Damals... Seite 1 - 100

Ich muss gestehen, ich habe gestern abend schon mit dem Roman begonnen und stecke bereits im 2. Kapitel. Da ich damit aber noch nicht durch bin, schreibe ich hier erstmal über meine Eindrücke zu Kapitel 1.

Was mich erstmal erstaunte, waren die fehlenden Kapitelüberschriften, die ich aus den anderen Romanen kannte. Hier wird einfach gezählt.

Ich mag schon den Titel des Romans "Damals als wir erwachsen waren". Er klingt so melancholisch und erfordert Nachdenken: Was will die Autorin uns damit eigentlich sagen? Dass man später im Leben zurückdenkt und sich daran erinnert, wie es war ein Erwachsener zu sein? Aber mit 53 Jahren (dem Alter der Protagonistin) ist man ja noch nicht so "spät im Leben". Hinter die eigentliche Bedeutung bin ich noch nicht gekommen. Ich bin gespannt darauf, wie sich dieser Titel auflösen wird.

Nun zum Kapitel. Im Original beginnt es mit dem Satz:

Zitat

"Once upon a time, there was a woman who discovered that she had turned into the wrong person. [...] Most people her age would say it was too late to make any changes. What's done is done, they would say. No use trying to alter things at this late date. It did occur to Rebecca to say that. But she didn't." (S. 1)

Also quasi: "Vor langer Zeit lebte eine Frau, die erkannte, dass sie sich in die falsche Person verwandelt hatte. Die meisten Menschen ihres Alters würden sagen, dass es zu spät sei, daran etwas zu ändern. Was geschehen ist, ist geschehen. Es bringt nichts, jetzt noch etwas daran zu ändern. Dies zu sagen, kam auch Rebecca in den Sinn. Aber sie sagte es nicht."

Ich finde, dass dieser Romanauftakt sehr gut zum Titel passt. Er stimmt nachdenklich, weist auf ein Leben hin, dass dahinfloss, aber nicht die Erfüllung ihrer Träume war. Zudem deutet er an, dass es Veränderungen und Erlebnisse geben wird. Damit hatte mich Anne Tyler schon.

Zur Handlung des Kapitels:

Die Familie Davitch feiert am Ufer des North Folk Rivers bei Baltimore die Verlobung der jüngsten (?) Stieftochter von Rebecca. NoNo wird den geschiedenen Anwalt Barry heiraten, der seinen Sohn Peter gegen dessen Willen in die Familie mitbringt.

Da jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist, versucht Rebecca die Feier geselliger zu gestalten und schlägt ein Baseballspiel vor. Wenig begeistert folgen die anderen Familienmitglieder ihrem Vorschlag. Da sich das Spiel der Erwachsenen aber nicht gut anlässt, holt sie ihre Enkel dazu. Dabei kommt es durch ihren Einsatz und Peters Schreckhaftigkeit zu einem Unfall: Peter fällt in das kalte Wasser des Flusses. Es wird deutlich, dass er keinen Kontakt zu den Davitchs sucht.

Wer kann es ihm verdenken? Er trauert wahrscheinlich seiner Mutter und der verlorenen Familie hinterher (ging irgendwo hervor, wann Barrys Scheidung war?).

Die Verlobung von NoNo und Barry ist sehr überraschend, was den Schwestern und Rebecca nicht klug vorkommt. Aber während Rebecca versucht, gute Miene zu machen, lehnt ihre Stieftochter Patch Barry zutiefst ab und glaubt, er wolle NoNo nur heiraten, um sein Leben zu vereinfachen.

Als Peter nach den Glückwünschen trotzig in den Hecken verschwindet, endet der "fröhliche" Tag.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht (weiß ja auch schon ein wenig mehr). Das zweite Kapitel hilft, die einzelnen Personen besser einzuordnen. Es waren ja doch sehr viele Charaktere, die hier im ersten Kapitel eingeführt werden. Man stürzt förmlich in das Familienleben hinein. Um den Überblick zu behalten, habe ich mir einen Stammbaum aufgezeichnet. Aus technischen Gründen kann ich den grafischen Stammbaum hier nicht wiedergeben, werde aber versuchen, einen Überblick zu geben. Vielleicht hilft es euch bei der Lektüre:

Rebecca + Joe Davitch

Joe - verstorbener Ehemann von Rebecca
Joes Töchter aus erster Ehe: Biddy, Patch, NoNo
Joes + Rebeccas Tochter: Min Foo (Minerva)
Joes Bruder: Zeb
Joes Onkel: Poppy

Biddy

mit Troy befreundet
Kind: Dixon (18 Jahre)

Patch

verheiratet mit Jeep
Kinder: Emmy, Meredith/Merry (7 Jahre) und Danny (13 Jahre)

Min Foo

verheiratet in 3. Ehe mit Hakim
Kinder: Joey + Lateesha, 3. Kind wird erwartet

Viel zu diskutieren habe ich in diesem Kapitel nicht gefunden, aber vielleicht kommt das noch.

Edit: 2x die Familienübersicht bearbeitet

Hallo Fezzig,
nachdem ich gestern mein dünnes Buch von "Miguel Delibes, Der Verrückte" fertig gelesen habe, konnte ich es mir auch nicht verkneifen schon mal mit "Damals als wir erwachsen waren" zu beginnen. Ich bin jetzt auf Seite 32-ebenfalls 2.Kapitel.
Und sofort ist man mitten drin in der Familie.
Ergänzend zu deinen Ausführungen möchte ich nur noch sagen, dass Peter, Barrys Sohn, erst 12 Jahre alt ist. Seit wann die Eltern geschieden sind, wird bisher nicht erzählt. Ich denke mal, dass der Schmerz darüber noch recht tief sitzt. So erklärt sich jedenfalls sein Verhalten.
Ein besonders fröhlicher Tag war es aber von Anfang an nicht, weil die Angehörigen spät von der Verlobung erfahren. Besonders Patch glaubt, dass Barry nur einen Mutterersatz für Peter sucht. In den nächsten Kapiteln werden wir wohl erfahren wie es um die Liebe von NoNo und Barry steht.
Was es mit dem Buchtitel genau auf sich hat, durchblicke ich noch nicht. Ich kann nur Vermutungen anstellen. Da ich nur wenige Jahre jünger bin als Rebecca, die Protagonistin, bestätige ich die Zeit des Umbruchs. So manche Frau nutzt die Zeit für so eine Art Neustart, denn sie genießt die Freiheit auf die Familie keine Rücksicht nehmen zu müssen. Dies setzt neue Energie frei.
Die im Raum stehende Frage nach einer "Willkommensparty" scheint verworfen.
Ich reagiere erleichtert, denn seit ich Anne Tylers neustes Buch "Tag der Ankunft" gelesen habe, zeigt sich bei mir ein gewisses Abwehrverhalten sprich Allergie zu solchen "Festlichkeiten".
So heute Abend lese ich weiter. Mal sehen was das 2. Kapitel weiterhin zu bieten hat.
Gruß Wirbelwind

Anne Tyler. Damals als wir erwachsen waren

Ich stecke auch in Kapitel 2, genauer gesagt auf Seite 14.

Es ist mein erstes Buch von Anne Tyler (abgesehen von "Atemübungen", das ich vor gut 15 Jahren gelesen habe und kaum mehr Erinnerung daran habe). Aufgrund der vielen, vielen positiven Rückmeldungen hier im Forum zu Anne-Tyler-Büchern ist meine Erwartung dementsprechend groß.

Diese Familie scheint ja voll zu sein von interessanten, eigenwilligen Personen und Konstellationen. Danke, Fezzig, für die Aufstellung, es ist zu Beginn wirklich schwierig einen Überblick zu behalten.

In Kapitel zwei erfährt man viele interessante und wissenswerte Hintergründe. Rebecca war ja nur kurz (6 Jahre) mit Joey verheiratet, ehe dieser ums Leben kamn und sie dann seine Familie "erbte". Das ist wohl auch nicht einfach und die Erfahrungen machten sie wohl zu einer sehr starken, selbstbewussten Frau. Mir gefällt, dass sie viel Optimismus und Lebensfreude versprüht. Das Verhalten ihrer Tochter (3 Kinder von 3 verschiedenen Männern) muss doch für eine Mutter zum Haareraufen sein, doch Rebecca nimmt es mit mehr oder weniger Humor.

Ich finde den Titel des Buches auch sehr schön, worauf er anspielt, lässt sich wohl erst nach der Lektüre interpretieren.

Meine Eindrücke zum 2. Kapitel:

Wir erfahren mehr über Rebeccas Alltag im Haus der Davitchs. Sie empfindet sich als Randfigur, obwohl sie eindeutig der Mittelpunkt der Familie ist. Das Kapitel beginnt mit ihrem Traum von einem Sohn (den sie nicht hat), der ihr ähnelt - einem Jungen, der ebenso wehmütig und hoffnungsvoll in die Zukunft schaut.

Ob er ihr Alter Ego wird, der andere Entscheidungen trifft, als sie das tat? Jemand, auf den sie ihre Wünsche und Sehnsüchte im Rückblick auf ihre Vergangenheit projeziert und der das Leben lebt, das sie durch ihre Entscheidungen verpasst hat. Anders kann ich mir sein wiederholtes Auftauchen (noch) nicht erklären.

Außerdem erhalten wir ersten Einblick in Rebeccas Vergangenheit vor ihrer Ehe mit Joe. Ihr Kennenlernen hat mich zum Schmunzeln gebracht. Rebecca auf einer Party, die sie so gar nicht genießt und dann Joes Anmache, dass sie sich scheinbar gut amüsiert. Dann noch Mama Davitch, die ihr den Schinken auf die Schuhe fallen lässt und sie als Joes Freundin missinterpretiert.
Die ganze Szene war herrlich abstrus!

Wie heißt das Haus eigentlich im deutschen? Im englischen heißt es "Open Arms".

Die beispielhafte Party in Rebeccas Haus war ein gutes Exempel für ihr tägliches Leben, dass sie mit wunderbarer Leichtigkeit und Würde meistert, tief in sich aber doch ablehnt.

Ich bin gespannt, ob sie zum Schluss erkennen wird, dass dieses Leben ihre Bestimmung ist.

Ich habe bestimmt wieder die Hälfte vergessen, aber bei euren späteren Kommentaren wird es mir sicher wieder einfallen.

Ich bin jetzt bei Seite 100 angelangt, damit endet Kapitel 3.

"Open Arms" heißt auf deutsch - ziemlich unspektakulär - "Offene Arme".

In den Kapiteln 2 und 3 erfahren wir viel über Rebeccas Vergangenheit und mittlerweile habe ich auch eine Idee, was uns der Titel des Buches sagen soll.

Rebecca wurde damals - mit süßen 19 bzw 20 - "über Nacht" erwachsen. Herausgerissen aus dem Studentendasein, in dem Mami noch alles bezahlte - war sie plötzlich Mutter von 3 kleinen Kindern und hatte in einem Betrieb mitzuhelfen. Plötzlich gab es nur mehr das "Erwachsenendasein". Auch in den darauf folgenden Jahren ging es so weiter, v.a. als sie dann "Alleinerzieherin" war, sämtliche Verantwortung für die Kinder und den Betrieb hatte.
Jetzt, mit 53 - die Kinder sind selbstständig - kann sie es sich wieder erlauben, an sich selber zu denken, die letzten 30 Jahre Revue passieren zu lassen und festzustellen, dass damals ein richtiger Riss in ihrem Leben passierte. Es zeichnet sich ab, dass sie - jetzt, mit 53 - ihr Leben nochmals auf den Kopf stellen möchte, Versäumtes nachholen möchte.

Ein bisschen klingt Wehmut durch, würde sie alles noch einmal so machen? Oder würde sie das College abschließen und einen anderen Weg wählen?

Rosalita: danke für die Übersetzung!

Ich habe heute morgen Kapitel 3 beendet. Der Roman gefällt mir zunehmend besser. Im 3. Kapitel bekam ich ein Gefühl, dass mich immer bei Südstaatenromanen überkommt. Es ist sehr familienzentriert, die Sprache warm und herzlich-hart. Ein Stil, der mich an die Romane von Rita Mae Brown erinnert (z. B. durch die Beziehung zwischen Rebeccas Mutter und Tante Ida) oder an "Die göttlichen Geheimnisse der YaYa-Schwestern".
Ich bin sehr froh darüber, diesen Roman im Original zu lesen.

Zum Inhalt:
Rebecca besucht ihre Mutter in Church Valley und spielt mit dem Gedanken, in den Ort zurückzuziehen. Diese Idee verwirft sie aber schnell wieder. Ihre Mutter ist echt eine Type... Ihre Reaktion auf die Wegwerfaktion ihrer Schwester (die Briefmarken) ist so überzogen, aber für ihren Charakter nicht verwunderlich. Sie will sich ihre Unabhängigkeit auf keinen Fall nehmen lassen. Finde ich sehr verständlich, wenn man bedenkt, dass sie knapp 50 Jahre ohne einen Ehemann durchs Leben gehen musste. Sie hatte Rebeccas Leben klare Linien vorgegeben und dann bricht ihre Tochter einfach aus - die größte Enttäuschung ihres Lebens. Dies lässt sie sie auch jetzt noch spüren.

Rosalitas Einschätzung teile ich ebenfalls.
Auch wenn sie gute Erinnerungen an ihre (kurze) Verlobungszeit hat, erfährt man doch, dass es nicht alles rosenrot war. Die drei Mädels machen ihr das Leben schwer, ihre Mutter und die Freunde in Church Valley sind enttäuscht und lehnen ihre Entscheidung ab, ihr Verlobter Will fällt aus allen Wolken und auf Joes Seite sind nicht alle glücklich.

Die Stelle, an der ihr ihre Mutter Vorhaltung über ihre Entscheidung macht, erinnerte mich an Patchs Vorbehalte gegenüber Barry. Die gleichen Vorurteile. Hier wiederholt sich die Geschichte!

Ich bin gespannt, wie es weitergehen wird. Der Roman macht Spaß.

So bin nun auch auf Seite 100 gelandet.
Verursacht durch ihren Traum beschäftigt sich Rebecca mit dem Gedankenspiel was wäre wenn. Richtig die Begegnung mit Joe Davitch hat sie über Nacht vom Teenager zur Erwachsenen werden lassen. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht. Hat sie es bereut? Nicht immer war alles in rosa Seide gehüllt. Es bestehen Parallelen von Joe und ihr zu Barry und NoNo. Aber noch sind die beiden nicht verheiratet. Wer Anne Tyler kennt ahnt, es kann noch viel paßieren.
Der Besuch bei der Mutter macht ihr jedenfalls klar, dass sie nicht an den Ort ihrer Kindheit zurück möchte. Die Mutter wirft ihr insgeheim immer noch ihre Entscheidung von damals vor und sie bevormundet sie gerne, spielt den Pedant, die Überlegene (z.B. Tisch decken). Rebecca betrachtet sie kritisch und erkennt ihre Fehler (siehe Essen), aber sie spricht sie nicht darauf an.
Was ist aus Will, dem damaligen Verlobten geworden? Hat er geheiratet? Wird sie ihm noch begegnen? Wäre sie mit dem damals schon festgelegten Weg glücklich geworden? Selten läßt sich die Zukunft so vorausplanen. Hätte sie damit nicht ihre Stärken unterdrückt?
Das sind alles Fragen, die mir im Kopf herumgehen. Ich bin gespannt was Anne Tyler daraus macht. Bis jetzt gefällt mir der Roman ganz gut, denn ich bemerke,dass ich mich mit dem Thema beschäftige - immer ein gutes Zeichen.
Jetzt genieße ich noch den schönen Sonntagnachmittag mit meiner Familie und heute Abend lese ich weiter.
Gruß Wirbelwind

Anne Tyler, Damals als wir erwachsen waren (LR)

Hallo Karthause,

schön, dass du inzwischen in die Geschichte gefunden hast!

Zitat

Original von Karthause
Anne Tylers Buch spielt wieder in Baltimore. Weiß jemand von euch ob alle ihre Romane dort handeln? Die, die ich bisher von ihr las, waren alle dort angesiedelt.

Zu deiner Frage habe ich diesen Artikel gefunden: http://travel.independent.co.uk/americas/article125047.ece

13 ihrer Romane spielen in Baltimore. Das dürften fast alle sein, oder?

Zitat

You mean if I go to Baltimore, I'll find Anne Tyler characters in the flesh?

In the opinion of some, Baltimore is a living Anne Tyler novel: full of peculiar citizens and strange, inbred traditions. The city is an amalgam of north and south, owing partly to Maryland's historic role as a slave-owning state that stayed in the Union. Anne Tyler herself is a hybrid of north and south. Born in Minneapolis in 1941, she grew up in North Carolina. As a writer, her sense of place, character and language are southern, but she observes from the point of view of an outsider.

Da lag ich mit meinem "Südstaatengefühl" gar nicht so weit weg von der Wahrheit.

Hallo Karthause,
willkommen an Bord.

Gruß Wirbelwind