Siegfried Lenz - Schweigeminute

  • Stella Petersen ist Englischlehrerin in der Oberprima einer norddeutschen Stadt vor einer Reihe von Jahren. Diese Novelle von Siegfried Lenz beginnt damit, dass in der Aula des Lessing-Gymnasiums dieser norddeutschen Stadt eine Gedenkstunde für die Lehrerin Stella Petersen abgehalten wird; denn Stella Petersen ist tot. Stella Petersen ist aber auch die Lehrerin, die mit ihrem Schüler Christian ein Verhältnis hat. Aber nun ist sie tot.


    Siegfried Lenz hat auf 128 Seiten ein großartiges Buch geschrieben. Eigentlich kann ein solches Buch auch nur Siegfried Lenz schreiben. Obwohl der Autor nun auch schon im neunten Lebensjahrzehnt steht, findet man bei ihm nicht die peinliche Greisenhaftigkeit eines Martin Walser und auch nicht die unerträgliche Selbstgerechtigkeit eines Günter Grass.


    Lenz hat dieses Buch mit einer unglaublichen Sensibilität geschrieben. Eine Sensibilität die den Leser einfach nicht aus der Verantwortung des Mitdenkens entlässt. Die Personen schildert er mit großer Zuneigung, so als seien es seine eigenen Kinder. Man ist als Leser sehr schnell vertraut mit ihnen und nimmt an ihrer Liebe und auch an ihrem Leiden wirklichen Anteil.


    Siegfried Lenz strahlt eine Ruhe aus, die ihresgleichen in der deutschen Nachkriegsliteratur noch nicht gefunden hat. Er schafft es auf sehr erstaunliche Art und Weise mit seiner freundlichen Wortkargheit unwahrscheinlich eindringliche Beschreibungen und Bilder zu liefern. Man liest dieses Buch sehr schnell durch. 128 Seiten sind ja schließlich nicht die Welt. Ich habe dieses Buch heute Abend zweimal gelesen und ich habe mich auch beim zweiten Lesen nicht dieser ungeheuren Faszination entziehen können.


    Ich hänge mich jetzt einmal sehr weit aus dem Fenster: Etwas was Besseres als Siegfried Lenz hat die deutsche Literatur zurzeit einfach nicht zu bieten. Einfühlsamer und eindringlicher kann man wohl kaum schreiben, ohne die Grenze des Banalen auch nur zu streifen.


    Ein wunderbares Buch!

  • Vielen Dank für diese Vorstellung, wenn du auch auch mit Walser und Grass ziemlich zu Gericht gehst.


    Von Lenz habe ich seit meinem Abi 1992 nichts mehr gelesen, vielleicht sollte ich das mal ändern.

    Shalom, kfir


    :study: Joe Hill - Teufelszeug
    :thumleft: Farin Urlaub - Indien & Bhutan - Unterwegs 1 #2533 signiert


    "Scheiss' dir nix, dann feit dir nix!"

  • Dr.Watson: Vielen Dank für deine Rezi - das Buch klingt wirklich total interessant - Lenz gehört seit der "Deutschstunde" für mich zu den bedeutesten deutschen Autoren. Allerdings schreckt mich im Moment noch ein wenig der Preis ab (15€ für 128 Seiten ...). Werde also auf die Taschenbuchausgabe oder einen großzügigen Gönner warten :mrgreen: .


    LG,
    Casoubon.

  • Auch von mir ein Dankeschön für die Rezension! Auch ich halte Siegfried Lenz für einen der großen deutschen Autoren, wie abgedroschen das möglicherweise auch klingen mag (nicht umsonst habe ich meine Magisterarbeit über Deutschstunde geschrieben). Und Günter Grass finde ich auch ziemlich selbstgerecht :wink: , da kann ich Dr. Watson nur zustimmen.
    Schweigeminute wird jedenfalls von mir als nächstes gekauft :thumleft:

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

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    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)

  • Ich habe bis jetzt immer so fürchterlich hin- und hergeeiert, ob ich mir das Buch nun kaufen "soll" oder nicht. Mit dieser wunderbaren Rezension bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich heute Nachmittag noch ein gutes Buch nebenan in der Buchhandlung kaufen werde. Dank für die Rezi. :applause:

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • @ Dr. Watson
    Auch von mir vielen Dank für die tolle Rezi :thumleft:
    Seit "Deutschstunde" bin ich auch ein großer Bewunderer von Siegfried Lenz.
    Ich habe mir das Buch vergangene Woche ausgeliehen und nun gerade von meinem SUB geholt. Bin schon sehr gespannt auf das Buch. :D
    Und da ich heute viel Lesezeit habe, dürften die 128 Seiten zu schaffen sein.

