Teil 2: Seite 92 bis Ende

  • Der zweite Teil unterscheidet sich ja kaum vom ersten Teil, und da die Handlung nicht chronologisch geschildert wird, fällt mir zu diesem Teil auch gar nichts ein, was nicht schon im anderen Thread beschrieben wurde. Insgesamt ergibt sich eine etwas außergewöhnliche Kindheit und ich denke, dass die Wurzeln seiner Persönlichkeit sicher in dieser Kindheit zu finden sind.


    Ob ich die anderen autobiografischen Bücher lesen werde (Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte ), weiß ich noch nicht. Sonderlich verlockend erscheinen sie mir nicht.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ja, „verlockend“ sind die autobiographischen Erinnerungen Bernhards sicher nicht, da hast Du Recht, Rosalita.
    Ich finde schon, dass sich der zweite Teil ein bisschen vom ersten unterscheidet, einfach weil es jetzt richtig schlimm kommt. Jetzt manifestieren sich die seelischen Störungen des Kindes in massiven Lernschwierigkeiten, Bettnässen und ständigem „In die Hose Machen“, alles Zeichen tief sitzender Angst und Panik. Die Reaktion der Mutter ist grausam: Sie hängt das Laken mit dem „großen gelben Fleck“ deutlich sichtbar auf, um aller Welt die Schande des Jungen zu zeigen. Es ist für uns unvorstellbar, dass eine Mutter glauben kann, ihr Kind mache mit Absicht Nacht für Nacht ins Bett, aber das war damals wohl die allgemeine Auffassung, denn auch in der als Ferienheim getarnten Erziehungsanstalt behandelte man Bernhard auf dieselbe Weise, selbst Krankheit war kein Entschuldigungsgrund, wie man an dem Fall des Kindes mit der „englischen Krankheit“ sieht. In dieser schrecklichen Zeit spielt der Junge immer wieder mit Selbstmordgedanken, und Bernhard schreibt, dass er sich damals ganz sicher umgebracht hätte, wenn nicht der Großvater gewesen wäre, dem er nicht wehtun wollte.
    Doch in den folgenden Jahren bessert sich das Geschick des Jungen ein wenig. Ironischerweise ist der Nationalsozialismus, dessen Gruppenzwang Bernhard hasst, dem er aber nicht entfliehen kann, seine Rettung. Wegen seiner sportlichen Leistungen, die im dritten Reich sehr hochgeschätzt wurden, gewinnt er bei Lehrern und Mitschülern an Ansehen, was sich auch in seinen Noten niederschlägt. Er verdient sich mit verschiedenen kleinen Jobs Geld und hat einige Freunde. Das Buch endet mit Ankündigung des Großvaters, ihn an die Akademie nach Salzburg schicken zu wollen. Diese Zeit behandelt Bernhard im ersten Teil seiner autobiographischen Romane, „Die Ursache“.


    mofre

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    Einmal editiert, zuletzt von mofre ()

  • Natürlich fand ich diese "Erziehungsmaßnahmen" ganz schrecklich, v.a. dieses "Ferienheim" und wie dort mit den Kindern umgegangen wurde.


    Doch berührt hat mich diese Geschichte eigentlich nicht. Es ist sehr nüchtern, fast distanziert erzählt - ein Stil, den ich sonst ja recht gerne mag, so ohne Sentimentalitäten und ohne Mitleid erregen zu wollen. Woran es liegt, weiß ich nicht. Möglicherweise daran, dass mir Thomas Bernhard als Mensch (soweit er sich halt der Öffentlichkeit präsentierte) eher befremdlich, unsympathisch war. Sein Pessimismus, seine Provokationen und Rundumschläge gegen Österreich liegen mir nicht. Wenn alles so schlecht hier ist, warum ist er dann nicht ausgewandert (jetzt mal plump gesagt).

    Herzliche Grüße
    Rosalita


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  • Hallo?
    Ist noch jemand hier?
    Oder lese ich mittlerweile ganz alleine?


    Ich habe noch etwas über 30 Seiten bis zum Ende und werde die heute noch lesen.
    Bisher finde ich den zweiten Teil schlimmer als den ersten. Ich war entsetzt, als ich las, dass er versucht hat sich umzubringen, als er in der dritten Klasse war. :pale:
    Wie alt ist man in der dritten Klasse. Doch erst so 9 oder 10? Nun soll er in den Erholungsurlaub, doch von euren Beschreibungen her, ahne ich fürchterliches.

    Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.
    (Jorge Luis Borges)

  • Ich habe es vor einigen Stunden beendet. Bin nach wie vor entsetzt über die Erziehungsmassnahmen in dem Heim und auch von Seiten der Mutter.
    Aber im Großen und Ganzen war es kein Buch, das mich bewegt hat oder das wirklich Eindruck hinterlassen hat.

    Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.
    (Jorge Luis Borges)

  • Ich habe das Buch heute morgen beendet und kann mir irgendwie noch kein Urteil bilden - zum einen war es schon interessant und schön zu lesen, aber die Hauptprotagonisten konnten mich nicht berühren.


    Erschreckend fand ich die Szenen in dem sogenannten Ferienheim und wie dort mit dem Jungen umgegangen wurde :shock: .


    LG,
    Casoubon.

  • Ich habe das Buch auch schon vor ein paar Tagen ausgelesen. Ich muss sagen, am Ende wurde es noch ein bisschen interessanter und der Stil kam mir lebhafter vor. Vielleicht werde ich in ein paar Jahren nochmal eines der autobiografischen Bücher lesen; das Leben Thomas Bernhards erscheint mir sehr interessant. Der Stil ist zwar anstrengend aber nicht schlecht.


    Was ich mich allerdings frage:
    Denkt ihr, dass das Buch 100% autobiografisch ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand in diesem Maße detailliert an seine Kindheit erinnert. Ich weiß kaum noch Dinge aus dieser Zeit und ich bin erst 19. :shock:
    Vielmehr glaube ich, dass Bernhard diese biografischen Löcher vielleicht mit Fiktion gefüllt hat...

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Ich tu mir auch sehr schwer, dieses Buch nach "Gefallen" zu beurteilen. Ich bin ja schon länger durch und muss sagen, dass es mich eigentlich nachher nicht mehr sehr beschäftigt hat (was ja bei Büchern, die mich wirklich beeindrucken, schon der Fall ist).


    Zu 100 % autobiografisch ist das Buch wohl nicht, manche Situationen wird er erzählt bekommen haben, andere wiederum werden sich sehr eingeprägt haben, obwohl sie vielleicht nicht so vorrangig waren. Ich denke da z.B. an die Worte seiner Mutter "du hast mir gerade noch gefehlt" - es genügt für ein Kind, diesen Satz nur wenige Male zu hören um ihn sich einzuprägen und nicht mehr loszulassen. Im Buch stellt Bernhard es so dar, als würde dieser Satz fast täglich gefallen sein und wäre sein ständiger Begleiter.


    Autobiografisches möchte ich eigentlich nicht mehr lesen, ich werde mir demnächst "Holzfällen" vom SUB holen!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


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  • Zitat

    Original von Rosalita
    Ich tu mir auch sehr schwer, dieses Buch nach "Gefallen" zu beurteilen. Ich bin ja schon länger durch und muss sagen, dass es mich eigentlich nachher nicht mehr sehr beschäftigt hat (was ja bei Büchern, die mich wirklich beeindrucken, schon der Fall ist).


    Genauso geht es mir auch. Es hat mich nach dem Lesen gar nicht mehr beschäftigt und auch absolut keinen Eindruck hinterlassen.
    Vielleicht ändert sich das ja irgendwann mal, aber im Moment werde ich erst mal nichts mehr von Bernhard lesen.
    Ich denke auch, dass er manches nur noch aus Erzählungen weiß.

    Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.
    (Jorge Luis Borges)

  • Zitat

    Original von Pandämonium


    Genauso geht es mir auch. Es hat mich nach dem Lesen gar nicht mehr beschäftigt und auch absolut keinen Eindruck hinterlassen.
    Vielleicht ändert sich das ja irgendwann mal, aber im Moment werde ich erst mal nichts mehr von Bernhard lesen.
    Ich denke auch, dass er manches nur noch aus Erzählungen weiß.


    Ich habe das Buch auch ausgelesen, und mir geht es wie Euch. Ich kann das Buch einfach nicht beurteilen. Da mich ja die Hauptperson schon von Beginn an, nicht berührt hat.
    Die Erlebnisse, vorallem in dem Erziehungsheim fand ich zwar total heftig, und sicher war es auch für Bernhard eine sehr schwere Zeit dort. Aber es ist alles so nüchtern, und trocken erzählt, als würde er garnicht über sich, sondern eine völlig fremde Person schreiben.


    Darum denke ich auch nicht, dass es 100prozentig autobiographisch ist. Sicher haben ihn einige (schlimme) Dinge aus der Kindheit geprägt, aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass man sich daran wirklich SO erinnern kann.


    Ja, und ich glaube auch nicht, dass ich zumindest in der nächsten Zeit, noch einmal was von Bernhard lesen werde. ;)

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • shia:
    Ich habe den Rest des Buches zwar nicht gelesen, auf deine Frage würde ich aber trotzdem gerne eingehen. Ich bin 21 (also kaum älter als du) und erinnere mich an sehr viele Dinge aus meiner frühesten Kindheit noch sehr genau! Ich denke, es ist bei jedem Menschen anders und kommt teilweise bestimmt auch auf die Erlebnisse an, aber ja, man kann sich auf jeden Fall noch so genau auch an sehr frühe Jahre erinnern!


