Jens Rehn - Nichts in Sicht

  • Jens Rehn, 1918 in Flensburg geboren, war im II Weltkrieg U-Boot-Offizier. Er starb 1983 in Berlin.


    Sein Buch „Nichts in Sicht“ handelt von zwei Männern, einem amerikanischen Bomberpiloten und einem deutschen U-Boot-Matrosen, die mitten im Mittelatlantik auf einem Rettungsboot dümpeln. Der Amerikaner ist schwer verletzt und sein Todeskampf dauert cirka drei Tage. Diese Agonie wird mit hoher Präzision beschrieben.
    Auch sein unfreiwilliger Leidensgenosse kommt nicht davon. Rettung naht nicht, denn es ist „Nichts in Sicht“. Der Deutsche weiß nicht, was er mit der Leiche anfangen soll, da entschließt er sich, sie über Bord zu werfen. Doch das Rettungsboot dümpelt nur, es gibt keine Strömung und die Leiche scheint ihn zu verfolgen.
    Er erinnert sich an seine Liebste und untersucht zwischendurch die Brieftasche des Amerikaners, die er ihm, bevor er die Leiche über Bord warf, abnahm. Auch der Amerikaner hatte eine Liebste. Er vergleicht die beiden Mädels miteinander. In seinem Fieberwahn, er hat nichts mehr zu essen und zu trinken an Bord, steigt die Leiche des Amerikaners wieder an Bord. Das ist natürlich nur ein Alptraum.
    Ab und zu wirft der Deutsche einen Blick auf die Kimm, doch es ist immer noch „Nichts in Sicht“.
    Was daraufhin beschrieben wird, habe ich in der Literatur noch nie entdecken und lesen können. Minutiös wird der Todeskampf des Deutschen beschrieben.
    Dieses Buch ist meines Erachtens nichts für schwache Nerven. Wer sich gerne an Stephen Kings fiktionaler Welt laben mag, wird hier erst richtig schockiert. Denn dies ist bestimmt irgendwo mal so oder so ähnlich geschehen.
    Auszug aus dem Klappentext: „Die Dünung war vollständig eingeschlafen. Die Sonne brannte auf die reglose See. Über dem Horizont lag leichter Dunst. Der Einarmige beobachtete unablässig die Kimm. Der Andere schlief. Es war nichts in Sicht.“ – So beginnt eines der beeindruckendsten Bücher über den Krieg und dessen letzte Konsequenz: Das Sterben in großer Einsamkeit.


    Nicht nur schockiert, sondern auch fasziniert habe ich dieses Buch gelesen, welches meiner Ansicht nach keinem Interessierten verborgen bleiben sollte.


    Mit der Hoffnung bei einigen Lesern Interesse an diesem Buch geweckt zu haben, verbleibe ich mit Grüßen, Ralf.

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain


  • Mit der Hoffnung bei einigen Lesern Interesse an diesem Buch geweckt zu haben, verbleibe ich mit Grüßen, Ralf.


    Hast Du!!! Das Buch landet zunächst mal auf meiner Wunschliste... Danke für die interessante Rezi!

  • Wow, deine Rezi hört sich unglaublich interessant an! :thumleft: Auch auf meine Wunschliste ist das Buch gewandert!


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Kleines Beispiel, dass also ein vor neun Jahren notiertes Buch lange Zeit später gelesen wird, und eine wirkliche Entdeckung ist. Viele scheinen diese toll geschriebene Empfehlung von Ralf nicht wahrgenommen zu haben oder ihr gefolgt zu sein. Deshalb hole ich diesen Fred gerne nochmal hoch. Sooo viel anzufügen habe ich nicht.


    Ist es klar, dass dieser Erstlingsroman in fünf Teilen von Jens Rehn also schon Mitte der 50iger Jahre erschienen ist ? Auf dem ersten Blick hatte ich das nicht wahrgenommen. Vielleicht war manches noch sehr nah dran bei seinen Lesern in diesen Nachkriegsjahren. Die Sprache ist sicherlich schneidend und unbarmherzig, doch andererseits eben auch fast distanziert, ja lapidarisch, wie eine Schilderung dieser Tage auf dem Schlauchboot.