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Ein wundervolles Buch. Ich habe es gestern Abend gleich in einem Rutsch durchgelesen.
    Lenz schreibt so einfühlsam und sensibel und beschreibt dabei die Protagonisten so liebevoll, das man gleich zu Anfang mit ihnen "warm" wird und auf jeder Seite mitfiebert und mitleidet.
    Denn schließlich möchte man ja schon von der ersten Seite an wissen, was mit Stella passiert ist.


    Was mit aufgefallen ist, wieder die Lenz-typische Schreibweise des Romans. Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich ab. Was die Geschichte noch interssanter macht. Die Handlung wird bruchstückhaft durch die Gedenkfeier für Stella unterbrochen. Fand ich sehr schön.


    Besonders nahe ging mir das Lenz, Stella immer wieder persönlich anspricht:.
    Beispiel: Wieder, Stella, trug ich dein Photo unter dem Pullover... / In diesem Augenblick bewunderte ich dich, Stella, und ich hätte dich am liebsten umarmt
    Diese Art der Erzählung finde ich ganz toll und sie gibt dem Buch noch einmal eine Besonderheit. :thumright:

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Während einer Gedenkveranstaltung eines Gymnasiums lässt der Schüler Christian seine Gedanken noch einmal die vergangenen Wochen und Monate Revue passieren. Gedanken an seine Liebe, die er nun verloren hat. Gedanken an seine ehemalige Englischlehrerin Stella, mit der er ein mehr oder minder geheimes Verhältnis hatte. Während eines Sommers lernen die beiden ungleichen Personen einander kennen und lieben. Doch während Christian in seiner jugendlichen Naivität noch eine gemeinsame Zukunft der beiden herbeisehnt, sucht sie zunehmend die Distanz, die dann durch ihren plötzlichen Tod schließlich endgültig wird.


    Siegfried Lenz hat mit seiner Novelle "Schweigeminute" eine Geschichte erzählt, wie sie leichter und schöner kaum sein kann. Es ist nicht die breite erzählte Geschichte, es ist die Momentaufnahme einer großen Liebe. Es sind auch nicht die großen und starken Personen, sondern mehr die großen und starken Gefühle zwischen ihnen beiden. Das alles kleidet Lenz mit einfachen und gewählten Worten in ein stimmiges und sinnliches Gewand. Viele Bilder und Metaphern erschließen sich einem beim wiederholten Lesen und zwingen dem Leser seine eigenen Gedanken auf.


    Auch wenn bereits mit den ersten Worten des Buches dem Leser das Ende offenbar ist, so bleibt doch das Interesse an der Geschichte bis zur letzten Seite gewahrt. Es ist kein steter Spannungsbogen, der sich durch die Gedenkveranstaltung und die darin verwobenen kurzen Gedanken und Rückblenden zieht. Vielmehr ist es die dichte Atmosphäre, die den Leser in seinen Bann zieht und diese tragische Liebesgeschichte in einem Rutsch lesen lässt. Besonders die immer wiederkehrende direkte Anrede der Verstorbenen durch den Trauernden lässt den Leser teilhaben an seinem Erlebten und an seiner Gefühlswelt.


    Ein großes dünnes Buch für die ruhigen Momente des Lebens, ein wahrhafter Lesegenuss.


    Zitat

    Bevor ich Stella den Aluminiumbecher brachte, trank ich selber ein paar Schlucke. Du nahmst den Becher lächelnd entgegen, so schön warst du, als du mir dein Gesicht so nah hobst. Da mir nichts anderes einfiel, sagte ich "Tea for two", und du darauf, mit der Nachsicht, die ich kannte: "Ach, Christian." Stella bot mir eine Zigarette an und klopfte auf die Kante der Liege, als Aufforderung. Ich setzte mich neben sie. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter und spürte das Verlangen, ihr etwas zu sagen, gleichzeitig hatte ich nur den Wunsch, die Berührung dauern zu lassen, und dieser Wunsch hinderte mich daran, ihr anzuvertrauen, was ich empfand. Aber dann erinnerte ich mich, was sie mir als Lektüre für die Sommerferien empfohlen hatte und ich fand nichts dabei, Animal Farm zu erwähnen und sie zu fragen, warum sie gerade diesen Titel aufgegeben hätte. "Ach, Christian" sagte sie wiederum und mit nachsichtigem Lächeln: "Es wäre vorteilhaft, wenn Sie selbst darauf kämen." Ich war nahe daran mich für meine Frage zu entschuldigen, denn mir wurde klar, dass ich sie in diesem Augenblick zu meiner Lehrerin gemacht hatte, ich hatte ihr die Autorität zuerkannt, die sie in der Klasse besaß; hier aber hatte meine Frage einen anderen Wert, und auch meine Hand auf ihrer Schulter hatte in dieser Situation eine andere Bedeutung, als sie es an einem anderen Ort gehabt hätte, hier hätte Stella meine Hand als einen Versuch verstehen können, sie nur zu besänftigen, zu beruhigen, und sie duldete es auch, als meine Hand sanft über ihren Rücken fuhr; auf einmal jedoch warf sie den Kopf zurück und sah mich überrascht an, gerade so, als hätte sie unerwartet etwas gespürt oder entdeckt, womit sie nicht gerechnet hatte.
    Du lehntest deinen Kopf an meine Schulter, ich wagte es nicht, mich zu bewegen, ich überließ dir meine Hand und fühlte nur, wie du sie an deine Wange hobst und sie dort ruhen ließest für einen Augenblick. Wie verändert Stellas Stimme klang, als sie plötzlich aufstand und nach draußen ging, an den Strand, wo sie versuchte, unser zur Seite gekipptes Dingi aufzurichten, aber es nicht schaffte, dann, nach kurzem Bedenken, die immer bereitliegenden Dose nahm und begann, Wasser auszuschöpfen.

