Evelyn Waugh - Wiedersehen mit Brideshead / Brideshead revisited

  • Untertitel: The Sacred and Profane Memories of Captain Charles Ryder (überarbeitete Fassung von 1959)
    Deutscher Titel: Wiedersehen mit Brideshead
    --> Auch wenn es eine Neuauflage in Deutsch gibt, stelle ich das Buch in diesem Forum vor, da ich aus der englischen Ausgabe zitiere.


    Charles Ryder zieht die Bilanz seines Lebens und seiner Verbindung zu der adligen katholischen Familie Marchmain in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg.


    Der Roman beginnt mit einem Prolog im Jahr 1943 oder 1944 als Charles erkennt, dass seine letzte Liebe gestorben ist:


    Zitat von "S. 3"

    Here my last love died [...] as I lay in that dark hour, I was aghast to realize that something within me, long sickening, had quietly died and felt as a husband might feel, who in the fourth year if his marriage, suddenly knew that he had no longer any desire, or tenderness, or esteem, for a once-beloved wife; no pleasure in her company, no wish to please, no curiosity about anything she might ever do or say or think; no hope of setting things right, no self-reproach for the disaster...


    Er realisiert, dass er gegenüber seiner Kompanie seine Pflicht erledigen wird, aber ohne die Überzeugung und Begeisterung, die ihn zuvor angetrieben hat. Es ist Zeit für eine Umquartierung und zu seiner Überraschung stellt er fest, dass das neue "Heim" Brideshead ist - einst Mittelpunkt seines Lebens. Charles beginnt sich zu erinnern.


    Aus den 40ern springen seine Erinnerungen in die goldenen 20er - in die Zeit seines Studiums am Hertford College, Oxford. Hier lernt er Lord Sebastian Flyte kennen - Spross der landadligen Familie Marchmain. Sebastian ist ein exzentrischer, charmanter, liebenswerter und weicher Charakter, der an seiner Herkunft verzweifelt und letztendlich von ihr zerstört wird.
    Sebastian macht Charles mit einer lebensfrohen, schwärmerischen Gruppe an jungen Adligen und Abenteurern bekannt, die ihm ein neues Leben versprechen. Er lässt sich blenden und rutscht in ihr Leben aus Poesie, Alkohol, Nachtklubs und Zigarren. Er, alleiniger Sohn eines exzentrischen Bürgers genießt die Kameradie und das Vertrauensverhältnis dieser jungen strahlenden Gesellschaft:


    Zitat von "S. 39"

    I was given a brief spell of what I had never known, a happy childhood, and though its toys were silk shirts and liqueuers and cigars and its naughtiness, there was something of nursery freshness about us that fell little short of the joy of innocence.


    Dieser Teil des Romans ist überschrieben mit "Et in Arcadia ego" (frei übersetzt: "Ich bin in Arkadien") und Waugh entwirft ein idyllisches Panorama einer sorgenfreien Zeit. Doch jedes Paradies ist vergänglich und bald machen sich die ersten Risse bemerkbar: sei es, dass Charles realisiert, dass er über seine (durchaus großzügigen) Verhältnisse lebt und einen überaus unangenehmen Besuch bei seinem Vater überstehen muss oder feststellt, dass er Sebastian nicht so viel bedeutet wie dieser ihm... Aber das Schicksal meint es gnädig mit ihm und so kann er sich noch einige Zeit länger im Paradies aufhalten und kommt dessen Zentrum näher. Sebastian lädt ihn nach Brideshead ein, wo er auch den Rest der Familie kennenlernt:
    Lady Marchmain, die von ihrem Mann Lord Marchmain verlassen wurde, als er wegen des 1. Weltkriegs gen Europa aufbrach und nie wiederkam. Aufgrund ihrer Religion stimmt sie keiner Scheidung zu, obwohl sie weiß, die gemeinsame Zukunft ist beendet. Lord Brideshead (ältester Sohn der Familie und das schlichteste Mitglied der Familie). Sebastians Schwester Julia - stark, unabhängig, bewundernswert und verführerisch. Außerdem Cordelia, die jüngste, unkomplizierteste Figur des Romans.


