Der Leser muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Hesse in seinem Alterswerk (begonnen 1931, veröffentlicht 1943, Nobelpreis für sein Gesamtwerk 1946) parallel zur Realität eine fiktive Welt schuf, in der sich nach Zeiten großer Kriege in der Provinz Kastalien eine geistige Elitetruppe herausgebildet hat. Deren Mitglieder leben in einer streng organisierten Ordensgemeinschaft mit der Verpflichtung zu Besitzlosigkeit, Ehelosigkeit und Gehorsam den Obrigkeiten gegenüber. Die große Errungenschaft dieser Organisation ist das Glasperlenspiel. Dies ist ein Spiel mit den geistigen Werten und Inhalten sämtlicher Kulturen. Die begabtesten Mitglieder verstehen eine harmonische Verbindung aller wissenschaftlicher Disziplinen herzustellen. Nach welchen Regeln das Spiel genau funktioniert, bleibt für den Leser unklar, doch scheint es so kompliziert zu sein, dass eine nur oberflächliche Beschäftigung mit den Wissenschaften nicht genügen würde, um es darin zu hervorragenden Leistungen oder gar zur Meisterschaft zu bringen. Hesse läßt in seinem Roman ein anonymes Ordensmitglied anhand bruchstückhafter Aufzeichnungen das Leben des Glasperlenspielmeisters Josef Knecht erzählen. Von dessen Herkunft ist so gut wie nichts bekannt. Wir begegnen erst dem 12jährigen Josef, als er von seinen Lehrern für eine Aufnahme in eine der Eliteschulen des Ordens der Glasperlenspieler vorgeschlagen wird. Nun folgen die Jahre der Ausbildung und des Studiums, bei dem die Studenten völlig freie Wahl haben, welche Studien sie in welchem Zeitrahmen absolvieren möchten. Beobachtet werden sie dabei jedoch stets von der obersten Erziehungsbehörde, die im Hintergrund über ihre Fortschritte wacht. Wer nach Beendigung seiner Ausbildung nicht in den Orden eintreten möchte bzw. keine Aufnahme findet, ist dazu angehalten als Lehrer, Beamter oder Politiker den Geist des Glasperlenspiels in die Welt hinauszutragen. Wer jedoch im Orden verbleibt, sich aber weder zum Lehrer noch zum Dienst in der Behörde berufen fühlt, kann sich sein ganzes Leben lang selbst erwählter Studien widmen und sich z. B. mit der Aussprache des Lateinischen im 12. Jahrhundert befassen oder sämtliche altägyptischen Texte ins Sanskrit übersetzen. Mit Josef Knecht haben die Ordensoberen jedoch andere Pläne. So wird er in ein Benediktinerkloster entsandt, um dort einerseits ein ihm unbekanntes Leben kennenzulernen, andererseits aber auch eine Annäherung seines Ordens an die Katholische Kirche zu fördern. Diese wird von den Glasperlenspielern als die ältere und ehrwürdigere Institution anerkannt, aber die Mitglieder des Ordens der Glasperlenspieler vertreten keine bestimmte Glaubensrichtung. Ihnen sind die Religionen und Philosophien sämtlicher Kulturen bekannt, ohne dass sie sich einer bestimmten verpflichtet fühlten. Josef Knecht ist kaum von seiner erfolgreichen Mission zurückgekehrt, da stirbt das Ordensoberhaupt, und nun wird er trotz seiner Jugend zum Magister Ludi gewählt. Er findet sich zwar schnell in seine neue Rolle, aber am Ende des 1. Teiles klingen erstmals Zweifel am Sinn seines bisherigen Lebens an. Josef Knecht hat Sehnsucht nach der anderen, der "normalen" Welt und empfindet Kastalien zunehmend als künstliches Gebilde, dem er entfliehen möchte. Es gelingt ihm zwar, sein altes Leben hinter sich zu lassen, doch ist ihm auch kein Glück in der Welt, nach der er sich sehnte, beschieden. Der letzte Abschnitt des Buches enthält als Anhang verschiedene Schriften des Glasperlenspielmeisters, darunter Gedichte und drei fiktive Lebensläufe aus verschiedenen Zeiten.
Für mich war es anfangs recht schwierig, mich in diese fremde Gedankenwelt des Hermann Hesse, dessen Werke ich sonst sehr gerne lese, hineinzufinden. Dass dieser Hesse "anders" werden würde als alle anderen, war somit von Anfang an klar. Dazu kam noch, dass ich mich nicht sofort in die gewählte Ausdrucksweise und Erhabenheit der Sprache einzulesen vermochte. So gesellte sich zum schwierigen Inhalt ein für mich sperriger Stil, und ich empfand die Lektüre größtenteils als recht mühsam. Ich kann zwar die Beweggründe nachvollziehen, die den Pazifisten Hesse zu diesem Roman inspirierten, aber mit dieser Welt, die er da vor dem Auge des Lesers entstehen läßt, konnte ich mich dennoch nicht so richtig anfreunden. Eine geistige Elitetruppe, in ihrer Organisation nichts anderes als ein katholisches Kloster, ohne dessen religiösen Hintergrund, in ihrer eigenen Welt, nach ihren eigenen Gesetzen lebend, konnte die Lösung aller Probleme wohl auch zu Zeiten des Autors nicht gewesen sein. Schon allein vom wirtschaftlichen Standpunkt aus, kann das nicht funktionieren. Die Organisation der Glasperlenspieler betreibt Schulen und Universitäten, doch muss keines der Mitglieder irgendeiner erwerbsmäßigen Tätigkeit nachgehen. Auch wenn sich die Ordensmitglieder mit Besitzlosigkeit begnügen und ein asketisches Leben führen, entstehen dennoch Kosten, die wohl kein Staat für rein geistige Arbeit, ohne Aussicht auf praktischen Nutzen, zu tragen bereit wäre. Hesse war diese Problematik sicher auch bewußt, denn immer wieder läßt er die Konfrontationen mit der "normalen" Welt anklingen und geht sogar näher auf die finanzielle Seite seiner Idealprovinz ein. Für mich enstanden außerdem durch zu ausführliche Beschreibungen der Organisation des Ordens der Glasperlenspieler, aber auch der Schilderung des philosophischen Hintergrundes unnötige Längen, die meinen Lesefluss zeitweise etwas hemmten. Ein weiteres Problem war für mich die Figur des Josef Knecht. Anfangs eine blutleere Gestalt, der Realität enthoben, frei von allen Zweifeln und Problemen eines heranwachsenden Jünglings, fühlt er sich allein seinen geistigen Werten und Idealen verpflichtet. Erst im 2. Teil, als er die höchste Stufe in der Hierarchie des Ordens, quasi ohne sein Zutun, um nicht zu sagen, gegen seinen Willen, erreicht hatte, bekommt er für den Leser menschlichere Züge. Er fürchtet um den Untergang Kastaliens und kann sich mit seiner Aufgabe als Glasperlenspielmeister immer weniger identifizieren. Endlich beginnt er die künstliche Welt, in der er bisher gelebt hatte, zu hinterfragen, und sich mit den Möglichkeiten, die ihm die "reale" Welt bieten könnte, auseinanderzusetzen. Meiner Ansicht nach hat Hesse die Gründe für Knechts Flucht jedoch nicht genügend ausgearbeitet, sich dafür viel zu sehr mit mystischen Betrachtungen aufgehalten. Dahinter ist zwar die Sehnsucht und das Streben des Autors nach Harmonie und des Lebens letztem Sinn ganz deutlich erkennbar, aber mich persönlich hat er damit zu sehr strapaziert. So hat mich Hesses Alterswerk weder vom Inhalt noch von den Stilmitteln her überzeugt, und dennoch ist auch in diesem Roman der außergewöhnliche Geist seines Genies spürbar, dem eine Würdigung in jedem Falle gebührt.