Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb / The Remains of the Day

  • Für mich ein fantastisches Buch mit irgendwie LEBENDEN Charakteren,aber unglaublich deprimierend ...
    Ich lese natülich nicht nur Bücher mit " happy end" ,oft sind diese sehr banal...aber dieses Buch hat mich damals für Tage/Wochen deprimiert- deshalb ist es ja auch so gut,aber angenehm war es nicht ...



    LG
    Simonja

  • Ich hab das Buch nun ausgelesen und muß meine erste Meinung revidieren! Nachdem ich mich eingelesen hatte und mir die Beiträge hier och einmal habe durch den Kopf gehenlassen, da habe ich dann doch plötzlich och den Zugang zu dem Buch gefunden und finde es sehr gut.
    Vielleicht ist der Anfang nicht so ganz mein Geschmack - aber es steigert sich und das Ende fand ich dann auch sehr bewegend.
    Ich bin froh, dasd ich das Buch nicht weggelegt hatte nach dem ersten Unmut, sondern weitegelsen habe - sonst wäre mir wirklich was entgangen. Jetzt kann ich Eure Begeisterung nachvollziehen und teile sie. :)

  • Obwohl das Buch so gute Kritiken hat, verspürte ich eigentlich nie Lust es zu lesen, weil ich dachte das Thema sei mir zu langweilig. Inzwischen habe ich mit einem anderen Buch des Autors (Alles was wir ...) eine positive Erfahrung gemacht und mich nun endlich an sein berühmtestes Werk gewagt.
    Anfangs, als Stevens ausführlich über seine Personalplanungen zu berichten beginnt, fühlte ich mich noch in meinen Vorbehalten bestätigt, aber so nach und nach hat das Buch auch mich in seinen Bann gezogen. Kazuo ist ein Meister des Subtilen, er versteht es, den Leser mit einem auf den ersten Blick, trockenen, langweiligen Plot total zu berühren, und das ganz ohne dramatische Effekte u. Gefühlsausbrüche, zwischen den Zeilen sozusagen. =D>
    Selbstherrlich oder unsympathisch ist mir Stevens eigentlich nie erschienen, sondern eben als bedauernswerte, unsichere Figur, jemand der seine Unfähigkeit im menschlichen Umgang und seine Angst vor Gefühlen, aber auch vor Eigenverantwortung, perfekt hinter der Fassade des pflichtbewußten, selbstlosen Butlers verstecken kann, sogar vor sich selbst. Witzig zu lesen, aber gleichzeitig auch voller Tragik, fand ich seine Überlegungen zum „Problem des Scherzens“ .
    Ein Roman, der haften bleibt und einem noch längere Zeit beschäftigt.
    Den Film werde ich mir bei nächster Gelegenheit anschauen, ich hatte beim Lesen natürlich immer Anthony Hopkins vor Augen, ich glaube er passt gut in die Rolle.

    Gruß Bibliomana :cat:
    "Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur!"

  • Hallo Zusammen,


    ich habe das Buch schon öfter in der Hand gehabt, auch immer wieder den Rückentext gelesen und es doch nie mitgenommen....eben aus Angst, es könnte mich zu Tode langweilen. Einerseits hat mich was angezogen, andererseits hat mich was abgestoßen. Aber die Tatsache, dass ich es in verschiedenen Buchläden immer wieder zur Hand nahm, bzw. es mir immer wieder begegnete, wundert mich schon.


    Dann kam der Thread heute hoch und ich begann zu lesen...


    ...kompliment erstmal an Euch. Ein sehr schöner Eindruck von Euch Allen mit den unterschiedlichsten Meinungen. Ich hätte Euren Austausch noch seitenweise verfolgen können und war enttäuscht, dass er schon auf Seite 2 zu Ende war.


    Was ich damit sagen will, sind zwei Dinge.


    1. Da ist was, was mich interessiert und Eure Beiträge haben die Entscheidung verselbständigt. Ich komme gar nicht umhin es zu lesen. Ob ich nun schlussendlich begeistert oder enttäuscht sein werde spielt gar keine Rolle. Es geht mir einfach darum zu wissen, wie ICH es finde und meine Meinung direkt mit Euren zu vergleichen. Das schon allein finde ich für mich hochinteressant. Um so schöner und besser, wenn ich begeistert bin, aber den Kauf werde ich trotzdem nicht bereuen aus den gerade angesprochenen Gründen.


    2. Das sind die Meinungsäusserungen, bzw. Diskussionen die ich hier liebe und die recht selten sind, ausser vielleicht in den Leserunden. Um so mehr habe ich mich gefreut, es zu lesen. Ich kann nur hoffen, dass viele diesen Thread lesen...


    :thumright:

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Zitat

    Ein sehr schöner Eindruck von Euch Allen mit den unterschiedlichsten Meinungen. Ich hätte Euren Austausch noch seitenweise verfolgen können und war enttäuscht, dass er schon auf Seite 2 zu Ende war.


    Schade, dass es nur bei so wenigen Büchern zu solchen Diskussionen kommt. Meist wird eine Rezension geschrieben, dann noch ein, zwei Kommentare dazu und Schluss. (Dass man natürlich nicht jedes Buch so eingehend und so intensiv besprechen kann wie dieses, ist mir klar.)


    Zitat

    Ich kann nur hoffen, dass viele diesen Thread lesen...


    ... und das Buch.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Vor einigen Jahren hatte ich den Film gesehen, dann das Buch gelesen, und jetzt, wo ich den Film zum zweiten Mal gesehen habe, bin ich noch begeisterter als nach dem ersten Mal. Er konnte die Atmosphäre und Stimmung des Buches hundertprozentig wiedergeben (was bei einer Verfilmung für mich wichtiger ist als wenn jeder kleine Handlungsablauf nachgestellt wird).


    Natürlich lebt der Film auch durch die erstklassigen Schauspieler. Was allein schon Hopkins Gesicht in der Szene ausdrückt, in der Miss Kenton Stevens das Buch entreißt ... zum Gänsehautkriegen!


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie es ist schrecklich ich darf nicht mehr Rezensionen stöbern, meine Wunschliste wächst ins unermessliche. Ich habe auch nur den Film gekannt und nicht gewusst, dass es ein Buch als Vorlage gibt, noch dazu von einem Japaner geschrieben, etwas britischeres als diesen Film hab ich noch nie gesehen und bin neugiereig auf das Buch, hoffe ich finde es auf meinem kleinen Flohmarkt.


    Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Großbritannien. Nachkriegszeit. Der alte englische Butler Stevens fährt mit dem eleganten Ford seines neuen amerikanischen Dienstherrn zu einer früheren Arbeitskollegin. Die Reise dauert mehrere Tage und Stevens hat Zeit und Muße über seine Vergangenheit und sein Leben als Butler bei seinem früheren Gebieter, Lord Darlington, der sich vor Beginn des zweiten Weltkrieges, in faschistische Machenschaften einließ, nachzudenken…



    Ein Roman, von vielen begeistert gelesen, mir mehrmals empfohlen, lässt mich etwas verwirrt zurück.


    Eine schöne Geschichte? Zweifellos. Doch glaube ich nicht, dass es Ishiguros Absicht war, eine schöne Geschichte zu schreiben. Stevens, der entsprechend einem vollkommenen Klischee eines Butlers dargestellt wird, könnte auf Satire schließen lassen. Doch dazu fehlt dem Roman Biss, Humor und Malignität. Seiten und Seiten werden verschwendet um die Pedanterie, Blindheit und Naivität des Butlers zu beschreiben, zu belegen und zu bestätigen.


    Ein Gesellschaftsroman? Wie viele Lords und Butler gab es im Großbritannien Anfang und Mitte des vorigen Jahrhunderts? Nicht allzu viele, nehme ich an, und solche, die ihren Herren so sklavisch untergeben waren wie Stevens, wahrscheinlich noch viel weniger. Die Haut ist näher als das Hemd und der Mensch lässt sich nur unter Zwang, Drohung und Gewalt zum Untertanen verdammen, eher selten ein Leben lang aus purer Blindheit und Naivität.


    Viele gute Ansätze beinhaltet der Roman: Stevens äußert sich in verschiedensten Definitionen zum Thema Würde und doch ist sein Begriff von Würde genau der Gegenteil von der wahren Bedeutung des Wortes.
    Mit seinen Unschuldsbeteuerungen, er würde nie an Türen lauschen, wäre an keinen Gesprächen interessiert und würde aus Loyalität nichts verraten, entlarvt er eigentlich seine Scheinheiligkeit, denn er hört und sieht doch alles und nicht nur durch Zufall. Er erlebt die menschenverachtenden Folgen des nationalsozialistischen Gedankenguts seines Arbeitgebers und schweigt. Nicht aus Überzeugung, nicht aus Angst, einfach aus Ergebenheit und Treue???
    Und hier wird die Geschichte unstimmig. Wird Stevens‘ Unterwürfigkeit als Entschuldigung für sein Mitlaufen benutzt? Repräsentativ für alle Mitläufer des Faschismus? Soviel Trivialität darf nicht sein…


    Und die Erkenntnis am Ende? Das einzige Augenzwinkern im ganzen Roman: Ohne Humor ist das Leben sinnlos, doch nicht um sich das Leben einfacher und angenehmer zu machen, sondern das Leben der Dienstherren. Von einem Entwicklungsroman, kann also auch keine Rede sein…

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Und hier wird die Geschichte unstimmig. Wird Stevens‘ Unterwürfigkeit als Entschuldigung für sein Mitlaufen benutzt? Repräsentativ für alle Mitläufer des Faschismus?


    Meiner Meinung nach verwendet Ishiguru hier Lord Darlington als einen der Vertreter der englischen Adelsschicht, die mit dem deutschen Faschismus liebäugelten, und stellt dar, dass es für das Gedankengut des Faschismus auch in England offene Ohren gab. Natürlich kann aus jedem Text, der den Nationalsozialismus berührt, die Frage nach dem Widerstand entwickelt werden. Es fragt sich allerdings hier, ob Stevens der Adressat für eine solche Frage sein kann. Als repräsentative Figur eignet sich Stevens für niemanden, nicht einmal für die Butlerinnung. :wink:


    Von einem Entwicklungsroman, kann also auch keine Rede sein


    Als Entwicklungsroman würde ich das Buch nicht bezeichnen. Es stellt eher dar, was passiert, wenn ein Mensch sich NICHT entwickelt. Wenn er bis an sein Ende seinen anerzogenen Werten treu bleibt und ohne zu hinterfragen das tut, was er immer schon getan hat, und das, was ihm aufgetragen wurde.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Wird Stevens‘ Unterwürfigkeit als Entschuldigung für sein Mitlaufen benutzt? Repräsentativ für alle Mitläufer des Faschismus?


    Ishiguro führt Stevens Unterwürfigkeit nicht als Entschuldigung, sondern als Grund für sein Mitläufertum an. Aber ich bin wie Marie der Meinung, dass der Butler gar nicht als Repräsentant des typischen Mitläufers dargestellt werden soll. Sein Verhalten wird nicht von Opportunismus oder Bequemlichkeit, sondern von blindem Gehorsam und bedingungsloser Loyalität bestimmt, die es ihm nicht erlauben, das Tun und Lassen seines Arbeitgebers in Zweifel zu ziehen, egal, worum es sich handelt.

    Stevens, der entsprechend einem vollkommenen Klischee eines Butlers dargestellt wird, könnte auf Satire schließen lassen. Doch dazu fehlt dem Roman Biss, Humor und Malignität. Seiten und Seiten werden verschwendet um die Pedanterie, Blindheit und Naivität des Butlers zu beschreiben, zu belegen und zu bestätigen.


    Das traurige Thema dieses Romans ist in erster Linie das eines ungelebten Lebens. Diese Traurigkeit bestimmt die ganze Handlung bis zum tragisch-komischen Schluss. Man erlebt mit, wie ein Mensch sein Leben vollkommen in den Dienst eines Anderen stellt und es dadurch versäumt. Stevens ist zum Dienen erzogen worden, darin sieht er den Sinn seines Lebens und unterdrückt eisern alle Wünsche, Bedürfnisse und Begierden, die ein Menschenleben erst ausmachen. Auch wenn man zunächst über die "Pedanterie, Blindheit und Naivität des Butlers" nur den Kopf schütteln kann, bekommt man im Laufe des Romans immer mehr Mitleid mit diesem Mann, der sich von seiner völlige Selbstverleugnung verlangenden Berufsauffassung nicht befreien kann und dem am Schluss nicht mehr viel vom Tage übrig bleibt.


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer

















  • Meiner Meinung nach verwendet Ishiguru hier Lord Darlington als einen der Vertreter der englischen Adelsschicht, die mit dem deutschen Faschismus liebäugelten, und stellt dar, dass es für das Gedankengut des Faschismus auch in England offene Ohren gab. Natürlich kann aus jedem Text, der den Nationalsozialismus berührt, die Frage nach dem Widerstand entwickelt werden. Es fragt sich allerdings hier, ob Stevens der Adressat für eine solche Frage sein kann. Als repräsentative Figur eignet sich Stevens für niemanden, nicht einmal für die Butlerinnung. :wink:


    Mit dieser Sicht kann ich auch einverstanden sein.


    Als Entwicklungsroman würde ich das Buch nicht bezeichnen. Es stellt eher dar, was passiert, wenn ein Mensch sich NICHT entwickelt. Wenn er bis an sein Ende seinen anerzogenen Werten treu bleibt und ohne zu hinterfragen das tut, was er immer schon getan hat, und das, was ihm aufgetragen wurde.



