Titel der Originalausgabe: "Pan. Af Lojtnant Thomas Glahns Papirer" (1894)
ZitatIn den letzten Tagen dachte und dachte ich an des Nordlandsommers ewigen Tag. Ich sitze hier und denke an ihn und an eine Hütte, in der ich wohnte, und an den Wald hinter der Hütte, und ich mache mich daran, einiges niederzuschreiben, um die Zeit zu verkürzen und um meines Vergnügens willen.
So beginnt der Roman "Pan" von Knut Hamsun. Es ist ein berühmter Romananfang mit einer besinnlichen, schwermütigen Stimmung, die aus der Stille und Einsamkeit des Ich-Erzählers erwächst und eine tragische Liebesgeschichte einleitet.
Der junge Leutnant Thomas Glahn lebt in einer Hütte am Waldrand oben im Nordland Norwegens. Er hält sich abseits von den Menschen, nur sein Hund Äsop ist bei ihm. Gemeinsam gehen sie auf die Jagd und streifen stundenlang durch die Wälder. Für Glahn ist die Natur beseelt, überall fühlt er die Gegenwart Pans, des bocksbeinigen und schalkhaften Schutzgottes der Ziegen, Hirten und Jäger. Der Wald steckt für ihn voller Geheimnisse und Traumgesichte, jeder Zweig, jedes Blatt, selbst die Steine sprechen zu ihm. Hier spürt er Glück, Lebensfülle und tiefen Frieden.
Eines Tages lernt er Edvarda kennen, die Tochter des Kaufmanns Mack von Sirilund, fast noch ein Kind mit ihren "langen dunklen Händen" und ihrem "leuchtenden Mund". Er verliebt sich in sie, und während der Nordlandsommer anbricht mit seinen hellen Nächten, in denen die Sonne fast nie untergeht, erleben sie eine kurze Zeit des Glücks. Doch Edvarda nimmt ihn nicht ernst. Launisch und stolz weiss sie selbst nicht so recht, was sie will. Und da ist auch noch der Baron, der eine gute Partie für die Tochter des ehrgeizigen Kaufmanns wäre. Glahn ist verzweifelt. Auch die selbstlose Liebe der sanften, warmherzigen Eva tröstet ihn nicht in seinem Kummer.
Schliesslich reist er ab. Aber er kann Edvarda nicht vergessen....
Wie die meisten Figuren in Hamsuns Romanen ist auch Thomas Glahn ein intelligenter, hochsensibler Sonderling und Eigenbrötler, ein Aussenseiter der Gesellschaft, deren moralische Grundsätze er nicht anerkennt. Er lebt in seinem eigenen Kosmos, einer Welt romantischer Naturverbundenheit und gefühlsbetonter Individualität. Doch trotz seiner selbstbewussten Posen steht er dem Leben und der Liebe hilflos gegenüber.
Auf den Leser wirkt er nicht unbedingt sympathisch, zu moralisch fragwürdig und ambivalent ist sein Verhalten. Aber Hamsun - der grosse Kritiker der Zivilisation - geht es nie um Gut und Böse. Er will das Geheimnis des komplexen Innenlebens des Einzelnen offenbaren, die unbewussten seelischen Vorgänge, die rätselhaften Empfindungen, die Tagträume. Und das macht er mit einer so ausgefeilten künstlerischen Meisterschaft und so einer tiefen Kenntnis der menschlichen Seele, dass ich angesichts seiner kleinbäuerlichen, ärmlichen Herkunft immer wieder verblüfft bin.
Seine Sprache ist schlicht, aber voller Kraft und ganz unverwechselbar. Ihm gelingt es, den eigenartigen Zauber bestimmter Situationen, Gefühle und Stimmungen aufleuchten zu lassen. Eine solche Stelle ist zum Beispiel der Liebestraum Glahns. Er träumt von Iselin, der "Geliebten des Lebens", der grossen Liebenden, die sich allen Männern um der Liebe willen hingibt. Iselin - wohl eine norwegische Mythengestalt - erzählt ihm von dem ersten Mann, den sie geliebt und nachts in ihre Kammer gelassen hat. Und ihre Empfindungen in dieser Nacht und am folgenden Morgen - das beseligende, schwebende Entrücktsein der ersten Verliebtheit - beschreibt er auf wunderbare, tief berührende Weise.
Hamsun hat mit seinen Romanen, besonders mit "Hunger", "Pan" und "Segen der Erde" die Literatur um die Jahrhundertwende stark beeinflusst. Er wurde von ganz unterschiedlichen Schriftstellern bewundert, u.a. von Thomas Mann und Kurt Tucholsky, von Mascha Kaléko und Gottfried Benn. Heute wird er, scheint mir, kaum noch gelesen. Das ist sehr schade. Für mich ist seine Faszination ungebrochen. Vielleicht lest Ihr "Pan" ja mal.
Zum Autor
Knut Hamsun (Pseud. für Knud Pedersen Hamsund) wurde am 4. August 1859 in Lom (Gulbrandsdal) geboren und starb am 19. Februar 1952 auf Gut Norholm (Aust-Agder). Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Kleinbauern auf und durchlebte eine harte, wechselvolle Jugend. Er arbeitete in verschiedenen Berufen in Nordamerika und Norwegen. 1890 erschien sein erster, autobiographisch gefärbter Roman "Hunger", der als literarisches Ereignis gefeiert wurde. Fuer "Segen der Erde" bekam er 1920 den Nobelpreis. Weitere seiner Werke: "Viktoria", "Mysterien", die "Landstreicher"-Trilogie ("Landstreicher", "August Weltumsegler" und "Nach Jahr und Tag"), "Schwärmer", "Gedämpftes Saitenspiel".
Wegen seiner Sympathie für die Nationalsozialisten wurde er 1945 in Norwegen als Landesverräter verurteilt. Nur seines hohen Alters wegen kam er nicht ins Gefängnis, musste aber eine hohe Geldstrafe zahlen, die ihn finanziell praktisch ruinierte. Reue über seine Verirrung zeigte er bis zum Schluss nicht.