Cynthia Lord: Ein Apfel ist ein komischer Pfirsich

  • Catherines Bruder David ist autistisch und das macht ihr das Leben manchmal schwer. Doch es hat auch seine guten Seiten David als Bruder zu haben. So geht Catherine immer mit zu seiner Therapie und lernt dort im Wartezimmer Jason kennen. Er kann weder laufen noch sprechen und unterhält sich deshalb mit einem Kommunikationsbuch, in dem bebilderte Karten mit Wörtern stecken, die er entsprechend antippt. Auf diese Weise kann er sich recht gut verständlich machen. Catherine liebt es zu zeichnen und schon bald ist sie vollauf begeistert davon, Jason neue Karten für sein Buch zu machen. Nach und nach entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden. Für Catherine ist es trotzdem nicht leicht - sie fühlt sich ständig von den Leuten beobachtet, wenn David dabei ist, weil er sich schwer an Regeln halten kann und zum Beispiel liebend gern Schränke öffnet, wenn er zu Besuch bei jemandem ist. Deshalb hat Catherine eine ganze Liste mit Regeln für ihn aufgestellt, die er mal mehr und mal weniger gut befolgt.


    "Ein Apfel ist ein komischer Pfirsich" ist ein realistisches und tiefgründiges Buch, das niemals kitschig oder zu sentimental wird. Die Figuren sind toll herausgearbeitet und handeln glaubhaft und ihrem jeweiligen Alter entsprechend. Besonders deutlich kann man die Zwickmühle spüren, in der Catherine steckt. Einerseits ist sie gern mit Jason und ihrem Bruder zusammen und mag beide sehr, andererseits hat sie Angst vor den Blicken der Mitmenschen und fühlt sich ob der extremen Aufmerksamkeit unwohl. Dieses Gefühl spürt man als Leser sehr deutlich und es fällt leicht sich in Catherine hineinzuversetzen. Die Tatsache, dass ihr Bruder sich nur bedingt an ihre Regeln hält, erschwert es Catherine natürlich zusätzlich. Mal hat er einen guten Tag, mal einen schlechten und allgemein kann die Situation sehr schnell kippen.


    Rührend ist es zu lesen, mit welcher Aufopferung sich Catherine um Jason sorgt und welche Begeisterung sie ihm entgegenbringt. Da ist kein Platz für unnütze Vorurteile. Catherine verlässt sich auf ihr Gefühl und dieses sagt ihr, dass Jason ein guter Mensch und Freund ist. Sie lernt, dass es nicht darauf ankommt, ob jemand cool erscheint und beliebt bei anderen ist. Es ist wichtig seine eigenen Erfahrungen zu machen und diesen zu vertrauen.


    In "Ein Apfel ist ein komischer Pfirsich" merkt man ganz deutlich, wie die einzelnen Figuren aus Selbsterlebtem lernen und daran reifen. Sie werden erwachsener und selbstbewusster, lassen sich weniger von der Umwelt beeinflussen und können ihr Leben so akzeptieren, ja sogar lieben, wie es ist. Mit einer authentischen und ansprechenden Sprache, bringt Cynthia Lord dem Leser Catherines Welt und deren Besonderheiten nahe. Sie schafft es, dass man gebannt von Seite zu Seite springt und nie das Gefühl hat, eine Moralpredigt stünde kurz bevor. Vielmehr lässt sie den Leser selbst denken und eigene Schlüsse ziehen, wie es auch Catherine macht.


    Die Wahl des Buchtitels ist nicht ganz so gelungen, auch wenn er sich im ersten Moment recht witzig anhört. Der Originaltitel lautet "Rules" (dt. Regeln) und passt eindeutig besser zur Geschichte. Denn unter anderem beginnt jedes Kapitel mit einer von Catherines Regeln und durch das gesamte Buch hindurch ziehen sie sich wie ein roter Faden. Dennoch lernt Catherine nach und nach auch, dass Regeln manchmal dazu da sind, gebrochen zu werden. Nicht alles im Leben hat eine entsprechende Regel und oftmals sind die spontanen Entscheidungen die besten.


    Am Ende bleibt man mit einem Lächeln im Gesicht zurück und ist zufrieden. Diese Geschichte versteht es durch ihr besonderes Feingefühl zu bezaubern. Sie versetzt einen in die Welt um Catherine, David und Jason und lässt einen auch nach der letzten Seite nicht los.

  • Danke für deine Rezi, daniliesing. Sie klingt sehr interessant und ich werd wohl das englischsprachige Original auf meine Wunschliste setzen.


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Das Buch klingt wirklich total gut! Danke für die tolle Rezi!

    Um zu verstehen, warum manche überall ihren Senf dazugeben, musst Du lernen, wie eine Bratwurst zu denken.

  • Sehr schöne Rezension. Vielen Dank, Daniliesing! Ich würde das Buch schon alleine wegen des Titels lesen wollen :loool: , gefällt mir sehr.

    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

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  • Da würde ich mich sehr freuen, falls ihr es auch lest, wenn ihr schreibt wie es euch gefallen hat :wink:
    Den Titel finde ich auch witzig - er passt auch zum Buch, dennoch passt der Originaltitel, wie schon in der Rezension erwähnt, noch viel besser.
    Aber das macht das Buch ja nicht mehr oder weniger lesenswert.

  • Ich fand das Buch auch sehr schön und kann es ebenfalls empfehlen. Besonders die Beziehung zwischen Catherine und Jason wird sehr schön beschrieben. Leider zeigt das Buch aber auch wieder mal, dass Behinderungen und jegliche Formen des "Andersseins" lange nicht so akzeptiert werden, wie man es einer offenen Gesellschaft eigentlich wünschen würde. Und das wird nicht etwa deutlich, weil die Autorin es anklagend in die Geschichte einarbeiten würde, sondern allein durch Catherines Gedanken und durch meist ganz dezent angedeutete Reaktionen anderer Menschen. Das finde ich besonders gelungen.

  • Ich habe das Buch gestern in einem Rutsch gelesen (es ist ja nicht so dick). Daniliesing, deiner Rezension ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Ich habe genau den gleichen Eindruck von dem Buch wie du: Die Charaktere sind alle sehr glaubwürdig und liebevoll gezeichnet, ebenso die Handlung selbst. Ich musste manches Mal schon grinsen, wenn David mal wieder strikt gegen die Regel "No Toys in the Fish Tank" verstoßen hat oder er zum dritten Mal seinen Kassetten-Bandsalat repariert haben möchte. Diese Szenen waren einfach niedlich und so liebevoll. Auch wenn man sich natürlich vorstellen kann, wie schwierig es ist, in so einer Situation die Nerven zu behalten.


    Toll finde ich auch, dass das Buch eine Moral enthält, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Und dass es Catherine selbst ist, die zu dieser Einsicht kommt und nicht durch ihre Eltern belehrt wird.


    Die Beziehung zwischen Jason und Catherine fand ich wundervoll beschrieben. Es war schön zu beobachten, wie sich aus anfänglicher Scheu doch eine tiefe Freundschaft entwickelt. Und Catherine hat sich dabei so viel Mühe gegeben.


    Witzig fand ich auch die Meerschweinchen, die sich "unterhalten" haben. :loool:


    :flower:

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