Siegfried Lenz - Es waren Habichte in der Luft

  • Rätselhaft, fast etwas mysteriös, liest sich diese Novelle, die man dadurch nicht aus den Händen legen möchte.


    Wir befinden uns in Finnland, unmittelbar nach dem I. Weltkrieg, Russland hat seine besetzten Teilgebiete den Finnen wieder zurückgegeben, wo nun der Bürgerkrieg herrscht. Das wird im Buch allerdings nicht ausgesprochen, lediglich der Regierungswechsel wird häufig erwähnt.
    Allerdings bringen diese historischen Fakten den Leser und dessen Suche nach dem Kern der Aussage, nicht viel weiter, der Titel “Es waren Habichte in der Luft“ schon eher. Fabelmäßig lässt sich daraus schließen, dass Unheil in der Luft liegt, welches den Bürger beobachtet, und ständig auf der Lauer liegt.


    Der Lehrer Stenka kann entfliehen, denn Lehrer werden von der neuen Regierung gesucht und hinter Gitter geschlossen, da sie den jungen Menschen “Flöhe” ins Gehirn setzen. Stenka findet bei dem Lehrling Erkki sowie dessen Ausbilder Leo Unterschlupf, denn er kann rechnen und kennt sich mit Blumen aus. Da Leo einen Blumenladen erworben hat, ist ihm diese Kraft sehr willkommen.


    Das Buch ist szenisch aufgebaut, die einzelnen Kapitel beschreiben die verschiedenen Lebenssituationen der einzelnen Akteure: die Witwe, der arme Petrucha, Erkki und Manja. Aber nach und nach passen diese Lebensläufe zusammen wie ein Schlüssel ins Schloss.


    Lenz sagt uns ganz viel mit dieser kurzen Novelle, die ich parabelhafte Novelle nennen möchte. Mit versteckten Symbolen weist uns der Autor darauf hin, dass bereits 1918 etwas in der Luft lag, und man schon einige Dinge wahrnehmen konnte, die tragisch und viele Einzelschicksale fordern würden.


    Ein ganz ausgezeichnetes Debüt-Werk von Siegfried Lenz, ich kann sehr wohl nachvollziehen, warum er seit jeher als Stern in der Nachkriegsliteratur galt. Absolut empfehlenswert.

  • Vielen Dank für die tolle Rezi Buchkrümel. :thumright:.
    Ich schätze die Werke von Lenz sehr und dieses steht auf meiner Liste ganz weit oben.

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Ja, das ist eine schöne Rezi - danke! Ich habe das Buch ebenfalls gerade gelesen und war beeindruckt.


    Natürlich ist das Buch, 1951 geschrieben, in einem gewissen Kontext angesiedelt (also Karelien/Finnland) bzw. dürfen wir Lenz durchaus auch unterstellen, dass man das Buch auf die gerade zurückliegende Zeit hin interpretieren kann, doch gleichzeitig - so scheint mir - kann man durchaus eine Universalität erkennen: wie handeln und sind Menschen in kippenden, von Revolution oder Krieg betroffenen Gebieten? Insofern ist es gfür mich auch heute packend.


    Auch von mir gibt es eine dicke Empfehlung.

  • Dem ungeteilten Lob meiner Vorrezensenten möchte ich mich entschieden nicht anschließen, denn Vieles an diesem 1951 erschienenen Debut des jungen Siegfried Lenz wirkt noch sehr ungelenk und unbeholfen, Einiges läßt aber schon den späteren, erfahreneren Lenz von „Deutschstunde“ und „Heimatmuseum“ erahnen.


    Die Handlung ist mit wenigen Worten umrissen: Zur Zeit des finnischen Bürgerkrieges, im Frühjahr 1918, befindet sich der Dorflehrer Stenka auf der Flucht, denn seinen revolutionären Häschern gilt er als gefährlich, als subversiv. Unter Angabe einer falschen Identität findet er in einem kleinen karelischen Dorf, unweit der finnisch-russischen Grenze, zunächst Unterschlupf bei Leo, einem Blumenhändler, und seinem Gehilfen, Erkki. Als seine Tarnung jedoch auffliegt und ein bolschewistischer Agent seine Spur aufnimmt, müssen die ihn umgebenden Personen entscheiden, ob sie Stenkas falsche Identität schützen und sich damit womöglich selbst in Gefahr bringen, oder ob sie ihn an die Behörden ausliefern sollen. Insbesondere ist es Erkki, der sich zu Stenka bekennt und ihm zur Flucht verhilft, trotzdem dieser – zu Unrecht - beschuldigt wird, Erkkis Freundin erschlagen zu haben. Erkki benötigt für seine unvoreingenommene und unterstützende Haltung Stenka gegenüber nicht viel mehr als seinen gesunden Menschenverstand – „… er hat mir schließlich nichts getan…“ – und trotz seiner einfachen Strickart bringt er dem verfolgten Stenka das stärkste Mitgefühl entgegen.


    Einige der für Lenz typischen, sich durch sein gesamtes Werk ziehenden erzählerischen Charakteristika finden sich bereits in diesem Erstling. Zu nennen wären hier die ruhige, unspektakuläre Erzählweise, die Besetzung der Handlung mit einfachen, schon fast ein wenig naiv und simpel wirkenden Personen, außerdem der Aufbau der Geschichte mit einer stark eingeschränkten Figurenkonstellation, angesiedelt an nur einem Ort, ohne nennenswerte Bezüge zur Außenwelt, zum übrigen Weltgeschehen oder zu äußeren Personenkreisen. Diese erzählerische Beschränkung auf Personal, Ort und Handlung mag in späteren Romanen durchaus von Vorteil sein, hier wirkt sie jedoch sowohl inhaltlich als auch formal unausgegoren und bisweilen sehr unbeholfen.


