Edgar Hilsenrath - Der Nazi und der Friseur

  • So , ich habe das Buch heute ( vor ner halben Stunde) im Rahmen der Leserunde zu Ende gelesen. Das hier ist meine allererste Rezi , bitte gnädig sein.... :o


    Amazon: ( Inhalt)


    Worum geht es? Max Schulz, ein rein arischer, unehelicher Sohn der Minna Schulz wird nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens geboren. Alles was er an Kultur und Wissen vermittelt bekommt, erfährt er von seinem jüdischen Jugendfreund Itzig Finkelstein. So lernt er nicht nur Hebräisch, sondern er wird ebenso mit den jüdischen Gebräuchen vertraut gemacht. Während des Dritten Reiches wird Max ein SS-Mann und ein schlimmer Kriegsverbrecher. Um der Verantwortung für seine grässlichen Taten zu entgehen, schlüpft er nach Kriegsende in die Identität seines Jugendfreundes, der während der Nazi Zeit mit seinen Eltern in einem Konzentrationslager umgekommen ist. Er geht nach Israel, eröffnet in Tel Aviv einen Friseursalon und lebt dort als geachteter, unbescholtener Bürger weiter.


    Mir hat das Buch im großen und ganzen schon gefallen. Aber es ist unglaublich schwere Kost , wie ich finde; ein Vergleich mit Grass ist angebracht ( Hilsenrath ist aber besser :geek: ) So viel Metaphorik und Bildhaftigkeit ... Und diese Idee von Hilsenrath , dass ein Kriegsverbrecher sich zum Judentum rettet und da

    Grotesk!
    Was mir nicht gefallen hat: Wie auch bei Grass finde ich , dass einfach zu viel Perversität auftaucht. Vieleicht noch schlimmer...
    Also ich hab mir 8 von 10 Punkten notiert.


    Grüße, shia

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

    Einmal editiert, zuletzt von shia ()

  • "Der Nazi und der Friseur" war mein erster Hilsenrath, aber es sollte nicht mein letzter bleiben. Ein sehr guter Buchhändler hat ihn mir empfohlen und ich war ihm wirklich dankbar dafür.


    Natürlich ist es schwere Kost. Sich mit dem Thema Holocaust auseinanderzusetzen ist nie einfach, aber ich finde Edgar Hilsenrath hat eine wunderbare Art, dem Leser/der Leserin Zugang zu dem Thema zu verschaffen.


    Wenn du seinen Stil magst, kann ich dir "Das Märchen vom letzten Gedanken" empfehlen. Ich habe es sehr gerne gelesen!


    Lg
    Susannah


    PS: Hast du den Vergleich zu Grass hergestellt oder stand das in einer Rezi?

  • Huch , da sind ja schon 2 Posts.. :bom:


    Susannah Der Vergleich ist von mir aber nur, weil ich vor nicht allzu langer zeit "die blechtrommel" in der Schule lesen musste... :-?
    Empfidnest du die Ähnlichkeit zu Grass auch?


    Ich weiß nicht, ob mir das Märchen vom letzten Gedanken gut gefallen würde. Ich hab mir mal den Inhalt durchgelesen . Und zu meiner Schmach muss ich zugeben , dass ich nicht so gerne Bücher lese, die sich auf historische Kontexte beziehen , die ich nicht kenne. Da langweile ich mich sehr sehr schnell.
    Aber ein wunderschöner Buchtitel!!!

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  • Zitat

    Original von shia
    Susannah Der Vergleich ist von mir aber nur, weil ich vor nicht allzu langer zeit "die blechtrommel" in der Schule lesen musste... :-?
    Empfidnest du die Ähnlichkeit zu Grass auch?


