Leo Tolstoi - Anna Karenina (ab 20.04.2009)

  • Ich weiß nicht, aber ich sehe das bei Wronskij nicht ganz so kritisch, weil er sich einfach seines Verhaltens nicht bewusst ist. Sicher ist das nicht nett, was er macht, aber er macht es ja nicht mit Absicht. Er hat Kitty niemals angedeutet, dass er sie heiraten möchte, und ist einfach nur in seinem Verhalten so unbedarft.

    Zudem scheint er nicht einmal den Mut zu besitzen ihr ausdrücklich zu sagen, dass er gar nicht heiraten möchte.

    Deswegen denke ich nicht, dass das etwas mit mangelndem Mut zu tun hat.

    Hier zeigt Wronskij deutlich, dass er nicht den Mut besitzt Kitty die Wahrheit über seine Absichten zu erläutern. Viel schlimmer, er redet fast gar kein Wort mit ihr und lässt sie völlig allein in ihrer Misere. Er kümmert sich nicht um ihre Gefühle, sondern versucht die gesamte Situation durch seine gewohnt lockere, oberflächliche Art zu überspielen.

    Das stimmt allerdings und das ist auch wirklich eine Situation, in der deutlich wird, dass er im Gegensatz zu Lewin keine wahren Gefühle für Kitty hat. Sie beobachtet ihn ja auch, als er mit Anna zusammen ist, und bemerkt an ihm genau die Art von Blicken und Gesten, die sie bei sich im Umgang mit ihm feststellt. Sie erkennt nun aber auch, dass er an ihr gar kein wahres Interesse hat. Offenbar ist Anna die erste Frau, die Gefühle - echte Gefühle - in Wronskij auslöst. Auch wenn mir das für Kitty ein wenig leid tut, ist sie ja auch selbst Schuld. Sie hat ja immerhin Lewin abgewiesen, dem sie ihrerseits ja auch Grund zur Annahme gab, dass sein Antrag Chancen habe. Nun erkennt sie wohl erst, was sie mit ihm gemacht hat.
    Interessant finde ich, dass wir Anna mit ihrem "durchschnittlichen" Aussehen offenbar nur dank Wronskij so gesehen haben. Kitty und Dolly beschreiben Anna hingegen ja beide als wunderschön. Schönheit liegt eben doch im Auge des Betrachters. ;)


    Ich frage mich ein wenig, welche Rolle der Ehebruch Stepans für den Roman spielen wird, wenn wir nun auch wissen, dass der Beginn des Romans zum Beispiel in der Vefilmung vollkommen fehlt. Ist es vielleicht nur so eine Hinführung auf das Thema, ein erstes Aufzeigen der Problematik, durch das klar wird, wie sich die Figuren beim Ehebruch Annas positionieren (müssten)?

  • @ gänseblümchen:
    Danke für den Hinweis! :thumleft:
    Ich wusste bisher nicht, dass die Nachnamen sich im russischen je nach Geschlecht abwandeln.
    Deshalb war ich auch sehr verwirrt über die verschiedenen Schreibweisen der Nachnamen. Aber jetzt weiß ich ja warum dies der Fall ist.


    Ich weiß nicht, aber ich sehe das bei Wronskij nicht ganz so kritisch, weil er sich einfach seines Verhaltens nicht bewusst ist. Sicher ist das nicht nett, was er macht, aber er macht es ja nicht mit Absicht. Er hat Kitty niemals angedeutet, dass er sie heiraten möchte, und ist einfach nur in seinem Verhalten so unbedarft. Deswegen denke ich nicht, dass das etwas mit mangelndem Mut zu tun hat.


    Es kann sein, dass ich Wronskijs Verhalten etwas zu kritisch beurteile und vielleicht hast du auch recht und es hat nichts mit mangelndem Mut zu tun. :)
    Allerdings müsste er sich doch im Klaren darüber sein, dass sein Verhalten bei vielen den Eindruck erweckt, dass er ernste Absichten hat und Kitty heiraten möchte.
    Es scheint so, dass er bei ihrer Familie ein und aus geht und des öfteren an abendlichen Runden teilnimmt, zudem fordert er sie bei jedem anstehenden Ball zum Tanz auf.


    Das Kitty und vor allem auch ihre Eltern da ernstere Absichten vermuten, ist dann glaube ich kein Wunder. Deshalb kann ich sein Verhalten bisher nicht ganz nachvollziehen. Hätte er nur dann und wann einmal mit ihr getanzt, wäre das kein Problem. Aber dass was er macht übersteigt meiner Meinung nach den "normalen" Umgang. Ich sehe es fast schon als eine "Hochzeitsandeutung". Zumindest wurde es in diesen Kreise wohl als solches angesehen. Aber es kann schon sein, dass du recht hast. Ich werde ihn noch ein wenig "beobachten" und ihn dann eventuell in einem anderen Licht sehen. Wer weiß. Vielleicht mag ich auch einfach keine allzu unbedarften Charaktere? :D


    Ich frage mich ein wenig, welche Rolle der Ehebruch Stepans für den Roman spielen wird


    Das ist eine gute Frage. :-k Vermutlich hast du recht und es ist eine Einführung in die eigentliche Thematik. Der Leser befasst sich somit gleich zu Beginn mit der heiklen Problematik des Ehebruchs und sieht die späteren Geschehnisse womöglich in einem anderen Licht? Vielleicht ergeben sich aus der fortlaufenden Geschichte noch ein paar "Hinweise".

