Jonathan Franzen - Die Korrekturen / The Corrections

  • Nach fast fünfzig Jahren als Ehefrau und Mutter ist Enid Lambert entschlossen, ihr Leben ein wenig zu genießen. Alles könnte so angenehm sein, gemütlich, harmonisch - einfach schön. Doch die Parkinsonsche Krankheit hat ihren Mann Alfred immer fester im Griff, und die drei Kinder haben das traute Familienheim längst verlassen - um ihre eigenen tragikomischen Malaisen zu durchleben. Der älteste, Gary, stellvertretender Direktor einer Bank und Familienvater, steckt in einer Ehekrise und versucht mit aller Macht, seine Depressionen kleinzureden. Der mittlere, Chip, steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Literaturprofessor, aber Liebestollheit wirft ihn aus der Bahn, und er findet sich in Litauen wieder als verlängerter Arm eines Internet-Betrügers. Und das jüngste der Lambert-Kinder, die erfolgreiche Meisterköchin Denise, sinkt ins Bett eines verheirateten Mannes und setzt so, in den Augen der Mutter zumindest, Jugend und Zukunft aufs Spiel. In dem Wunsch, es sich endlich einmal so richtig gutgehen zu lassen - und Alfred aus seinem blauen Sessel zu locken, in dem er immer schläft -, verfolgt Enid nun ein hochgestecktes Ziel: Bald nach der Luxus-Kreuzfahrt, zu der sie voller Vorfreude mit Alfred aufbricht, möchte sie die ganze Familie zu einem letzten Weihnachtsfest zu Hause um sich scharen.


    Meine Meinung:
    Ich habe gestern das Buch „Die Korrekturen“ von Jonathan Frazen zu Ende gelesen. Und bin ziemlich hin und her gerissen, denn zum einen ist der Inhalt interessant, aber zu anderen ist die Umsetzung nicht so toll. Am meisten hat mich der ständige Rückblick in die Vergangenheit genervt, weil er immer so abrupt kam. Oder es sind teilweise Passagen drinnen in dem sich der Autor sehr viel Zeit lässt, was aber sehr langweilig ist. Am besten fand ich sind die Charaktere beschrieben und dargestellt. Man kann sich mit jeder Person identifizieren oder auch nicht. Aber im großen und ganzen ist die Enttäuschung schon sehr groß, denn ich bin mit großen Erwartungen an dieses Buch herangegangen. Als nächstes lese ich „Mr.Vertigo“ von Paul Auster und da denke ich komm ich auf meine Kosten.

  • Ich habe das Buch gerade zu Ende gelesen und kann mich denjenigen nur anschliessen, die begeistert von dem Buch sind. Ich kenne viele, die Die Korrekturen als langweilig oder vielleicht langatmig empfunden und nicht zu Ende gelesen haben. Aber denen entgeht etwas.


    Der Roman, auch wenn er zugegebener Maßen im Mittelteil manchmal ein wenig langatmig ist, hat mich zum Nachdenken angeregt. Zum Nachdenken auch über das eigene Leben und über vielleicht „notwendige“ Korrekturen.
    Dies gelingt wenigen Büchern, darum ist es für mich das bisher beste dieses Jahr.

  • Ich habe das Buch gestern nun auch ausgelesen. Meine Eindrücke sind unterschiedlich.


    Sehr gut gefallen hat mir die Sprache Franzens. Ich denke, die moderne Literaturkritik lobt in zurecht in höchsten Tönen. Außerdem denke ich, dass er mit der Familie Lambert den Zeitgeist unserer Kultur ziemlich exakt beschrieben hat; es gibt Identifikationsspielräume für jederman. (Ich persönlich fand, dass Denise die Interessanteste der Charaktere war.) Beeindruckt hat es mich auch, wie wunderbar Franzen alle einzelnen Mitglieder der Familie beleuchtet und so ein absolut authentisches und verständliches Personennetztwerk entstehen lässt.


    Weniger gefallen haben mit die Passagen des Buches, in denen sehr ausufernd von der lituanisches Partei Gitanas' und den Betrügereien geschrieben wird. Auch die Teile, indenen die Wirkungsweise dieses Medikaments beschrieben wird, hätte man, meiner Meinung nach, einkürzen können; mich haben sie jedenfalls ein wenig gelangweilt und ich habe den Verdacht, sie wegen der komplizierten Prozesse nicht so richtig verstanden zu haben... :silent:


    Alles in allem aber ein sehr, sehr empfehlenswertes Buch!

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • An einen Moderator:
    Bitte den Vornamen dees Autors in der Überschrift des Threads verbessern. Sonst gibts wieder Probleme mit der Suchfunktion. Danke


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Zum Inhalt:
    Enid und Alfred Lambert haben drei Kinder: Gary, Chip und Denise. Jeder der fünf hat mit seinen Problemen zu kämpfen. Alfred kämpft mit einer Depression und mit Parkinson, ist zudem nicht bereit, Gefühle zu zeigen. Enid hat darunter seit ihrer Hochzeit gelitten und sich immer schon mehr Zärtlichkeiten von ihrem Mann gewünscht. Gary und seine Frau stecken in einer Ehekrise und ziehen ihre drei Kinder in ihre Machtspielchen hinein. Chip wurde von seiner Professorenstelle entlassen, weil er eine Affäre mit einer Studentin hatte und versucht sich nun recht erfolglos als Drehbuchautor. Denise ist eine tolle Köchin und hat sich in ihrem Beruf so einiges erarbeitet, jedoch macht sie sich am Ende nicht nur Freundschaften, sondern auch gute Karrierechancen kaputt.


    Als Familie waren sie wohl nie so recht harmonisch, dennoch wünscht sich Enid nur eines: ein letztes gemeinsames Weihnachtsfest. Doch es gibt einige Hindernisse zu überwinden, ehe es soweit kommt. Chip hat die Gelegenheit bekommen, mit dem ehemaligen litauischen Präsidenten in dessen Heimatland zu fliegen und dort zu arbeiten (halb kriminell, aber immerhin springt viel Geld dabei raus). Garys Frau kann Enid nicht leiden und zieht ihre Kinder auf ihre Seite, sodass Gary sich deswegen oft und laut mit seiner Frau streitet (aber nicht nur deswegen). Denise ist hingegen ungebunden und bittet besonders Chip, zurück nach Amerika zu kommen (und sie nicht allein zu lassen mit ihren schwierigen Eltern).


    Persönliche Meinung:
    Mir haben die Personenbeschreibungen und Lebensgeschichten sehr gut gefallen. Alfred hat mich an meinen eigenen Großvater erinnert und ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich geweint habe, weil mir das alles so nahe ging ... Enid war so still, wenn es um Gefühle ging ... ihr Leugnen ist mindestens so tragisch wie Alfreds Krankheiten: Demenz, Parkinson, Depression - damit hat man ganz schön zu kämpfen. Und dann hat man ausgerechnet eine Frau, die das alles nicht wahrhaben will und sich stattdessen mit unechten Freundinnen umgibt und bei Luxuskreuzfahrten mitmacht.
    Chip scheint zwar derjenige zu sein, der das Leben am schlechtesten meistern würde, ist jedoch am Ende derjenige, der sich am besten und einfühlsamsten um seine Familie kümmert. Gary ist wie seine Mutter - er übergeht seine Probleme, indem er mit seiner Frau nicht über die eigentlichen Probleme spricht, und auch zum Schluss erlebt er keine Erleuchtung. Denise hatte noch nie Glück in der Liebe. Ihr erstes Mal erlebt sie mit einem Arbeitskollegen ihres Vaters, der um einiges älter ist als sie. Als sie herausfindet, dass ihr Vater das gewusst hat, jedoch nie ein Sterbenswort darüber verloren hat - und alles in sich hineingefressen hat - werden ihre Gefühle für ihn nur noch inniger.


    Auf 780 Seiten schildert Franzen auf ein Familiendrama und übt gleichzeitig Gesellschaftskritik. Immer wiederkehrend ist die Idee der Korrektur: Kann ich mein Leben ändern? Kann man eine Gesellschaft verändern? Wie kann das funktionieren?
    Manche sagen, die eingeschobenen Teile über das Medikament Korrektal oder die Verhältnisse in Litauen wären zu lang und überflüssig - ich aber finde, das alles macht diesen Roman aus. Es gab keine einzige Seite, auf der ich mich gelangweilt oder mich gefragt hätte: Was soll das denn jetzt? Nein, es war ein rundes, reines Lesevergnügen!
    Franzens Sprache ist erfrischend, gleichzeitig auch ein wenig anspruchsvoll, aber das mag ich sehr gerne. Er verwendet Metaphern, die schlicht genial sind. Er hat eine Art zu erzählen, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Gepaart mit dem, wie gesagt, durchgehenden Motiv der Korrektur, gibt dieser Roman ein wirklich gute Figur ab. Ich würde behaupten, es gehört mit Abstand zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe! Wenn es nicht sogar das Beste überhaupt war. :wink:
    Fünf Sterne, keine Frage! :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: F. Scott Fitzgerald - The Great Gatsby


    "Mit der Wahrheit ist es wie mit einer stadtbekannten Hure. Jeder kennt sie, aber es ist peinlich, wenn man ihr auf der Straße begegnet.
    Damit muß man es heimlich halten, nachts. Am Tage ist sie grau, roh und häßlich, die Hure und die Wahrheit. Und mancher verdaut sie ein ganzes Leben nicht."
    Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür

  • Ein großes Buch - obwohl ich es ausgerechnet in so einer kleinformatigen Rowohlt-Reihen-Sonderausgabe gelesen habe, die so gar nicht so recht zum Volumen dieses umfangreichen Romans passen will. Ich habe es vor längerer Zeit gelesen und heute nochmal in die Hand genommen, nachdem ich gestern abend eine sehr sympathische Doku über den Autor Jonathan Franzen auf arte gesehen habe (lohnt sich). In dieser Doku wurde noch einmal auf seine besondere Beobachtungsgabe hingewiesen, die ich auch an dem Buch besonders stark finde.


