Margriet de Moor: Sturmflut

  • Inhaltsangabe (bei amazon kopiert)


    Einer plötzlichen Laune gehorchend tauschen zwei Schwestern über das Wochenende ihre Rollen. Die eine, Lidy, fährt zum Geburtstag der Patentochter der anderen, Armanda, auf die Nordseeinsel Schouwen-Duiveland. Daheim in Amsterdam kümmert sich Armanda währenddessen um Lidys Mann und die kleine Tochter.


    So weit, so unspektakulär. Doch weil das ganze ausgerechnet an jenem Wochenende vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 passiert, an dem die niederländische Küste von der seit Jahrhunderten schlimmsten Sturmflut heimgesucht wird, die Dutzende Deiche wegspült und beinahe die gesamte Region Zeeland verschluckt, kostet der kleine Rollentausch die 23-jährige Lidy das eigentlich gerade erst beginnende Leben. Das führt stattdessen Armanda, deren Idee der Wochenendtausch gewesen war, an der Seite von Lidys Mann und als Mutter der Tochter für sie fort. Ganz so, wie sie es sich schon zuvor in ganz kurzen Momenten insgeheim ausgemalt hatte.


    Die Autorin


    Margriet de Moor wurde als Margaretha Maria Antonetta Neefjes am 21. November 1941 in Noordwijk als eins von 10 Kindern (7 Mädchen, 3 Jungen) einer katholischen Familie geboren. Ihre Eltern waren Leiter der örtlichen Volksschule und Französischlehrerin.
    Durch das enge Zusammenleben mit ihren Schwestern (nicht nur das Zimmer, sondern gelegentlich auch das Bett wurde mit den Schwestern geteilt) bekam die Beziehung unter Schwestern in de Moors Leben eine besondere Bedeutung und wurde in ihren Büchern thematisiert.


    Meine Meinung


    Für mich war dieses Buch eher ungewohnte Kost, da ich gewöhnlich historische Romane, Krimis/Thriller und Biographien lese.
    Die Schwestern Lidy und Armanda sind nur ganz am Anfang der Erzählung "physisch" zusammen, dann bricht Lidy anstelle ihrer Schwester auf, um deren Patenkind zu besuchen. Ein Besuch ohne Wiederkehr, denn sie gerät in die große Sturmflut , die Holland am 1.2.1953 traf.
    Im Folgenden wird abwechselnd das Leben der Schwestern erzählt, wobei das Leben von Armanda stetig weitergeht: sie steigt in Lidys Leben ein, heiratet deren Mann, zieht ihre Nichte auf und bekommt noch zwei weitere Kinder. Jahre später folgt die Scheidung....ihr Leben wird bis zum Ende in einem Altenheim erzählt. Die ganze Zeit fühlt Armanda sich immer wieder "unwohl", weil sie das Gefühl hat, das eigentlich ihrer Schwester vorherbestimmte Leben auszufüllen und von ihrer Schwester "ausgefüllt" zu sein.
    Während die Erzählung in den Kapiteln über Armanda sich über eine Spanne von vielen Jahrzehnten erstreckt, decken die Kapitel über Lidy, die sich bis fast zum Ende des Buchs hinziehen, nur die 3 Tage der Sturmflut ab: in diesem Erzählstrang bleibt die Zeit also im Jahre 1953 stehen. In schockierenden Einzelheiten erfährt der Leser, wie die Menschen damals um ihr Leben kämpften und es doch verloren. Relativ kurz vor dem Ende erfährt man erst, warum Lidys Leiche seinerzeit nicht aufgefunden worden war, obwohl ihre Familie nichts unversucht gelassen hatte, sie zu finden.


    Insgesamt finde ich das Buch durchaus lesenswert, die parallele Erzählweise in zwei Zeitebenen hat einen eigentümlichen Reiz. Manchmal hatte ich persönlich gewisse Probleme, den Gedankengängen Armandas, bzw. der Autorin zu folgen und die Darstellung von Lidys letzen Stunden hätte auch etwas gestrafft werden können.
    Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es ein für mich nicht gewohntes Genre ist. Ich wüsste gern, was andere Leser (vor allem, wenn sie schon andere Bücher dieser Autorin gelesen haben) über die "Sturmflut" denken.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Hallo!
    Ich habe letztens eine Buchvorstellung zu diesem Buch gehört, die ich sehr interessant fand. Daher habe ich es jetzt mal auf meine Wunschliste gesetzt. Ich denke, es ist lesenswert.

