Raymond Radiguet - Den Teufel im Leib

  • „Ich küßte Marthe auf die Schulter. Sie erwachte nicht. Ein zweiter, minder keuscher Kuß wirkte mit der Heftigkeit eines Weckers. Sie fuhr auf, rieb sich die Augen und bedeckte mich mit Küssen, wie jemanden, den man liebt und in seinem Bett wiederfindet, nachdem man soeben geträumt hat, er sei gestorben. Sie aber hatte zu träumen geglaubt, was die Wahrheit war, und fand mich beim Erwachen wieder."


    Dieser gefühlvolle Auszug des Romans „Teufel im Leib" befindet sich auf dem Bucheinband, so plaziert, daß man gar nicht darum herum kommt ihn NICHT zu lesen. Er macht Lust auf mehr und man erhält auch das was er verspricht - schmale 121 Seiten - puren Genuß aus der Sicht eines Fünfzehnjährigen, der vor dem Hintergrund des 1. Weltkrieges in eine Liebesgeschichte gedrückt wird, derer er trunken vor Begierde ist.


    Raymond Radiguet, geboren 1903 in Paris, schrieb dieses Bändchen als er 15 Jahre alt war und schwänzte die Schule um sich der Dichterkunst hinzugegeben. Er selbst sollte nicht älter als 20 Jahre werden. 1923 starb er in Paris.


    Zu Beginn der Erzählung laßt Radiguet seinen Protagonisten sagen: „Was kann ich dafür? Ist es meine Schuld, daß ich mich in leidenschaftliche Verwirrungen stürze?" - Verwirrungen, die man eigentlich mit 15 noch nicht kennt, aber er jedoch gekannt hat, denn es scheint keine Macht zu geben, die imstande wäre vor der Zeit die nötige Reife zu bekommen, bevor man eigentlich so weit ist, es ist ein Sprung ins kalte Wasser, in welchem man dann schwimmen muß um zu überleben.


    Laßt euch von seiner Erzählung fesseln und genießt einfach nur!


    Lilli

  • Also was dieses Buch mit Erotik zu tun haben soll, ist mir ein Rätsel. Keine Frage, ich finde dieses Werk hervorragend (siehe auch meine nachfolgende Rezension), aber für mich gehört es eindeutig in die Kategorie 'Klassiker'. Falls sich also jemand erbarmen und es richtigstellen könnte... Denn wer sich dieses kleine Büchlein zulegt in der Hoffnung auf wasweissich :lol: wird garantiert enttäuscht werden. Und das hätte diese Geschichte wirklich nicht verdient.


    Das Erscheinen des Buches 1923 war ein Skandalon: Ein 15jähriger und eine verheiratete 18jährige beginnen ein amouröses Verhältnis, während der betrogene Gatte als Soldat im 1. Weltkrieg kämpft. Was heute vermutlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken würde, sorgte damals für weitreichendes Entsetzen in Frankreich. Nicht genug der moralischen Verwerflichkeit, nein, auch dass einer der in Frankreich hoch verehrten Kämpfer von 1914/18 schamlos hintergangen wurde, man ihm den Tod wünschte und zuguterletzt ein Kuckuckskind unterschob - das war mehr als ausreichend für einen Aufschrei in der Gesellschaft dieser Nachkriegszeit.
    Doch ist das Grund genug dieses Buch auch heute noch zu lesen? Wohl kaum, wenn es nicht bemerkenswerte Einblicke in eine Liebesbeziehung gewähren würde, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Radiguet beschreibt in einem klaren, nüchternen fast schon kalt zu nennenden Ton aus der Sicht des heranwachsenden Liebhabers die Entwicklung dieses jugendlichen Verhältnisses. Schnell wird klar, dass diese Liebe geprägt ist durch seinen Egoismus, wie wohl in diesem Alter nicht unüblich. Doch auch wenn dem jungen Mann dies stets auf's Neue bewusst wird und er reumütig versucht sein Verhalten zu ändern, tritt seine Ichbezogenheit alsbald wieder zu Tage.
    Radiguet vermittelt Einsichten und Erkenntnisse (nicht nur) über die Liebe, deren Bedeutung ebenso damals wie heute Gültigkeit haben und wohl auch alle Zeit überdauern werden.
    Ich habe sowohl das Buch wie das Hörspiel 'konsumiert' und empfehle trotz eines hervorragenden Vorlesers (ideal besetzt: die etwas blasiert klingende Stimme von Christian Erdmann) die Papierversion: Dem leicht altertümlichen Stil (der sich jedoch flüssig lesen lässt) ist in der Audioversion nur konzentriert zu folgen, zu leicht verliert man den Faden. Auch liest man manche Passagen gerne ein zweites Mal was beim Hörbuch nur etwas umständlich möglich ist.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Ein Fünfzehnjähriger hat eine Affäre mit der 19-jährigen Ehefrau eines Soldaten, der gerade im Ersten Weltkrieg kämpft. Das ist so leidenschaftlich, wie aussichtslos. Radiguet starb kurze Zeit darauf an Tuberkulose. Mit nur 20 Jahren. Was da wohl noch gekommen wäre! Äußerst frischer Tonfall, fast keine Manierismen. Stellenweise erstaunlich kluge Einsichten und Gedanken. Eine Liebes- und Jugendgeschichte voller interessanter Wendungen. Der Erzähler ist nichts weniger als toll! Präzise, nüchtern und auch ehrlich gegenüber sich selbst! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (41/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)