    Zum Buch:
    Ihr schreibt ja wirklich schreckliche Dinge (wobei das meiste ja schon im ersten Teil kam bzw. sich dort bereits abgezeichnet hat).
    Wie gesagt: Der Erziehungsstil der Mutter ist auf deutsch gesagt unter aller Sau! Andererseits war es damals (leider) Gang und Gebe. ](*,) Was das bei einem Kind anrichten kann, sehen wir hier ja nur zu deutlich!
    Allerdings gab es auch von meiner Seite aus keinen direkten "Gefühlsdraht" zwischen Bernhard und mir, wie es sonst selbst bei Autobiografien eigentlich immer ist. :scratch:

  • Ich denke schon, dass es sich hier um authentische Erinnerungen Bernhards handelt. Es sind doch alles tief verletzende Erlebnisse, die man sein ganzes Leben nicht mehr vergisst: die Pleite mit dem Fahrrad, die Beschimpfungen durch die Mutter, die Schwierigkeiten in der Schule, das Bettnässen, das Erziehungsheim, der Tod seines kleinen Freundes. Und die wenigen glücklichen Momente, die er auf dem Hipping-Hof und mit dem Großvater erlebt hat, bleiben sicher auch im Gedächtnis haften. Bernhard beschreibt seine Kindheit ja auch nur in großen Zügen, der Alltag an sich kommt im Buch gar nicht vor.
    Mir gefällt der karge Stil Bernhards eigentlich ganz gut. Ich glaube, er wollte einfach die Wirklichkeit darstellen, wie sie war, ehrlich und nüchtern, schonungslos mit sich selbst und ohne Sentiment. Hier soll kein persönliches Schicksal berühren, allenfalls bewusst gemacht werden, wie Kinder in einer unbarmherzigen und verständnislosen Gesellschaft seelisch verletzt werden und daran ein Leben lang zu tragen haben.


    Gruß Monika

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  • Ich lese jetzt erst die letzten Seiten, werde das Buch aber heute auf jeden Fall noch beenden.
    Ich muss sagen, wenn man erstmal drin ist in der Erzählweise, liest es sich ganz gut. Doch ich merke schnell, wenn bei mir die Konzentration nachlässt, denn schon bekomme ich viele Dinge nicht mehr mit.
    Genau wie ihr bin ich der Meinung, dass der zweite Teil der Erzählung sehr viel erschreckender ist. Die Kindheit Bernhards stellt sich als ein einziges düsteres Kapitel - im wahrsten Sinne des Wortes - dar und ist wirklich schrecklich. Ich finde allerdings auch, dass bei der Erzählweise Bernhards sehr deutlich wird, dass er seine Leser in eine bestimmte Richtung lenken will. Immerhin ist er Schriftsteller, er zielt auf eine bestimmte Wirkung ab. Und die ist eben nicht Mitleid, sondern es kommt mir wirklich eher so vor, als wolle er es nur erzählen. Mehr nicht. Nichts erklären, nichts schönreden, aber auch kein Mitleid.
    Es ist ein bisschen so erzählt, wie wenn alte Menschen über ihre Kindheit reden. Sie fangen an und erzählen und erzählen, springen hierhin und dorthin, und manche erzählen so, dass man sich in sie hineinversetzen und mit ihnen "mitleiden" kann, andere nicht. Da hört man nur zu, es hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck. Bernhard betont in dem Buch ja auch mehrfach, dass er anders ist als die anderen. Ich denke, dass er gar nicht will, dass seine Leser sich in seine Situation hineinversetzen können. Es ist ihm egal, ob ihn jemand bemitleidet, weil er sich das Leben nehmen wollte. So jedenfalls erscheint es mir. Denn ich denke, dass ein Schriftsteller wie er diese Wirkung bei Lesern hervorrufen könnte, wenn er es darauf anlegte! :wink:

  • Abschließend möchte ich zu dem Buch noch sagen, dass es schon eine Stelle gab, in der ich Mitleid mit Bernhard hatte: als er von seinem Aufenthalt in dem Heim für schwererziehbare Kinder berichtet. Ich glaube, dass das eine Szene ist, die mir sehr lange nicht aus dem Kopf gehen wird. Nicht nur seinetwegen, auch wegen des Jungen mit der englischen Krankheit... das war schon extrem schlimm.
    Dennoch, insgesamt für mich ein Buch, das ich mittelmäßig (mit drei Sternen) bewerten werde.