    Die dort Betroffenen : der (amerikanische) « Einarmige » als auch der (deutsche) « Andere », bleiben namenlos und werden wie genannt beschrieben. Zumindest im Rahmen dieser ihrer entmenschlichenden Befindlichkeit ? Haben sie im Kontext des Krieges eine gewisse Form der Identität verloren ? Im Zusammenhang mit der Heimat haben sie aber eine Geschichte, auch einen Namen, oder ihre Geliebten (sind sie in ihrer Kriegsdistanz, Reinheit identitätssicherer geblieben?): die Betsy ist das hier, die Maria da. Doch gleichzeitig sind auch jene in der Ferne betroffen von Absurdität und Todesnähe. Also nicht « nur » eine Kriegssache, sondern dem Menschen inhärent ? Gleichzeitig teilen hier zwei Feinde eben dieses selbe Schicksal, werden und kommen einander nahe. Verheissung einer Gemeinsamkeit, einer Form von Gemeinschaft und Versöhnung, wo die Grenzen keine Rolle mehr spielen ? Doch dann stirbt einer der beiden und es wird ein « Ein-Personenstück », mit Halluzinationen, Selbstdialogen… Der Titel, wie Ralf es andeutet, kommt wie ein Refrain und leicht variiert immer wieder : « Nichts in Sicht », in jeglicher Hinsicht ?!


    Meine alte Luchterhandausgabe beinhaltet ein Nachwort von Siegfried Lenz.


    Ein starkes Stück Literatur, das in seinem Rahmen den Menschen in seiner Nacktheit zeigt.

  • @tom leo Manchmal dauert es halt etwas, bis man ein Buch von der Merkliste befreit, das kommt mir bekannt vor. Danke für das Hochholen und Deinen Eindruck des Buches. Auch die Rezension von Ralf liest sich interessant. Doch ich weiß nicht, ob ich diese Geschichte wirklich lesen will. 8-[

    viele Grüße vom Squirrel



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  • (...) Doch ich weiß nicht, ob ich diese Geschichte wirklich lesen will.

    Und ich weiß auch nicht, inwieweit ich sie in diesem Sinne "empfehlen" kann, denn für viele mag das hier zuweit gehen, wie eine Agonie beschrieben wird. Sicherlich kein Wohlfühlbuch...

  • Sicherlich kein Wohlfühlbuch...

    Ganz sicher nicht. Prinzipiell bin ich ja "hart im Nehmen" und lese auch viel über die Hitlerzeit und den Krieg. Aber mein Vater wurde 1940 direkt nach der Schule zur Marine eingezogen und dann selbst mehrfach "versenkt" und wieder aus dem Meer gefischt. Er hat offensichtlich überlebt, denn sonst wäre ich jetzt nicht hier, aber ob ich über die nicht ganz so theoretische andere Möglichkeit so detailliert lesen möchte, das muss ich mir noch sehr genau überlegen, denn das würde doch sehr persönlich für mich. :-s

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Das ist dann schon absolut verständlich... Jeder hält es da, wie er kann. Von den Flüchtlingsgeschichten meines Vaters ausgehend habe ich mich später immer wieder eingeladen gefühlt, dies alles immer wieder mal hervorzuholen. Sozusagen "Gedächtnisarbeit". Aber damit muss jede(r) sein modus vivendi finden... Es gibt Flüchtlinge (heutige), die kein Wasser mehr sehen können, und dann welche, die es symbolisch besiegen wollen und schwimmen lernen...


    Es gibt eine sehr eindrückliche Szene, in der der "der Andere" im Buch (so wird der Deutsche bezeichnet), in einer Halluzination nicht nur sich selbst im Schlauchboot sieht, sondern Dutzende anderer in der gleichen Situation. Das Buch stellt Einsamkeitserfahrung und iniversell von wohl vielen Erlebes in eine Parallele.

  • Von den Flüchtlingsgeschichten meines Vaters ausgehend habe ich mich später immer wieder eingeladen gefühlt, dies alles immer wieder mal hervorzuholen. Sozusagen "Gedächtnisarbeit".

    Ich glaube, die Auseinandersetzung mit dieser Zeit und dem Krieg rührt bei mir (und meinem Bruder) auch daher, dass unsere Familie eben genau dadurch geprägt wurde - so wie Deine offensichtlich auch. Insofern leisten wir alle Gedächtnisarbeit und das ist für mich auch gut so. :wink:
    Nur diese eine Geschichte hier, die geht mir gefühlt einfach zu nah, überschreitet eine emotionale Grenze, die ich unangetastet lassen will - zumindest zur Zeit. :-k

    viele Grüße vom Squirrel



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