    Warum z.B. ergreift Stenka, nachdem seine Tarnung aufgeflogen ist und ihm die Verhaftung, ja sogar der Galgen droht, nicht die Flucht ? Statt seine Haut zu retten und schleunigst die Gegend zu verlassen, macht er eine Runde ums Dorf, kehrt dann in seine Herberge zurück und versteckt sich ausgerechnet in Erkkis Zimmer. Auf der anderen Seite geben sich die Verfolger nicht wirklich Mühe, Seiner habhaft zu werden. Trotz immer wiederkehrender Beteuerungen, Stenka unbedingt verhaften zu müssen, und der fortwährenden Betonung seiner Gefährlichkeit gelingt es ihnen nicht, den Lehrer in einem Umfeld von wenigen Häusern und Personen aufzuspüren. Fast möchte man vermuten, daß es bald unwahrscheinlicher ist, daß sich Verfolger und Verfolgter nicht gegenseitig über die Füße rennen, als umgekehrt.


    Zu den inhaltlichen gesellen sich formale Schwächen. Die Dialoge wirken zum Teil sehr holprig und wenig glaubwürdig, an einigen Stellen wird sogar ausgesprochen dummes Zeug gesprochen. Auch die fortwährende Wiederholung von Eigenschaften und Charakterisierungen einzelner Personen wirkt schnell albern, z.B. wenn sofort, nachdem der Name des Dorfwirtes Roskow fällt, beschrieben wird, wie er mit einem nassen Tuch seine Bartflechte betupft. Auch die gebetsmühlenartig wiederholte Erwähnung der über dem Ort kreisenden Habichte, welche wohl als Sinnbild für das drohende Unheil zu verstehen sind, welches über das Dorf und seine Bewohner hereinzubrechen droht, verliert nach dem gefühlten zwanzigsten Mal seine Bildhaftigkeit und wirkt nur noch platt und abgedroschen.


    Nein, eine wirkliche Empfehlung kann meines Erachtens nicht für diesen Roman ausgesprochen werden, zu anfängerhaft wirkt hier noch die handwerkliche Ausführung der Geschichte, trotz vieler zarter Anklänge und Vorgriffe auf die späteren, großen Romane. Deshalb dürfte „Es waren Habichte in der Luft“ allenfalls für Lenz-Fans und Literaturwissenschaftler heute noch von größerem Interesse sein, Lenz-Einsteigern sei von diesem Roman eher abgeraten.

  • Der Roman spielt am Ende des ersten Weltkrieges im finnischen Teil Kareliens, nahe der russischen Grenze. Nach einem Umsturz wird der Volksschullehrer Stenka verdächtigt, falsche Lehren verbreitet zu haben. Er flieht in den kleinen Ort Pekö, wo er eine Anstellung in einer Gärtnerei findet. Leo, der Besitzer, und sein Mitarbeiter Erkki decken Stenka. Aber die Verfolger sind ihm auf den Fersen und Stenka muss Pekö verlassen, um über die russische Grenze zu gelangen



    Seinen ersten Roman veröffentlicht Siegfried Lenz, knapp 25 Jahre alt, im Jahre 1951 bei Hoffmann und Campe. Vorher wird der Text aber bereits als Fortsetzungsroman in der Welt abgedruckt. Lenz, der 1943 zur Marine eingezogen wird und 1945 desertiert, verarbeitet in der Geschichte seine eigenen Erlebnisse. Er beginnt sein erstes Buch „im Vertrauen darauf, daß die Erfahrungen, die ich in Krieg und Nachkrieg gemacht hatte, exemplarisch und deshalb mitteilenswert waren.“ Bei seinen Lesern und den Kritikern kommt dieses Erstlingswerk sehr gut an und man setzt hohe Erwartungen in Lenz, die er schließlich nicht enttäuschte.


    Schon in „Es waren Habichte in der Luft“ sind typische Merkmale deutlich erkennbar, die Siegfried Lenz durchgehend immer wieder verwendet:


    • Das Geschehen spielt in einem kleinen Ort und seiner unmittelbaren Umgebung.
    • Lenz beschränkt sich auf eine sehr überschaubare Anzahl von Personen.
    • In seiner bildhaften Sprache darf man nach Hintergründen und Symbolen suchen.
    • Lenz formuliert so wunderbar, dass man immer mal wieder innehalten muss, um einen Absatz mit Freude ein zweites Mal zu lesen.


    Ein sehr typisches Merkmal des Autors fehlt: die Rahmengeschichte.



    Ein Kritikpunkt: So schön der Titel des Buches ist, das Symbol des Habichts wird im Text deutlich überstrapaziert. Die Leserschaft hätte diese Botschaft in jedem Fall auch verstanden, wenn dieses Symbol sparsamer verwendet worden wäre.



    Eine besondere Freude war es, dieses schöne Werk als „Hamburger Ausgabe“ in den Händen zu halten. Das Buch ist hochwertig verarbeitet, angenehm zu lesen und mit einem umfangreichen und sehr interessanten Anhang versehen.

  • Beitrag an bestehenden Thread angehängt :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier