Kim Echlin - Der verschollene Liebhaber

  • Als ich das Buch „Der verschollene Liebhaber“ zum ersten Mal in den Händen hielt, dachte ich mir als erstes: Was für ein schönes Buchcover. Es vermittelt eine sanfte, ruhige und gelassene Atmosphäre. So sollte das Leben eigentlich immer sein; so idyllisch und schön wünscht sich wohl jeder das Paradies.
    Das Buchcover zeigt Menschen, Fischer offenbar, die friedlich ihrer Arbeit auf einem Fluß oder See nachgehen. Es ist eine Momentaufnahme, ein Foto, offenbar vom Ufer oder Strand aufgenommen, an dem Bäume oder Büsche mit blutroten, wunderschön geformten Blättern stehen.
    Die Geschichte, um die es in Kim Echlins Roman geht, erzählt denn auch von einer Liebe, wie sie schöner nicht sein könnte:
    Die Highschool-Schülerin Anne Greves verliebt sich in Serey, einem jungen Studenten und Musiker aus Kambodscha, der von seiner Familie nach Kanada geschickt wurde, um dort in Frieden studieren zu können.


    Die beiden verlieben sich ineinander und weder der Altersunterschied noch die Hautfarbe oder die unterschiedliche Herkunft entzweit die beiden. Im Gegenteil: offen und interessiert und wissbegierig auf alles, was den jeweils anderen geformt hat, erleben die beiden mit allen Sinnen ähnliche Interesse (besonders auch in Bezug auf Musik) und erforschen ungezwungen Neues und bisher Unbekanntes (z.B. auch unterschiedliche Traditionen).
    Selbst Anne Greves Vater erreicht mit seiner Ablehnung und seinen Bedenken gegen diese Beziehung nur, dass sie noch inniger und intensiver wird.
    Doch plötzlich greift das Schicksal rau und unerbittlich ein:
    In einer Nachrichtensendung erfährt Serey, dass die Grenzen von Kambodscha endlich wieder geöffnet werden und er möchte natürlich herausfinden, wie es seiner Familie nach den schweren und unfassbar brutal geführten Kriegswirren ergangen ist und ob sie überhaupt noch am Leben sind.
    Da Anne ihr Studium noch nicht beendet hat und Serey es für viel zu gefährlich hält, Anne mitzunehmen, fliegt er alleine nach Kambodscha und es ist geplant, dass die beiden nach Abschluß seiner Nachforschungen ihr gemeinsames Leben in absehbarer Zeit nach seiner Rückkehr wieder aufnehmen werden.


    Es vergehen jedoch 11 Jahre ohne jeglichen Kontakt, während denen Anne alles versucht, ihr Leben gut ohne Serey zu gestalten. Als sie jedoch in einer Reportage über eine Versammlung im immer noch instabilen Kambodscha meint, Serey inmitten der Menschenmenge zu sehen, hält sie nichts mehr in Kanada.
    Sie fliegt sofort hin – und das fast Unmögliche wird wahr: die beiden finden sich wieder und ihre Liebe ist ungebrochen, erst recht, als sie feststellen müssen, dass Annes Vater alle Briefe von Serey abgefangen hatte.
    Aber die beiden leben in einem Land, das immer wieder die Machthaber wechselte und ihre Gegner gnadenlos abschlachtete. Von Sereys Familie lebt nur noch der wesentlich jüngere Bruder und der ist Teil einer Kinderarmee, für die Grausamkeiten und Töten zum täglichen Leben gehört.
    Und auch bei Serey haben die Jahre in Kambodscha Spuren hinterlassen, die bei ihm zu einer Entwicklung geführt haben, die eine tödliche Gefahr birgt.
    Was an diesem Buch einer der renommiertesten Schriftstellerinnen Kanadas so außergewöhnlich, atemberaubend und fesselnd ist, ist Kim Echlins Erzählstil. Im Interview am Schluß des Buches berichtet die Autorin, wie schwer es ihr erst gefallen sein, dieses Buch zu schreiben und wie viele Entwürfe sie dafür verworfen habe, weil ihr die Recherchen in Bezug auf die Gewalttaten und Grausamkeiten in den Kriegsregionen an die Nieren gingen. Ein Mentor habe sie dann aufgefordert: „Nimm mich mit in das Herz der Finsternis, zeig mir, wie es dort ist.“


    Und das haben Sie mit mir getan, Frau Echlin, ins Herz der Finsternis und ins Herz des Lichts. Sie haben es ganz einfach und ohne metaphorische Ausschmückungen erzählt und mich damit mehr berührt als viele andere.