Gerhart Hauptmann - Bahnwärter Thiel

  • Kurzmeinung

    SirPleasant
    Hochgradig dramatisches Kleinod. Wahrlich unterhaltsam in Sprache.
  • Kurzmeinung

    Schneehase13
    Kurzweiliges und (sprachlich) mitreißendes Buch für Zwischendurch.
  • Klappentext


    Hauptmanns Erzählung begründet ein menschliches Geschick in Milieu und Psychologie; er gestaltet es zugleich im Wirkungsfeld transsubjektiver elementarer Gewalten, die auf das Irrationale hinweisen, innerhalb dessen sich menschliches Leben vollzieht - im triebhaften und traumhaften Innerlichen wie in der außerpersönlichen Wirklichkeit, an die es gebunden ist. Diese novellistische Studie hat, anspruchslos, im schmalen Format, den Rang von Weltliteratur. Fritz Martini


    Autor (kopiert bei amazon)
    Gerhart Hauptmann wurde am 15. November 1862 als Sohn eines Hotelbesitzers in Schlesien geboren. 1877 erlebte Hauptmann mit 15 Jahren den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Vaters. 1879 wurde er während seines Aufenthalts als Landwirtschaftshelfer auf dem Gut von Verwandten lungenkrank und war erst 1904 völlig wiederherstellt. Frühzeitg zeigte Hauptmann sein dichterisches Interesse. Er besuchte 1882-82 die Kunst- und Gewerbeschule zu Breslau. Zwischen 1882-88 hörte er Vorlesungen an mehreren deutschen und schweizerischen Universitäten. Nach einer Mittelmeerreise, einem Aufenthalt als freier Bildhauer in Rom und seiner Heirat 1885 wohnte er in Berlin, Zürich und Erkner bei Berlin. Da begann er, seine dichterische Begabung zu Tage zu legen. Seit 1901 lebte Hauptmann mit seiner zweiten Frau, Margarete Marschalk, einer Schauspielerin und Geigerin in Agnetendorf, Kloster auf Hiddensee, in der Südschweiz und an der Riviera. Er gewann zahlreiche Ehrungen, einschließlich des Ehrendoktors der Universität Oxford 1907 und des Nobelpreises für Literatur 1912. Am 6. Juni 1946 starb er in seinem Haus in Agnetendorf.
    Gerhart Hauptmann gilt als hervoragender deutscher Dramatiker des 20. Jahrhunderts und Repräsentant des Naturalismus.


    Meine Meinung


    Die Hauptfiguren dieser novellistischen Studie sind die kleinen Leute: Bahnwärter Thiel ist ein gutmütiger, gewissenhafter Mann, der seit 10 Jahren gern und zuverlässig seinen einsamen Dienst im Bahnwärterhäuschen verrichtet. Nachdem seine Frau Minna bei der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Tobias gestorben ist, heiratet er erneut, da er eine "Ersatzmutter" für seinen Sohn und eine tüchtige Wirtschafterin für seinen Haushalt braucht.
    Seine zweite Frau Lene ist das krasse Gegenteil seiner ersten, zarten und kränklichen Gattin: groß, gesund, kräftig, äußerst vital und dominant. Der ruhige und bescheidene Thiel steht bald ganz unter dem Pantoffel seiner Frau, der er offenbar sexuell hörig ist und deshalb nicht gegen sie aufbegehren kann. Selbst als er mitbekommt, dass Lene Tobias nicht mag und diesen nach der Geburt ihres eigenen Sohnes vernachlässigt und misshandelt, bringt er nicht die Kraft auf, dagegen einzuschreiten und flüchtet sich nachts im Bahnwärterhäuschen in seine Träumereien über seine schmerzlich vermisste erste Frau, mit der ihn eine "geistige Liebe" verband. Sein schlechtes Gewissen im Hinblick auf seine mangelhafte Unterstützung für Tobias führt allmählich zu seltsamen Traumbildern - in einer Halluzination meint er die Verstorbene zu erblicken...

