzählung über wärmende Mitmenschlichkeit in der klirrenden Kälte Finnlands.
    Minus 40 Grad Celsius im Winter 1939, die Sowjetunion überfällt Finnland. Es ist der seltsamste Tag im Leben von Timo Vatanen. Der leutselig-stoische Holzfäller ist der Einzige in seinem finnischen Heimatort Suomussalmi, der nicht vor den Russen flieht, sondern in aller Seelenruhe auf die heranrückenden Truppen wartet. Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte von Timo erzählt, der in die Fänge der Russen gerät, aber durch sein Wissen für sie unentbehrlich wird. Denn nur dieser Sonderling weiß, wie man im eisigen finnischen Winter überlebt. So wird er zufällig vom unbeholfenen Außenseiter zum Retter. Bald spielen Nationalitäten keine Rolle mehr: ein kleiner Frieden in den Wirren des Krieges. Dem Schriftsteller Roy Jacobsen ist ein großer Roman darüber gelungen, was Menschen vermögen, wenn sie nur zu sich selber stehen.(Quelle: Osburg Verlag)


    Der Autor:
    Roy Jacobsen (* 26. Dezember 1954 in Oslo) ist ein norwegischer Schriftsteller.
    Jacobsen debütierte 1982 mit der Novellensammlung Fangeliv. Er hat Romane, Novellen und Kinderbücher veröffentlicht. In Norwegen ist Jacobsen als Autor angesehen und erfolgreich. Kritiker loben sein Vermögen, historisches Geschehen mit dem Schicksal einfacher Leute psychologisch untermauert und gut lesbar zu verquicken.(Quelle: wikipedia)


    Meine Meinung:
    Der Roman spielt in dem Kriegswinter 1939. Die Sowjetunion marschiert in Finnland ein. Die Bewohner von Suomussalmi verlassen ihr Dorf und fliehen vor den Russen.
    Nur der Holzfäller Timo Vatanen behält die Ruhe und bleibt. Er will sein Heimatdorf nicht verlassen. Durch sein Wissen und Können macht er sich nützlich, als der Feind im Dorf einmarschiert.
    Er weiß, wie man in dem kalten finnischen Winter überleben kann, es werden ihm ein paar nicht mehr heertaugliche russische Soldaten zum holzhacken zugeteilt. Schon bald vertrauen ihm diese Männer, die Nationalität rückt in den Hintergrund, das Menschliche zählt. Dabei wird Timo nicht zum Kollaborateur, ihm geht es ganz allein darum, den Menschen zu helfen, ganz gleich, welche Nationalität sie besitzen.
    Ein Dolmetscher hilft bei der Verständigung. Ständig ist da auch die Angst vor dem Sterben, das Ausrücken zum Holz hacken ist durchaus gefährlich.


    Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Timo, seinen Gedankengängen folgt der Leser und aus seinem Blickwinkel erfährt der Leser von den Geschehnissen in dem Dorf. Die Erzählperspektive wird gegen Ende des Romans gewechselt - der Krieg ist vorbei, die Dorfbewohner sind zurück und Timo ist nicht mehr der Held im Alltagsleben.
    Als Leser fragt man sich, ob Timo nicht einfach ein Einfaltspinsel ist oder eher ein gerissenes Schlitzohr.
    Der Schreibstil und die feine Beobachtungsgabe von Roy Jacobsen haben mir gut gefallen.

  • der Link ist echt interessant! Danke Conor :D ich lese das Buch gerade, und diese Informationen geben noch mal einen guten Einblick in die realen Geschehnisse

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Der Originaltitel lautet: Hoggerne
    leider gibt es dazu keine ISBN
    Hoggerne bedeutet "Die Hacker" (gemeint sind die Holhacker)

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • so, fertig - und ich schwanke noch immer, ob Timo wirklich so naiv ist oder ob er sich seiner Stärke, sowohl körperlich als auch charakterlich, einfach nur nicht bewußt ist. Eine Zeit lang dachte ich, der alte Begriff "Bauernschläue" wäre eine treffende Beschreibung, habe diesen Gedanken aber relativ schnell wieder fallen lassen. Bauernschläue beinhaltet doch in der Regel den Beigeschmack des Eigennutzes, und eigennützig ist Timo überhaupt nicht. Eine treffende Beschreibung seiner selbst finde ich in dem Satz "es sei ein Vorteil, unter Schwachen stark zu sein, dann bleibt man stark und kann noch dazu die anderen stark machen..." (Seite 202). Sobald der Krieg vorbei ist, wird Timo wieder zu einem recht stillen Teil der Stadt, auf denen keiner mehr hört und dem keiner mehr zuhört....


    Ich kann Conor in Bezug auf Stil und Beobachtungsgabe des Autors nur zustimmen. Ein sehr empfehlenswertes Buch über einen stillen Helden.


