Wolfgang Koeppen - Der Tod in Rom

  • Das große Finale der „Trilogie des Scheiterns“ feiert Koeppen in Rom, die Hochburg der Pfaffen, die Stadt der Götter. Hier brechen die Dämme restlicher Befangenheit, hier poliert Koeppen seinen Stil auf Hochglanz, mit Elan schwingt er sich hinauf in Apollos Schoß und liefert eine grandiose Darbietung ab, die die ersten beiden Kapitel bestenfalls als Aufwärmübung degradieren lassen.


    Wieder sind einige Jahre vergangen, der Markt floriert, das Land beseitigt die letzten Trümmer, die Menschen finden ihr Lächeln wieder. Deutschlands Wirtschaftswunderzeit ist angebrochen. Der Mensch richtet seinen Blick geradeaus und übt sich im Vergessen. Diese Nachlässigkeit wird von den Ratten der Vergangenheit ausgenutzt, sie trauen sich wieder an die Oberfläche, scheuen das Licht nicht weiter. Die SS-Schergen kriechen aus ihren Löchern, mischen sich unters Volk. Sie besetzen wieder politische Posten und träumen Hitlers Traum weiter.


    Gottfried Judejahn ist einer von ihnen. Nachdem seine Hinrichtung in Deutschland verkündet wurde, trennte er sich von seiner Familie, trennte sich von Deutschland und versteckte sich im entlegenen Orient, wo er mit gefälschten Papieren seine Zeit mit Waffenschmuggel und Rekrutieren neuer Soldaten überbrückte. Nun sitzt er in Rom und zittert einem Familientreffen entgegen. Ja, er zittert, fürchtet sich, seine frühere Macht hat ihn verlassen. Hier in Rom wird er von der Menschenmenge geschubst und wundert sich, hier ist er ein Mensch unter Menschen, ein Sandkorn unter vielen.


    „Er wollte über die Piazza S. Silvestro gehen, er wollte Rom erobern, da knisterte und krachte es, und war Lärm wie von Krieg und Schlacht, es schmetterte und brach, und Entsetzensgebrüll erhob sich und Todesschrei, ein Neubau war eingestürzt, sein Fundament war falsch berechnet worden, aus einer Wolke aus Staub ragten verbogene Träger, Menschen rannten kopflos herbei, und Judejahn kommandierte ‚absperren, zurückbleiben, absperren’, er wollte Disziplin in den Tod bringen, aber niemand hörte auf seinen deutschen Ruf, niemand verstand ihn, und dann kamen schon Sirenen und Glocken, die Polizei kam und Rettungswagen und Feuerwehr, und aus der Kirche am Platz kam ein Priester, die mischten sich überall ein, und Judejahn erkannte, dass er fremd hier war und lästig und im Wege stand oder bestenfalls unbeachtet blieb, …“


    Sein Schwager Pfaffrath, mittlerweile mit dem Amt des Oberbürgermeisters bekleidet, fiebert ebenfalls dem Wiedersehen der durch unterschiedliche Denkmuster entzweiten Familie entgegen. Wird Judejahn immer noch mit derselben Aura eines Parteigenerals, mit durchgestrecktem Rückgrat seine Befehle erteilen oder hat die Zeit ihn erweicht? Auf die Unterstützung der neuen Generation brauchen sie jedenfalls nicht zu hoffen. Adolf, Judejahns Sohn, hat sich zum Priester ausbilden lassen. Er fühlte sich nach dem Sturz verloren und war auf einen neuen Führer angewiesen. Siegfried, Pfaffraths Sohn, übt Kritik mit seinen Symphonien aus, füllt europäische Konzertsäle, wird als Dirigent gefeiert, distanziert sich von der Weltsicht der Alten.


    Koeppen fügt in diesem Band eine neue Komponente hinzu. Mit einem ordentlichen Maß an Dynamik lässt er Spannung aufkommen, in einer maßgeschneiderten Inszenierung lässt er alle Figuren mit den unterschiedlichsten Grundeinstellungen zusammentreffen. Die meisten Duelle werden aber weiterhin gedanklich bestritten, auch mit sich selbst. Durch mehrere Begegnungen werden die abweichenden Ideologien verankert, bestärkt, die zwangsläufig in Streit enden werden.


    „Siegfried: ‚Mich lass in Ruhe. Ich lebe, wie ich will. Ich brauche niemand.’ Adolf: ‚Gut, du willst für dich leben. Du meinst, deinen Weg gefunden zu haben. Das genügt dir. Aber warum bist du dann so unversöhnlich? Mit dem gleichen Recht könnten auch unsere Eltern sagen, sie hätten ihr Leben gelebt, seien ihren Weg gegangen, es hätte ihnen Spaß gemacht.’ Siegfried: ‚Das werden sie auch sagen.’ Adolf: ‚Aber du billigst ihr Leben doch nicht?’ Siegfried: ‚Nein, weil sie andere durch ihre Auffassungen gequält haben, weil sie mir eine militärische Erziehung aufbrummten, weil sie einen Krieg anfingen, weil sie Leid brachten, weil sie unendlich zerstörten, weil sie aus unserer Heimat ein Land der Intoleranz, der Dummheit, des Größenwahns, des Zuchthauses, des Richtblocks und des Galgens machten. Weil sie Menschen getötet haben oder behaglich in ihren Häusern blieben, obwohl sie wussten, dass Menschen getötet wurden.’ Adolf: ‚Und glaubst du, das kann nicht wiederkommen?’ Siegfried: ‚Und ob ich das glaube! In Tag- und Nachtträumen sehe ich die Bräunlinge und die nationale Dummheit marschieren. Und darum will ich mein Leben leben, solange der nationalistische Gott noch entkräftet ist und mich nicht hindern kann. Es ist meine einzige Chance.’ Adolf: ‚Und warum versuchst du nicht, eine dir so verhängnisvoll erscheinende Entwicklung zu bekämpfen?’ Siegfried: ‚Wie soll ich sie bekämpfen?’ Adolf: ‚Versuche die Menschen zu ändern!’ Siegfried: ‚Sie sind nicht zu ändern.’ Adolf: ‚Du musst es versuchen!’ Siegfried: ‚Versuche du es doch! Deine Kirche versucht es seit zweitausend Jahren.’ Adolf schwieg. Wusste er nicht weiter? Sah er ein, dass es keine Hoffnung gab? Aber dann hob er an: ‚Und deine Musik? Willst du mit deiner Musik nicht die Welt ändern?’ Siegfried sagte: ‚Nein. Du bist ein Phantast.’ Aber Adolf blieb hartnäckig und fragte beharrlich: ‚Warum machst du Musik, warum komponierst du?’ Siegfried: ‚Ich weiß es nicht.’


    „Der Tod in Rom“ ist angelehnt an Thomas Mann „Der Tod in Venedig“. Beide spielen in Italien und weisen auf den Disput zwischen rationaler Vernunft und leidenschaftlicher Hingabe hin. Gustav Aschenbach wird ersetzt durch den schizophrenen, den unterschiedlich denkenden und agierenden Judejahn, der einmal als vernünftiger „kleiner Gottfried“ und einmal als träumender „mächtiger Judejahn“ in Erscheinung tritt. Und natürlich schimmert in jeder Szene der Tod durch, fließt spürbar die Wände hinab.


    Zum dritten Mal mittlerweile sei erwähnt, dass Koeppen hauptsächlich die Gedankengänge seiner Protagonisten durchleuchtet, mit ihnen spielt und so eine fühlbare Atmosphäre hinterlässt. Er spielt mit unterschiedlichen Stilarten, jede Figur erhält somit eine eigene Handschrift. Auch hier werden Gedanken unterbrochen, um aus einer weiteren Perspektive fortgesetzt zu werden. Im Gegensatz zu den anderen Teilen schafft er homogenere, geschliffene Übergänge. Neu hinzugekommen ist die Spannung, die unerträglich, kritisch und nicht zuletzt anziehend auf den Leser wirkt.


    „Hier trank das Volk. Das Volk brauchte man nicht zu fürchten. Das Volk konnte man lenken. Mit dem Volk brauchte man nicht zu reden. Das Volk wurde eingesetzt. Der Führer stand über dem Volk.“


    Gruß,
    dumbler

  • Tolle Rezi von Dumbler..., das sollte doch einladend genug sein. Ich setze nur was hinzu, damit dieser Thread mal wieder hervorgeholt wird und manch Neue(r) diesem Autor, bzw. diesem Buch, vielleicht Aufmerksamkeit schenkt.


    ZUM INHALT :
    « Der Tod in Rom », aus der Distanz eines ironischen Geistes und zugleich mit der ganzen Kraft des Moralisten geschrieben, ist die Geschichte einer Handvoll Menschen, die nach dem II.Weltkrieg in Rom zusammentreffen: Opfer, Täter, Vorbereiter und Nachgeborene des Schreckens. Wolfgang Koeppen beschreibt in diesem Zeitroman die verborgenen Krankheiten der deutschen Seele: ein Werk voll beklemmender, faszinierender und befreiender Lebenseinsichten. (Quelle : Amazon.de)


    Ich gebe diese Inhaltsangabe wieder, weil sie einerseits nichts verrät und andererseits alles sagt. Dem füge ich sehr unterstreichend hinzu, dass es sich bei dieser « Handvoll Menschen » eben um einen Kreis handelt, die miteinander entweder verwandt oder aber in enger Beziehung stehen. Geht es also hier um verschiedene Facetten der Verantwortung oder des Opferdaseins im Dritten Reich, bzw. um die verschiedenen Folgen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, so durchziehen diese Gegensätze, Spannungen eben eine gewisse Grundeinheit, bzw. zwietracht des menschlichen Zusammenlebens. Somit ist der Roman Ausdruck von der Zerrissenheit im Nachkriegsdeutschland.



