Jodi Picoult - Beim Leben meiner Schwester (ab 04.07.2009)

  • Puh, das ist ganz schön heftig, wie Kate aus allen Körperöffnungen blutet. Sogar aus den Augen! :pale: Sie und die Eltern tun mir richtig leid, als sie nach dieser Arsen-Therapie im Koma liegt.


    Eine dieser sagenhaften Passagen war die auf S. 294. Kate löst ein Kreuzworträtsel und fragt nach einem Gefäß mit vier Buchstaben. Nachdem es wieder einen verbalen Zwischenfall zwischen der Sara und Anna gegeben hat, nennt Anna als Lösung ihren Namen.

    Zitat

    "Anna", murmle ich.
    Meine Mutter blickt verdutzt. "Was?"
    "Gefäß mit vier Buchstaben", sage ich und verlasse Kates Zimmer.

    Jesse gerät zusehends außer Kontrolle. Sein Wunsch nach Aufmerksamkeit ist völlig nachvollziehbar. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es manchmal schwierig für Eltern schwerkranker Kinder ist, die Geschwister nicht zu vernachlässigen. Das kranke Kind nimmt schließlich sehr viel Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein ziemlich zweischneidiges Schwert....


    Übrigens: Was sagst du zu Annas "Schöpfungsgeschichte" auf S. 299/300? Ich fand es schön, wie sie diese beschrieben hat.

  • Annas "Schöpfungsgeschichte" hat mich auch sehr berührt. diese Mischung aus kindlicher Einfachheit und Genialität. Auf Seite 346 kommt dies noch einmal zum Vorschein: "...Kinder denken mit einem weit geöffneten Hirn; ich bin inzwischen überzeugt, dass Erwachsenwerden nur ein langsames Zunähen ist."


    Über die erste Begegnung von Jesse und Julia musste ich lachen, da ist Jesse endlich mal ein ganz "normaler" junger Mann, der auf eine attraktive Frau abfährt. Schade, dass Julia nicht genügend Zeit hat, sich auch noch um ihn zu kümmern, sie könnte vielleiht Zugang zu seiner Seele bekommen und hinter die kriminellen Handlungen blicken. Jesse stellt auf Seite 227 den Vergleich zwischen sich und Anna an: "Anna ist auf dem Radarschirm meiner Eltern, weil sie in dem Plan, den sie für Kate haben, eine tragende Rolle spielt" - der gleiche Eindruck wie in meinem früheren Beitrag: Jesse beneidet Anna beinahe, dass sie wichtig ist, auch wenn dies nur als Ersatzteillieferantin ist.


    Folgender Satz von Campbell zu Anna auf Seite 256 ist mir aufgefallen: "Ich glaube, es fragt deshalb nie einer nach deiner Meinung, weil Du sie so oft äußerst." Ob das auf Anna zutrifft, weiß ich nichtmal so genau, ich glaube eher, sie äußert ihre Meinung noch viel zu selten, bzw. hat dies in der Vergangenheit zu selten getan. Aber für das richtige Leben trifft dieser Satz einfach nur den Nagel auf den Kopf. Leute, die mir den ganzen Tag erzählen, wie schlecht es geht, frage ich erst gar nicht mehr nach ihrem Befinden. Ich arbeite im Einzelhandel und habe täglich mit Leuten zu tun, die ohne Punkt und Komma reden. Da verlernt man richtig, noch weiter nachzufragen oder besser gesagt, man hat keine Lust mehr, damit der Redefluss nicht noch weiter ausufert. Aber diesen Eindruck habe ich wie gesagt von Anna nicht. Da sie erwachsener ist als ihre Altersgenossinnen, hat sie sich vielleicht zu vielen Dingen eine Meinung gebildet und scheut sich nicht, diese zu äußern.

    Ich höre :musik: gerade "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" von Joel Dicker.

  • Leute, die mir den ganzen Tag erzählen, wie schlecht es geht, frage ich erst gar nicht mehr nach ihrem Befinden. Ich arbeite im Einzelhandel und habe täglich mit Leuten zu tun, die ohne Punkt und Komma reden. Da verlernt man richtig, noch weiter nachzufragen oder besser gesagt, man hat keine Lust mehr, damit der Redefluss nicht noch weiter ausufert.

