Irène Némirovsky - Die Hunde und die Wölfe / Les Chiens et les Loups

  • Irène Némirovsky - Die Hunde und die Wölfe
    Les Chiens et les loups


    Irène Némirovsky, Jahrgang 1903, wiederentdeckte ukrainisch-französische Autorin, veröffentlichte den Roman "Die Hunde und die Wölfe" im Jahr 1940. Nur zwei Jahre später starb sie in Auschwitz.


    Ada, Ben und Harry tragen denselben Nachnamen "Sinner", wachsen in derselben Stadt in der Ukraine auf - und doch könnten ihre Startpositionen ins Leben nicht unterschiedlicher sein. Ada und Ben wachsen in der ärmlichen jüdischen Unterstadt auf, Harry, der Bankierssohn, in der wohlhabenden Oberstadt. Welten prallen aufeinander als Ben und Ada nach einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung Schutz bei Harrys Familie suchen - ein Zusammentreffen, das Angst, Neid, Hass und Liebe schürt.
    Nach der russischen Revolution leben die verschiedenen Sinners in Paris; es hat sich nicht viel geändert - Ada, die Malerin, ist noch immer aus der Ferne, in ihren Träumereien in Harry verliebt, Ben eifersüchtig und neidisch. Erinnerungen an die Heimat und Kindheit bringen Harry und Ada einander schließlich näher. Doch Aufstieg und tiefer Fall, Hoffnung und Angst sind nahe beieinander für die jüdische Familie Sinner.


    Der Roman ist durchzogen von Melancholie, von den Schwierigkeiten, die die jüdische Bevölkerung in Russland und in Paris hat und über die in den entscheidenden Momenten oft der Reichtum hinweghelfen konnte
    Er erzählt die Geschichte einer großen Liebe, der träumerischen, die gesellschaftlichen Differenzen überbrückenden Liebe Adas zu Harry.
    Die gemeinsame Herkunft baut eine ebenso enge Bindung auf, wie die Näherung an die christlich-französische Gesellschaft schwierig bleibt. Die Angst vor dem Fremden lebt bei allen.


    Némirovsky ist eine Autorin, die ich schon lange kennen lernen wollte und ich wurde von diesem Buch in keiner Art und Weise enttäuscht.
    Sie schafft es, in wenigen Zeilen ihre Charaktere lebendig werden zu lassen, Szenerien vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Müsste ich dem Roman eine Farbe zuordnen so wäre es ein nebliges Grau, denn trotz all seiner farbigen Schilderungen durchziehen Schwermut und Traurigkeit die Seiten. Die Suche nach dem Glück ist Motor für die Handelnden, doch sie finden es nie auf Dauer. Némirovsky schreibt mit Empathie in einer schnellen und doch poetischen Sprache, mitreißend und traurig.
    Es wird mit Sicherheit nicht meine letzte Lektüre der Autorin gewesen sein.


    Katia

  • Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, die Autorin hatte ich schon länger Zeit "im Visier". Die Geschichte selber ist sehr traurig, sehr melancholisch aber ohne Sentimentalität. Es ist ein Buch, dass mich nach dem Lesen nachhaltig beschäftigt hat.


    Die Themen sind vielfältig, und nicht nur in der damaligen Zeit - das Buch spielt in der Zwischenkriegszeit - aktuell: das Schicksal von Fremden in einer "neuen Heimat", die traurige Gewissheit, dass vieles sich mit materiellem Reichtum leichter lösen lässt, aber auch der tröstende Beweis, dass materieller Reichtum nicht Garant für Glück und Zufriedenheit ist. Sehr beeindruckend und authentisch wird das Leben des "Großbürgertums" geschildert und die Sehnsucht der unteren Schicht, auch ein wenig "dazuzugehören". Dass das Brechen dieser gesellschaftlichen Schranken nur mit gegenseitigen Kompromissen gelingen kann, muss die Protagonistin Ada am eigenen Leib verspüren.


    Von mir eine glatte Empfehlung! Ich persönlich freue mich schon sehr auf die Lektüre meines BT-Gewinnspiel-Marathon-Buches "Suite francaise" ;)

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ein wunderbares Buch mit einer schönen Sprache, bei dem ich viel "anstreichen" konnte. Dennoch verblieb ich angesichts der "Lösung" des Romans etwas skeptisch. Was Rosalita andeutet über die vermeintliche "Macht des Geldes" scheint hier für mich zu sehr hervorgehoben zu werden. Die Protagonisten lassen sich bei ihrem Handeln an einem gewissen Punkt auf diese Logik ein...?! (Oder ich habe etwas falsch verstanden.)