    Gerhart Hauptmanns Sprachstil hat mir sehr gut gefallen: obwohl das ganze Buch (Büchlein) nicht mal 50 Seiten umfasst, schildert er sowohl das Innenleben (die zunehmend verwirrte Psyche) seines Protagonisten als auch das äußere Umfeld so eindringlich, dass man einen Film zu sehen glaubt. Die Bedrohung durch den sich zuspitzenden Konflikt mit seiner Frau, die der Bahnwärter herannahen fühlt, spiegelt sich in seinen Eindrücken von den herannahenden Zügen, die er als gefährliche Ungetüme wahrnimmt.
    Das Buch wurde 1887 geschrieben, aber die Thematik der Familientragödie ist auch in einer Zeit, in der kaum eine Woche ohne einschlägige Pressemeldung über ein Blutbad nach Ehezwistigkeiten vergeht, aktuell.


    :arrow: Ein sehr trauriges, aber lesenswertes Buch!

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

    Einmal editiert, zuletzt von €nigma ()

  • Thiel ist ein gewissenhafter und fleißiger Mann, der seinen täglichen Gewohnheiten nachgeht. Als seine Frau, die er über alles liebt, bei der Geburt seines Sohnes stirbt, ist er am Boden zerstört, aber schon nach kurzer Zeit heiratet er die dominante Lene, da sich jemand um den kleinen Tobias kümmern muss. Die Frau begegnet dem kleinen, behinderten Kind mit Ablehnung und später sogar mit Hass und Gewalt, als sie ein eigenes Kind gebärt.
    Thiel, der sich dieser Frau nicht gewachsen sieht, zieht sich in seine eigene Welt zurück. Das Bahnwärterhäuschen stellt seinen Schutz gegenüber Lene dar. Dort unterhält er sich mit seiner verstorbenen Frau und fleht sie sogar um Hilfe an. Als dann Lene auch noch in seinen persönlichen Bereich eindringt, gibt er sich Wahnvorstellungen hin und es reifen immer schlimmere Gedanken in ihm heran. Tobias' Tod reißt ihn schließlich aus seiner Lethargie und Thiel wird zum Doppelmörder.


    Ohne irgendwelche Ausschweifungen und unwichtigen Details erzählt uns Gerhart Hauptmann seine Geschichte vom Bahnwärter Thiel. Obwohl er sich dabei immer so kurz wie möglich hält, ist es eine sehr bildhafte Sprache. Sogar Thiels Gedankenwelt überträgt er an die Natur und verwendet viele Metaphern oder symbolische Vergleiche.


    Es wird zwar nicht direkt erwähnt, aber nach dem Tod seiner ersten Frau verfiel er in eine Depression, was nach dem Verlust eines geliebten Menschen jedoch nachvollziehbar ist. Trotz seiner Trauer denkt er an seinen kleinen Sohn und heiratet nur deswegen eine andere Frau. Diese unterdrückt Thiel ständig und er ordnet sich ihr widerstandslos unter. Sogar als sie seinen Tobias schlägt und mit wüsten Beschimpfungen überhäuft, nimmt er es wortlos hin. Dem gemeinsamen Kind mit Lene begegnet der Bahnwärter mit Gleichgültigkeit, was besonders dadurch deutlich wird, dass Hauptmann nie einen Namen dafür vergibt, sondern immer nur von dem "Kind" spricht. Vor allem diese Gleichgültigkeit Thiel's, schürte den Hass von Lene gegenüber Tobias immer mehr.
    Als der Bahnwärter allerdings die Gewalt seiner Frau wortlos hinnahm, war ich echt geschockt. Wie kann er nur dabei zusehen, wie dieses Weib den armen Jungen verhaut!? Lieber zieht er sich sein Bahnhäuschen zurück und phantasiert von seiner verstorbenen Frau.


    Stilistisch, sowie psychologisch ein großartiges Werk von Gerhart Hauptmann, das den Leser, trotz des eher nüchternen Tons, nicht kalt lässt. "Bahnwärter Thiel" erzählt den psychologischen Zusammenbruch eines Menschen, dem hätte geholfen werden, doch als Leser kann man nur hilflos zusehen, wie die Situationen mehr und mehr eskalieren.
    Ich bin von Hauptmann's Erzählung sehr beeindruckt und hatte die ca. 50 Seiten in knapp einer Stunde durch. Sehr empfehlenswertes "Büchlein"!