    Da stimme ich dir zu. Schlimm, diese Leute, die immer nur von sich reden. Noch schlimmer sind die Leute, die es ja ach Gott so schwer haben. Leider habe ich eine Kollegin, die immer stöhnt. Egal, wie wir ins Gespräch kommen, am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass sie einem was vorjammert oder, wenn sie mal nicht jammert, nur von sich erzählt. Das hat dazu geführt, dass ich ihr dezent aus dem Weg gehe. Ich kann dich also vollkommen verstehen. :friends:


    Ob das auf Anna zutrifft, weiß ich nichtmal so genau, ich glaube eher, sie äußert ihre Meinung noch viel zu selten, bzw. hat dies in der Vergangenheit zu selten getan.

    Das sehe ich auch so. Immer wenn Zeit war, Tacheles zu reden, wollte sie nichts davon wissen. Sie hat nur immer gesagt, dass sie nicht spenden wird. Ihren Standpunkt, warum sie das nicht mehr tun möchte, hat sie nicht geäußert.


    Derzeit bin ich an der Stelle, wo die Anhörung vor Gericht stattfindet. Als Campbell Sara befragt, war ich richtig auf seiner Seite und dachte "Ja, weiter so, mach ihr das mal klar.". Der letzte Absatz der Passage aus Campbells Sicht (S.346) war dann aber wieder ein sehr nachdenklich machender Absatz. Vor allem der Satz von Sara:


    Zitat

    "Aber sie haben zugegeben, dass Sie bei Ihren Entscheidungen stets Kates Gesundheit im Auge hatten, nicht die von Anna", wende ich ein. "Wie können Sie sagen, Sie hätten bei Ihren Entscheidungen nicht doch ein Kind bevorzugt?"
    "Verlangen Sie nicht genau das von mir?" fragt Sara. "Nur dass ich diesmal das andere Kind bevorzugen soll?"


    Anna hat sich die Frage gestellt, wie die Menschen aussehen, wenn sie in den Himmel kommen. Ob sie von Alter her so aussehen, wie sie waren als sie starben? Und wenn man sich wünschen kann, wieder 17 zu sein, obwohl man bei seinem Tod 80 ist, wie finden einen die Leute, die einen nur als älterer Mensch kannten, nachher im Himmel wieder?
    Das lustige daran ist, dass ich mir auch schon einmal genau diese Gedanken gemacht habe, obwohl ich nicht mal behaupten kann, dass ich fest daran glaube, dass es einen Himmel gibt, wo die Menschen nach dem Tod weiterleben. Aber gerade in der Kindheit hat man so über "das Leben nach dem Tod" gedacht bzw. hat es sich erst einmal so vorgestellt. Und ehrlich gesagt, sind diese Fragen gar nicht mal so dumm. :wink:

  • Annas "Schöpfungsgeschichte" hat mich auch sehr berührt. diese Mischung aus kindlicher Einfachheit und Genialität. Auf Seite 346 kommt dies noch einmal zum Vorschein: "...Kinder denken mit einem weit geöffneten Hirn; ich bin inzwischen überzeugt, dass Erwachsenwerden nur ein langsames Zunähen ist."

    Der Satz ist genial! :thumright:

  • Ich bin durch.... Puh, ich habe gestern Abend erst einmal eine Weile still dagelegen und habe das Ende nachwirken lassen.


    Aber der Reihe nach... eine Menge Notizen warten noch darauf, ausgewertet zu werden:


    Auf Seite 273 haben wir mal wieder die mütterliche Zerrissenheit: Anna fragt nach der Knochenmarkentnahme nach ihrer Mutter, diese hält Kate aber gerade die Brechschale und meint sie könne im Augenblick nicht weg. Brian wiederholt die Bitte ganz ruhig und dann besinnt sich Sara wohl, aber erst, nachdem die Krankenschwester ihr versichert, dass sie schon zurecht kämen, solange sie weg sei. Sara kämpft dann wie eine Löwin für ein schmerzstillendes Medikament für Anna. Ohne Zweifel ein Ausdruck ihrer Liebe und Sorge, doch wirkt es nach außen und sicherlich auch auf Anna kühl und sachlich. Das Gefühl kommt kurz darauf von Brian, der Anna ein Halskettchen schenkt. Das finde ich so rührend! Ein Schlag in die Magengrube ist Saras Kommentar dazu: "Doch der Gedanke, jemand für sein Leiden zu belohnen, ist mir ehrlich gesagt nie gekommen. Wir leiden doch alle schon so lange." Und fast schmollend fügt sie hinzu "Ich halte ihr den Dosierungsbecher mit dem Schmerzmittel hin, der mit dem Halskettchen nicht mithalten kann." :shock: Ich will sie nicht verurteilen, denn ich war zum Glück selbst nie in so einer Situation. Wahrscheinlich blenden das Leid und die Sorgen alle anderen Gefühle als "unwichtig" aus und sie kann nicht raus aus ihrer Haut.


    Anna wäre also gerne ein Phönix (S. 327) - ein weiteres Beispiel für ihre treffenden, bildhaften Gedanken...


    Auf Seite 338 erklärt Campbell, wozu sein Servicehund tatsächlich da ist. Glaubt man zumindest, denn es klingt ausnahmsweise mal ehrlich und plausibel, doch Anna ertappt ihn wieder beim Lügen. Ich weiß nicht, wie weit Du inzwischen bist, doch ich kann Dir schonmal verraten, dass man die Wahrheit auf jeden Fall noch erfährt.


    Die von Dir zitierte Stelle während der Anhörung vor Gericht ist mir auch im Gedächtnis geblieben, wird allerdings von Saras Plädoyer am Ende des Buches noch weit übertroffen. Aber wie gesagt, ich weiß nicht, wie weit Du inzwischen bist.


    Später mehr...

    Ich höre :musik: gerade "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" von Joel Dicker.

  • Hallo Kasalla, ich bin jetzt auch durch mit dem Buch. Es hält mich immer noch gefangen. Welch herzzerreißendes Ende. Den zweiten Teil der Anhörung fand ich sehr dramatisch und ergreifend. Er zeigte alle Facetten dieser einen zu treffenden Entscheidung.


    Mit der Tatsache, dass

    ist der Autorin eine Überraschung gelungen, denn daran hab ich gar nicht gedacht. Dabei ist dieser Wunsch im Nachhinein eigentlich überhaupt nicht unabwegig.


    Dass

    hat mich überrascht und ganz betroffen gemacht. Vor allem die Art und Weise wie es geschehen ist.


    Zurvor hat mich ihr Satz "In zehn Jahren wäre ich gerne immer noch Kates Schwester." noch sehr eingenommen. Wieder einer dieser intelligenten Sätze, der sehr gut an die betreffende Stelle passt.


    Wie sich die Geschichte zwischen Campbell und Julia gefügt hat, fand ich schön. Es passte alles gut zusammen. Auch, dass er weicher wurde und eine Beziehung zu Anna aufgebaut hat, fand ich rührend. Apropos Campbell und sein Servicehund: Als beschrieben wurde, wie er ziemlich blass und schlecht aussehend dort während der Anhörung stand und sein Hund Theater gemacht hat, hab ich mir schon gedacht, dass es sich um einen Epileptiker handeln muss. Ich habe im TV mal einen Bericht über Epileptiker und ihre Begleithunde gesehen und finde es außerordentlich, was diese leisten.


    Ganz großes Können der Autorin sind die Schilderungen der Gefühle der Protagonisten. Auch die leicht melancholisch anmutenden Gedanken von Brian in Bezug auf das Universum und die Sterne fand ich sehr gelungen. Ich denke, so kann nur jemand schreiben, der selbst ein krankes Kind hatte. Aus der Danksagung geht ja hervor, dass die Autorin selbst Mutter eines kranken Kindes ist.


    Jedenfalls wird dieses Buch mir noch lange in Erinnerung bleiben.


    Danke, Kasalla, für diese ergibige und schöne Leserunde. Es hat mir Spaß gemacht, meine Eindrücke mit dir zu teilen und hoffe, es beruht auf Gegenseitigkeit. :friends:

  • Ja, liebe Frühlingswiese, es beruht auf Gegenseitigkeit! Vielen Dank für diese schöne Leserunde! :friends: Ich habe das Gefühl, das Buch viel intensiver gelesen zu haben, als wenn ich alleine gewesen wäre.