    Nach diesem Urlaub entwickeln sich Charles' und Sebastians Wege schleichend aber unausweichlich auseinander. Der Fokus des Romans verschiebt sich dadurch ebenfalls bis Charles Beziehung zu Julia im Mittelpunkt steht - um am Ende zu Charles Gegenwart in der englischen Armee zurückzukehren. Zwischen diesen beiden Lichtpunkten seiner Existenz (Sebastian und Julia) findet er über Umwegen zu sich selbst. Unerbittlich und beständig verliert der Roman die Leichtigkeit der Jugendjahre bis er die Melancholie des Prologs wieder einfängt.



    Für mich war "Brideshead Revisited" das Highlight des Monats. Es ist brilliant konstruiert und die Sprache, auf die ich sonst nicht so achte, hat mich total gefesselt. Die Grammatik und Vokabelwahl des Originals ist anspruchsvoll, aber dem Inhalt entsprechend. Manchmal scheint es, als wenn Waugh mit seinen Lesern plaudert und man fragt sich, ist dies notwendig. Aber gerade in diesen Stellen verbirgt sich ein stiller Humor und eine feine Ironie, die mich sehr ansprach (unvergesslich für mich der Teddybär Aloysius, den der erwachsene Sebastian mit sich herumträgt oder die Kämpfe zwischen Vater und Sohn Ryder, die nie als solche bezeichnet werden und so subtil ausgeführt werden, dass man sich fragt: was passiert hier eigentlich genau?!).
    Die Beschreibung der Studienjahre in Oxford haben in Atmosphäre und Stil eine große Ähnlichkeit zu "Die geheime Geschichte" von Donna Tartt. Doch dieser Eindruck beschränkt sich tatsächlich auf diesen Teil.


    Waugh spricht eine Unzahl an Themen an:
    Alkoholismus, der Untergang des Adels und Aufstieg des Kommerzes, Verhältnisse zwischen Bürgertum und Adel, Männerfreundschaften, Unschuld, Liebe, Schuldgefühl und Moral. Eine weitere Ebene, die er einfügt, ist die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus der Marchmains und Ryders Agnostizismus.


    Mir gefiel vor allem ein kleiner Halbsatz, der eigentlich alles sagt und doch nichts verrät:


    Zitat von "S. 39"

    [...] to know and love another human being is the root of all wisdom.


    Wenn man sich die Lebensgeschichte von Evelyn Waugh ansieht, stellt man fest, dass er vieles, das ihn beschäftigt hat, in "Brideshead revisited" untergebracht hat (z. B. seine eigenen Kriegserlebnisse, sein Übertritt zum Katholizismus, der von vielen kritisiert wurde, die Studienzeit in Oxford, Eheprobleme... ). Beim Lesen drängt sich einem der Eindruck auf, als wolle Waugh gerade im ersten Teil seine eigene Jugend erneut heraufbeschwören und sie noch einmal genießen. An einer Stelle "besingt" er quasi die "Schwäche der Jugend". :wink:


    Zitat von "S. 71"

    The languor of Youth - how unique and quintessential it is! How quickly, how irrevocably, lost! The zest, the generous affections, the illusions, the despair, all the traditional attributes if Youth - all save this - come and go with us through life. These things are part of life itself; but languor - the relaxation of yet unwearied sinews, the mind sequestered and self-regarding - that belongs to Youth alone and dies with it.


    Seine Jugend war wahrscheinlich auch seine "große Zeit" und der Rest seines Lebens ein immerwährendes Streben nach dem Glücksgefühl, das er damals erlebte. Der "alte Waugh" muss recht kompliziert und exzentrisch gewesen sein - umso beeindruckender, dass er sich selbst überwinden und mit Charles Ryder einen Charakter schaffen konnte, der reift und offen für neues bleibt.
    Eindeutig mein :thumleft: MONATSLESEHIGHLIGHT :thumleft:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +


  • Ich hoffe, es ist ok, wenn ich hier ein Bild der Serie von 1981 mit Anthony Andrews als Sebastian und Jeremy Irons als Charles reinstelle. Ich habe die Serie nämlich geliebt und bin ganz fasziniert von deiner ausführlichen Rezi und der Paralelle zur "Geheimen Geschichte" von Donna Tartt, Fezzig! :thumleft:
    Meine Freundin, mit der ich die Serie angeschaut habe (auch auf Englisch, mit deutscher Tonspur gab es sie damals noch nicht auf DVD), ist ein großer Fan von beidem, vielleicht waren wir darum so begeistert (was ehrlicherweise aber auch an Jeremy Irons lag ... :drunken: ). Männerfreundschaften sind für mich ein spannendes Thema, besonders im Zeitrahmen des frühen 20. Jahrhunderts. Es gibt viele kauzige Typen, allen voran der verwöhnte Sebastian Flyte, der mit seiner Religion hadert und nach deren Konstante sich Charles, der Skeptiker, im Geheimen sehnt. Sehr gelungen waren auch die Charaktere in Oxford, wobei mir besonders der homosexuelle Anthony im Gedächtnis haften geblieben ist ... wie gesagt, ich kann nur von der alten Serie sprechen - es gab letztes Jahr eine Neuverfilmung - aber die war sehr gut, mit Laurence Olivier als Lord Marchmain und Claire Bloom als Lady Marchmain. Gut gefallen hat mir auch der Umgang zwischen den beiden Oxford-Studenten.