    (..). Gustav Aschenbach wird ersetzt durch den schizophrenen, den unterschiedlich denkenden und agierenden Judejahn, der einmal als vernünftiger „kleiner Gottfried“ und einmal als träumender „mächtiger Judejahn“ in Erscheinung tritt.


    Kleiner Schnitzer... : dieser Judejahn heißt doch tatsächlich Gottlieb mit Vornamen, wofür er sich natürlich schämt. So ersetzte er ihn selbst da, wo es nötig war – durch den ebenso sehr ausdruckskräftigen Vornamen « Götz » (Götze!). Nun, das ist ein Beispiel für die zahlreichen Wortspiele Koeppens !


    Ich selber würde über den eventuell zeitgebundenen Inhalt hinaus die literarischen, sprachlichen Qualitäten als hervorragend einstufen. Sie machen das Werk zu einer Entdeckungsreise in gewisse Stilmittel : Reihungen, lange atemlose Sätze, Zeilenbrüche (mitten im Satz), Perspektivwechsel... Dabei springt die Erzählperspektive schon mal vom allwissenden, in die jeweils beschriebene Person hineinschauendem Erzähler plötzlich zur Ich-Perspektive eines der Hauptpersonen des Romans : Siegfried, dem Komponisten und Sohn Pfaffraths, des Schwagers von Judejahn.


    Die historischen, mythologischen, religiösen und rombetreffene Querverweise sind unzählbar : was für ein Wirbelwind da daherkommt !


    Sicherlich ist dieses Buch (unter anderem) im zeitgeschichtlichen Kontext - 1954 veröffentlicht - als Auseinandersetzung mit den Fragen des Nachkriegsdeutschlands, der Frage nach Ursprüngen, Folgen des Faschismus' und Verantwortung lesbar. Inwieweit dieses Buch inhaltlich heute manche Leser direkt anspricht, kann ich nicht beurteilen, doch steht es als sprechendes Zeugnis einer sehr frühen, engagierten Meinung dazu.


    Dabei kann man ruhig sagen, dass so, wie « Siegfried durch seine Musik (Zwölftonmusik) beunruhigen und nicht erfreuen will », es wohl auch Koeppen mit seinem Buch hält. Ein gewisser pessimistisch, gar zynischer Ton scheint durch, den so manche Zeitgenossen der Nachkriegsjahre an sich hatten.


    Das ist ihm mit brillianten Mitteln gelungen, ob wir dem nun heute noch so zustimmen wollen und können, oder nicht.


    Noch einige Infos zum AUTOR :
    Wolfgang Koeppen wurde am 23. Juni 1906 in Greifswald geboren und starb am 15. März 1996 in München. Nach einem elfjährigen Aufenthalt in Ortelsburg (Ostpreußen) kehrte er 1919 nach Greifswald zurück. Aus finanziellen Gründen musste er vom Gymnasium auf die Mittelschule wechseln, von der er ohne Abschluss abging. Danach versuchte er sich in ganz unterschiedlichen Berufen: in einer Buchhandlung, im Stadttheater in Greifswald. Als Hilfskoch kam er nach Schweden und Finnland, in Würzburg arbeitete er als Dramaturg. 1927 ließ er sich in Berlin nieder, wo er 1931 zwei Jahre als fest angestellter Redakteur beim Berliner Börsen-Courier arbeitete. Er schrieb Reportagen, Feuilletons, auch erste literarische Arbeiten entstanden. 1934 erschien sein erster Roman, Eine unglückliche Liebe. Im selben Jahr siedelte er in die Niederlande über. Hier begann er mit der Niederschrift des nicht vollendeten Romans « Die Jawang-Gesellschaft ». 1935 erschien der Roman « Die Mauer schwankt », der jedoch kaum beachtet wurde. Er kehrte 1938 nach Deutschland zurück und arbeitete ab 1941 für die Bavaria-Filmgesellschaft in Feldafing am Starnberger See, 1945 siedelte er nach München über. 1948 erschien anonym das Buch « Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch », zu dessen Neupublikation unter seinem Namen er erst 1992 zustimmte. 1951, 1953 und 1954 erschienen die drei Romane, die als die atmosphärisch genaueste Vergegenwärtigung des Klimas der Adenauer-Republik gelten: « Tauben im Gras », « Das Treibhaus » und « Der Tod in Rom ». Koeppen verschaffte mit « Nach Rußland und anderswohin », « Amerikafahrt und « Reisen nach Frankreich » der Reiseliteratur in Deutschland hohes Ansehen. Er wurde 1962 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.
    (Quelle : amazon.de, Autorbiographie im Buch ; siehe auch nach mehr Infos unter : http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Koeppen )