    Im Rezensionsthread zum "Leben meiner Schwester" wird öfter das "feige" Ende kritisiert. Damit ist sicher gemeint, dass auch die Autorin nicht eindeutig Stellung bezieht. Das Gerichtsurteil bestätigt zwar Annas Selbstbstimmungsrecht, doch man erfährt nie, ob sie nicht doch freiwillig die Niere gespendet hätte. Doch so habe ich es nicht empfunden. Es gibt kein Richtig oder Falsch in so einer Situation und somit bleibt auch die Autorin neutral und überlässt die Entscheidung dem Schicksal. Das Ende

    erscheint manchem vielleicht übertrieben positiv, doch wird dies durch die davor passierten Ereignisse doch sehr relativiert. Ich empfinde es als eine Ironie des Schicksals, dass

    Dass Kate

    kann ich gut verstehen, doch hätte es mir doch besser gefallen,


    Jetzt verstecke ich schon den halben Beitrag im Spoiler, doch es könnte sich ja mal jemand hierher verirren, der das Buch noch nicht kennt...


    Noch mehr als das Ende hat mich die Geschichte mit Taylor mitgenommen. Kate war so glücklich. Obwohl alle wussten, dass sowohl Kate als auch Taylor jederzeit hätten sterben können, kam es dann so plötzlich und man hätte rufen mögen, nicht auch noch das! :cry:


    Dass es Begleithunde für Epileptiker gibt, wusste ich gar nicht. Nach all dem, was Campbell den Leuten über seinen Servicehund erzählt hat, habe ich diese Geschichte erst geglaubt, als der Anfall passierte. Dass dies allerdings Campbells frühere Liebesbeziehung zu Julia beeinträchtigt haben soll, finde ich etwas übertrieben. Aber nun haben sie ja ihr Happy End. :love:


    Nur eine Kleinigkeit noch, als sich alle am Tag der Anhörung auf den Weg machen, fängt jeder der Abschnitte mit "es regnet" hat. Diese Monotonie gibt einerseits gut die regnerische Stimmung wieder. Auch erfährt man, was jeder einzelne daraus macht, welche Gedanken sich daraus bei jedem ergeben. Und als letztes unterstreicht es die Gleichzeitigkeit. Nach all den Rückblenden sind nun alle im Hier und Jetzt angekommen.


    Nochmals vielen Dank, liebe Frühlingswiese, für die Leserunde! :flower: Ich hoffe, wir finden uns noch einmal zu einem Buch zusammen, ich werde im Verabredungsthread nach Dir Ausschau halten! :winken:

    Ich höre :musik: gerade "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" von Joel Dicker.


  • Im Rezensionsthread zum "Leben meiner Schwester" wird öfter das "feige" Ende kritisiert. Damit ist sicher gemeint, dass auch die Autorin nicht eindeutig Stellung bezieht. Das Gerichtsurteil bestätigt zwar Annas Selbstbstimmungsrecht, doch man erfährt nie, ob sie nicht doch freiwillig die Niere gespendet hätte. Doch so habe ich es nicht empfunden. Es gibt kein Richtig oder Falsch in so einer Situation und somit bleibt auch die Autorin neutral und überlässt die Entscheidung dem Schicksal.

    Ich habe in keiner Sekunde daran gedacht, dass es feige von der Autorin ist, durch das gewählte Ende nicht Stellung bezogen zu haben. Insofern sehe ich das genau wie du.

    Bis zur nächsten Leserunde!
    :wink: :winken:


  • Im Rezensionsthread zum "Leben meiner Schwester" wird öfter das "feige" Ende kritisiert. Damit ist sicher gemeint, dass auch die Autorin nicht eindeutig Stellung bezieht. Das Gerichtsurteil bestätigt zwar Annas Selbstbstimmungsrecht, doch man erfährt nie, ob sie nicht doch freiwillig die Niere gespendet hätte. Doch so habe ich es nicht empfunden. Es gibt kein Richtig oder Falsch in so einer Situation und somit bleibt auch die Autorin neutral und überlässt die Entscheidung dem Schicksal.

    Ich habe in keiner Sekunde daran gedacht, dass es feige von der Autorin ist, durch das gewählte Ende nicht Stellung bezogen zu haben. Insofern sehe ich das genau wie du.

    Bis zur nächsten Leserunde!
    :wink: :winken: