Michael Köhlmeier - Idylle mit ertrinkendem Hund

  • Eine sehr anrührende, autobiographische Erzählung.


    Köhlmeier empfängt seinen Lektor bei sich Zuhause. Sie haben sich erst kürzlich das Du angeboten, doch der Umgang damit fällt beiden Männern sehr schwer.
    Es ist Winter an der Schweizer-Grenze, und alles liegt in Schnee eingehüllt. Die Männer planen einen Spaziergang und entdecken dabei einen Hund auf dem Eis eines Sees. Dies ist eine gefährliche Situation, da Tauwetter eingesetzt hat und das Eis schon Risse aufweist. Sie beobachten den Hund, und die Eisfläche gibt auch schon nach. Der Hund rutscht mit den Hinterläufen ins Wasser, er kann sich nur noch mit seinem Oberkörper und den Vorderpfoten auf dem Eis halten.
    Dem Lektor ist das zu heikel, und so ruft er Köhlmeier nur noch kurz zu, dass er Hilfe herbei rufe, und ist auf und davon.
    Der Autor robbt auf dem Bauch zum Hund und versucht ihn zu retten …


    Zu Beginn ist diese Erzählung ziemlich flach. Großzügig wird die Begrüßung des Lektors beschrieben, und man hat das Gefühl, dass diese ganze Geschichte nur seicht dahin erzählt ist. Dann aber werden tiefere Gefühle eingewebt, und sukzessive erhält diese Erzählung an Gehalt.


    Wahre Freundschaft, auch die Bereitschaft zur Freundschaft, wird hinterfragt, und wie viel Feigheit eine solche Beziehung verkraftet.
    Ein wunderbar einfühlendes Buch, welches zum Nachsinnen, vielleicht gerade zur Weihnachtszeit, einlädt.

  • Ich habe das Büchlein gestern beendet.


    Es hat mir gut gefallen, war aber für meinen Geschmack etwas zu kurz und die Geschichte erschien mir nicht allzu erzählenswert. Ich hatte anfangs eher den Eindruck als wäre das ganze eine Fingerübung für Autoren. Um eine so "belanglose" Geschichte zu erzählen braucht de Autor einiges an Können. Und das hat Köhlmeier. Seine bildhafte Sprache habe ich wirklich sehr genossen.
    Gegen Ende ging mir dann aber auf, dass die ganze Geschichte mit dem fast ertrinkendem Hund eine metaphorische Geschichte ist.


    Im Buch wird auch von der Tochter Paula erzählt, die 21-jährig bei einer Bergwanderung tödlich verunglückt ist. Auf den letzten Seiten ist eine Literaturempfehlung von einer Paula Köhlmeier, von der gesagt wird, dass sie bei einer Wanderung verunglückt ist.
    Sicherlich verarbeitet der Autor den Tod seiner Tochter in diesem Buch, was den Roman für mich aufwertet.


    Fazit: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Köhlmeier hat bei mir einen Stein in der Krone, d.h. er muss mich gar nicht mehr überzeugen, dass er ein großartiger Schriftsteller ist. Ich mag ihn als Nacherzähler von Sagen, ich mag seine Stimme auf seinen Hörbüchern, ich mag ihn als zeitkritischen Österreicher und als Moderator des Club2.


    Was wie eine belanglose Erzählung aus dem beschaulichen winterlichen Hohenems beginnt, entwickelt sich zu einem äußerst persönlichen Buch, eine Auseinandersetzung und Verarbeitung mit dem Tod seiner Tochter Paula, die im Jahr 2003 bei einer Bergwanderung tödlich verunglückte. Wie schwer Köhlmeier dieses Buch gefallen ist, liest man zwischen den Zeilen, wie wohltuend und hilfreich das Schreiben dieses Buches war, ebenfalls. Ein sehr berührendes, ein sehr trauriges Buch, das viel Raum für eigene Assoziationen und Interpretationen lässt.


    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Köhlmeier hat bei mir einen Stein in der Krone, d.h. er muss mich gar nicht mehr überzeugen, dass er ein großartiger Schriftsteller ist. Ich mag ihn als Nacherzähler von Sagen, ich mag seine Stimme auf seinen Hörbüchern, ich mag ihn als zeitkritischen Österreicher und als Moderator des Club2.


    Hallo Rosalita,
    anscheinend ist Michael Köhlmeier in Österreich bekannter als hierzulande...Ich wusste gar nicht, dass er "bei euch" eine so öffentliche Person ist.


    Zitat


    Das ist mir auch aufgefallen. Ich habe auch lange überlegt, was dieses "Stilmittel" mir sagen möchte, bin aber auf keinen grünen Zweig gekommen. Du?

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Ich habe darin mehrere Dinge interpretiert, allgemeine Dinge, und von daher auch allgemeiner oder distanzierter gehalten. Es ging ganz klar um den Tod, dann dass Köhlmeier den Hund

    Und eine neue Thematik wird für mich eröffnet, die Freudschaft und die Bereitschaft zur Freundschaft, dass DU reicht da eben noch lange nicht aus :wink: Der Lektor haut auch einfach ab.
    Übrigens fand ich das am Bedeutendsten am Werk.

  • ja für mich steht der Hund auch eindeutig


    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • ja für mich steht der Hund auch eindeutig



    Dass der Hund bzw das Schicksal des Hundes


    Ich wusste bloß mit dieser streckenweise distanzierten Perspektive nichts anzufangen.

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Gestern habe ích dieses Büchlein gelesen und bin noch immer irgendwie ganz melancholisch deswegen. Es ist wunderschön!


    Anfangs täuscht es ein bisschen durch die ewig lange Begrüßung Dr. Beers, aber schon die Begegnung mit Monika und die Führung durch ihren Dschungel haben mir sehr gut gefallen.


    Über die Offenheit, mit der er über Paulas Tod schreibt, war ich sehr überrascht und hatte den Eindruck, dass es ihm einerseits sehr schwer gefallen sein muß, darüber zu schreiben, er dieses Erlebnis aber andererseits dadurch versucht zu verarbeiten.


    Die 3. Person bei der Erzählung der Rettungsaktion hat mich gar nicht irritiert. Ich habe sie so interpretiert, dass Köhlmeier völlig automatisch gehandelt hat und irgendwie "neben sich" gestanden hat. Dass er das Ganze "wie von außen" miterlebt hat.


    Ich habe wirklich viel von Köhlmeier gelesen, aber diese Geschichte wandert umgehend auf Platz 1 meiner Köhlmeier-Charts. Bestimmt werde ich es bald wieder lesen!

  • Dies war mein erster (und wohl nicht letzter) Köhlmeier.


    Man sollte nicht allzu schnell auf die „Hauptaktion“ zu reden kommen (die im Klappentext wieder unverschämt erwähnt wird), die quasi erst im letzten Zehntel (!) behandelt wird: sicherlich dienen die vorhergehenden Seiten dazu, z.B. das Verhältnis zwischen Lektor und Autor, und vor allem die Trauer, den Verlust der Tochter einzuführen.
    Denn das sticht schon ins Auge, wie sehr der Ich-Erzähler (=Köhlmeier) anfangs von dem distanzierten Verhältnis und dann dem fast zufällig, gekünstelt auftauchenden „Du“ zwischen ihm und dem Lektor erzählt. Nach der Flucht des Lektors im entscheidenden Moment wird die Distanz wieder aufkommen: in Schlüsselmomenten kommt das Eigentliche wieder zum Vorschein.
    Und dann, in ganz feinfühliger Art, dieses Erzählen über das gemeinsame (und getrennte) Trauern im Paar...


    Tatsächlich gibt es an zwei Stellen (!) eine Veränderung der Erzählweise: einerseits beim Spaziergang Beers mit dem Hund erscheint er nur noch als „der Mann“, sie nur als „Herr und Hund“.
    Bei der Rettung des Hundes auf dem Eis schreibt Köhlmeier selber, wie „anders“ er da empfunden hat: plötzlich läuft alles wie im Film ab. Man beobachtet sich wie von außerhalb. Seine Erzählweise gibt das wieder.


    Ich weiß aber nicht, ob ich alle „Implikationen“ des Büchleins verstanden habe: zumindest erahnte ich verschiedene Ebenen, tiefere Interpretationsmöglichkeiten.


    Ich habe die Sprache und das Buch genossen.

  • es freut mich sehr, Tom, dass Du Gefallen an Köhlmeier gefunden hast (habe es mir aber auch -ehrlich gesagt- nicht anders vorstellen können). :winken:

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Dann setze ich das Buch mal auf meine Wunschliste. Von Michael Köhlmeier möchte ich gerne nochmal was lesen, nachdem mir Madalyn schon so gut gefallen hat.
    Von der hiesigen Bücherei kann ich mir leider keins ausleihen - sie haben nicht ein Buch von diesem Autoren.


    Liebe Grüße

  • Vorhin habe ich das Buch angefangen und soeben beendet.
    Ich bin sichtlich enttäuscht, denn ich hatte etwas anderes erwartet...dazu gleich mehr...

    Zu Beginn ist diese Erzählung ziemlich flach. Großzügig wird die Begrüßung des Lektors beschrieben, und man hat das Gefühl, dass diese ganze Geschichte nur seicht dahin erzählt ist. Dann aber werden tiefere Gefühle eingewebt, und sukzessive erhält diese Erzählung an Gehalt.


    Wahre Freundschaft, auch die Bereitschaft zur Freundschaft, wird hinterfragt, und wie viel Feigheit eine solche Beziehung verkraftet.
    Ein wunderbar einfühlendes Buch, welches zum Nachsinnen, vielleicht gerade zur Weihnachtszeit, einlädt.

    Es war zäh und langatmig, absolut flach.
    Aber ich habe mich durchgekämpft.


    Und eine neue Thematik wird für mich eröffnet, die Freudschaft und die Bereitschaft zur Freundschaft, dass DU reicht da eben noch lange nicht aus :wink:

    Wahre Worte, ein DU macht noch lange keine Freundschaft, was dieses Büchlein "beweist".



    Man sollte nicht allzu schnell auf die „Hauptaktion“ zu reden kommen (die im Klappentext wieder unverschämt erwähnt wird), die quasi erst im letzten Zehntel (!) behandelt wird: sicherlich dienen die vorhergehenden Seiten dazu, z.B. das Verhältnis zwischen Lektor und Autor, und vor allem die Trauer, den Verlust der Tochter einzuführen.

    Und wieder ein Buch dessen Titel und Beschreibung so gar nicht zutreffend auf den Inhalt sind.
    Erst ganz zum Schluss kommt es zur eigentlichen Szene des ertrinkenden Hundes.


    Ich habe dennoch weitergelesen und kann dem Buch zugute halten, dass der Autor versucht hat, dem Leser klar zu machen, was der Tod seiner Tochter ihm bedeutet hat und wie er das verarabeitet (hat). Die Schlussszene war deutlich. Den Hund retten wollen, um jeden Preis. Loslassen in Erwägung gezogen, dann doch lieber dass eigene Etrinken in Kauf genommen. Den Hund gerettet, aber nicht die Tochter...


    Alles in allem kann ich dem Buch 3 Sterne geben, mehr jedoch nicht.
    Natürlich war es interessant zu lesen, wie Lektor und Autor zusammen gearbeitet haben, was das DU bei ihnen verursacht hat und was es mit solch einer aufgesetzten Freundschaft aufsich hat, aber Titel und Beschreibung haben etwas anderes erwarten lassen...

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Eine vertrackte Erzählperspektive hat sich Köhlmeier hier einfallen lassen: Ein Ich, das unverkennbar autobiographisch ist – Wohnort, Beruf, Name der Ehefrau, Tod der Tochter – und das gleichzeitig fiktiv ist. Oder weiß jemand von einem Dr. Johannes Beer, der sein Lektor war? Von einem Hund, den der Autor gerettet hat? Vom Dschungel, den seine Frau im Wohnzimmer gepflanzt hat?


    Dadurch führt Köhlmeier nicht nur den Hund, sondern auch den Leser aufs Glatteis. Mit leichter Hand erzählt dreht sich die ganze Geschichte um das Schmerzlichste und Schlimmste, das einem Menschen passieren kann: Wenn das eigene Kind stirbt und man selbst keine Möglichkeit hat(te), es zu retten.


    Aber in dem Augenblick, wo es um die Rettung des Hundes geht, wo ein Leben, und sei es das eines Tieres, auf dem Spiel steht, rückt das Ich von sich selbst ab, und ein Erzähler übernimmt. Dies macht Köhlmeier so geschickt, dass man als Leser zurückblättern muss, um die Stelle des Bruchs zu suchen.
    Es geht einfach zu nahe, um dieses Leben zu kämpfen als dass ein „Ich“ handeln kann, es tut nicht so weh, einen „Er“ aufs Eis zu schicken, der sein Leben aufs Spiel setzt.


    Der „schwarze Hund“ tritt in seinem sechs Jahre später veröffentlichten Roman „Zwei Männer am Strand“ noch mal auf, hier allerdings als euphemistische Umschreibung der Depression.


    „Idylle mit ertrinkendem Hund“ ging mir unter die Haut wie selten ein Buch. Von all den guten und sehr guten Büchern, die ich von Köhlmeier bisher gelesen habe, hat dieses mich am meisten berührt und mitgerissen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)