    :study:
    Monika Felten ~ "Die Nebelsängerin"
    Leo Tolstoi ~ "Anna Karenina"


    ~~"Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer."~~ (Konfuzius)

  • Kapitel 1, bis Abschnitt 19


    Ihr ward ja schon richtig fleißig am Diskutieren. Mich selbst beschäftigt der Roman gedanklich auch sehr. Was mir auffällt ist, dass ich bisher keinen Charakter wirklich nur negativ sehe. Selbst Oblonski, der ja doch viele schlechte Eigenschaften hat, wird auch von anderen Seiten dargestellt. So wirken die Figuren tatsächlich sehr lebendig und echt auf mich. Die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen Tolstoi seine Figuren beschreibt, sorgen dafür, dass ich ständig neue Seiten an ihnen entdecke.


    Gerade bin ich an der Stelle angelangt, an der Anna und Wronskij sich zum ersten Mal begegnen. Es ist sicherlich eine besondere Stelle in dem Roman. Und ich frage mich gerade, ob der Bahnhof als Ort der Begegnung symbolhaft sein soll.


  • Was ich mich bei der Bahnhofszene gefragt habe ist folgendes: Hätte Wronskij der Witwe auch Geld gegeben, wenn Anna vorher nicht gefragt hätte, ob man nichts für die Frau tun könne. Sie hat ihn meiner Meinung nach, zumindest auf die Idee gebracht. Er selbst will ihr ja damit auch nicht imponieren, sondern gibt das Geld diskret weiter.


    Das sind immer solche Momente, bei denen ich mich auch frage, wie ich Wronskij als Figur finde. Ihr habt dazu ja auch schon einiges geschrieben. Unsympathisch ist er mir nicht. Aber ich habe bei ihm das Gefühl, dass er ein wenig oberflächlich ist und man merkt, dass es ihm wohl schwerfällt, sich in andere hineinzudenken und zu fühlen. Er würde wohl absichtlich niemanden verletzen wollen, tut es aber dann durch sein unbedachtes Handeln. Ich kann mir ja schon denken, wohin das mit Kitty führt und hoffe momentan doch noch sehr darauf, dass Kitty und Lewin sich doch noch finden.


    Ich denke, dass Kitty, es wurde auch schon in der Diskussion gesagt, einfach noch sehr jung und naiv ist. Und ihre Mutter setzt ihr dazu wohl auch noch "Flausen" in den Kopf. Ich kann gut verstehen, dass sie, als junges Mädchen begeistert ist, von einem attraktiven, redegewanten Mann umgarnt wird und dass ihre Gefühle für ihn entflammen. Dennoch wäre Lewin mit Sicherheit der bessere Partner für sie.

  • Ich konnte inzwischen auch ein wenig weiterlesen und bin immer noch begeistert. Mir geht es ganz ähnlich wie tiana, es gibt bisher keine Figur, die ich durch und durch unsympathisch finden würde. Jede Figur hat ihre Schwächen, die eine mehr, die andere weniger, aber dadurch sind sie eben auch sehr menschlich. Es gibt bisher in dem Roman kein eindeutiges "Gut - Böse". Ich denke auch, dass das alles mit dem zentralen Thema, dem Ehebruch zu tun hat. Es gibt den doch recht oberflächlichen und großzügigen Umgang damit, den Stepan an den Tag legt, auf der anderen Seite hat man einen großen Moralisten, wie Lewin. Und ich denke, dass Anna eine dritte Position einnehmen wird - ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass sie so streng moralisch empfinden würde wie Lewin, auf der anderen Seite ist sie aber auch sensibel genug, um die Folgen, die ein Ehebruch für den Partner hat, absehen und auch mitleiden zu können.


    Die erste Begegnung Wronskijs mit Anna hat mir sehr gut gefallen und gehörte zu den Stellen, die besonders schön beschrieben waren. Hier hat mich Tolstois Schreibstil wieder einmal sehr beeindruckt, ich glaube intensiver kann man eine derartige, flüchtige Begegnung kaum beschreiben.


    Genau diese Szene, als Wronskij und Anna sich das erste Mal begegnen, fand ich auch sehr schön beschrieben! Ich hatte ganz deutlich die Bilder dazu im Kopf. Es wird sofort klar, dass diese Begegnung Folgen haben wird.



    Ja, du hast recht, tiana:


    Lewins Besuch bei seinem Bruder Nicolaj fand ich sehr interessant, da sich zeigt, dass Nicolaj nicht einfach nur vom rechten Weg abgekommen ist, sondern tatsächlich versucht (hat), etwas gegen bestimmte Missstände zu unternehmen, leider nicht sehr erfolgreich, wohl auch aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Lewin sich Nicolaj mehr verbunden fühlt als seinem anderen Bruder Sergej, aber einfach nicht nachvollziehen kann, warum Nicolaj diesen Weg gewählt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass dessen Lebensweise auch zu stark mit Lewins strengen Moralvorstellungen kollidiert.

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)

  • Ich bin etwas weiter gekommen. Im 21. Kapitel erfährt man etwas über die Versöhnung zwischen Dolly und Stepan. Dass diese scheinbar geglückt ist freut Anna Karenina sehr. Das Anna ihren Sohn sehr vermisst, merkt man ja als sie immer wieder über das Bild von ihm streicht. Wronskijs Verhalten, dass er nicht in den Salon kommen wollte am Abend fand ich zunächst etwas eigenartig. Aber ich gehe einfach mal davon aus, dass er nicht in der Nähe von beiden Frauen sein wollte, sowohl in der Nähe von Anna Karenina als auch in der Kittys.
    Das Ballkapitel fand ich sehr aufschlussreich. Vor allem über Wronskijs wahren Gefühle zu Kitty. Diese wurden ja schon einmal früher angesprochen. Und man merkt ja hier auch deutlich, dass Kitty nichts weiteres als ein Flirt für ihn war. Auch wenn es mir leid tut, dass sie es so erfahren musste. Vor allem auch ihre Ignoranz gegenüber den anderen jungen Männern, dass sie alle Einladungen für den letzten Tanz abgelehnt hat und nun ohne Tanzpartner war. Bis ihre Freundin, die Gräfin Northstonem, ihr ihren Tanzpartner überlässt.

    Dass er im Gegensatz zu Lewin keine wahren Gefühle für Kitty hat. Sie beobachtet ihn ja auch, als er mit Anna zusammen ist, und bemerkt an ihm genau die Art von Blicken und Gesten, die sie bei sich im Umgang mit ihm feststellt. Sie erkennt nun aber auch, dass er an ihr gar kein wahres Interesse hat. Offenbar ist Anna die erste Frau, die Gefühle - echte Gefühle - in Wronskij auslöst. Auch wenn mir das für Kitty ein wenig leid tut, ist sie ja auch selbst Schuld. Sie hat ja immerhin Lewin abgewiesen, dem sie ihrerseits ja auch Grund zur Annahme gab, dass sein Antrag Chancen habe. Nun erkennt sie wohl erst, was sie mit ihm gemacht hat.

    Für Kitty muss es ziemlich schlimm gewesen sein, in die Gesichter von Wronskij und Anna Karenina zu schauen, und zu merken, dass er sich Anna genauso gegenüber verhält wie ihr. Ich stimme dir zu Strandläuferin, dass sie daran selbst Schuld ist. Aber ihre Mutter hat auch genug zu Kittys Entscheidung beigetragen. Vermutlich war sie genauso von Wronskij geblendet. Dies scheint sie ja schon einmal bei Oblonskij und Dolly gewesen zu sein, ihr Mann hatte ja da so etwas angedeutet.

    Zitat

    Kapitel 15:
    "Paß mal auf, du wirst dich noch daran erinnern, wenn es zu spät ist, genau wie bei Dolly."

    Aber Kittys Mutter träumt weiter von einer guten Partie. Ehrlich gesagt kann ich mir Kitty aber auch nicht auf Lewins Bauernhof vorstellen.

    Ich denke, dass Kitty, es wurde auch schon in der Diskussion gesagt, einfach noch sehr jung und naiv ist. Und ihre Mutter setzt ihr dazu wohl auch noch "Flausen" in den Kopf. Ich kann gut verstehen, dass sie, als junges Mädchen begeistert ist, von einem attraktiven, redegewanten Mann umgarnt wird und dass ihre Gefühle für ihn entflammen. Dennoch wäre Lewin mit Sicherheit der bessere Partner für sie.

    Der Ansicht bin ich auch, welches junge Mädchen wäre nicht geschmeichelt, wenn ihr ein solcher Mann den Hof macht. Mit Sicherheit wäre Lewin der bessere Partner für Kitty. Ich frage mich nur, ob Kitty sich mit dem Landleben anfreunden könnte und dann noch so weit weg von Moskau mit den vielen Bällen. Denn für Bälle scheint sie sich ja sehr zu interessieren und versteht gar nicht, weshalb Anna Karenina Bälle langweilig findet.

    Was ich mich bei der Bahnhofszene gefragt habe ist folgendes: Hätte Wronskij der Witwe auch Geld gegeben, wenn Anna vorher nicht gefragt hätte, ob man nichts für die Frau tun könne. Sie hat ihn meiner Meinung nach, zumindest auf die Idee gebracht. Er selbst will ihr ja damit auch nicht imponieren, sondern gibt das Geld diskret weiter.

    Er hat es zwar diskret weitergegeben, aber ein Bahnhofsmitarbeiter, hat dies ja beim Weggehen von Wronskj noch mal angesprochen und so haben es Anna Karenina und Oblonskij mitbekommen. Kann sein, dass er ihr nicht imponieren wollte, aber sicherlich seiner Mutter.


    In den Kapiteln 24 bis 27 erfährt man so einiges über Lewins Leben. Der Besuch bei seinem Bruder Nikolaj beschäftigt ihn ja noch auf seiner Heimfahrt. Er schwört sich, dass er den Kontakt nicht mehr zu seinem Bruder verlieren will und ihm helfen will. Nikolaj scheint viel ausprobiert zu haben in seinem Leben und ist auch oft gescheitert. Ob sein neues Projekt mit mit einem Schlosserverbund auf dem Land eine Zukunft hat, sei mal dahin gestellt, aber er ist so gänzlich anders als Sergej, der gelehrte Bruder Lewins. Lewins Gestüt scheint sehr groß zu sein und er hat ja auch Pläne für die Zukunft eine eigene Kuhzucht. Ich musste ja bei seinem Zukunftstraum schmunzeln

    Zitat

    Kapitel 27: Meine Frau sagt: Kostja und ich haben dieses Kälbchen aufgezogen wie unser eigenes Kind!

    Ich kann mir Kitty da einfach so gar nicht vor stellen.


    In den Kapiteln 28 und 29 erfährt man das Anna sich Gedanken über den Ballabend macht und überstürzt abreisen will, da sie nicht mehr in der Nähe von Wronskj und Kitty sein will.

    Dolly, die ihre Schwägerin lieb hat,

    Dies scheint Anna Karenina sehr zu beschäftigen, denn auf der Zugfahrt kann sie sich nicht auf ihr Buch konzentrieren.


    Ich mache mich mal wieder ans :study: .


    Liebe Grüße von der buechereule :winken:

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Deshalb kann ich sein Verhalten bisher nicht ganz nachvollziehen. Hätte er nur dann und wann einmal mit ihr getanzt, wäre das kein Problem. Aber dass was er macht übersteigt meiner Meinung nach den "normalen" Umgang. Ich sehe es fast schon als eine "Hochzeitsandeutung". Zumindest wurde es in diesen Kreise wohl als solches angesehen. Aber es kann schon sein, dass du recht hast. Ich werde ihn noch ein wenig "beobachten" und ihn dann eventuell in einem anderen Licht sehen.