  • Inhalt (Kurzbeschreibung bei amazon)


    Als sich Ada und Harry das erste Mal begegnen, fürchtet sich der
    behütete Sohn einer reichen jüdischen Familie in der Ukraine vor der
    armen Kusine. Doch Ada weiß vom ersten Augenblick an, dass sie ihn nie
    vergessen wird. Jahre vergehen. Die junge Ada ist Malerin geworden und
    mit ihrer Tante Rhaissa, der schönen Kusine Lilla und dem umtriebigen
    Vetter Ben in Paris gelandet. Mühsam sucht jeder seinen Platz in der
    Fremde. Eines Tages erfährt Ada, dass auch Harry in der französischen
    Metropole lebt und in das Großbürgertum eingeheiratet hat. Sie erkennt,
    dass er nicht glücklich ist, dass aber in seinem Leben noch immer kein
    Platz für sie ist. Erst als Harry in einer Buchhandlung zwei Gemälde
    von Ada entdeckt, sind die Erinnerungen wieder da. Ein heißes Begehren
    für diese wilde, innerlich bedingungslose Frau flammt auf. Beide
    spüren, dass sie füreinander bestimmt sind. Harry wird Adas Geliebter
    und will sich von seiner Frau trennen. Doch Bens waghalsige Geschäfte
    bringen ihn in höchste Gefahr. Und Ada muss eine furchtbare
    Entscheidung treffen.


    Autorin (Klappentext)
    Die Jüdin Irène Némirovski wurde 1903 als Tochter eines russischen Bankiers in Kiev geboren und kam während der Oktoberrevolution nach Paris. Sie studierte französische Literatur an der Sorbonne, schrieb zahlreiche Romane und avancierte bald zum Star der Pariser Literaturszene. Während der deutschen Besatzung erhielt sie als Jüdin Veröffentlichungsverbot. 1942 wurde Irène Némirovski verhaftet und starb wenige Wochen später in Auschwitz. (...)


    Meine Meinung


    Der Roman, der in Rezensionen als "Liebesroman" bezeichnet wird, ist meiner Meinung nach zunächst ein "geschichtlicher" Roman, der die Situation der Juden zu Beginn des 20.Jahrhunderts beschreibt. Die Kindheit der drei Hauptfiguren wird recht ausführlich beschrieben: die jüdischen Kinder Ada und ihr Cousin Ben wachsen im Armenviertel einer ukrainischen Stadt auf. Am anderen Ende der Stadt, im Viertel der Wohlhabenden, lebt ihr Cousin (Großcousin) Harry, dessen Familie es zu Wohlstand gebracht hat.
    Die Juden gelten als "Fremde" und erfreuen sich keiner großen Beliebtheit, allerdings wird die Ablehnung in verschiedenen Schattierungen deutlich. Die reichen Juden braucht man zum Geschäftemachen, die Armen sind dagegen zur Jagd freigegeben und es ist auch in einer solchen Progrom-Nacht, dass Ada und Ben ihren reichen Verwandten Harry und dessen Familie kennenlernen und Ada eine (unerklärliche) Zuneigung zum verhätschelten Weichei Harry fasst.
    Die eigentliche Liebesgeschichte ereignet sich Jahre später in Paris, wobei mir persönlich viele Handlungen der drei Hauptakteure nicht nachvollziehbar sind:
    -die Verbissenheit, mit der Ada sich an ihren Traum von Harry klammert und die Sturheit, mit der sie ihn verfolgt und schließlich zur Strecke bringt
    -ihre Heirat mit Ben, den sie eigenen Aussagen zufolge nicht liebt und nie geliebt hat
    -Bens Heirat mit Ada, er wirkt eigentlich nicht wie ein Mensch, der sich mit halben Sachen zufriedengibt
    -Harrys Wandel vom Ablehnenden zum Verliebten
    Auch wenn ich als rationaler Mensch über diese Verhaltensweisen den Kopf geschüttelt habe, so habe ich das Buch doch mit großem Vergnügen gelesen. Irène Némirovski kann erzählen und betrachtet - obwohl sie selbst Jüdin ist - die Juden durchaus mit einer kritischen Distanz, wobei sie wiederholt zu ihrer Meinung nach "typisch jüdischen" Eigenschaften Stellung nimmt. Über ihre Cousine, die sympathische, aber nicht übermäßig kluge Lilla, denkt Ada:
    "Infolge ihrer Dummheit entging sie dem Fluch einer Rasse, die nicht ruhen kann, sondern unaufhörlich und vergebens stärker zu sein sucht als Gott selbst." (S.134)
    Der Roman ist meinem Empfinden nach nicht nur von Melancholie durchzogen , sondern plädiert in der Person Adas auch für Mut und Kraft zum Neuanfang. Stellenweise ist er natürlich traurig (die Furcht der Juden vor immer neuen Feindseligkeiten und Angriffen), andererseits wird auch mit einer Menge Humor erzählt - facettenreich und in flüssig lesbarer Sprache.
    :arrow: Durchaus empfehlenswert. Ich werde sicherlich noch weitere Bücher dieser Autorin lesen! :thumleft:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Enigma: Ich kann Dir Suite francaise nur sehr ans Herz legen! Dieses Buch war eines meiner Highlights überhaupt!