    Ja, es ist extrem lang und möglicherweise hat es Passagen, auf die jeder Leser je nach eigenen Präferenzen verzichten würde, aber es ist auch so ein Buch, das einen nachhaltig eine ganze Weile im Leben begleiten kann, genau wie es das eben auch bei den Familienmitgliederin tut, die es beschreibt.

    "Was immer geschieht: Nie dürft Ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!"
    (Erich Kästner)

  • Meine Meinung:


    Je besser ein Buch ist, desto schwerer ist es, darüber zu schreiben. Ein Verriss ist einfach, weil man sich entspannen darf - warum sollte eine Kritik besser sein müssen als ihre Vorlage? In dieser Hinsicht ist es ein ausgewachsener Alptraum, Jonathan Franzens "Korrekturen" zu rezensieren. Anstatt das Inhaltliche wiederzukäuen, das unzählige pflichtbesonnener Kritiker schon minuziös aufgezählt haben -macht ja auch Spaß-, fliehe ich mich deshalb feige in die Subjektivität und begnüge mich damit, offenzulegen, was ich an fatalistischen (und ja, peinlichen) Befindlichkeiten durchlebt habe, während ich die "Korrekturen" las. In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind das absteigend:


    1.) Habe ich jemals ein besseres Buch gelesen, oder besser ausgedrückt, kann überhaupt ein besseres Buch geschrieben werden als dieses? Wie ist es möglich, dass jemand einfach so viel besser schreiben kann als ich es jemals könnte? Und: woher weiß der Mann so viel über alles - ich meine, alles?


    2.) Wie konnte Bettina Abarbanell bei der Übersetzung dieser linguistischen Kathedrale -ja, das darf pathetisch klingen- vor Ehrfurcht auch nur ein einziger Absatz gelingen, geschweige denn das ganze Buch, und das auch noch so gut, dass man die Genialität, mit der Franzen in einem Dreiwortsatz fünfzehn Andeutungen unterbringt, scheinbar ungefiltert genießen (und sich von ihr quälen lassen) kann?


    3.) Stimmt etwas nicht mit mir, wenn ich nachts aufwache und nicht mehr einschlafen kann, weil ich mich gezwungen fühle, die Lebensfehler fiktiver Romanfiguren kraft meiner Phantasie korrigieren zu wollen?


    Wobei wir beim Thema des Buches wären, mit dem uns der Buchtitel so wunderbar subtextlos anspuckt. Wo er in der Vergangenheit am Rand meines Lesehorizonts aufgetaucht war, hatte genau dieser Titel dafür gesorgt, dass das Buch nie in den Fokus rücken durfte - Konnotationen mit sterilen Anwaltsplots oder verkopftem Professorengesülze* hielten es davon ab. Die Tatsache, dass es von der Kritik ehrfürchtig behandelt wurde, bestärkte mich in letzterer Version. So viel zum Thema Vorurteile. Bei den Korrekturen in den "Korrekturen" geht es weder um Akten noch um Seminararbeiten, sondern um das verzweifelte, ironische, schmerzhafte und vor allem vergebliche Ringen mit einem Haufen Unrecht, das Familienoberhaupt Alfred Lambert seiner Frau und seinen drei Kindern in Form eines hyperkonservativen "Broken Home"-Alptraums beschert. Franzen schildert gnadenlos scharfsichtig, wie die erwachsenen Kinder der Lamberts die unwiederrufbaren Traumata ihrer beschädigten Kindheit im prüden Mittelwesten Amerikas in pathologischen Beziehungen und Lebensentwürfen umzukehren zu versuchen. Das, und ganz beiläufig noch tausend Kunstgriffe mehr, schafft Franzen so wahnsinnig weltläufig, psychologisch brilliant (ich möchte ihn NICHT als Therapeuten haben, bekäme Angst vor mir selbst), durchgehend spannend und trotzdem nicht unversöhnlich, dass einem das Buch am Ende realer erscheint als das Spätherbstwetter draußen. Unfassbar, der Typ.


    Weitere meiner Rezensionen findet ihr überigens auf meinem kleinen Bücherblog unter http://lehrzeilen.blogspot.de/. Viel Spaß beim Lesen,


    eure Jean