    Störend in meiner Ausgabe (aber nicht dem Autor anzulasten): die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ups - gestern habe ich den Roman aus dem Regal gezogen, nur um mal in die Seiten zu spitzen ... irgendwie habe ich mich dann festgelesen und jetzt bin ich damit durch. :lol: Auf jeden Fall ist das schon mal eine positive Seite, dass sich dieses Buch so leicht und locker auslesen lässt.


    Aber es gibt für mich Positives wie Negatives:


    Als Leser fragt man sich, ob Timo nicht einfach ein Einfaltspinsel ist oder eher ein gerissenes Schlitzohr.


    und ich schwanke noch immer, ob Timo wirklich so naiv ist oder ob er sich seiner Stärke, sowohl körperlich als auch charakterlich, einfach nur nicht bewußt ist. Eine Zeit lang dachte ich, der alte Begriff "Bauernschläue" wäre eine treffende Beschreibung, habe diesen Gedanken aber relativ schnell wieder fallen lassen.


    Naja, machen wir's kurz - die Geschichte scheitert für mich ein bisschen an Timo - wenn in Finnland der Dorftrottel Briefe schreiben, sich grob Russisch als Fremdsprache aneignen, an Autos herumreparieren kann und auch ansonsten geschickt und umsichtig ist, dann muss der Rest der finnischen Bevölkerung aus lauter Genies bestehen, und hier in Deutschland besteht dann die Bevölkerung zu mindestens 70% aus Menschen, die in Finnland als mentale Pflegefälle eingestuft werden müssten ...
    Nein, Timo ist kein Dorftrottel, das hat der Autor überhaupt nicht hingekriegt. Und damit funktioniert die Geschichte nicht, weil dies leider den Kitt darstellt, der die Geschichte zusammenhält (bzw. zusammenhalten soll).


    Alles andere finde ich eigentlich recht schön - mir gefällt vor allem der Aspekt, dass Roy Jacobsen nicht so sehr auf die Rührseligkeitsdrüse drückt, wenn er schlimme Kriegsbegleiterscheinungen schildert, die in so vielen anderen Romanen mit einem unerträglichen Hang zu Tränchen und Taschentüchlein gebracht werden und wo man als Leser immer das Gefühl hat, wenn man jetzt nicht den Kopf schief legt und auf der Stelle vor lauter Mitleid zerfließt, dann hat man kein Herz. Im Endeffekt besteht die Handlung zu etwa 85% (das ist der Teil, in dem Timo in der ersten Person erzählt) ausschließlich aus scheußlichen Kriegsbegleiterscheinungen. Diese Darstellungen habe ich wirklich gern gelesen, weil ich nicht das Gefühl hatte, hier Emotionen mimen zu müssen, die sich mit so vielen aufgedunsenen Kriegsgeschichten bereits ein bisschen in mir abgenutzt haben (sorry, aber ich möchte ehrlich sein).
    Die Geschichte ist eine schöne Geschichte, keine Frage - aber der Autor hätte sie meiner Ansicht nach erst mal auf eine funktionierende Basis stellen müssen, statt uns jemanden als Trottel verkaufen zu wollen, der nun wirklich keiner ist ... schade. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    Trotzdem werde ich noch mehr von Roy Jacobsen lesen wollen.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Danke für deinen Eindruck, Hypocritia. Schade, dass der Roman dir nicht so ganz zusagte. Aber so sind die Lesegeschmäcker verschieden. Auf den "Bedanken"-Button werde ich drücken, wenn ich wieder an meinem laptop bin. An diesem hier wird dieser Button leider nicht angezeigt - warum auch immer. :-?

  • Hallo @Conor, das Buch hat mir gefallen. Den Schreibstil Jacobsens finde ich weich und leicht und angenehm. Deswegen möchte ich ja noch weitere Bücher von ihm lesen.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich fand die Geschichte schon prima und ein Zeichen der Mitmenschlichkeit in einer schweren Zeit. Unter anderen Voraussetzungen wäre dies für mich zum Fünfsternebuch geworden. Doch hier muss ich mich ganz Hypocritia anschließen: für einen selbst- und fremdernannten Dorftrottel gab es hier wenig Grund. Das alles passte leider nicht zusammen. Aber das hat nun Hypocritia schon gut herausgearbeitet, und da kann ich nicht viel hinzufügen. Wen diese Art der Inkohärenz (nach meinem Ermessen) nicht aufstutzen läßt, findet hier aber ein lesenswertes Buch. Ich selber war bei meiner Beurteilung hin- und hergerissen und entschied mich ebenso für :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: .

  • Habe das Buch nun auch gelesen und stimme euch zu. Timo wirkte gar nicht, wie ein Dorftrottel. Mich hat er eher an einen buddhistischen Mönch erinnert, also mit der Haltung, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen und zu ertragen. Das wird ja häufig von anderen eher als Dummheit angesehen. So könnte ich mir erklären, dass die anderen ihn für einen Trottel halten, der sich von anderen vermeintlich ausnutzen lässt. Aber auch wenn es so gedacht war, dann hätte man es deutlicher herausarbeiten müssen.