    Ich muß zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie etwas von Günther Grass gelesen habe, daher macht mich der Vergleich neugierig. "Die Blechtrommel" und "Der Butt" stehen zwar in meinem Bücherregal, aber ... naja ... so many books, so little time! Wer kennt das nicht?!? :roll:


    Wenn du dich also mehr für 2. Weltkrieg interessierst, gibt es noch einen wunderbaren Hilsenrath. "Jossel Wassermanns Heimkehr" war das dritte Buch, das ich von ihm gelesen habe. Vielleicht wäre das ja was für dich. :wink:


    Lg
    Susannah


    PS. und o.t.: Wie kommst du denn mit "Trainspotting" klar? :-&

  • Edgar Hilsenrath ist einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller.
    Sein erster Roman "Nacht" ist ein erschütternder Roman, der sich mit einem rumänischen Ghetto befasst. Noch heute ist mir die Szene in Erinnerung, in der der Protagonist seinem geade verstorbenen Bruder den Mund zu Brei schlägt, um an die Goldzähne zu kommen.
    Keine leichte Kost, aber sollte man gelesen haben.

  • Danke für den Buchtipp , Susannah. Ich werde das Buch in meiner Wunschliste vormerken :wink:


    zu Trainspotting: Ich bin mir nicht so sicher, was ich von dem Buch halte. Die Sprache geht mir ziemlich auf die Nerven ( Anglizismen und dieses Gefluche). Und manche Sachen sind definitiv wiederlich und jugendgefährdend...
    Aber irgendwie pakt mich die Story schon, obwohl ich gar nicht weiß , warum :scratch: Ich werde es jedenfalls weiter lesen.
    Hast du es gelesen?

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  • Ich kann mich bei "Der Nazi & der Friseur" noch nicht entscheiden. Habe das erste Drittel gelesen und schwanke zwischen "faszinierend" und "abstoßend". Ich kann das schwer erklären. Die Geschichte ist sehr interessant, die Sprache teilweise aber sehr hart. Und ich weiß noch nicht so recht, wie ich es einschätzen soll, wenn Hilsenrath seine Protagonisten über den Krieg, den Holocaust und die Nachkriegszeit sprechen läßt. Es war damals eine sehr schlimme Zeit und im Prinzip ist Hilsenrath's harter Schreibstil passend. Also, ich schwanke noch ... Allerdings ist es so gut geschrieben, dass es mich stark fesselt und ich jeden Abend wieder zum Buch greife ... mal sehen, was noch kommt.

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Abschließend kann ich sagen, dass mich das Buch einerseits fasziniert hat und andererseits total abgestoßen hat. Aber die SS war nun mal abstoßend und Hilsenrath nimmt kein Blatt vor den Mund, sagt, was damals wirklich passiert ist. Das Buch ist erst nach langen Querelen in Deutschland veröffentlicht worden, nachdem es schon in den USA und anderen Ländern erfolgreich war. Kein Wunder, wird doch sehr drastisch aus Sicht eines "Zeitzeugen" beschrieben, was damals passierte.


    Zuerst konnte ich die "Metamorphose" vom SS-Mann Max Schulze zum Juden Itzig Finkelstein überhaupt nicht verstehen und grübelte ständig, wie das denn geht und so weiter ... aber es war interessant, was passiert wäre, wenn so eine Verwandlung stattgefunden hätte ... es ist eben ein Roman und keine Biografie. Sehr interessant war das Nachwort über die Entstehungsgeschichte von "Der Nazi & der Friseur" ...


    Fazit: Keine leichte Kost, sehr gut geschrieben ... manchmal dachte ich "auweia", manchmal "wie jetzt?" ... am Ende bin ich froh, das Buch gelesen zu haben :thumleft:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

    Einmal editiert, zuletzt von Steffi ()

  • Habe "Der Nazi und der Frisör" heute begonnen und bin etwas über Hilsenrath's Schreibstil erschrocken! Ziemlich derb! Aber er wurde ja schon mit Günter Grass verglichen! :D "Brechtrommel" war wohl mein erstes "Horrorbuch", was derben Schreibstil betrifft. :wink:


    Da mich Hilsenrath aber gleichzeitig auch fasziniert, werde ich Steffi's Fazit am Ende (hoffentlich) auch zustimmen! :D


    Winterliche Grüsse


    sunflowertanja

  • Ich habe heute das Buch beendet. *schwitz* Das war harte Kost! Huiiii!


    Aber ich kann Steffi's Fazit zu Hundertprozent zustimmen! :thumright:


    Was für ein Autor! Was für ein Schreibstil! Respekt! Bin tief beeindruckt!



    :santa:Winterliche Grüsse :santa:


    sunflowertanja

  • Ich durfte gestern im Grazer Literaturhaus Edgar Hilsenrath erleben. Es war sehr beeindruckend. Hilsenrath ist trotz seines hohen Alters und trotz der Tatsache, dass er kaum noch gehen kann, eine außergewöhnliche Erscheinung und Persönlichkeit. Er wurde von seinem Berliner Verleger begleitet, der die meisten der Texte - aus "Nacht" und "Der Nazi und der Friseur" - las und zwischendurch erzählte Edgar Hilsenrath aus seinem Leben, seiner Jugend im Ghetto, seiner Zeit in Rumänien und über seine ersten Versuche als Schriftsteller. Zum Schluß las er noch selbst eine Satire.

  • Ich durfte gestern im Grazer Literaturhaus Edgar Hilsenrath erleben. Es war sehr beeindruckend. Hilsenrath ist trotz seines hohen Alters und trotz der Tatsache, dass er kaum noch gehen kann, eine außergewöhnliche Erscheinung und Persönlichkeit. Er wurde von seinem Berliner Verleger begleitet, der die meisten der Texte - aus "Nacht" und "Der Nazi und der Friseur" - las und zwischendurch erzählte Edgar Hilsenrath aus seinem Leben, seiner Jugend im Ghetto, seiner Zeit in Rumänien und über seine ersten Versuche als Schriftsteller. Zum Schluß las er noch selbst eine Satire.


    Wow, das war sicher ein schönes Erlebnis *neid* :winken:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Eine schwarze Satire über Juden und Nazis - als Leser sollte man sich von Beginn an dessen bewusst sei, sonst behält das Buch einen faden Beigeschmack.


    Kein Wunder, dass sich deutsche Verlage schwer taten, Hilsenraths Werk zu veröffentlichen. Denn: was nicht sein kann, das nicht sein darf ?!
    Dennoch, mich hat Hilsenraths "Der Nazi & der Friseur" sehr angesprochen, zumal ich es nicht als Absurdum sehe, dass sich Täter in Opfer verwandeln, um ungeschoren davon zu kommen. Sein Schreibstil ist derb und lakonisch, doch gerade deshalb regt er zum Nachdenken an.


    Ein Buch, das aufgrund seiner Andersartigkeit bewegt, setzt es sich doch auf scheinbar völlig absurde Weise mit der Bearbeitung des Holocausts auseinander.

  • Geschrieben 1968/69 auf Deutsch erschien es doch erst 1977, lange nach der Erstausgabe auf Englisch 1971. Das Buch gliedert sich in sechs Bücher, die jeweils in 6-22 Kapitel unterteilt sind. So entstehen recht überschaubare Einheiten.


    Ich schliesse mich, insbesondere in den ersten Teilen des Romans, den hier oft aufgetauchten gemischten Gefühlen an. Einerseits ist man vom Schwung des Autors und der Gewalt der Erzählung fasziniert, doch dann frage ich mich auch, ob es dermaßen deftig bis pervers zugehen muss. Wenn ich persönlich zu dem sehr delikaten Thema der Shoa ein derart geschriebenes Buch überhaupt zulassen kann, bzw. keine Leichtfertigkeit darin sehen will, dann wohl nur, weil Hilsenrath als Jude und Betroffener eventuell «das Recht hat, sich auf diese Weise zu äußern».