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Genauso empfand ich es auch beim Lesen. Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, auch wenn es ziemlich traurig war. :thumleft:

    "There are many reasons why novelists write – but they all have one thing in common: a need to create an alternative world."
    - John Fowles -


    :study: 2021 - 111 Bücher / 42.194 Seiten

    :study: 2020 - 139 Bücher / 54.169 Seiten

    :study: 2019 - 114 Bücher/ 44.897 Seiten

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  • Ich habe das Buch in den letzten 2 Tagen im Laufe von 3 Deutschstunden gelesen.
    Ich fand das Buch an einigen Stellen ein wenig verwirrend und erst im näheren überlegen hatte ich den roten Faden der Handlung wiedergefunden. Allerdings war die Geschichte sonst in keinem Falle schlecht, jedoch auch nichts außergewöhnliches was mich auf längere Zeit von sich beeindruckt hätte.


    Das einzigste für mich faszinierende und wirklich unerwartet kommende in dem Buch, war das Ende, mit diesem Ende hätte ich wirklich nicht gerechnet. Es hat mich wirklich beeindruckt und auf den letzten Seiten doch noch sehr meine Aufmerksamkeit an sich gefesselt.
    Da aber leider der Rest der Geschichte keinen sonderlichen Reiz auf mich hatte, erhält dieses Buch nur eine durchschnittliche Berwertung von mir. Es ist schön kurz, also ein Buch für zwischendurch mit einem wirklich interessanten Ende.

  • Wikipedia:
    Ort der Handlung ist die Umgebung von Schönschornstein, Siedlungsgebiet der Gerhart-Hauptmann-Stadt Erkner. Bahnwärter Thiel ist ein frommer und gewissenhafter Mann, der seit zehn Jahren zuverlässig seinen Dienst erfüllt. Ein Jahr nach dem Tod seiner geliebten Frau Minna heiratet er aus Vernunftgründen eine stämmige Magd namens Lene. Zusammen bekommen sie ein zweites Kind, dessentwegen Thiels erster Sohn Tobias von Lene vernachlässigt wird. Thiel, den eine tiefe Verehrung an seine verstorbene Frau Minna bindet, wird mehr und mehr von seiner zweiten Frau, die das neue Oberhaupt der Familie ist, abhängig. Ihre Misshandlungen an Tobias werden zwar von Thiel entdeckt, wegen seiner Abhängigkeit von Lene allerdings unternimmt er nichts, um seinen Sohn zu schützen. Dennoch: Der fürsorgliche Vater verbringt viel Zeit mit Tobias und kümmert sich liebevoll um ihn.
    Die Situation macht aus Thiel einen verstörten Mann, der



    Es ist ja gar kein Buch. Nur ein Heft und daher nicht mehr in schönen Ausgaben zu finden. Dabei verdiente diese Novelle einen schönen, edlen Rahmen. Warum? Weil es ganz große Literatur ist. Sprachlich brillant mit Bildern, die sich einprägen, die einen Zauber entwickeln. Das ganze ist ganz unaufgeregt spannend - wo findet man das heute nocht (gut bei Cox, aber das gehört hier nicht hin). Ich will es pathetisch ausdrücken: Hauptmann ist ein großer Erzähler! Und das meine ich in ganz großem Sinne. Jemand, der eine Geschichte darbringen kann, dass man sie kennen will. Man fühlt wirklich mit den handelnden Personen, die Bühne ist das wahre Leben . Ein zeitloses Lesevergnügen, abseits jeder eskapistischen aufmerksamkeitsheischenden Mode. Ein Buch für regnerische Tage.

  • Den Großteil der Inhaltsangabe in Spoiler gesetzt, damit für Interessierte noch etwas Handlung übrigbleibt, die sie selbst entdecken können. :|

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Danke, ich hab die Beiträge an den bestehenden Thread angehängt :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Dabei verdiente diese Novelle einen schönen, edlen Rahmen.

    Den hat sie im Anaconda-Verlag am 31.1.2017 bekommen. :) "Der Apostel" und "Fasching" gibts gratis dazu.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Squirrel :

    Könntest Du in der Original - Rezi folgenden Absatz spoilern: Danke:)!

  • Squirrel : Und in der von Teufelsweib vielleicht diesen Teil: