Cormac McCarthy - Ein Kind Gottes / Child of God

  • Klappentext:
    Falsely accused of rape, Lester Ballard - a violent, dispossed man who haunts the hill country of East Tennesse - is released from jail and allowed to roam at will, preying on the population with his strange lusts.
    A trip tp the dry-goods store, an errand to the blacksmith, a bartering session at the general store are all transformed into stunning scenes of the comic and the grotesque.
    As the story hurtles towards is unforgettable conclusion, McCarthy depicts the most sordid aspects of life with dignity, humor and characteristic lyrical brilliance.


    Oder anders zusammengefasst (amazon.com):
    "Scuttling down the mountain with the thing on his back he looked like a man beset by some ghast succubus, the dead girl riding him with legs bowed akimbo like a monstrous frog."
    Child of God must be the most sympathetic portrayal of necrophilia in all of literature.
    The hero, Lester Ballard, is expelled from his human family and ends up living in underground caves, which he peoples with his trophies:
    giant stuffed animals won in carnival shooting galleries and the decomposing corpses of his victims.
    Cormac McCarthy's much-admired prose is suspenseful, rich with detail, and yet restrained, even delicate, in its images of Lester's activities.
    So tightly focused is the story on this one "child of God" that it resembles a myth, or parable.


    Warum das Buch?
    Eins meiner letzten gelesenen Bücher war "Anatomie der Schuld" (Jefferson Bass). In diesem Buch - es geht um eine Leiche, aufgefunden in einer Höhle - wird "Child of God" mehr oder weniger ausführlich erwähnt. "Lester Ballard" wird als möglicher Täter aufgeführt um gleich darauf "entlastet" zu werden, indem dem Protagnisten klar gemacht wird: Ballard ist selber Protagnist eines Romans und versteckte seine Leichen ebenfalls in einer Höhle.
    Ich kannte "All the pretty horses" und Cormac McCarthy war mir ein Begriff. Habe mich deshalb relativ leicht von einem Buch zum nächsten locken lassen ... und lese.


    Hm ...
    Schwer zu sagen. Komisch. Das Buch ist kurz - 197 Seiten von denen man sicher gute 30-40 abziehen kann, da viele Seiten nur halb beschrieben sind. Viele kleine Unterkapitel, oft nur 1-2 Seiten lang.
    Ich habe 2 Anläufe gebraucht, mich reinzulesen. Der Schreibstil ist ... anders. Vielgerühmt und ausgezeichnet (zB Pulitzer Prize) aber wahrscheinlich nicht jedermanns Geschmack. Die Sätze sind oft lang, verworren mit vielen "and...and...ands" dazwischen.
    Dialoge, allgemein Gesprochenes, wird nicht durch Anführungszeichen oder anderweitig gekennzeichnet, Personen sprechen oft "namenlos". Dadurch ist es oft beim ersten Lesen schwieriger, zwischen Beschreibungen und Dialogen zu unterscheiden.
    Ich habe beim ersten Mal nach 5 Seiten aufgegeben, jetzt bin ich bei Seite 145 angekommen und langsam rutscht es.
    Eine endgültige Meinung kann ich mir sicher erst nach Abschluss des Buches bilden - aber ich kann jetzt schon sagen ... es ist befremdlich. Schon irgendwie verstörend. Ich lese viel "harten Stoff" und mich kann sehr wenig schocken.
    Aber die unglaublich nüchterne, pragmatische Art, mit der Lester Ballard seinen nekrophilen Trieben nachgeht ... ohne weitere Erklärungen, in 3 Sätzen abgehandelt als würde man vom Lunch berichten ... das ist schon befremdlich.


    Erstes Fazit:
    Definitiv nicht für Jeden was.
    Struktur, Sprache: Schwierig, sicher auf auf Deutsch nicht ohne (würde ich schätzen).
    Inhalt: Durchaus verständlich und klar umrissen - Ein einsamer, von den "lebenden Menschen" Verstossener, der sein Leben mit den Toten teilt ...
    Mir entgeht so ein bisschen die "characteristic lyrical brilliance", die so viel gerühmt wird sowie "dignity" und "humour" - vor allem letzteres ein Aspekt, der immer wieder mit dem arg morbiden Thema in Verbindung gesetzt wird und "Child of God" (angeblich) so gut macht.


    Und...
    Ich lese es zuende. Ich will wissen, wie es ausgeht, was jetzt nun die "unforgettable conclusion" des Ganzen ist.
    Aber ich glaube, es wird nicht zu meinen Favoriten zählen.
    Wahrscheinlich bin ich ein Banause, aber so viele der "Klassiker", der "must reads" oder der "Unvermeidlichen Werke" liegen mir gar nicht ...

  • Klappentext:
    Lester Ballard ist ein Ausgestoßener, einsam und gewalttätig. Als ihm nach und nach die Reste eines normalen Lebens abhandenkommen, wird er zum Höhlenbewohner, zum Serienmörder, schließlich zum Nekrophilen. Er gerät in Haft, in die Psychiatrie, in die Gewalt rachsüchtiger Männer. Lester Ballard, «vielleicht ein Kind Gottes ganz wie man selbst.» (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Cormac McCarthy wurde 1933 in Rhode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für sein literarisches Werk wurde er bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die amerikanische Kritik feierte «Die Straße» als «das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte» (Publishers Weekly). Für den Roman wurde McCarthy auch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Das Buch gelangte auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und verkaufte sich weltweit mehr als eine Million Mal. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: A Child of God
    Erstmals erschienen 1973 bei Random House, New York und 1975 bei Chatoo & Windus, London, sowie 1989 bei Picador, London.
    Die deutsche Übersetzung basiert auf der englischen Ausgabe, erschienen 2010 im Verlag Picador, London (Infos vom Vorblatt)
    Aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl
    Erzählt von einem unbeteiligten Beobachter, der mitunter als nicht näher identifizierbares „Ich“ auftaucht.
    Gegliedert in drei Teile, diese unterteilt in kurze bis sehr kurze Kapitel ohne Überschriften
    191 Seiten


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Cormac McCarthys Literatur gehört zur emotional am schwersten erträglichen der Gegenwart. Auch dieser Roman macht keine Ausnahme.
    Schwer erträglich ist Lester Ballards Situation, der Verkauf von Haus und Hof, sein Vagabundendasein, das ihn erst in eine Hütte und nach deren Brand in eine Höhle führt. Immer hungrig, immer verdreckt, immer auf der Suche nach Essbarem. Er lebt von kleinen Diebstählen und Hehlereien, von dem, was er im Wald findet und schießt. Sein Gewehr ist, neben ein paar Kirmesplüschtieren, sein einziger Besitz und ihm kostbarer als alles andere.
    Schwer erträglich sind aber ebenso Lesters Morde und seine Respektlosigkeit gegenüber den Kreaturen.
    Er ist auf der einen Seite ein bemitleidenswerter Einzelgänger, überall bekannt, aber ohne Bindungen. Auf der anderen Seite ein widerwärtiges Scheusal, das vor nichts zurückschreckt, nicht vor dem Töten, nicht vor der Aufbewahrung der Leichen und nicht vor deren Schändung.


    McCathy betrachtet seinen Protagonisten, als würde er durch die falsche Seite des Fernrohrs auf ihn blicken: distanziert, bezuglos und sehr weit weg.
    Auch die Morde sind mit großer Sachlichkeit und fühllos geschildert. Die Frage nach dem Motiv stellt sich nicht – abgesehen von der sexuellen Begier bei den weiblichen Leichen.
    Eine besondere Gegensätzlichkeit drückt sich in der Sprache des Autors aus: Es ist ein Genuss, die poetischen, bildreichen und phantasievollen Landschaftsmalereien zu lesen; auf der anderen Seite die knappen, auf das Wesentliche beschränkten Sätze über Lesters Tun.


    Rätsel gibt der Titel des Buches auf. Man kann ihm sich vermutlich nur von der christlichen Definition her nähern, nach der alle Menschen Kinder Gottes sind. Also auch ein Mensch wie Lester Ballard. Also auch andere, die in ihrem Leben verfolgt, gefoltert und ermordet haben. Also auch Diktatoren, Tyrannen, Herrscher.
    Der Titel „Ein Kind Gottes“ also Provokation für den Leser?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Eigentlich könnte ich die Rezension von @Marie so unterschreiben wie sie ist, sie trifft mein Empfinden zu 100 Prozent.


    Meine Meinung
    Bereits 1974 erschien dieser Roman im Original, nun liegt er erstmals auch in deutscher Sprache vor.


    Lester Ballard ist ein Außenseiter, ein Ausgestoßener, ein einsamer Wolf, der jagt, tötet und seine Opfer missbraucht. Lebt er zunächst noch halbwegs in der Zivilisation, sucht er bald Unterschlupf in einem Höhlensystem. Cormac McCarthy beschreibt in seinem Roman die Entwicklung eines Mannes vom heruntergekommenen Farmer hin zum Serienmörder und Nekrophilen.


    So grausam und abstoßend die Taten des Lester Ballard sind, so schön und poetisch ist die Sprache des Autors, mit der der Autor diese Geschehnisse dem Leser nahebringt. Ruhig, sehr zurückgenommen und distanziert erzählt McCarthy Dinge, von denen man eigentlich nichts wissen möchte und die man trotzdem wie gebannt verfolgt. Die morbide Handlung war stellenweise nur schwer zu ertragen, hat mich aber doch stark berührt, hallt immer noch in mir nach und wirkt verstörend auf mich. Ich glaube, dieser Roman ist in der Gegensätzlichkeit von Thematik und Sprachstil kaum zu übertreffen.