    Sein Verhalten wird nicht von Opportunismus oder Bequemlichkeit, sondern von blindem Gehorsam und bedingungsloser Loyalität bestimmt, die es ihm nicht erlauben, das Tun und Lassen seines Arbeitgebers in Zweifel zu ziehen, egal, worum es sich handelt.


    Ist es möglich, dass sich ein Mensch überhaupt nicht entwickelt? Genau das ist es, was mir die Person Stevens unglaubhaft macht. Bei jedem Menschen gibt es Situationen, wo sich Gedanken und Handeln im Widerspruch befinden, sei es aus Angst, Zwang, Feigheit oder Bequemlichkeit. Stevens Untertan-Gebaren ist wohl bewusst überspitzt dargestellt und trotzdem finde ich es auch in dieser Überspitzung absurd.


    Stevens ist zum Dienen erzogen worden, darin sieht er den Sinn seines Lebens und unterdrückt eisern alle Wünsche, Bedürfnisse und Begierden, die ein Menschenleben erst ausmachen. Auch wenn man zunächst über die "Pedanterie, Blindheit und Naivität des Butlers" nur den Kopf schütteln kann, bekommt man im Laufe des Romans immer mehr Mitleid mit diesem Mann, der sich von seiner völlige Selbstverleugnung verlangenden Berufsauffassung nicht befreien kann und dem am Schluss nicht mehr viel vom Tage übrig bleibt.


    Ja, hier liegt der Knackpunkt all meiner bisherigen Diskussionen. Ich kann einfach nicht glauben, dass eine solche Naivität und Blindheit möglich ist. (Aber das ist wohl mein Problem. :wink: )


    herzlichst: alixe

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Ist es möglich, dass sich ein Mensch überhaupt nicht entwickelt?


    Ich glaube, das gibt es gar nicht selten. Einseitig ausgerichtete Erziehung, verabsolutiertes Berufsideal, Untertanenmentalität und immer gleich bleibende Lebensumstände können die für eine Entwicklung notwendigen Erfahrungen verhindern. Bezeichnenderweise kommen Stevens erst Zweifel an seinem bisherigen Leben (Entwicklung würde ich das noch nicht nennen), als mit dem Bedeutungsverlust der alteingesessenen englischen Aristokratie auch sein Berufsstand eine Veränderung erfährt. Sein neuer Dienstherr ist jetzt ein reicher, nicht adliger Amerikaner, der ihn irritierenderweise als Mensch behandelt, u.a. indem er von ihm Stellungnahmen verlangt.

    Ich kann einfach nicht glauben, dass eine solche Naivität und Blindheit möglich ist. (Aber das ist wohl mein Problem. :wink: )


    Stevens ist ein exemplarischer Charakter und daher sicher auch etwas überspitzt dargestellt. Die Verfilmung macht es einem durch Mimik und Gestik der Schauspieler da leichter. Im Spiel von Anthony Hopkins wird der Mensch Stevens hinter der Maske des unnahbaren Butlers stärker spürbar, seine Unsicherheit, seine Verkrampftheit, seine Angst. Ich finde es in dem Roman aber gut gemacht, dass man als Leser den Butler zunächst für einen in sich gefestigten, souveränen Mann hält und erst allmählich dahinterkommt, dass sein eisernes Bemühen um unbedingte Würde und Haltung ihn immer mehr seelisch verkrüppeln und letztlich sein Leben verpfuschen lässt.


    mofre

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  • Bei jedem Menschen gibt es Situationen, wo sich Gedanken und Handeln im Widerspruch befinden, sei es aus Angst, Zwang, Feigheit oder Bequemlichkeit.


    "Normalerweise" würde ich das auch bejahen, doch ich glaube, um sich mit diesem inneren Widerspruch auseinanderzusetzen, muss man ihn erst einmal bei sich fühlen, d.h. generell bereit sein, sich selbst als zerrissenes Wesen zu akzeptieren. Für Stevens unmöglich, er ist ja nicht einmal bereit, sich selbst oder Miss Kenton, als liebende Menschen anzunehmen.
    In den meisten Romanen entsprechen äußere und innere Entwicklungen einander. Hier nicht. Die Zeit macht Entwicklungen, politische, gesellschaftliche und soziale, doch Stevens ist der Fels, an dem sich sämtliche Entwicklungen brechen und rechts und links vorbeirennen, während er sich keinen Millimeter bewegt. Dadurch wird der Begriff "Würde", der für Stevens so wichtig ist, eigentlich ad absurdum geführt, denn Würde hat immer etwas mit der Autonomie des Menschen zu tun (z.B. bei Kant).