    Du hast auf jeden Fall Recht damit, dass sein Verhalten falsch ist und dass es natürlich bei Kitty und ihrer Mutter Gedanken an eine Hochzeit hervorruft. Doch im Gegensatz zu Kittys Vater sehe ich Wronskij nicht so böse, denn wenn jemand nicht ahnt, dass er sich falsch verhält, kann ich es ihm leichter verzeihen. Natürlich hätte er es aber eigentlich wissen müssen, denn er ist ja nicht so jung, dass man sagen könnte, er habe gesellschaftlich keinerlei Erfahrung. ;)

    Und ich frage mich gerade, ob der Bahnhof als Ort der Begegnung symbolhaft sein soll.

    Bevor ich deinen Spoiler gelesen habe, dachte ich, du meinst, wegen der Züge, Ankunft in einem neuen Leben oder so etwas... :loool: Aber nun gut, es scheint ja noch andere Gründe zu haben. Dann ist aber das Ende

    Hätte Wronskij der Witwe auch Geld gegeben, wenn Anna vorher nicht gefragt hätte, ob man nichts für die Frau tun könne. Sie hat ihn meiner Meinung nach, zumindest auf die Idee gebracht. Er selbst will ihr ja damit auch nicht imponieren, sondern gibt das Geld diskret weiter.

    Ich denke auch, dass er das getan hat, weil sie ihn darauf brachte. Er scheint als Mensch an sich erstmal nicht unbedingt immer zuerst an andere zu denken, aber wenn er weiß, was er machen soll, um Gutes zu tun, macht er es auch.

    Wronskijs Verhalten, dass er nicht in den Salon kommen wollte am Abend fand ich zunächst etwas eigenartig. Aber ich gehe einfach mal davon aus, dass er nicht in der Nähe von beiden Frauen sein wollte, sowohl in der Nähe von Anna Karenina als auch in der Kittys.

    Das sehe ich auch so. Vielleicht ist es ihm nun, da er Anna kennt, zum ersten Mal möglich zu merken, dass Kitty mehr für ihn empfindet als er für sie. Und wäre er im Haus von Kittys Familie geblieben, hätte er ja nicht plötzlich aufhören können, ihr den Hof zu machen, um sich Anna zuzuwenden. Gesellschaftlich undenkbar! ;)

    Ich frage mich nur, ob Kitty sich mit dem Landleben anfreunden könnte und dann noch so weit weg von Moskau mit den vielen Bällen. Denn für Bälle scheint sie sich ja sehr zu interessieren und versteht gar nicht, weshalb Anna Karenina Bälle langweilig findet.

    Lustig, die Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt, dabei liegt sie eigentlich auf der Hand... Zumindest kann man ja sagen, dass Kitty das Landleben nicht kennt, also würde ihr eine Umstellung sicher schwerfallen. Sicher käme sie sich auch gesellschaftlich herabgesetzt vor, denn das Landleben ist ja ein Grund, warum ihre Mutter Lewin nicht für eine gute Partie hält.

  • Zu dem guten Lewin habt ihr ja schon einiges gesagt. Ihn mal in seiner vertrauten Umgebung zu sehen, das war schon noch mal was Anderes. Er ist wirklich eine nette Figur. Aber, wie das bei den ganz netten so ist, ich weiß nicht, ob er mir nicht irgendwann "zu gut" werden könnte, wenn ihr versteht, was ich meine...


    Aber die Geschichte um Anna und Wronskij :love: - im Moment wird mein Wunsch nach großen Gefühlen da voll und ganz erfüllt und ich finde, Tolstoi trifft nicht nur genau den richtigen Ton, sondern er beschreibt das Verhalten der Figuren so natürlich, dass man das nur als sehr authentisch empfinden kann. Zum Beispiel, als Anna mit Dolly über Wronskij redet.

    Zitat

    "Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, Anna - ich wünsche diese Heirat für Kitty eigentlich nicht besonders. Es ist doch besser, daß das auseinandergeht, wenn Wronskij sich an einem einzigen Tag in dich verlieben konnte."
    "Ach, mein Gott, das wäre doch zu dumm!" sagte Anna, und wieder errötete sie tief vor Freude, daß der Gedanke, der sie die ganze Zeit beschäftigt hatte, nun ausgesprochen wurde. (S. 149)

    Das kennt man ja von sich selbst, wenn man verliebt ist. Das eine sagen und das andere meinen... aber irgendwie schon komisch, dass ausgerechnet Dolly, die den Betrug ihres eigenen Mannes nur schwer ertragen konnte, so etwas sagt. Oder geht es ihr nur darum, dass Wronskij sich von Kitty abwendet? Denkt sie, dass Anna kein Interesse an Wronskij hat? :-k
    Die Begegnung im Zug fand ich wunderschön. Wieder so eine Szene, die man sich nur zu gut vorstellen konnte. Anna, die sich nicht mehr auf ihr Buch konzentrieren kann, nachdem sie einmal an Wronskij gedacht hat, und dann ist er plötzlich da! :love: Und als er dann noch sagt, dass er nur mitgefahren ist, um in ihrer Nähe zu sein, fand ich sehr, sehr schön. Hach ja ;)

    Zitat

    In diesem Augenblick fegte der Sturm, als hätte er alle Hindernisse überwunden, den Schnee von den Wagendächern, rüttelte an einem losgerissenen Stück Blech, und vorn begann die Lokomotivpfeife in dumpfem Ton kläglich und unheimlich zu heulen. Dieser schreckliche Schneesturm erschien Anna jetzt noch schöner als vorher. Er hatte das gesagt, was ihr Herz gewünscht und ihr Verstand gefürchtet hatte. (S. 155)

    Wirklich schön, finde ich. Und gerade hier finde ich es wieder so besonders gut, dass sowohl Anna als auch Wronskij keine perfekten Menschen sind. Sie haben Schwächen und Fehler - und genau das macht es so einfach, mit ihnen mitzufühlen und zu verstehen, in was für einem Konflikt sie sich befinden.
    Als Anna dann aussteigt und ihren Mann wiedersieht, hatte ich beim Lesen das Gefühl, ich stünde neben Wronskij am Zugfenster und würde sie beobachten. Auch das fand ich wieder eine toll geschriebene Szene, weil man hier bei dem Schlüsselmoment dabei ist, an dem Anna merkt, dass sie ihren Mann nicht mehr liebt und ihr Verhältnis genau deswegen eigentlich unerträglich ist.