    Bleibt dann nur noch Maries Frage offen, ob Lester Ballard wirklich „ein Kind Gottes“ ist? Diese kann ich nur im eigentlichen, im biologischen Sinne bejahen; er ist ein Mensch, daran ändert auch seine Unmenschlichkeit nichts. Was seine Taten betrifft, ist er ein Monster, ein Ungeheuer, eine Bestie in Menschengestalt.


    Eine Leseempfehlung spreche ich ob des für viele sicher unerträglichen Themas nicht aus. Jeder Leser sollte selbst und ohne Empfehlung entscheiden, ob er sich dieser Thematik stellen möchte.

  • Wenn ich so die Rezensionen zu Cormac McCarthys Büchern durchlese, scheinen alle seine Werke düster und gewalttätig, aber dennoch von einer knappen, präzisen und erstaunlicherweise poetischen Sprache zu sein. Ich hatte bislang sein mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnetes Werk "Die Strasse" gelesen - mit Begeisterung. Aber eben weil es so eine bedrückende Stimmung vermittelt, hatte ich mir mit weiteren Büchern von dem Autoren etwas Zeit gelassen.
    "Ein Kind Gottes" schrieb McCarthy über 30 Jahre früher und dennoch finde ich seinen Schreibstil und die Stimmung, die er mit seiner Geschichte vermittelt, sehr ähnlich: Kurze, knappe Sätze. Sparsame Zeichensetzung. Kurze, zumeist nur 1-2 Seiten lange Kapitel - wenn man solche Abschnitte überhaupt so nennen möchte. Und dann natürlich diese Trostlosigkeit. Waren bei "Die Strasse" Vater und Sohn noch die Guten, die sich in einer untergegangenen Welt gegen unzivilisierte, gewalttätige Überbleibsel durchkämpfen mussten, benötigt McCarthy in dieser Geschichte gar keinen Weltuntergang. Lester Ballard verkommt mit der Zeit durch den Verlust seines Hauses, seiner Ratlosigkeit und seiner Egozentrik. Immer mehr kommen seine niedersten Triebe durch, sein Verhalten ist geprägt von Gewalt und Hoffnungslosigkeit, und mit welcher Selbstverständlichkeit und emotionsloser Sprache hier Mord und Leichenschändung beschrieben wird, lässt einen sprachlos.
    Wenn ich so über den Titel nachdenke, gefällt er mir immer besser und erscheint mir auch ein wenig über McCarthys Verständnis über die Natur des Menschen auszusagen. Wie wird ein Mensch, wenn er von der Zivilisation ausgestossen wird, sozusagen sich unfreiwillig als Höhlenbewohner durchschlagen muss? Sicherlich kein erfreuliches, romantisches oder christliches Menschenbild, welches sich aber in McCarthys späterem Werk "Die Strasse" wiederfindet: auch hier werden die Menschen zu Kannibalen, Jeder kämpft gegen Jeden, wenn der zivilisatorische Halt nicht mehr gegeben ist. Insofern können seine Bücher anstrengen, und sind sicherlich aufgrund ihrer Gewalt und Trostlosigkeit nicht für Jeden etwas, aber von Zeit zu Zeit werde ich weitere Bücher des Autoren lesen - und sei es nur, um mich anschliessend wieder bewusster an der Natur und dem Leben zu erfreuen.

  • Der Klappentext des Buches fasst in einigen Sätzen das scheinbar wesentliche des Inhalts zusammen: Lester Ballard wird vom Höhlenbewohner zum Serienkiller und zum Nekrophilen.
    Tatsächlich aber bedient diese Inhaltsangabe nur unseren persönlichen Voyeurismus, dabei ist die Erzählung gerade keine neue Geschichte aus dem Splatter - Genre.


    Nicht nur Ballard lebt in dieser verlassenen Gegend jenseits aller Moralvorstellungen. Auch einige seiner Nachbarn haben alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens vergessen. Alle sind jedoch "Kinder Gottes".
    Oder wie es in dem Dialog auf Seite 163 zwischen dem Deputy und Mr. Wade heißt: "Glauben Sie die Menschen waren damals schlechter als heute?" "Ich glaube, die Menschen sind immer die Gleichen gewesen, seit Gott den ersten geschaffen hat."
    In dem Kontext stehen auch die Naturbeschreibungen McCarthys: Die teils gnadenlosen klimatischen Bedingungen, wilde Hunde, die einen Eber jagen, aber eben auch balzende Vögel im Frühjahr.
    Ballard passt sich dem Lauf der Natur an, wird sogar eins mit dem Erdinneren, in dem er sich bewegt.


    Letztendlich können ihm seine Taten zu Lebzeiten nicht nachgewiesen werden. Um hier nochmals auf den Titel zurück zu kommen, könnte man sich folgende Fragen stellen: Gibt es einen höheren Richter? Wurde Ballard so geschaffen wie er ist? Oder veränderten ihn seine Erfahrungen im Leben? Hatte er durch seine geistige Eingeschränktheit trotzdem eine Wahl?


    McCarthy wird uns darauf keine Antwort geben, er bleibt der objektive, aber dennoch poetische Beobachter.
    4,5 Sterne!