1. Teil: Seite 9 - 83

  • Na dann trau ich mich mal 8)


    Ich habe vom ersten Teil jetzt etwas mehr als die Hälfte gelesen, komme aber leider nur schleppend vorran, da es ja doch ein etwas anstrengender Schreibstil ist. Die langen Sätze, die vielen Aufzählungen ... da bin ich froh, das Koeppen das Buch nicht wie ursprünglich geplant völlig ohne Punkt geschrieben hat [-o<


    Bisher tauchen noch immer neue Personen auf, ich habe angefangen mir Notizen zu machen um den Überblick nicht zu verlieren. Was bereits deutlich wurde, ist, dass hier ganz verschiedene Kriegsschicksale dargestellt werden, jeder hat sein Leid mit den Nachwirkungen des 2. Weltkrieges und muss im neuen System erst seinen Platz finden, alle hardern mit ihrem Schicksal. Ich bin sehr gespannt wie sich das entwickelt, da ich davon ausgehe, dass alle Einzelschicksale irgendwie miteinander verbunden sind, bis jetzt gibt es nur kleinere Berührungspunkte.


    Wie zB hier:



    Der Schreibstil erschwert mir zwar das lesen, aber er ist wohl das, was dieses Buch unter anderem zum Klassiker machte. Koeppen beschreibt, analysiert und vergleicht in einem, bezogen auf Situationen und Momente aber auch die Akteure. Vor allem die unendlich vielen Vergleiche sind es die mich immer wieder faszinieren.


    Folgendes Beispiel hat mir da zB gut gefallen:


    So nun bin ich gespannt wie eure ersten Eindrücke sind und ich :study: erstmal weiter :wink:

  • Hallo miteinander,


    ich habe den ersten Teil auch bis ca. zur Hälfte gelesen.


    Aber dennoch muss ich leider mitteilen, dass ich aus dieser Leserunde aussteigen werde.
    Ich bin gestern, für mich unerwartet, bei meiner Arbeit entlassen worden. Dementsprechend durcheinander, wütend, und ausschliesslich mit diesem Thema beschäftigt bin ich nun.


    Ich hoffe, Ihr habt Verständnis. Sobald sich die Wogen geglättet haben und ich weiss, wie es bei mir weitergeht, freue ich mich sehr, wieder bei einer Leserunde teilzunehmen.


    Viele Grüsse
    Coco

  • Coco: :shock: wie das denn? Man kann doch nicht einfach so ohne Weiteres entlassen werden?


    Aber es ist natürlich total verständlich, dass Du im Moment keine Lust auf Koeppen hast! Ich wünsche Dir alles Gute!


    Ich habe erst ein paar Seiten gelesen, der Stil gefällt mir, keine Frage. Auch die Thematik - BRD der Nachkriegszeit - spricht mich sehr an. Aber um irgendwelche Statements abzuliefern, habe ich noch zuwenig gelesen.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Off Topic:


    Zitat

    Original von Rosalita
    Coco: :shock: wie das denn? Man kann doch nicht einfach so ohne Weiteres entlassen werden?


    Ich bin noch in der Probezeit, also erst seit 4 Monaten in diesem Unternehmen, das derzeit 2stellige Prozentpunkte Gewinn einfährt - ich habe heute erfahren - unter der Hand - dass es wohl eine "politische" Entscheidung war. :twisted:


    Aber nun genug dieses Themas - ich werde bestimmt verfolgen, wie Euch der "Koeppen" gefällt. :)


    LG
    Coco

  • Ich wollte mich mal kurz zu Wort melden.
    Ich bin aufgrund verschiedenster Umstände auch noch nicht sehr weit gekommen.
    Nur das Wenige, was ich bisher gelesen habe, gefällt mir bisher recht gut.
    Dies ist sicherlich kein Roman, den man so nebenbei überfliegen kann, sondern man muß schon ziemlich konzentriert dranbleiben.
    Was mir bisher auffällt, ist die für mich spürbare Authentizität, mit der Koeppen die Stimmung und Denkweisen der damaligen Zeit darzustellen vermag.


    Soweit mein erster Eindruck ; ich werde aber mich aber gleich im Anschluß wieder in das München der Nachkriegszeit begeben.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


    :study:John Irving - Owen Meany

  • ***OffTopicStart***
    @ Coco: Alles gute für die Zukunft, ich drück dir die Daumen, dass du schnell wieder etwas findest!!!
    ***OffTopicEnde***


    Zitat

    Original von Welf
    ich werde aber mich aber gleich im Anschluß wieder in das München der Nachkriegszeit begeben.


    Was zu beweisen wäre :wink: Koeppen erwähnt an keiner Stelle, dass sich die Handlung in München abspielt. laut dem was ich mir an Zusatzinfos durchgelesen habe, wollte er eigentlich, dass die Handlung in jeder beliebigen deutschen Großstadt der Nachkriegszeit angesiedelt sein könnte, es wird nur weithin angenommen, dass er München als Vorlage nahm ...



    Was haltet ihr von den eingestreuten Zeitungsmeldungen??? Ich finde sie meist recht passend, obwohl es mich manchmal auch irritiert, aber so fügt sich die handlung noch mehr in den historischen Kontext ein.

  • Ich bin ja völlig unvoreingenommen an das Buch herangegangen. Es ist mein erstes Buch von W. Koeppen, wir hatten ihn auch in der Schule nicht einmal erwähnt.


    Bei "München" stutzte ich auch ein wenig und dachte, ich hätte was überlesen.


    Die Idee mit den eingestreuten Zeitungsmeldungen finde sehr gut, man wird direkt in die Zeit von damals versetzt und mit den damaligen politischen und wirtschaftlichen Themen konfrontiert (Kalter Krieg, Atom-Problematik, geteiltes Deutschland, Erdöl, amerikan. Besetzung, etc.)


    Zu den Personen kann ich noch nicht viel sagen, es kommen ständig neue dazu und von keinem hat man bis jetzt Näheres erfahren.


    Es ist recht mühsam, das Buch zu lesen, es erfordert ungeteilte Aufmerksamkeit.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Zitat


    Was zu beweisen wäre :wink: Koeppen erwähnt an keiner Stelle, dass sich die Handlung in München abspielt. laut dem was ich mir an Zusatzinfos durchgelesen habe, wollte er eigentlich, dass die Handlung in jeder beliebigen deutschen Großstadt der Nachkriegszeit angesiedelt sein könnte, es wird nur weithin angenommen, dass er München als Vorlage nahm ...


    Klugscheissmodus ein:

    Einspruch, euer Ehren.


    In der Beschreibung bei Amazon als auch im Klappentext meiner Ausgabe findet sich folgender Aussage:


    "Kurzbeschreibung Amazon"
    "Tauben im Gras", 1951 erstmals erschienen, ist der erste Roman jener "Trilogie des Scheiterns", mit der Wolfgang Koeppen eine erste kritische Bestandsaufnahme der sich formierenden Bundesrepublik Deutschland gab. Mit Vehemenz und unerbittlicher Schärfe analysiert Koeppen die Rückstände jener Ideologien und Verhaltensweisen, die zu Faschismus und Krieg geführt haben und die schließlich in den fünfziger Jahren die Restauration der überkommenen Verhältnisse protegierten. Dabei ist das literarische Verfahren von "Tauben im Gras" ein kaleidoskopartiges: Der ganze Roman schildert Gestalten und Vorgänge eines einzigen Tages im München des Jahres 1949. Mit einer Fülle genauer atmospärischer Details zeichnet Koeppen den Nachkriegsalltag dieser Stadt, die sein Protagonist, der verhinderte Schriftsteller Philipp, wie ein Schlachtfeld erlebt, wie ein undurchdringliches "Pandämonium".


    Klugscheissmodus aus.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


    :study:John Irving - Owen Meany

  • Bis jetzt gefaellt mir Koeppen sehr. Man muss sich an seinen Stil gewoehnen, aber wenn man sich konzentriert und sich dem Sprachrhythmus ueberlaesst, findet man gut in das Buch hinein.
    Vor allem zu Beginn des Romans haeufen sich die Aneinanderreihungen von Substantiven, Adjektiven oder kurzen Saetzen. Dieser harte, etwas atemlose Stil dient der Inventur, der ungeschminkten, schonungslosen Bestandsaufnahme einer haesslichen, heruntergekommenen, klaeglichen Nachkriegswirklichkeit. Die Menschen finden sich als Besiegte, als Verlierer wieder, sie haben ihre Angehoerigen verloren und ihren Besitz, sie leiden Hunger und Not und muessen jeder fuer sich sehen, wie sie zurechtkommen. Auffaellig ist, dass offenbar niemand an die Opfer des Krieges denkt; die Konzentrationslager scheinen schon vergessen zu sein. Statt sich schuldig zu fuehlen, sehen sich die meisten der Figuren eher selbst als Opfer des Krieges. Allerdings ist das wohl ein notwendiges Gesetz des Ueberlebens: verdraengen, vergessen, um ueberhaupt weiterleben zu koennen.
    Ein weiteres Stilmittel Koeppens ist die assoziative, anspielungsreiche Sprache und die Verwendung des "Bewusstseinsstroms", worin sich deutlich der Einfluss von James Joyce erkennen laesst.
    Eine assoziative Sprache erfordert einige Aufmerksamkeit und ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, aber sie eroeffnet weite Raeume, da sie oft ganz verschiedene Dinge miteinander verbindet und zeitlich und raeumliche weit Auseinanderliegendes verknuepft. Einmal wird dadurch das, was das Assozierte an Stimmung und Atmosphaere freisetzt, auf das Dargestellte uebertragen, zum anderen benutzt Koeppen (wie vor ihm Joyce) den Vergleich zwischen dem Dargestellten und dem Assozierten zur ironischen Brechung.
    Zwei Beispiele:

    Zitat

    Auf der Strasse lag damals noch der Schutt der zerbombten Gebaeude. Der Wind wehte Staub auf. Die Ruinen waren wie ein Totenfeld, ausserhalb jeder Wirklichkeit des Abends, waren Pompeji, Herkulaneum, Troja, versunkene Welt. (S. 45)


    Hier entrueckt Koeppen eine ganz konkrete Situation - den Anblick der zerbombten Strassen - in eine mythische Dimension, vergleicht sie mit dem Untergang grosser antiker Reiche, deren Ruhm und Geschichte bis heute ueberdauert haben. Der ironische Beiklang: Das sogenannte "Dritte Reich" hielt gerade mal 12 Jahre und ging in Schimpf und Schande unter.

    Zitat

    Fuer wen opferte sie sich, Priesterin und Hirschkuh in einer Gestalt, eine verkommene Iphigenie, von keiner Artemis beschuetzt, nach keinem Taurien entrueckt. (S. 31)


    Hier wird Emilia mit Iphigenie verglichen, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden sollte, aber von Artemis nach Taurien entrueckt wurde, die statt ihrer eine Hirschkuh auf den Altar legte. Emilia fuehlt sich als Opfer, als Opfer des Krieges, der sie beraubt hat, und als Opfer Philipps, auf den sie hofft, der sie aber enttaeuscht. Und das Heiligtum, das sie wie eine Priesterin bewacht, ist ihre herrschaftliche Villa, letzter Rest des Reichtums, des "Fein - heraus - Sein durch die glueckliche Geburt" (S. 31), des untergegangenen grossen Erbes.


    So, mein Sermon ist laenger als das ganze Buch von Koeppen. Morgen fasse ich mich kuerzer, versprochen!

    Gruss mofre

    :study: Willa Cather - Meine Antonia

    :study: Wolfgang Herrndorf - Tschick

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    :study: James Wood - Die Kunst des Erzählens















  • @ Welf


    Da ich eine ältere Ausgabe habe steht es bei mir nicht auf dem Klappentext, aber bei Amazon habe ich das auch gelesen. Wie ich schon sagte wird weithin angenommen, dass Koeppen die Handlung in München ansiedelt, was aufgrund der zahlreichen Hinweise (Straßennamen etc) sicherlich auch recht wahrscheinlich ist. Im Text werden wir aber sicher nie über das Wort "München"stolpern, darauf wollte ich hinaus ;) Es ist doch durchaus nicht unwichtig, wenn man berücksichtigen möchte, dass es das Ziel des Autors war, die Geschichte auf sämtliche deutschen Großstädte adaptierbar zu gestalten.

  • Zitat

    Original von mofre
    Ein weiteres Stilmittel Koeppens ist die assoziative, anspielungsreiche Sprache und die Verwendung des "Bewusstseinsstroms", worin sich deutlich der Einfluss von James Joyce erkennen laesst.
    Eine assoziative Sprache erfordert einige Aufmerksamkeit und ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, aber sie eroeffnet weite Raeume, da sie oft ganz verschiedene Dinge miteinander verbindet und zeitlich und raeumliche weit Auseinanderliegendes verknuepft. Einmal wird dadurch das, was das Assozierte an Stimmung und Atmosphaere freisetzt, auf das Dargestellte uebertragen, zum anderen benutzt Koeppen (wie vor ihm Joyce) den Vergleich zwischen dem Dargestellten und dem Assozierten zur ironischen Brechung.


    Ich finde dieses Stilmittel auch recht faszinierend, habe aber so das Gefühl, dass ich es mir oft gar nicht aktiv bewusst ist, da ich einfach zu wenig Hintergrundwissen habe, um zu assoziieren. :uups:
    In einer Passage über "Emilia" (bei mir Seite 31, beginnend mit Ein Schrein, ein Altarschrein...., konnte ich zwar mit den einzelnen Namen und Begriffen was anfangen, doch der Zusammenhang fehlte mir. Ich verstand eigentlich nur Bahnhof. :roll:


    Nach den ersten 30 Seiten, die zugegebenermaßen doch etwas mühsam waren, bin ich jetzt mit dem Stil sehr vertraut und bis Seite 55 angekommen.


    Es sind schon recht traurige Geschichten, die man so erfährt. Emilia stammt wohl aus gutem Hause, hat Reichtümer geerbt, und trotzdem ist sie jetzt auf dem Weg zum Pfandhaus. IHr Mann Philip,

    Zitat

    der hier sein Sach auf nichts gestellt, aber dort im Spirituellen vielleicht ein Guthaben hatte?

    scheint auch nichts mehr an ihr zu finden.


    Dr. Behrends große Zeit ist wohl auch schon vorbei. Im Kriegslazarett war er ein angesehener Arzt, jetzt verdient er sein Geld mit Blutspenden? :?:


    Langsam werden auch Zusammenhange der Personen zueinander erkennbar, besonders die "Kreuzung" scheint ja ein Treffpunkt - wenn auch unbewusst - aller Handelnden zu werden.


    Freue mich schon auf die nächsten Seiten!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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  • Ohne, dass es bei mir aufm Klappentext zu lesen war: Irgendwie hatte ich auch nach dem lesen dieses ersten Abschnitts die Handlung mit München assoziiert. Das irgendwo erwähnte Weisswurstessen, die amerikanische Besatzungszone und das mit der Stadt legten mir das schon recht nahe. Vor allem Ersteres...


    Um mich gleich mal einzuschränken: Am meisten fasziniert hat mich das Verhältnis von Odysseus zu Joseph - eine vollkommene Umkehr der Rollen, wie sie wohl gerade in den USA auch da noch verteilt waren (was er auch durch Washington zeigt). Nicht nur vom äußeren Verhalten her, sondern auch die Sprechweise.


    Für mich hat sich auch nach den ersten paar Seiten die Geschichte gewandelt - anfangs nahm ich eher an, dass es sehr auf Erinnerungen fixiert sein wird, auf das Hängen im Alten - aber je weiter ich gelesen habe, umso mehr hatte ich den Eindruck, dass es mehr eine Zustandsbeschreibung und ein Wegweiser für die Nachkriegsgesellschaft wird. Die eben das auch schon ist und sich als diese klar im Aufbau befindet - mit ein paar Neuerungen.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam

  • Ich bin nun schon seit gestern mit dem ersten Teil durch und mir ziemlich sicher, bisher nichts vergleichbares gelesen zu haben.
    Obwohl, wie schon mehrfach hier erwähnt, das Buch dem Leser die völlige Aufmerksamkeit abverlangt, belohnt es denjenigen, der sich darauf einlässt, mit unglaublich tiefgehenden Schilderungen der einzelnen Charaktere.
    Mich hat zum Beispiel das Schicksal das schwarzen Washington schon sehr bewegt.
    Er kämpft für ein Land, das seine schwarzen Mitbürger zu dieser Zeit unterdrückt und an den Rand der Gesellschaft stellt, sie aber gleichzeitig für seine Interessen auf den Schlachtfeldern der damaligen Zeit sterben lässt.
    Er spürt die Ablehnung, die ihm als Mitglied der ungeliebten Besatzungsmacht und vor allem ihm als Farbiger entgegengebracht wird.
    Und nun gipfelt die Situation, als er erfährt, daß sein Kind abgetrieben werden soll.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


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  • Ich bin mittlerweile auch mit diesem Teil durch - gut Ding' braucht Weil' ;)


    Mir geht auch v.a. das Schicksal des Farbigen Washington sehr zu Herzen. Koeppen zeigt die Absurdität rund um Rassenhass so richtig auf. Bei Washington zuhause in Baton Rouge sind Weiße unerwünscht, in Deutschland waren Juden unerwünscht, und eigentlich ist auch er hier unerwünscht.
    Sein Wunsch, eine Kneipe zu eröffnen mit dem Eingangs-Schild "Niemand ist unerwünscht" ist sehr verständlich.


    Ich finde auch, dass die MÜhe, die dieses Buch abverlangt, belohnt wird.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Koeppen beschreibt sehr treffend die Amerikaner und ihren Umgang mit den Deutschen. Obwohl sie Sieger und Besatzer sind, benehmen sie sich den Deutschen gegenueber sehr freundlich und hilfsbereit. Natuerlich haben sie nicht so unter dem Krieg gelitten wie die Englaender und vor allem die Russen, aber Naziterror und vor allem Holocaust scheinen ihr Verhaeltnis zur Bevoelkerung nicht staerker zu belasten.
    Dazu kommt die fast kindliche Naivitaet der amerikanischen Zivilbevoelkerung, die niemals einen Weltkrieg auf eigenem Boden erlebt hat. Die Lehrerinnen aus Boston zum Beispiel, die eine Sightseeing-Tour durch Deutschland machen und das mittelalterlich, romantische Deutschland zu sehen erwarten, das " Land der Dichter und Denker, der Musik und der Gesaenge"(S. 48 ). Enttaeuscht blicken sie nun ueberall auf Ruinen und Truemmer, auf eine farblose Stadt mit ganz normalen Leuten wie in Amerika auch, nur dass die Frauen "schlecht angezogen" (S. 49) sind.


    Interessant finde ich auch, dass Koeppen die schwierige Rolle des Schriftstellers nach dem Krieg thematisiert, also seine eigene. Philipp hatte gerade mit seinem ersten Roman ein wenig Beachtung gefunden, da wurde seine Karriere durch den Krieg bereits im Keime erstickt. Jetzt befindet er sich in einem Dilemma. Die Menschen verlangen nach seichten, harmlosen Buechern und Filmen, die nichts mit der niederdrueckenden, problematischen Wirklichkeit zu tun haben, wie die der Zeit und dem Raum entrueckten Erzherzog-Filme, die sein Freund Alexander dreht (O.W: Fischer laesst gruessen). Diese Literatur der "falschen Gefuehle" (S. 52) zu schreiben ist Philipp sich zu schade, die wahrhaftige Literatur kann er nicht schreiben, er ist blockiert, weil


    Zitat

    (...) ich mir's nicht zutraue, den Geschmack der Leute zu aendern (...) (S. 54)


    Hier wird eine Auffassung von der Rolle des Dichters und Intellektuellen beschrieben, wie sie von der Antike ueber Lessing, Herder, Schiller und vor allem Goethe bis vielleicht noch zu Thomas Mann und Hermann Hesse gueltig war: Der Dichter als Praezeptor, als Vordenker und geistiger Repraesentant seines Volkes, der dessen Geschmack formt und bildet und dessen moralisches Gewissen ist. Diese Rolle ist nun in Frage gestellt. Die Kunst hat sich gegenueber der Wirklichkeit als machtlos erwiesen, sie konnte den Krieg und den Holocaust nicht verhindern, und sie erweist sich auch der Nachkriegswirklichkeit gegenueber als machtlos, weil sie nicht weiss, welchen Trost sie den Menschen spenden, welchen Sinn sie ihnen aufzeigen kann.


    Aehnlich geht es dem anderen Schriftsteller in diesem Roman. Der in Amerika geborene, aber in Europa lebende und sich als Europaeer fuehlende Edwin ist im Gegensatz zu Philipp ein etablierter, weltberuehmter Dichter. Hochgebildet und sensibel hat er ueber die "Unsterblickeit, ueber die Ewigkeit des Geistes, die unvergaengliche Seele des Abendlandes" (S. 42) geschrieben, aber auch er


    Zitat

    kam mit leeren Haenden, ohne Gabe, ohne Trost, keine Hoffnung, Trauer, Muedigkeit, nicht Traegheit, Herzensleere. Sollte er nicht schweigen? (S. 42)


    Die Kunst hat ihr Selbstverstaendnis, ihre traditionelle Rolle nach den ungeheuerlichen Naziverbrechen und den verheerenden Zerstoerungen durch den zweiten Weltkrieg verloren. Weiter machen wie bisher kann sie nicht, neue Formen und Ausdruecksmoeglickeiten hat sie noch nicht. Adornos Satz, dass ein Gedicht nach Auschwitz nicht mehr moeglich sei (ein Gedicht in alter Manier) fasst das Dilemma praegnant zusammen.


    So, meine Lieben, jetzt habe ich entgegen meinen Versprechungen wieder sehr lang geschrieben. Aber da wir Handwerker im Haus haben und mein Computer Schwierigkeiten macht, weiss ich nicht, wann ich wieder schreiben kann. Ich hoffe, ich oede Euch nicht an!


    Gruss mofre

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  • Zitat

    Ich hoffe, ich oede Euch nicht an!


    Nein keineswegs! Danke für Deine Ausführungen. Mir fällt es bei diesem Buch sehr schwer, die Gedanken vernünftig zusammenzufassen. Dir gelingt das prima!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Entschuldigt bitte, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, aus beruflichen und privaten Gründen, hatte ich leider kaum Zeit zum lesen und auch nicht wirklich fürs Internet, deshalb muss ich jetzt erst einmal alles liegen gebliebene aufholen, das Buch werde ich in jedem Fall weiter lesen, aber für die Leserunde bin ich wohl schon zu sehr im Rückstand, deshalb verabschiede ich mich erst einmal aus der Runde, sorry, bitte nicht böse sein, manchmal läuft es leider nicht so wie man es sich wünscht!!!