    «Wunderbar und schön», wie einige schrieben, würde ich dieses Buch allerdings nicht bezeichnen. Wenn dann markant und prägend. Natürlich fragte ich mich schon, was hinter der Geschichte stehen mag. Ob es glaubhaft ist, dass ein SS-Massenmörder sich jahrelang als Jude ausgibt und damit durchkommt, scheint mir eventuell nicht die erste Intention zu sein (wenn es denn überhaupt einen Sinn macht, über solchen Sinn zu spekulieren).


    Ich selber fragte mich wohl, ob dieses «Spiel mit den Identitäten», oder – wie es Max Schulz selber ausdrückt – diese dauernde Kunst zur Verwandlung nicht irgendwo dezent auf die «Verwechselbarkeit oder Nähe» von Identitäten und Personen anspielt, zudem auch auf kriminelles Vorgehen der Deutschen nach dem II. Weltkrieg. Es wird amüsant (?), ja klischeeartig, dargelegt, wie in ihren Kindheiten, und auch später, Max und Itzig verwechselbar waren, bzw. der eine die scheinbaren äußerlichen Charakteristika des anderen hatte etc. Dann geht es in weitestem Sinne um Rollentausch!


    Für uns ganz paradox wird es, wenn Schulz irgendwo behauptet, gar kein Antisemit zu sein. Und wir fragen uns, mit welchen Erfahrungen (nämlich hier bei ihm positive in der Kindheit bei den jüdischen Nachbarn und Freunden) man dennoch abrutschen kann in die Rolle eines Massenmörders : nämlich einfach durch übergebene Waffen und übertragene Beteiligung.


    Parallel dazu – und das war wohl für viele hie und da eine bittere Pille – läßt der Autor dann zudem im zweiten Teil manche Kritik los. Die Vorgehensweise, die Titel z.B. der Untergrundkämpfer im zu befreienden Palästina werden mit Begriffen aus dem Nazismus übertitelt! Manche Juden handeln, allerdings im Kleinen, auch einteilend, herabschätzend etc. Oh, welche Anmaßung.


    Und man versteht aus all diesen Gründen heraus, dass das Buch nicht so leicht zu publizieren war... Insgesamt gesehen wird das Buch mit zunehmender Seitenzahl immer noch feinsinniger und beobachtender. Den letzten Teil habe ich dann mit Bewunderung gelesen.


    Hinter allem makabren und sehr schwarzem Humor scheinen mir hier die für mich prägendsten Aussagen zu stehen. Letztere Überlegungen zeugen wohl von meiner eigenen Unmöglichkeit, ein Buch zu diesem Thema als reine Unterhaltungsliteratur zu lesen.


    Nicht wegen der Aussagen an sich, wohl wegen der Sprache und Herbheit im ersten Teil, würde ich dieses Buch nicht jedem ohne weiteres empfehlen können. Man muss schon kräftig schlucken können...

  • Ich bin gerade enttäuscht. Nachdem mich in den letzten Wochen mal wieder die Lust auf meine noch ungelesenen Bücher zum Thema Holocaust gepackt hatte und ich drei sehr gute Romane gelesen hatte, habe ich mich nun endlich an dieses Buch heran getraut. Ich hatte es durch Zufall auf dem Flohmarkt entdeckt und vorher noch nie etwas davon gehört. Ich habe gerade nun gerade mal die ersten 60 Seiten geschafft und habe es dann entnervt und angewidert weggelegt. Dieser Schreibstil zu solch einem Thema ist meiner Meinung nach so dermaßen unpassend und übertrieben, auch wenn es gerade das ja zu sein scheint, was den Roman ausmacht. Ich finde keinen Gefallen daran und noch schlimmer: mir ist fürs Erste gründlich die Lust an diesem Thema vergangen. Werde mir heute Abend wohl mal etwas leichtes, zb einen Frauenroman vornehmen. :-?