    Irène Némirovski kann erzählen und betrachtet - obwohl sie selbst Jüdin ist - die Juden durchaus mit einer kritischen Distanz


    Auch in "Suite francaise" ist mir diese Erzählart aufgefallen. Es wird aus der Sicht der Franzosen im 2. WK geschrieben, und sie als Französin geht mit den Franzosen teilweise sehr hart ins Gericht .... !

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Danke für den Tipp! Dieses Buch werde ich mir aus der Bücherei besorgen und an ihr anderes Buch kann ich glücklicherweise auch herankommen. :thumright: :thumleft:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Dieser Roman läßt mich etwas nachdenklich zurück, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass mir die Liebe von Ada und Harry nicht so ganz behagt d. h. ich begreife die beiden nicht immer und am Schluß sehe ich nur Verlierer.
    Davon abgesehen ist der Roman erzählerisch wieder eine Offenbarung und so landet er in meiner persönlichen Nemirovsky-Rangordnung (nach Suite francaise und Feuer im Herbst) auf Platz drei. :D


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Hanns-Josef Ortheil, Die große Liebe

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • d. h. ich begreife die beiden nicht immer und am Schluß sehe ich nur Verlierer.


    So ging es mir auch: das Verhalten einiger Figuren war für mich nicht nachvollziehbar, trotzdem ist es ein sehr gut zu lesender Roman.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Irène Némirovsky - Die Hunde und die Wölfe“ zu „Irène Némirovsky - Die Hunde und die Wölfe / Les Chiens et les Loups“ geändert.
  • Dies war nunmehr das vierte Buch der Autorin, das ich las - und meiner Meinung nach das bislang schwächste. Ähnlich wie €nigma bereits schrieb, konnte ich die Liebesgeschichte und das teilweise kindische Verhalten der drei Protagonisten nicht so recht nachvollziehen.


    Spannender fand ich die Beschreibung des jüdischen Lebens zur damaligen Zeit. Positiv zu vermerken sind auch die zeitlichen Sprünge / Lücken zwischen den Kapiteln. Das erinnerte mich stark an "Die Familie Hardelot", wo die Autorin ebenfalls die Meilensteine im Lebenslauf beschreibt und dann ein paar Jahre vorbeiziehen lässt. Das strafft die Erzählung erheblich, es kommen eigentlich keine langweiligen Momente auf, und sie kann erfreulicherweise geschickt an vorherige Kapitel anknüpfen, ohne dass man als Leser meint, etwas zu verpassen oder eine Geschichte zu holprig erzählt wird.


    Insofern Jammern auf hohem Niveau, denn sehr gut schreiben kann sie. Aber thematisch gefielen mir andere Romane von ihr einfach besser.

  • Dieses Buch habe ich leider immer noch nicht gelesen. Es ist mein persönliches Mysterium - ich habe es vor Jahren mal gekauft und dann ist es spurlos verschwunden. Trotz x-maligem Bücherregalumräumen habe ich es nie wieder gefunden, bin mir aber sicher, dass ich es auch nicht verliehen oder verkauft habe. Schräg.


    Danke fürs In-Erinnerung-Rufen, vielleicht kaufe ich es mir einfach noch mal und bilde mir dann endlich mal selbst eine Meinung.


    "Suite francaise" und "Herr der Seelen" mochte ich gerne.

  • Ein wunderbares Buch mit einer schönen Sprache

    Gerade eben habe ich das Buch beendet und finde ebenfalls, dass es eine sehr schöne Sprache im Original bietet. Die deutsche Version kann ich nicht beurteilen.




    Dieser Roman läßt mich etwas nachdenklich zurück, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass mir die Liebe von Ada und Harry nicht so ganz behagt d. h. ich begreife die beiden nicht immer und am Schluß sehe ich nur Verlierer.

    Ein bisschen geht es mir auch so. Ich würde aber nicht direkt sagen, dass es nur Verlierer gibt. Ich weiss nicht, wie ich es genau erklären soll, aber hier wurden Träume gelebt. Aber sobald diese sich dann schlussendlich als unmöglich erweisen wird kapituliert. Vielleicht etwas zu krass ausgedrückt :uups: :-k



    die vermeintliche "Macht des Geldes" scheint hier für mich zu sehr hervorgehoben zu werden.

    Stimmt, schlussendlich spielt dies doch eine grosse Rolle, obwohl man anfänglich nicht direkt das Gegenteil glaubte, aber sowas in der Art :scratch:

    ☆¸.•*¨*•☆ ☆¸.•*¨*•☆ La vie est belle ☆¸.•*¨*•☆☆¸.•*¨*•☆