"Der Eulenruf" von Irina Korschunow

  • Nach Ihrem ersten erfolgreichen Roman "Glück hat seinen Preis", dem Aufstieg und Verfall einer Kieler Handwerksfamilie, verlegt Irina Korschunow den Schauplatz ihres neuen Romans in ein Dorf irgendwo im Lüneburgischen.


    Süderwinnersen – das bedeutet Sand und Heide, ein paar Äcker und Wiesen, das andere Ödland und mehr Steine als Brot. So jedenfalls sah es dort aus, als Lene 1903 an einem kalten Herbsttag mit Nebel und Schlappschnee im alten Rauchhaus zur Welt kam, unerwünscht und viel zu spät für den abgerackerten Körper von Magdalena Cohrs. "Ich bin ohne Mutter aufgewachsen", sagte Lene später immer wieder, als sie das Dorf längst verlassen hatte, "ich habe im Dunkeln gesessen wie in einer Kammer ohne Fenster." Schon mit elf als billige Magd auf dem Hof ihres Bruders ausgenutzt, begreift Lene von Anfang an: Die guten Dinge dieser Welt sind nicht für mich – keine Wärme, kein Honig, kein Schinken, statt dessen Grütze, Plackerei und Schläge. Aber sie will da raus, ein erstes Auflehnen gegen Gewalt, zur richtigen Zeit allerdings, wie es dem praktischen Sinn armer Leuter, der Leiden im Ertragbaren hält, entspricht. Als Lenes Handel mit Gott – Choräle gegen dieses Leben – uneingelöst bleibt, als der Doktor aus Hamburg, der anders ist und freundlich, sie sitzenläßt mit dem Kind und das Dorf kein Erbarmen kennt, vergeudet sie keinen Moment mehr mit Tränen. Sie geht fort in die Fremde mit ihrem Kind, mit ihrem Mut, ihrer Sehnsucht und den Erinnerungen, die sie eines Tages zurückführen werden und hin zu einer Tat der Gewalt, weil sie Gewalt nicht mehr ertragen kann.


    "Menschen sollten prinzipiell Grenzen überschreiten", sagte die Autorin einmal. Lenes Geschichte ist die einer solchen Grenzüberschreitung. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich aus eigener Kraft aus ihrem sozialen Umfeld befreit und sich doch nicht korrumpieren läßt. Und es ist die Geschichte eines Dorfes in der Heide zu einer Zeit, als es noch keine Maschinen und Subventionen gab, sondern nur Armut und die wechselvollen politischen Ereignisse, die Kriege, Wirtschaftskrisen und Naziherrschaft mit sich brachten. Wieder liegt der Reiz von Irina Korschunows Prosa in der Leidenschaft, mit der sie menschliches Schicksal beschreibt, in ihrer Begabung, mit Humor und sensibler Sprache eine Fülle von Lebensgeschichten zu einer Geschichte zu fügen.
    Inhaltsangabe bei Hoffmann und Campe kopiert


    Ich stecke noch in den "Anfängen" des Buches und kann noch nicht soviel dazu sagen, aber auch hier ist es wie bei allen von mir bis jetzt gelesenen Büchern der Autorin, gleich mit den ersten Sätzen ist man als Leser mitten in der Geschichte......und DAS gefällt mir.
    Denn auch hier wieder "Die Geschichte in der Geschichte":
    Das mühsame Leben der Landbevölkerung in der Gegend um Lüneburg, Bauern, Tagelöhner, Gesinde, sich aufs tägliche Leben beziehende Bibelzitate, die Auswirkungen der großen Politik auch für die Landbevölkerung, 1.Weltkrieg, Pfändungen, Reparation, Inflation, Maschinisierung der Landwirtschaft und die - auch negativen - Folgen, das preußische Dreiklassenwahlrecht, das Hamburger Handelshaus Teich, Pastor Overbeck und "sein" paulinischer Sündenkatalog, die SA und die vermeintlich Schuldigen für alles Negative: Die jüdische Bevölkerung. Verfolgungen, Ermächtigungsgesetz, Zwangsboykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte, "Kristallnacht", 2.Weltkrieg, Kriegsende.....
    Ihr seht schon, ein "geballte Ladung" an Themen, die die Autorin mit Sicherheit wieder in gekonnter Manier zu einem schönen, und spannenden Roman verarbeitet haben wird.


    Gruss Bonprix ;)