Maria Barbal, Wie ein Stein im Geröll / Pedra de tartera

  • Seitenzahl: 188


    Inhalt (Cover):
    Conxa ist gerade dreizehn, als ihre Eltern, arme Bauern in den katalanischen Pyrenäen, sie zu einer kinderlosen Tante bringen. An Arbeit mangelt es nicht, und für Gefühle kennt die Tante keine Worte, aber das Mädchen ist zumindest versorgt. Als sie einige Jahre später ihre große Liebe Jaume heiratet, erlebt Conxa sogar ein bescheidenes Glück. Doch der hereinbrechende Bürgerkrieg macht auch vor dem abgelegensten Gebirgsdorf nicht Halt - und verändert Conxas Leben für immer.


    Autorin:
    Maria Barbal , 1949 in Tremp (Pyrenäen) geboren, lebt heute in Barcelona. Sie gilt als eine der wichtigsten katalanischen Autorinnen der Gegenwart und wurde mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet.
    Ein weiterer Roman "Inneres Land" ist gerade in deutscher Übersetzung erschienen.


    Mein Kommentar:
    An die Sprache dieses Buches musste ich mich erst gewöhnen. Sensibel, aber oft emotionslos und spröde erscheint sie mir zunächst. Im Nachhinein begreife ich jedoch, dass sie genau das Erscheinungsbild liefert um den Leser in das Geschehen hineinzuversetzen. Sie läßt die Armut, die Abgeschiedenheit, den eintönigen Alltagstrott, die abgewaschene Kleidung, die rauen Hände, die verhärmten Gesichter und den Hunger auf Menschen wie uns wirken, die in der warmen Wohnung, im gemütlichen Sessel und gefülltem Bauch in diese vergangene (?) Welt blicken, erzeugt ein wenig Bescheidenheit und eine Art Zufriedenheit solch einem harten Leben entgangen zu sein. Kurz sie macht empfindsamer, aufnahmefähiger.
    Conxa von klein auf an arbeitsreiche Tage gewöhnt, wird aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und zur Tante gebracht. Ihre Familie hat einen Esser weniger durchzubringen, drum wagt sie keinen Widerspruch. Die Tante trägt ihre Gefühle nicht auf der Zunge, aber Conxa erkennt bald an vielen kleinen Gesten ihre Zuneigung, sie ist keine herzlose Person. Doch harte Arbeit gibt es auch hier zu Genüge.
    Dann lernt sie eines Tages den ewig lachenden Jaume kennen und lieben, erlebt trotz Entbehrungen des Alltags eine bisher unbekanntes Gefühl der Leichtigkeit, das sie ein Leben lang in ihrem Herzen behalten wird.
    Jubelnd begrüsst Jaume die ausgerufene Republik, erhofft und verspricht sich Besserung auf alles, aber der Bürgerkrieg verschlingt ihn und läßt ihn nie wieder auftauchen. Conxa kann nicht einmal vor seinem Grab trauern, steht nun mit ihren Kindern einer Welt gegenüber, die ihr fremd erscheint. Vieles versteht sie nicht. Sie ist jetzt Spanierin, alles katalanische ist verboten, soll ausgelöscht sein.
    Als Bonusmaterial findet man ein Interview mit der Autorin. Conxa trägt Züge ihrer Grossmutter.
    Das Nachwort von Pere Joan Tous vertieft das Gelesene, zieht Bilanz, erklärt nochmals Bürgerkrieg und anschließende Militärdiktatur, begrüßt und unterstützt Maria Barbals damals verbotene, heute wiedererwachte Tradition Katalaniens.
    Ein einfaches, aber nachdenklich machendes Buch von einer starken Autorin, deren weitere Bücher an mir nicht ungelesen vorbeigehen werden. Lesenswert!!!


    Gruß Wirbelwind


    :study: Tatiana de Rosnay, Sarahs Schlüssel

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Wirbelwind, es sieht ganz danach aus, als hättest du diesmal ein Buch ganz nach meinem Geschmack gefunden. :wink: Danke für die Rezension, das Buch wandert direkt auf meine Wunschliste!


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Freut mich gaensebluemche! :winken:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Kann es sein, dass irgendwas mit dem Thread nicht stimmt? Bei mir wird auf der Startseite der Titel nicht angezeigt, ich kann den Thread also nicht über die Startseite auswählen. Wenn ich allerdings den Weg "Forum" -> "Erzählungen" wähle, erscheint der Thread mit Titel und ich kann ihn öffnen :-k


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


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  • Das Buch behandelt die Lebensgeschichte einer katalanischen Frau und ist, entsprechend den größeren Umwälzungen in ihrem Leben, in drei Abschnitte aufgeteilt.


    Conxa, geboren als eines von vielen Kindern einer Kleinbauernfamilie in einem kleinen Dorf in den katalanischen Pyrenäen, wird von ihren Eltern zur kinderlosen Tante in ein anderes Dorf gebracht. Sie soll dort bei der vielen mühseligen Arbeit helfen und ersetzt dort die fehlenden Erben. Demütig, klaglos, ruhig und im wahrsten Sinne gefaßt nimmt Conxa alles hin, was ihr das ärmliche, einfache Leben zu bieten hat. Sie hinterfragt keine der Traditionen ihrer Vorfahren, sondern findet sich zufrieden damit zurecht...erst recht, als ihre große und einzige Liebe Jaume in ihr Leben tritt, die beiden heiraten und Kinder bekommen. Ihr macht das karge, ewig gleichbleibende harte Leben nichts aus, solange Jaume ihre wärmende Sonne und innere Freude ist. Jaume muß sein Leben als Zweitgeborener und Nichterbe des bäuerlichen Hofes zwangsläufig anders einrichten: er ist fahrender Handwerker geworden, muß damit seinen Lebensunterhalt verdienen und kommt dadurch viel herum.
    Für Conxa lebt Jaume dadurch zeitweise in einer völlig anderen, unsichereren, sich allmählich verändernden Welt, die sie irritiert und zu der sie aus Furcht vor Veränderungen gar keinen Zugang haben möchte. Andererseits ist sie für den umtriebigen und lebensfrohen Jaume wohl eine Art sicherer Ankerplatz, besonders als die Politik in ihr beider Leben einzudringen beginnt. Conxas Ehemann wird als möglicher Revolutionär abgeführt und erschossen und fortan muß Conxa ihre gemeinsamen Kinder alleine weiter großziehen.


    Der Bauernhof wirft allerdings nicht genug für alle ab und so müssen Conxas Kinder ihren Lebensunterhalt anders verdienen und wandern mit ihren Ehepartnern einer nach dem anderen ab in die Städte Spaniens. Der Umbruch und Anbruch anderer untraditioneller Lebensweisen ist halt nicht mehr aufzuhalten. Als klar wird, dass keiner der Kinder den Bauernhof erben will und Conxa aber auch nicht alleine im Dorf zurückgelassen werden soll und kann, fügt sich Conxa wieder einmal und zieht mit ihrem Sohn und dessen Familie nach Barcelona, wo sie sich ihren Lebensunterhalt mit Hausmeister-und Pförtnertätigkeiten verdienen.


    Der Buchtitel ist nicht nur bezeichnend, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch und zeigt, wie es vielen Menschen - nicht nur im ärmlichen Katalanien - im Leben ging und geht. Beim Lesen dieser wenigen, aber ehrlich, schnörkellosen und gerade dadurch wohl sehr eindringlich und berührenden Seiten kam ich persönlich mir wieder zeitversetzt vor in die Jahre meiner eigenen Kindheit, wo mir meine Oma und meine Mutter erzählten, wie es früher war und ich frage mich, ob ich mich an dieses Buch erinnern werde, wenn ich meinen eigenen Enkelkindern dereinst aus meiner Zeit erzählen werde.


    Denn, was ist man im Leben allzu oft anderes als ein kleiner Stein im Geröll?

  • Dieses nur 125 Seiten umfassende Buch ist wieder einmal der Beweis dafür, dass auf gut einhundert Seiten mehr gesagt werden kann als auf tausend. Kein Wort ist zuviel, trotzdem ist es authentisch. Maria Barbal ist mit „Wie ein Stein im Geröll“ ein bittersüßes Buch gelungen. Ganz ruhig schildert sie die große Armut, in der Conxa aufwächst, wie die Tante ihre Liebe, für die sie keine Worte findet, aber durch kleine Gesten im Alltag genau dieses Gefühl ausdrücken kann. Die Sprache der Autorin ist klar und schnörkellos, oft emotionslos, aber am Ende des Buches wurde klar, Emotionen konnte man sich zu der Zeit kaum leisten, es geht nur um das kleine Glück und das zu erreichen ist schwer genug. Freundlichkeit und Lachen zieht erst in das Buch ein, als Jaume in die Handlung eingreift. Die Kapitel sind recht kurz gehalten, aber mich hat das nicht gestört. Beleuchtete doch die Autorin so die verschiedenen Facetten des Alltagslebens. Dramatisch wird die Geschichte als sich die politischen Verhältnisse ändern und Conxa plötzlich Spanierin wird, katalanisch ist nun nicht mehr erlaubt. Sie fühlt sich nur noch als Stein im Geröll. Aus dem beigefügten Bonusmaterial ist ersichtlich, dass die Protagonistin Conxa Züge der Großmutter der Autorin trägt.

    Mein Fazit:Wie ein Stein im Geröll“ ist ein ruhiges, eindringliches Buch, eine einfache Geschichte, diemir sehr gefallen hat. Es berührt und macht nachdenklich. Elke Heidenreich sagte dazu: „So ein schmales, ruhiges Buch – und es enthält nicht nur ein ganzes Leben, es enthält eine ganze verschwindende Welt.“ Mehr muss zu diesem Buch eigentlich nicht gesagt werden.

  • Zum Buch gibt es schon einige ausführliche Kommentare ; so von mir nur einige persönliche Bemerkungen. Und schlichtweg der Wunsch, diesen Fred aus einer sechsjährigen Eiszeit zu befreien : es ist schade drum, denn es handelt sich um ein feines Werk :


    Dieses Erstlingswerk von Maria Barbal ist ja schon 1985 erschienen unter dem Titel « Pedra de tartera » und laut Anmerkungen, derweil schon ein echter moderner Klassiker geworden. Gegliedert in drei größere Teile von Verlustschritten, und jeweils unterteilt in kurze, 2-4 seitige Abschnitte. Die Ich-Erzählerin ist eben Conxa selber.


    Für mich ist die Sprache nicht so sehr spröde oder seltsam, als eben schlichtweg einfach und zugänglich, einer Frau angemessen, die nach ihren Aussagen « nur » (und was ihre Lebensumstände anbetrifft : immerhin!) drei Jahre in der Schule war und ungefähr mit dem Jahrhundert geboren worden ist. Die anfänglichen Beschreibungen aus einer sicherlich recht harten bäuerlichen Welt wecken in mir zwiespältige Gefühle. Wir urteilen sie aus unserer Warte und Bequemlichkeit heraus. Vielleicht sollten sie nicht so sehr unser Mitleid wecken? Zumindest fühle ich da ein Zögern... Conxa erlebt auch dabei ihre Glücksmomente, trotz alledem, wie auch später?!


    Aber ich fühle mich dem nahe, wenn ich harte Lebensbeschreibungen meiner Großeltern im Kopf habe, oder auch an Schicksale von Menschen hier und da denke. Das läßt dann mit vorangehender Seitenzahl tatsächlich ein paar Mal ganz schön schlucken…


    Etwas off-topic :


    Wenn Steine im Geröll « ins Rollen » kommen und mitgezogen werden – sind wir es auf unsere Art nicht ebenso ? Oder etwa nicht, nur weil wir uns sehr frei und unabhängig wähnen ? Okay, jetzt gehe ich im Bezug auf uns/mich zu weit, nehmen wir den Roman als historischen : Er schildert vom größeren Rahmen, der unaufhaltsam den Einzelnen mitzieht. Das gilt hier für Katalonien, und die Familie um Conxa. Man lernt auf eindringliche Weise etwas vom kargen Leben in den abgelegenen Dörfern, dann das Einbrechen der umspannenderen Fragen und Ereignisse.


    Das Lesen läßt einen bescheiden und nachdenklich zurück.


    (Vielleicht kann man die Überschrift noch um den katalanischen Titel erweitern?)


    Tapa blanda: 160 páginas
    Editor: Labutxaca; Edición: 1 (11 de marzo de 2014)
    Colección: LB
    Idioma: Catalán
    ISBN-10: 8499300111
    ISBN-13: 978-8499300115