  • Ich mag de Moors Bücher sehr gern. Aber ich habe "Sturmflut" seit einigen Wochen hier stehen (schon zweimal die Ausleihe verlängert), habe schon mehrmals angefangen, kam aber über die ersten Seiten nicht hinaus. Irgendwie habe ich nicht durchgeblickt, wer jetzt für wen wohin fährt.
    @ €-nigma, Deine Rezi hat mich ermutigt, dran zu bleiben.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Gut, dass ich es nochmal versucht habe. Ich finde das Buch insgesamt großartig, zum einen, wie de Moor es aufgebaut hat, parallel und zeitversetzt Armandas Leben und Lidys Sterben zu schildern. Dass Lidys letzte Stunden etwas gestraffter erzählt werden könnten, empfinde ich ähnlich wie €nigma; ich vermute, dass die Autorin mit der erzählten Zeit in Konflikt geriet: Zwei Tage parallel zu einem ganzen Leben, da muss auf der einen Seite gedehnt, auf der andern gerafft werden (Armandas Leben wird ab einem bestimmten Zeitpunkt auch nur noch episoedenhaft erzählt).
    Zum anderen gefällt mir die Idee, einen Menschen praktisch das Leben eines anderen leben zu lassen, als Mutter, Ehefrau und Freundin alles zu übernehmen, was die Schwester zurückgelassen hat. Dabei geht es nicht um ein Verwechselspiel, denn Armanda bleibt Armanda.


    Etwas überflüssig scheint mir der letzte Teil, das fiktive Gespräch zwischen der toten Lidy und Armanda am Ende ihres Lebens. Der Gedanke, der sich dort herauskristallisiert (ist es nicht egal, ob man ein langes oder kurzes Leben gelebt hat, wenn der Tod sowieso unausweichlich ist?), ist weit hergeholt und ziemlich unpassend.


    Für mich war es das fünfte Buch von Margriet de Moor und nicht das schlechteste. Vielen Dank, €nigma, dass Du mich durch Deine Rezension ermutigt hast dranzubleiben. In Dein bevorzugtes Genre passt vermutlich "Der Virtuose" von de Moor. Ich habs vor über 10 Jahren kurz nach dem Erscheinen gelesen und war damals begeistert. (Es wird im "Buch der 1000 Bücher" besprochen, und es gab / gibt es auch in der SZ-Reihe.)


    Marie

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  • Ich habe das Buch gerade ausgelesen. Und bin immer noch sehr beeindruckt. Diese unglaubliche Geschichte der beiden Schwestern ziehht den Leser in seinen Bann, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Auch trotz der nicht einfachen Sprache der Autorin Margriet de Moor und den verschiedenen Zeitebenen, liest sich das Buch flüssig.
    Ich kann es nur empfehlen. :thumleft:

  • Ich habe gerade Deine Rezension gelesen und finden diese Buch gehört auf jeden Fall auf meine Wunschliste.


    Vielen Dank für die tolle Rezension.


    LG Matsches

  • Hi
    Ich fand die Rezension auch super und bin durch die Kommentare sehr interessiert. Ich setze es ebenfalls auf meine Wunschliste.
    Insgesamt hört sich das Buch ziemlich düster an. Ist es das durchgehend?


    lg Jeanne

    :study: Monsieur Ibrahim et les fleurs du coran - Eric-Emmanuel Schmitt


    SUB: 89

  • Das Buch ist packend, schicksalhaft, aber gewiss nicht düster. Auch nicht Lidys tagelanger Kampf gegen die Fluten und ihr Sterben.


    Und Armandas Leben hat durchaus seine hellen Seiten. Sie hat eine innige Beziehung zu Lidys Tochter, die sie aufzieht, und sie ist auch nicht jede Sekunde ihres Alltags von ihrer toten Schwester "beherrscht".


    Marie

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  • garnicht düster? Na dann gefällts mir gleich noch besser :loool: Hat sich komischerweise für mich ziemlich so angehört. Bin derzeit so garnicht in düster-stimmung. Ich dachte nur weil doch die eine Schwester dann das Leben so ziemlich verloren hat oder? Da ärgert man sich doch für sie?


    lg jeanne

    :study: Monsieur Ibrahim et les fleurs du coran - Eric-Emmanuel Schmitt


    SUB: 89

  • Ja doch, Sterben ist eine ärgerliche Sache. :wink: Aber mitunter unumgänglich. O:-)


    Marie


    Marie,
    passender hätte ich es auch nicht ausdrücken können! :thumleft:


    Das Buch steht ebenfalls schon längst auf meiner Wunschliste. :wink:

  • kostet der kleine Rollentausch die 23-jährige Lidy das eigentlich gerade erst beginnende Leben


    Ein Besuch ohne Wiederkehr


    Lidys Sterben


    Lidys tagelanger Kampf gegen die Fluten und ihr Sterben


    klingt doch eindeutig, oder?


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • kostet der kleine Rollentausch die 23-jährige Lidy das eigentlich gerade erst beginnende Leben

    Damit könnte eben so gut gemeint sein dass ihr Leben dass sie führt beendet wird und nicht generell das Leben.
    Einen
    direkten grund dafür dass sie nicht in ihr altes Leben zurück kehrt ist
    mir nicht aufgefallen. Jeder stirbt mal ich wusste nicht das damit
    gemeint ist dass sie in der Flut stirbt.
    Ich habe das Buch nicht
    gelesen. So eindeutig war es für mich nicht. Ich habe gefragt ob man
    sich für sie ärgert weil ich dachte dass sie ebenfalls weiter lebt aber
    nicht zurück kehren kann.

    :study: Monsieur Ibrahim et les fleurs du coran - Eric-Emmanuel Schmitt


    SUB: 89

  • Ich lese gerade das Buch und bin gefesselt von der Erzählung. Der Wechsel zwischen Lidy und Armanda gefällt mir sehr gut. Man muss sich dann immer erinnern, dass die Abschnitte zu unterschiedlichen Zeitpunkten spielen.


    Liebe Grüße von der Buechereule :winken:

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Ich habe es jetzt durch. Nun es hat mir gefallen, so ist es nicht. Ich finde auch ihren Schreibstil ganz schön. Toll fand ich auch die verschiedenen Abschnitte, einmal mit dem Geschehen um Lidy und dann wieder Abschnitte mit Armanda. Gestört hat mich an dem Buch das Abschlusskapitel Responsorium, das imaginäre Gespräch zwischen Lidy und Armanda. Gut man hat noch einiges neues erfahren, aber für mich war irgendwie die Geschichte mit dem Ende des vierten Abschnitts abgeschlossen. Na ja meine Meinung.
    Alles im allen erhält das Buch von mir :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sternchen.


    Liebe Grüße von der buechereule :winken:

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


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    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Ich bin auch gerade dabei dieses Buch zu lesen. Mittlerweile das Fünfte der Autorin, nach Erst grau dann weiß dann blau; Kreutzersonate; Der Virtuose; und Herzog von Ägypten. All diese Bücher haben mir sehr gut gefallen und ich bin schon sehr gespannt wie es mir mit Sturmflut ergehen wird.
    Eine Rezi wird auf jeden Fall folgen.

  • Buch Nummer fünf der Autorin - und wieder einmal bin ich hellauf begeistert.
    Jedes Mal versteht Margriet de Moor es aufs Neue mich hoffnungslos mit ihrer besonderen Schreibweise in ihren Bann zu ziehen.
    Die Thematik der beiden Schwestern, die auf so tragische Weise voneinander getrennt werden und zugleich in Armanda zu einer Person verschmelzen wird sehr berührend dargestellt. Auch die Aufteilung der Geschichte in Armandas und Lidys Leben hat mir sehr gut gefallen. Auf der einen Seite Armanda, die Lidys Leben sozusagen übernimmt, ihren Mann heiratet und ihr Leben weiterlebt. Und auf der anderen Seite Lidy, die auf einem eisigen Dachboden um ihr Leben kämpft und den Kampf nach stundenlangem Bangen letztendlich verliert. Dieser Part ist so detailliert dargestellt, dass ich mich beim Lesen regelrecht verkrampfte, weil mich ihr Schicksal so mitgerissen hat.
    Der letzte Abschnitt gefiel mir sehr gut. Armanda und Lidy lassen die Geschichte noch einmal Revue passieren; der Leser hat noch einmal Zeit über alles nachzudenken. Und das Ende ist ein wirkliches Ende.