    Ob die Figur realistisch ist? Mir hat sich die Frage bis Du, @ Alixe, sie aufgeworfen hast, nicht gestellt. Stevens ist eine Kunstfigur, und als solche finde ich sie hochinteressant - was sich in den letzten Tagen wieder bestätigt hat, sonst könnten wir hier nicht so lebhaft darüber diskutieren.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Stevens ist eine Kunstfigur


    Das ist wohl der Punkt, an dem sich die Geister scheiden, @ alixe. Nach Deinem Empfinden ist die Figur des Butlers zu gekünstelt, zu unwahrscheinlich. Ich kann Dich in gewisser Weise auch verstehen. Bevor ich das Buch gelesen habe, hatte ich den Film bereits zweimal gesehen. Dort wirkt Stevens durch Gesicht, Stimme und Auftreten des Darstellers viel individueller, während er im Roman tatsächlich manchmal gar zu hölzern erscheint.


    mofre

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    Einmal editiert, zuletzt von mofre ()

  • So, nun habe ich meine "Isiguro"-Entjungferung hinter mir. :loool:


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen, ein wundervoller, sehr ruhiger Roman. Ich finde, Stevens ist eine sehr tragische Figur. Er hat das Dienen so sehr verinnerlicht, das sein Leben einfach an ihm vorbeiläuft. Manchmal auch unfreiwillig komisch - wenn er beispielsweise übt, schlagfertig zu werden, um so seinem neuen Arbeitgeber zu gefallen.


    So, und nun muss ich mich vor dem Fernseher setzen. Jetzt läuft auf Tele5 gerade die Verfilmung an - und die habe ich auch noch nie gesehen. :bounce:

  • Ich habe den Thread jetzt ein bisschen quer gelesen und fand viele Kommentare sehr interessant, konnte auch viele meiner Gedanken wiederfinden.
    Der Film gehört schon lange zu meinen Lieblingsfilmen, aber erst jetzt habe ich zum Buch gegriffen. Und es war genau die Leseerfahrung die ich mir erhofft habe. Ich weiß das ist eine Radikalaussage, aber jemand der mit diesem Buch überhauptnichts anfangen kann, hat es vielleicht nicht ganz erfasst.
    Stevens ist für mich eine der tragischsten Figuren überhaupt, und ich war ständig hin und hergerissen zwischen meinen Gefühlen für ihn. Ärger, Mitleid, Bewunderung. Ein bisschen erinnert mich Stevens an Humbert Humbert, der den Leser (oder sich selbst) zu manipulieren versucht, um den wahren Tatsachen nicht ins Auge sehen zu müssen. Und wie traurig ist es, wenn dann hinter die Fassade blickt.
    Ich glaube es gibt mehr Menschen wie ihn, als man sich denken würde. Jeder Mensch braucht schließlich Anerkennung. Und niemand kann wirklich aus seiner Haut heraus. Wäre damit etwas geretten, wenn man sich selbst am Ende eines Lebens aller Illusionen beraubt? Wem würde es dienen, und wen würde es glücklich machen? Wenn nichts mehr zu ändern ist. Wozu sollte man dann morgens überhaupt aufstehen und weitermachen.
    Ich glaube, trotz allem hatte Stevens auch Stärke in sich. (Wenn man über Feigheit, Überheblichkeit und Identitätskrise hinwegsieht. :) Ich würde ihn zumindest nicht als schwach bezeichnen.


    Andererseits, wieviel besser ist es denn für Ms. Kenton verlaufen? Sie hat ihr Leben in die Hand genommen, ist abgesprungen solange sie noch Zeit dafür hatte. Viel hat es ihr nicht gebracht, nach all den Jahren fragt sie sich noch immer "was wäre wenn". Zuerst habe ich Stevens dafür verantwortlich gemacht, dass er sie durch seine hoffnungslose Art in dieses unglückliche Schicksal getrieben hat. Aber hätte nicht auch sie ihr Glück selber in die Hand nehmen müssen?


    Mir wird das Buch noch lange Zeit in Erinnerung bleiben. Ich war überrascht wie detailgetreu der Film gemacht wurde, im Nachhinein gefällt er mir jetzt noch besser. Im Film kommt Stevens allerdings auch ein bisschen besser weg.

    Ich kann allem widerstehen, nur der Versuchung nicht.
    Oscar Wilde


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