Originaltitel: Beloved (Pulitzerpreis: 1989)
In "Menschenkind" wird das Schicksal der ehemaligen Sklavin Sethe (gesprochen Ssiethie) geschildert, die 1863 von der Farm „Sweet Home“ in Kentucky flieht, um sich, ihre Kinder und ihr ungeborenes Baby in eine bessere Zukunft zu führen. Ihre Schwiegermutter Baby Suggs wurde einige Jahre zuvor von ihrem Sohn Halle freigekauft und hat sich ein neues Leben in Cincinnati aufgebaut. Hier hofft Sethe auf eine Wiedervereinigung ihrer Familie.
Sethe überlebt die Flucht durch die Hilfe des „Weißenmädchens“ Amy Denver und bringt gemeinsam mit ihr das Baby Denver in einem Boot zur Welt. Alles scheint sich zum Guten zu wenden, aber es steckt noch mehr hinter der Geschichte, denn in den folgenden 18 Jahren spukt es in ihrem neuen Domizil. Die Frauen glauben, dass es der Geist von Sethes ältester Tochter Menschenkind ist, die wütend über ihren Tod ist. Der Spuk hört erst auf, als ein ehemaliger Bekannter von Sethe in das Haus kommt und sie verzaubert und gleichzeitig ängstigt. Während Denver darauf eifersüchtig reagiert, versucht Sethe sich an die neuen Gefühle zu gewöhnen. Überraschend bekommt die kleine Gemeinschaft weiteren Zuwachs durch eine junge Frau namens Menschenkind…
Ich fand es schwierig, die ersten 150 Seiten zusammenhängend zu verstehen, weil der Schreibstil und die Struktur der Geschichte ungewöhnlich sind. Anfangs werden viele verschiedene Personen eingeführt. Dabei geht es nicht so sehr um explizite Beschreibungen sondern eher um Erinnerungen. Konzentration beim Lesen ist also dringend notwendig!
Hat man sich erst einmal an den Stil von Toni Morrison gewöhnt, entwickelt sich der Roman quasi zu einer Sucht. Gerade am Anfang wird der Leser durch extreme Beschreibungen des kummervollen Lebens schockiert (z. B. als Sethe sich selbst von dem Totengräber quasi vergewaltigen lässt, um einen Grabstein inklusive Inschrift für ihre tote Tochter erstehen zu können). Der Roman erinnert den Leser sehr explizit daran, dass das Leiden ehemaliger Sklaven auch nach dem Ende des Bürgerkrieges nicht endete. Außerdem stellt es wichtige Thesen darüber auf, dass eine Befreiung noch lange nicht bedeutet, dass man seine Freiheit auch begreift und nutzt.
Hier bietet sich dem Leser ein sehr kontroverses Thema, das zum Nachdenken anregt und keine einfache Lösung vorgibt. Ohne zuviel verraten zu wollen, kann ich sagen, dass im Mittelpunkt des Romans eine unter einer Extremsituation begangene Straftat steht. Die Handlung der Täterin muss auf den ersten Blick verabscheuenswürdig und grausam erscheinen, erklärt sich aber zumindest rationell durch die Bedingungen unter denen sie agiert. Auch wenn man versucht, sie zu verstehen, bleibt beim Leser ein Grauen zurück.
Diese zwiespältige Haltung ist wohl auch von der Autorin beabsichtigt. Ich hatte den Eindruck, dass Toni Morrison mit diesem Roman versucht, die Barbarei der Sklaverei, aber auch die anschließende Unsicherheit für alle Beteiligten zu illustrieren. Diese Anklage wird in überaus poetischer und plastischer Weise verdeutlicht! Eine der Stärken dieses Romans ist es, dass Toni Morrison überhaupt Worte dafür gefunden hat, diesen Schrecken beschreiben zu können.
Wie bereits erwähnt, ist die Sprache und der Stil gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich von den ersten 10 Seiten nicht abschrecken lässt, hat man mit "Menschenkind" einen literarischen Volltreffer gelandet!
PS: Auf der Wikipedia-Seite kann man nachlesen, dass es sich bei dem hier geschilderten Fall um eine wahre Geschichte handelt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Margaret_Garner. Dort findet man auch weiterführende Links.
Interessant auch, dass der Nachname im Roman in Form der Besitzer von "Sweet Home" auftritt.