    Shalom, kfir


    :study: Joe Hill - Teufelszeug
    :thumleft: Farin Urlaub - Indien & Bhutan - Unterwegs 1 #2533 signiert


    "Scheiss' dir nix, dann feit dir nix!"

  • Ein leises Buch, einfühlsam und wohltuend!


    Wie alt ist eigentlich diese Englischlehrerin, die mit ihren Schülern gerne lacht, Streiche ausheckt und so schnell schwimmen kann? Ist es da ein Wunder, dass sich die männlichen Schüler alle zu ihr hingezogen fühlen, sie verehren und sich in diese faszinierende Figur verlieben?
    Der Protagonist (Christian/18 ) erfährt mit dieser Lehrerin seine erste Liebe. Am liebsten würde er mit ihr zur “Vogelinsel” entfliehen, weit ab von allem, nur noch im Sand liegen, lieben, und in die Sterne schauen. Er hat auch schon den Proviant besorgt, den man für ein solches Unternehmen braucht …


    Aber dann kommt der Sturm! “Schweigeminute”!


    Diese Erzählung liest so schnell, wie die Wellen im Meer, welche durch künstliche Riffs unterirdisch gebrochen werden müssen, damit kein Unglück geschieht. Und dennoch ereignen sie sich ständig.


    Die Frage der Verantwortungslosigkeit stellt sich hier kaum. Anders als im Buch “Schande” von Coetzee (Professor mit Studentin), in dem es dazu führte, dass der Prof unehrenhaft entlassen wurde.
    Auch der Leser verhält sich sehr tolerant gegenüber dem Geschehen, und bedauert eher den Ausgang. Aber warum ist das so?


    Mir hat dieses Büchlein sehr gut gefallen. Eine weiche gepflegte Sprache, idyllische Landschaftsbeschreibungen und intensive Gefühle erwecken diese Lektüre zum Leben.

  • Ich habe das Buch eben gerade auch in einem Rutsch durchgelesen und kann nur sagen: wunderschön!
    Die Art, wie Christian seine Gefühle für Stella beschreibt, habe ich als unglaublich intensiv und vor allem wahrhaftig empfunden.
    Sehr gut hat mir auch gefallen, wie ruhig die Geschichte durchgängig bleibt - selbst das Ereignis, das zu Stellas Tod führt, wird mit einer unglaublichen Ruhe erzählt. Etwas, das ja auch sehr typisch für Lenz' Erzählungen und Romane ist.


    Besonders nahe ging mir das Lenz, Stella immer wieder persönlich anspricht:.
    Beispiel: Wieder, Stella, trug ich dein Photo unter dem Pullover... / In diesem Augenblick bewunderte ich dich, Stella, und ich hätte dich am liebsten umarmt
    Diese Art der Erzählung finde ich ganz toll und sie gibt dem Buch noch einmal eine Besonderheit. :thumright:


    Das hat mich auch sehr berührt, ich finde, dadurch wird die Nähe und Verbundenheit, die Christian Stella gegenüber empfindet, greifbar:

    Zitat

    Während wir sangen, schauten wir sie an, darauf aus, ein Echo zu erkennen, doch ihr Gesicht gab nichts preis, und ich wollte mich schon abfinden mit ihrer Unerreichbarkeit, als etwas geschah, das mich glücklich machte: Tränen erschienen auf deinem Gesicht.

    :study: John Steinbeck - East of Eden

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    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


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  • Ich habe "Schweigeminute" von einer guten Freundin zum Geburtstag bekommen, nachdem ich ihr von "Deutschstunde" vorgeschwärmt habe, und jetzt gerade die ersten Seiten von diesem Buch gelesen :drunken:
    Es ist wirklich toll, die Sprache von Lenz ist einzigartig und so berührend, ohne dabei schwierig zu sein. Was mir gleich aufgefallen ist, dass es Übereinstimmungen mit dem Buch "Deutschstunde" gibt. Die Beschreibung der Klassenreise auf eine nordfriesische Insel, wie Stella mit hochgezogenem Rock die Flachfische mit den Füßen ertastete - ähnliche sschrieb Lenz über Hilde (die Schwester von Siggi) aus sie konnte "Butt peddeln" wie sonst keine andere.
    Und sagt einmal: der Name Georg Bisanz - kommt der nicht auch in der Deutschstunde vor?? Oder bilde ich mir das nur ein?


    So, werde jetzt mal weiterlesen - schade, dass wir dieses Buch nicht in einer Leserunde gemeinsam lesen - ich würde mich sehr gerne gaaanz genau mit Euch austauschen.

    Liebe Grüße
    Gabi


    "Welchen Kummer deiner Seele du auch ertränken willst,
    deine Bibliothek ist der beste Keller!"
    Jean Cocteau

  • Es ist wirklich toll, die Sprache von Lenz ist einzigartig und so berührend, ohne dabei schwierig zu sein.


    Da hast du Recht. :thumleft:
    Wenn dir besonders hier die Sprache so gut gefällt, kann ich dir noch "Die Klangprobe" ans Herz legen. Das Buch lese ich gerade, dort ist die Sprache ähnlich. Also dieses persönliche Ansprechen einer Person, wie bei "Schweigeminute" Stella. :D


    Ich bin schon sehr auf deinen abschließenden Eindruck gespannt. :thumright:

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    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Wenn dir besonders hier die Sprache so gut gefällt, kann ich dir noch "Die Klangprobe" ans Herz legen.


    Danke für den Tipp - werde ich bestimmt auch noch lesen, S. Lenz entwickelt sich immer mehr zu meinen Favoriten!


    Schweigeminute war wieder ein voller Leseerfolg, ein wunderschönes Leseerlebnis.
    Diese einfache, berührende und auch traurige Geschichte mit einer solchen Ruhe und trotzdem so aussagekräftig zu erzählen zeigt vom Können Siegfried Lenz. Ich bin wirklich begeistert...

    Liebe Grüße
    Gabi


    "Welchen Kummer deiner Seele du auch ertränken willst,
    deine Bibliothek ist der beste Keller!"
    Jean Cocteau

  • Schweigeminute war wieder ein voller Leseerfolg, ein wunderschönes Leseerlebnis.


    Freut mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat. :cheers:

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Das Buch ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass eine relativ profane Geschichte (Schüler liebt Lehrerin, Lehrerin stirbt) in den Händen eines Meisters zu einem umwerfenden Buch werden kann. Das beste Beispiel für diese These war für mich bisher Homo faber, doch nun steht Siegfried Lenz' Schweigeminute direkt daneben. Die Träume, in die der Junge mit seiner ersten Liebe versinkt, und die Sehnsucht, die ihn den ganzen Tag lang begleitet - Lenz erzählt dies unspektakulär und einfühlsam in der Sprache eines 18jährigen Jungen. Es gefällt mir, dass das Verhältnis Lehrerin - Schüler nicht problematisiert wird, sondern sich ganz natürlich aus dem Zusammentreffen der beiden zu ergeben scheint.


    Lenz schildert eine Art "Zwischenzeit": Den Schock, dass Stella starb, hat Christian erleben müssen, aber das Geschehen ist noch nicht fassbar für ihn, und er versucht, dieses Unfassbare mit seinen Erinnerungen aufzufangen. Die Verzweiflung, die kommen wird, wenn er begreift, dass sie tot ist, und wenn er die Leere spüren wird, die sie hinterlässt, steht ihm noch bevor.


    Ich gehöre auch zu denen, die das Buch begeistert hat.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Nachdem dieses Buch Euch ja offenbar alle so begeistert hat, habe ich es mir gerade in der Bücherei vorbestellt. Leider sind 4 Leute vor mir dran, so dass es in diesem Jahr nichts mehr wird.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Das Buch wird von Bernd Eichinger verfilmt und soll voraussichtlich 2010 in die Kinos kommen: KLICK!


    Irgendwie stelle ich mir eine Verfilmung dieses Buches schwierig vor. :-k

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Was für ein wunderschönes Buch! :drunken: Erstaunlich, wie man auf so wenig Seiten so viel Gefühl und Sehnsucht vermitteln kann, einfach nur schön! Ich denke, von diesem Autor werde ich noch einiges lesen. Was mich erstaunt hat: Wie freigiebig Siegfried Lenz mit der englischen Sprache umgeht, das überrascht micht. Eine Verfilmung des Buches stelle ich mir auch äußerst schwierig vor, das Buch lebt ja nicht von seiner Handlung, sondern von seiner Sprache.


    :flower:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de