    EDIT: Hatte ein bisschen Probleme mit dem Foto ... :-,


  • [...]Ich habe die Serie nämlich geliebt [...]


    Danke für das Bild - da ist ja auch der Aloysius! Ich habe schon ein wenig bei YouTube und ITV gesucht und einige Szenen der Serie gesehen. Ich muss sie unbedingt bald sehen! Ehrlich gesagt habe ich mir den Roman gekauft, weil ich die Neuverfilmung sowohl im deutschen als auch im englischen Kino verpasst habe. Aber wenn ich das nächste Mal an einer DVD- Abteilung vorbeikomme, landet sie in meinem Einkaufskorb (also erst die Serie aus den 80ern und später sicher auch noch die Neuverfilmung).


    Es gibt viele kauzige Typen, allen voran der verwöhnte Sebastian Flyte, der mit seiner Religion hadert und nach deren Konstante sich Charles, der Skeptiker, im Geheimen sehnt. Sehr gelungen waren auch die Charaktere in Oxford, wobei mir besonders der homosexuelle Anthony im Gedächtnis haften geblieben ist ... wie gesagt, ich kann nur von der alten Serie sprechen - es gab letztes Jahr eine Neuverfilmung - aber die war sehr gut, mit Laurence Olivier als Lord Marchmain und Claire Bloom als Lady Marchmain. Gut gefallen hat mir auch der Umgang zwischen den beiden Oxford-Studenten.


    Ja, der Anthony - what a hoot! Bei mir im Kopf vermischten sich Bilder von Bunny (Geheime Geschichte) und Freddie Miles (Der talentierte Mr. Ripley). Es gibt im Roman eine Szene, wo er ein Tennyson-Gedicht rezitiert und über den "Isis" (die Themse) schreit, die anscheinend in Waughs Freundeskreis tatsächlich stattgefunden hat. Und sein liebenswertes Gestotter. Er wirkt oft extrem oberflächlich, aber charismatisch ist er doch! Insgesamt gibt es eine Menge Charaktere, auf die ich noch näher hätte eingehen können, aber ich fand die Rezi eh schon so lang, dass ich darauf verzichtet habe. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass ich zu Beginn nie gedacht hätte, wie viele Orte ich mit den Figuren besuchen werde: London, Oxford, Venedig, Marokko, Algier, Südamerika, New York... und nicht zu vergessen, eine stürmische Kreuzfahrt über den Atlantik, die das Leben von Charles völlig verändert. Gerade der zweite Teil über den ich wenig geschrieben habe, hielt viele Überraschungen parat. Manchmal hätte ich mir gewünscht, mit jemandem gemeinsam zu lesen, um nachzufragen: "Hättest du dies jetzt gedacht!?!"





    Ich werde mich nochmal melden, wenn ich mind. eine Verfilmung kenne.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
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  • Fezzig ~ vielleicht habe ich die Serie ein wenig anders interpretiert als du das Buch.


    Aber es ist auch schon eine Weile her, dass ich die Serie gesehen habe. Muss es mal wieder machen, denn auch die Ausstattung ist wundervoll.

  • Fezzig ~ vielleicht habe ich die Serie ein wenig anders interpretiert als du das Buch.


    Aber es ist auch schon eine Weile her, dass ich die Serie gesehen habe. Muss es mal wieder machen, denn auch die Ausstattung ist wundervoll.


    Vielleicht können wir beide diesen Thread nochmal aufgreifen, nachdem wir die Serie (erneut) gesehen haben?



    Irgendwann möchte ich auch die Urfassung lesen, um zu schauen, wo Waugh in der von mir gelesenen Ausgabe Veränderungen vorgenommen hat. Aber wer weiß, wann dafür Zeit und Gelegenheit ist...

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