    Wirklich, diese Geschichte begeistert mich. :thumleft:

  • Offenbar ist Anna die erste Frau, die Gefühle - echte Gefühle - in Wronskij auslöst. Auch wenn mir das für Kitty ein wenig leid tut, ist sie ja auch selbst Schuld. Sie hat ja immerhin Lewin abgewiesen, dem sie ihrerseits ja auch Grund zur Annahme gab, dass sein Antrag Chancen habe. Nun erkennt sie wohl erst, was sie mit ihm gemacht hat.


    Hierzu ist mir noch folgendes Zitat in Absatz 23 aufgefallen:


    Zitat

    Niemand wusste, dass sie erst vor Kurzem die Hand eines Mannes abgelehnt hatte, den sie vielleicht liebte, und sie nur deswegen abgelehnt hatte, weil sie an die Liebe eines Anderen glaubte.


    Beim Lesen hatte ich persönlich eher dein Eindruck, dass es genau anders wäre: Dass Kitty Lewins Antrag abgelehnt hat, weil sie auf einen Antrag von Wronski hofft, aber wie es scheint, sind ihre Gefühle für Ljewin doch tiefer und ehrlicher. Hoffentlich finden die beiden noch zueinander. :love:


    In Absatz 26 zeigt sich noch einmal, wie sehr Ljewin von Kittys Ablehnung enttäuscht und verletzt wurde:


    Zitat

    Erstens nahm er sich vor, von nun an nicht mehr auf ein außerordentliches Glück, wie er es sich von der Ehe versprochen hatte, zu hoffen und nicht mehr infolge einer solchen Hoffnung die Gegenwart gering zu schätzen. Zweitens wollte er sich nicht wieder von garstiger Sinnlichkeit hinreißen lassen, weil die Erinnerung an frühere Fälle solcher Schwäche ihn damals, als er seinen Heiratsantrag zu machen beabsichtigte, so furchtbar gemartert hatte.


    Ljewin hat wohl erst mal den Glauben an das Gute in der Welt verloren, aber in Absatz 27 wird ihm doch wieder bewusst, wie sehr er sich nach einer Frau und Familie sehnt, als er so einsam über seinen Hof läuft.


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Beim Lesen hatte ich persönlich eher dein Eindruck, dass es genau anders wäre: Dass Kitty Lewins Antrag abgelehnt hat, weil sie auf einen Antrag von Wronski hofft, aber wie es scheint, sind ihre Gefühle für Ljewin doch tiefer und ehrlicher. Hoffentlich finden die beiden noch zueinander.

    Ich finde es im Moment richtig schwer, Kitty einzuschätzen. Klassischerweise müsste es ja fast so sein: Sie hat Lewin abgelehnt, weil sie sich von Wronskij hat blenden lassen, nun merkt sie, dass sie Lewin mehr liebt, die beiden finden zueinander... der Stoff, aus dem die Hollywoodfilme sind. ;) Aber ich frage mich, ob Kitty Lewin wirklich mehr liebt, oder ob sie sich das jetzt nur einredet, weil sie weiß, dass sie bei ihm Chancen hätte und bei Wronskij nicht. :-k Außerdem habe ich trotz Lewins Sehnsucht nach einer Familie das Gefühl, dass er auch sehr stolz ist. Ob er Kitty wirklich zurücknehmen wird? :-k

  • Ich finde es im Moment richtig schwer, Kitty einzuschätzen. Klassischerweise müsste es ja fast so sein: Sie hat Lewin abgelehnt, weil sie sich von Wronskij hat blenden lassen, nun merkt sie, dass sie Lewin mehr liebt, die beiden finden zueinander... der Stoff, aus dem die Hollywoodfilme sind. ;) Aber ich frage mich, ob Kitty Lewin wirklich mehr liebt, oder ob sie sich das jetzt nur einredet, weil sie weiß, dass sie bei ihm Chancen hätte und bei Wronskij nicht. :-k Außerdem habe ich trotz Lewins Sehnsucht nach einer Familie das Gefühl, dass er auch sehr stolz ist. Ob er Kitty wirklich zurücknehmen wird? :-k


    Mir fällt es auch schwer, Kitty einzuschätzen - ich habe das Gefühl, dass sie selbst sich über ihre Empfindungen zunächst nicht im Klaren war. Da war der schillernde, charmante Wronskij, und ihr hat wahrscheinlich die Vorstellung gefallen, dass er ihr den Hof machen könnte. Und im Gegensatz zu ihm wirkt Lewin zugegebenermaßen ja tatsächlich eher langweilig. Kitty scheint aber ja sehr lebensfroh zu sein, und hat sich in ihrer romantischen Vorstellung vom begehrten Wronskij vielleicht schon so weit blenden lassen, dass ihre wahren Gefühle, nämlich die für Lewin, verdeckt waren. Wird eigentlich irgendwo erwähnt, wie alt Kitty ist?


    Diese Liebe auf den ersten Blick zwischen Anna und Wronskij finde ich übrigens auch total schön beschrieben, und sie kommt mir auch gar nicht kitschig oder unrealistisch vor. Ich kann oft richtig nachfühlen, was zum Beispiel in Anna vorgeht, in diesem Zusammenhang ist mir das gleiche Zitat besonders aufgefallen wie dir, Strandläuferin: als Anna nämlich so erfreut und wohl auch geschmeichelt darüber ist, dass Dolly Wronskijs Verliebtheit aufgefallen ist.


    Im Zusammenhang mit dieser Verliebtheit war ich zunächst etwas überrascht über die Unverblümtheit, mit der Wronskij seine Gefühle Anna gegenüber äußert, schließlich weiß er doch, dass sie eine veheiratete Frau ist:

    Zitat

    "Warum ich fahre?" sagte er und blickte ihr gerade in die Augen. "Sie wissen doch, ich fahre mit, um dort zu sein, wo sie sind. Ich kann nicht anders." (S. 155)


    Womit ich dann allerdings etwas Schwierigkeiten habe, ist folgende Stelle auf S. 193, die mich auch meine Überraschung über seine Unverblümtheit revidieren lässt:

    Zitat

    Er wußte sehr wohl, daß in den Augen dieser Leute der unglückliche Liebhaber eines jungen Mädchens oder einer alleinstehenden Frau wohl eine lächerliche Rolle spielen kann, daß aber die Rolle eines Mannes, der einer verheirateten Frau nachstellt und sein ganzes Leben daransetzt, sie zum Ehebruch zu verleiten, etwas Schönes, etwas Großartiges hat und nie lächerlich wirken kann.


    Es sind also nicht rein romantische Gefühle, die Wronskijs Handeln bestimmen, sondern es spielt wohl auch die Herausforderung für ihn eine Rolle. Zum Teil ist es also ein Spiel für Wronskij - oder seht ihr das anders?


    Was Annas Ehe angeht, ist mir noch folgender Satz aufgefallen, an dem deutlich wird, dass auch ihr Mann nicht gerade von leidenschaftlichen Gefühlen angetrieben wird und die Ehe wohl nicht in erster Linie auf Liebe basiert:

    Zitat

    "... Nun brauche ich nicht mehr allein zu essen", fuhr Alexej Alexandrowitsch fort, und zwar nicht mehr in scherzhaftem Ton. "Du glaubst gar nicht, wie ich an dich gewöhnt bin ..." (S. 161)

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)

  • In den letzten vier Teilkapiteln des erstens Teils wird erzählt, wie Anna und Wronskij sich nach ihrer Rückkehr verhalten.
    Anna ist ja zunächst bemüht, in ihren Alltag zurückzufinden, aber sie merkt selbst, dass sie die Gespräche mit ihrem Mann nicht interessieren, und dass keine Gefühle mehr zwischen ihnen sind. Sie verhält sich immer unleidlicher, nicht einmal ihren Sohn kann sie im ersten Moment so liebhaben, wie er ist.

    Zitat

    Ihr Sohn rief gerade wie ihr Mann in Anna ein Gefühl hervor, daß der Enttäuschung ähnlich war. Sie hatte ihn sich hübscher vorgestellt, als er in Wirklichkeit war. Sie mußte erst wieder zur Wirklichkeit hinabsteigen, um sich an ihm, so wie er war, zu erfreuen. (S. 162)

    Anna tut mir hier ein bisschen leid, denn eigentlich scheint sie ein wenig gehofft zu haben, dass die Rückkehr zur Familie die Gedanken an Wronskij vertreiben würde, aber genau das gelingt ihr nicht. Der Autor verstärkt dieses Gefühl beim Leser noch durch Informationen über die Ehe, wie zum Beispiel die Stelle, die du, daniii, zitiert hast.
    Wronskij erste Musterung von Annas Ehemann fand ich fast komisch beschrieben.

    Zitat

    Als er Alexej Alexandrowitsch [...] sah, mußte er an seine Existenz glauben und hatte ein unangenehmes Gefühl, ähnlich dem, wie es ein Mensch haben mag, der, von Durst gequält, zu einer Quelle kommt und dort einen Hund, ein Schaf oder ein Schwein vorfindet, die das Wasser getrunken und getrübt haben. (S. 158 f.)

    Aber Wronskij lässt nicht locker und setzt alles daran, sich gesellschaftlich zukünftig in Annas Nähe aufhalten zu können. Da ich noch nicht so weit bin mit dem Lesen wie du, daniii, kann ich noch gar nicht sagen, ob Wronskij die Liebe zu Anna auch als Spiel sieht, aber es würde meiner Meinung nach zumindest zu ihm passen, wenn er eine Art Wettbewerb um sie sieht.

  • Erster Teil bis zum Ende


    Ich bin gestern wieder ein gutes Stück weiter gekommen beim Lesen und habe mir fleißig Gedanken gemacht, die ich mit euch teilen möchte. Strandläuferin hat ja bereits auf das Gespräch zwischen Anna und Dolly hingewiesen. Mir ist in dem Gespräch folgende Textstelle besonders aufgefallen in der Dolly Anna für deren reine Seele lobt:




    Zitat

    "In deiner Seele ist alles so hell und so gut." "Jedes Menschen Seele hat ihren Skeleton, wie die Engländer sagen." "In dir ist alles so klar. Was für einen Skeleton kannst du haben?" "Und dennoch hab ich´s" sagte Anna plötzlich [...]


    Ich habe mich gefragt, ob Anna vor ihrer Begegnung mit Wronskij die gleiche Antwort gegeben hätte und in wie weit er ihr inneres Gleichgewicht hier schon in Aufruhr gebracht hat.


    Und in der gleichen Szene habe ich wenige Zeilen weiter auch noch ein für mich Bedeutsames Zitat gefunden. Es bezieht sich darauf, dass Dolly Anna mit ihrem Bruder vergleicht, als Anna ihr erzählt, was auf dem Ball vorgefallen ist:


    Zitat

    "Wie ähnlich du eben Stiwa warst, als du das sagtest!" sagte Dolly lachend. Anna fühlte sich gekränkt. "Oh nein, nein! Ich bin nicht wie Stiwa!"


    Hier finde ich bemerkenswert, dass Anna sich ganz klar von Stiwa abgrenzt und dass sie nicht so sein möchte. Ich denke, dass sich hier auch zeigt, dass sie ganz andere Gründe dafür hat, später zur Ehebrecherin zu werden, als das bei ihrem Bruder der Fall ist. Und ich frage mich gerade, ob wir hier nicht auch den Grund dafür finden, dass Tolstoi den Ehebruch ihres Bruders an den Anfang der Geschichte gesetzt hat. Es ist wahrscheinlich eine Art Gleichsetzung. Wie wird die Gesellschaft auf den Ehebruch eines Mannes reagieren, wie auf den einer Frau? Was sind die verschiedenen Intentionen? Bei ihrem Bruder ist es Langweile, Wolllust, Gedankenlosigkeit gegenüber seiner Familie. Und ich denke, dass Anna im Gegensatz dazu an die wahre Liebe glaubt und wahrscheinlich aus dieser Liebe heraus zur Ehebrecherin wird.

  • Erster Teil bis zum Ende


    Eine weitere Stelle ist mir aufgefallen, die auch Strandläuferin schon erwähnt hat: Die Zugszene, bei der Rückfahr nach Petersburg. Anna ist heiß und sie muss an die frische Luft. Draußen tobt ein Schneesturm.


    Zitat

    Wind und Schnee schlugen ihr wild entgegen und begannen mit ihr einen Kampf um die Tür. Und das erschien ihr sehr lustig. [...] Der Wind schien sie schon erwartet zu haben: er heulte und pfiff vor Freude und wollte sie packen und davontragen.


    Ich habe den Eindruck dass Tolstoi hier das Innenleben Annas beschreibt. Ihre Gefühle sind in einem wilden Aufruhr und das gefällt ihr. Gleichzeitig ist der Wind wie Wronskij. Er packt sie und reißt sie mit seiner Begeisterung einfach mit sich fort.


    Entsprechend nüchtern fällt ihr dann ja auch ihr Leben in Petersburg wieder auf. Sie ist distanziert und sieht alles in einem drüben Licht. Strandläuferin hat das ja gut beschrieben, auch, dass Anna versucht, sich einzuleben und dass es ihr nicht recht gelingen mag.


    Aber auch wenn Wronskijs Rückkehr geschildert wird, fällt mir etwas Typisches für ihn auf. Er ist von Anna ja vollkommen beeindruckt und begeister, gesteht sich aber ein:


    Zitat

    Was aus alledem werden sollte, wußte er nicht, und er dachte auch gar nicht darüber nach.


    Ich finde, dass das das große Problem an ihm ist. Er sieht nie die Konsequenzen seines Handelns. Das haben wir vorher ja auch bei Kitty schon so deutlich bemerkt.


    Und dann noch ein Zitat aus dem Mund von Annas Mann, welches mir als unheilvolles Vorzeichen erscheint:


    Zitat

    "Ich bin der Ansicht, dass ein solcher Mensch keine Entschuldigung verdient, auch wenn er dein Bruder ist."


    Ich denke, dass diese unnachgiebige Strenge von Alexej sich später auf Anna niederschlagen wird.

  • Wird eigentlich irgendwo erwähnt, wie alt Kitty ist?

    Ich glaube irgendwo gelesen zu haben, dass sie 18 ist? :scratch: 16 würde aber sicherlich auch passen.


    Womit ich dann allerdings etwas Schwierigkeiten habe, ist folgende Stelle auf S. 193, die mich auch meine Überraschung über seine Unverblümtheit revidieren lässt:


    Zitat
    Er wußte sehr wohl, daß in den Augen dieser Leute der unglückliche Liebhaber eines jungen Mädchens oder einer alleinstehenden Frau wohl eine lächerliche Rolle spielen kann, daß aber die Rolle eines Mannes, der einer verheirateten Frau nachstellt und sein ganzes Leben daransetzt, sie zum Ehebruch zu verleiten, etwas Schönes, etwas Großartiges hat und nie lächerlich wirken kann.


    Es sind also nicht rein romantische Gefühle, die Wronskijs Handeln bestimmen, sondern es spielt wohl auch die Herausforderung für ihn eine Rolle. Zum Teil ist es also ein Spiel für Wronskij - oder seht ihr das anders?


    Diese Stelle habe ich mir während des Lesens auch markiert. Ich habe gerade gemerkt, wie unterschiedlich unsere Übersetzungen sind. Hier mal die gleiche Stelle aus meinem Buch:



    Zitat

    Er wusste sehr wohl, dass in den Augen dieser Leute zwar die Rolle dessen, der, ohne Erhörung zu finden, ein Mädchen oder eine alleinstehende Frau liebt, lächerlich sein konnte, dass aber die Rolle eines Mannes, der sich um eine verheiratete Frau bemüht und alles, selbst sein Leben, daransetzt, sie zum Ehebruch zu verleiten, dass diese Rolle in den Augen jener Leute etwas schönes, großartiges hatte und nie lächerlich werden konnte.


    Ich bin mir nicht sicher, ob Wronski die Eroberung Annas als Herausforderung sieht. Ich denke eher, er versucht sein Handeln sich selbst gegenüber und seiner Stellung in der Gesellschaft zu rechtfertigen.





    Und ich frage mich gerade, ob wir hier nicht auch den Grund dafür finden, dass Tolstoi den Ehebruch ihres Bruders an den Anfang der Geschichte gesetzt hat. Es ist wahrscheinlich eine Art Gleichsetzung. Wie wird die Gesellschaft auf den Ehebruch eines Mannes reagieren, wie auf den einer Frau?


    Tiana, diesen Gedankengang finde ich sehr gut und sehr einleuchtend! :thumright:


    Im ersten Absatz des zweiten Teils erfahren wir, dass Kitty sehr krank sein solle. Erst war ich darüber ziemlich erschüttert, aber schließlich stellt sich heraus, dass


    Lachen musste ich über folgendes Zitat:



    Zitat

    Bei der Entscheidung für diesen Brunnen war offenbar der Hauptgesichtspunkt der, dass er nicht schaden könne.


    :lol: Der Stil von Tolstoi ist einfach klasse!


    In Absatz 2 wird dann deutlich, was für eine große Zeitspanne inzwischen vergangen ist. Dolly hat sogar

    Normalerweise mag ich solche großen Zeitsprünge nicht, in denen am Anfang des nächsten Teils schnell noch alles erzählt wird, was bis dahin passiert ist, aber bei Tolstoi stört mich das irgendwie gar nicht. Er streut ab und zu mal ein paar Bemerkungen ein, durch die man Neues erfährt, aber das ganze wirkt nicht wie ein Bericht.


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Ich habe mich gefragt, ob Anna vor ihrer Begegnung mit Wronskij die gleiche Antwort gegeben hätte und in wie weit er ihr inneres Gleichgewicht hier schon in Aufruhr gebracht hat.

    Zu den "skeletons"... den Gedanken finde ich interessant und ich glaube, sie hätte anders reagiert. Sie wirkte doch sehr gefestigt in ihrem Dasein. :)

    Hier finde ich bemerkenswert, dass Anna sich ganz klar von Stiwa abgrenzt und dass sie nicht so sein möchte. Ich denke, dass sich hier auch zeigt, dass sie ganz andere Gründe dafür hat, später zur Ehebrecherin zu werden, als das bei ihrem Bruder der Fall ist.

    Das stimmt. Aber es ist ja interessant, dass sie das sagt, weil es in der Szene eigentlich nicht um den Ehebruch geht. Anna assoziiert ihre n Bruder aber sofort damit und deswegen bestreitet sie die Ähnlichkeit so vehement. Und das ist bemerkenswert. Wír haben es ja alle beim Lesen auch darauf bezogen. ;)

  • Was Annas Ehe angeht, ist mir noch folgender Satz aufgefallen, an dem deutlich wird, dass auch ihr Mann nicht gerade von leidenschaftlichen Gefühlen angetrieben wird und die Ehe wohl nicht in erster Linie auf Liebe basiert:


    Zitat
    "... Nun brauche ich nicht mehr allein zu essen", fuhr Alexej Alexandrowitsch fort, und zwar nicht mehr in scherzhaftem Ton. "Du glaubst gar nicht, wie ich an dich gewöhnt bin ..." (S. 161)

    Zu Tolstoi Zeit gab es viele arrangierte Ehen. Die Eltern suchten eine gute Partie und die war dann ein älterer Mann. Dementsprechend kann man nicht von Liebesheiraten reden, sondern eher von Versorgerehen. Dein angegebenes Zitat spielt gut diese Situation wieder.
    Kittys Mutter beschreibt ja in dem Buch selber den Wandel der die "Eheanbahnung" erlebt, von der von der elternarragierten Heirat zu dem Wunsch der Jugend, selber den Partner fürs Leben zu suchen und den eigenen Wunschkandidat zu ehelichen.


    Liebe Grüße von der buechereule :winken:

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Zu Tolstoi Zeit gab es viele arrangierte Ehen. Die Eltern suchten eine gute Partie und die war dann ein älterer Mann. Dementsprechend kann man nicht von Liebesheiraten reden, sondern eher von Versorgerehen.

    Das stimmt natürlich. Irgendwie muss ich mir das aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, denn in dem Roman ist beim Reden über Ehen auch immer von Liebe die Rede, zum Beispiel eben auch bei Kitty oder bei Dolly. Es ist immer alles von großen Gefühlen begleitet. ;)

  • Das stimmt natürlich. Irgendwie muss ich mir das aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, denn in dem Roman ist beim Reden über Ehen auch immer von Liebe die Rede, zum Beispiel eben auch bei Kitty oder bei Dolly. Es ist immer alles von großen Gefühlen begleitet. ;)


    Stimmt, so richtig mit bedacht hatte ich das beim Lesen wohl auch nicht. Mir war zwar schon irgendwo bewusst, dass Anna keine Liebesheirat eingegangen ist, aber trotzdem fand ich die Äußerung ihre Mannes, dass er so an sie "gewöhnt" sei, bemerkenswert.


    @ gaensebluemche: Danke für den Einblick in deine Übersetzung :wink: Tatsächlich muss ich meinen Leseeindruck nun ein bisschen zurücknehmen (glaube aber trotzdem noch, dass Wronskij sich insgesamt weniger Gedanken um sein Handeln und eventuelle Folgen macht, als Anna dies tun wird). Schon interessant, denn einer verheirateten Frau "nachstellen", wie in meiner Übersetzung, hat für mich schon eine andere Bedeutung als "sich um eine verheiratete Frau bemühen". Da macht meiner Ansicht nach die Übersetzung auf jeden Fall einen Unterschied - tja, aber fürs Original reicht mein nicht vorhandenes Russisch wohl leider nicht aus :mrgreen:


    @ tiana: Deinen Gedanken mit der unterschiedlichen Betrachtung von Annas und Stepans jeweiligen Ehebrüchen und der unterschiedlichen Motivation, finde ich auch sehr gut! Das sollte man auf jeden Fall im Hinterkopf behalten. Ich bin auch gespannt, welche Rolle Kitty und Lewin noch spielen werden und - falls sie noch zueinander finden, wovon ich momentan eigentlich ausgehe - welche Funktion ihre Beziehung dann in diesem Zusammenhang erfüllen wird :-k

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)