Stefan Zweig - Schachnovelle

  • Ich habe heute zwar erst 10 Seiten lesen können, aber für einen ersten Eindruck genügt es.
    Bei der Schilderung des Werdegangs von Mirko zu Schachgroßmeister drängte sich mir immer wieder das Bild des Forrest Gump vor mein geistiges Auge.
    Auch hier der Aufstieg des kleinen Underdogs zum gefeierten Star, nur mit dem Unterschied, daß Mirko recht schnell begreift, wie er aus seiner Begabung Kapital schlagen kann.
    Ansonsten recht gut und flüssig zu lesen.
    Bin mal gespannt wie es weitergeht.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


    :study:John Irving - Owen Meany

  • Danke Richard für den ersten Eindruck, ich werde mir jetzt auch das Buch greifen, und mich auf der Couch flegeln (übrigens, Rosalita, es heißt flegeln und auch lümmeln, und beides sind Lausbuben ;) ) Mal schauen, ob ich nun auch Forrest Gump vor Augen habe, wird bestimmt der Fall sein ;)

  • Ja, bis auf Seite 10 kann man die naiven Aspekte von Forrest Gump sehr deutlich lesen, bis unser Schachmeister als geldgierig und sehr stolz beschrieben wird, dann verabschiedet sich diese Theorie.
    Ich bin jetzt bis zur der Szene als Dr. B. seine Lebensgeschichte zu erzählen beginnt. Und bei mir stellt sich eine Schwarz-Weiß- Denkweise ein, nur ist diesmal der Arme der Stolze und der Reiche der Bescheidene. Ich bin mal gespannt wie diese Schachpartie ausgeht :study:

  • Ich habe jetzt auch angefangen und bin auf Seite 37, habe genau an der Stelle abgebrochen, an der Dr. B in das Schachspiel eingreift. Da ich das Buch schon zweimal gelesen habe, ist mir, auch wenn das schon ein paar Jahre her ist, ungefähr klar was passieren wird, d.h. ich kann mich an Dr. B's Geschichte erinnern - nicht aber daran, wie das Buch ausgeht.
    Der Ich-Erzähler bleibt eine blasse Figur, die eigentlichen Hauptfiguren sind Czentovic und Dr. B. Czentovic ist dabei mehr als unsympathisch geschildert und kommt mir im Moment sehr künstlich vor - kann es wirklich einen solchen "Fachidioten" geben, der die Welt ausserhalb des Schachs überhaupt nicht wahrzunehmen scheint? Übrigens finde ich auch die Attitüde des Ich-Erzählers nicht sonderlich sympathisch - es hat so ein bißchen etwas von Freakshow, dass er den kauzischen Schachmeister unbedingt kennenlernen will. So gesehen bisher nur negative Figuren, denn McConnor mit seinem Ehrgeiz und seiner Sturheit gewinnt sicher auch keinen Beliebtheitspreis.
    Gut gefällt mir die Konstruktion der Novelle, die Geschichte wird zielstrebig erzählt und ist spannend und deswegen werde ich jetzt gleich mal weiterlesen :D


    Katia

  • Also, ich finde schon, dass die Sympatiefrage gestellt wird, man ergreift die Partei und damit die Sympatie für das Opfer Dr.B. Man hofft, dass er durchhält. Czentovic dagegen ist arrogant und dumm. Man (ich :wink: ) mag es im gönnen, wenn er auf den Sack kriegt, resp. im Schach verliert. Da ist Forrest Gump schon ganz anders. Trotz seiner Dummheit hat er einen Hauch der Genialität.

  • Zentral finde ich die Sympathiefrage auch nicht, ich finde es nur bemerkenswert, dass Zweig seinem "Helden" Dr. B nur weniger sympathische Menschen entgegenstellt. Ich habe Schach nicht so sehr mit Krieg assoziiert wie Du, Heidi, für mich ist es mehr ein Mittel zum Zweck: für Dr. B, um seiner Isolation zu entkommen, für Czentovic, um Geld zu verdienen. Im Prinzip steht es für eine relativ beliebige Obsession, gut, das stimmt nicht ganz, weil der Konkurrenzgedanken sehr wohl wichtig ist. Dr. B's Geschichte ist mitreissend zu lesen, tragisch und spannend



    Stefan Zweig hat sich 1942 das Leben genommen, Wikipedia schreibt:

    Zitat

    "aus freiem Willen und mit klaren Sinnen" aus Schwermut über die Zerstörung seiner "geistigen Heimat Europa"


    Ich finde diese Sorgen sind der Schachnovelle schon anzumerken, die Angst der Nationalsozialismus könnte nicht zurückgeschlagen werden.


    Katia

  • Ich habe die Geschichte gerade erst zu Ende gelesen, nachdem ich gestern keine Zeit dafür hatte. Zum Anderen wollte ich mir diese Erzählung in aller Ruhe zu Gemüte führen.
    Ich würde hier nicht unbedingt das Schachspiel als solches betrachten, als vielmehr auf das mehr oder weniger zufällige Aufeinanderprallen der verschiedenen Charaktere, welche durch äußere soziale/gesellschaftliche Umstände zu dem geworden sind, wie sie sich hier darstellen.
    Czentovic erliegt in seiner Naivität den Verlockungen des Geldes und entwickelt daraus Charaktereigenschaften, die ihn für uns sehr unsympathisch machen.
    Auf der anderen Seite Dr. B., welcher durch seine Inhaftierung und der daraus folgenden "Schachsucht" zum Neurotiker mit einer Tendenz zur Schizophrenie getrieben wird.
    Ich denke hier soll nicht nach vordergründiger Sympathie geurteilt,sondern mehr die Ursachen für die beiden unterschiedlichen Charaktere in die Bewertung derselben einbezogen werden.
    Das Schachspiel an sich ist nur die Bühne, auf der sich das ganze Szenario darstellt.


    Gruß
    Richard

    "Erst die Möglichkeit einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."


    Paul Coelho


    :study:John Irving - Owen Meany

  • Ich bin jetzt mitten in der Lebensgeschichte des Dr. B. Diese Inhaftierung war ja wirklich Gehirnwäsche der besonderen Art, ich kann mir gut vorstellen, dass er kurz vorm Verrücktwerden war.


    Das Schachspiel, in das Dr. B. dann letztendlich eingriff, war sehr spannend beschrieben. Wie sich Czentovic in seiner überheblichen Art in die Enge getrieben fühlte und dann meinte, er habe seinen Gegnern auch eine Chance geben wollen.


    Werde es heute noch auslesen und mir dann Eure "Spoiler-Postings" zu Gemüte führen!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ich habe die Novelle gestern in einem Zug durchgelesen.
    Zunächst finde ich den Schreibstil Zweig flüssig,klar und sehr doch gehaltvoll.Sehr beeindruckend, ich würde auf jeden Fall gerne noch ein Buch von ihm lesen.
    Über die Geschichte bin ich immer noch am Grübeln. (das kann bei solchen Geschichten ein paar Tage bei mir dauern :wink: )
    Also Forrest Gump wäre mir überhaupt nicht eingefallen,ich finde Czentovic und Gump fast gegensätzlich.Czentovic hat zwar autistische Züge und wird als dumm dargestellt,entwickelt sich jedoch zum, für uns, Negativen hin,sprich Geldgier,Arroganz,Fachidiotie.
    Es ist wie gesagt auch schwierig die Novelle "richtig" zu interpretieren,wegen ihrer Vielfältigkeit.
    Mein Eindruck war war eher der zweier gegensätzlicher Lebensläufe im dritten Reich.Der unsympathische und dumme,dessen grösste Kunst eigentlich im perfekten Nachahmen anderer liegt,schafft es zu Weltruhm und der intelligente,nette und engagierte Dr.B (ist er vielleicht Jude?) wird durch die Nazis zum geistigen Krüppel gemacht und unterliegt letzlich dadurch dem ersteren.

  • Je länger man sich Gedanken macht, um so mehr kann man aus dieser Novelle entnehmen.


    Mein erster Eindruck rein aus der Novelle war sehr auf das „Kriegsspiel“ bezogen, und die psychologische Komponente, dass Dr. B. es schafft sein eigener Schachgegner zu sein. Das ist normalerweise gar nicht machbar, das habe ich als Teenager, als ich mal eine Zeit lang selber Schach gespielt habe, gemerkt. Man müsste sich wirklich in zwei Persönlichkeiten spalten, um ein interessantes Spiel hin zubekommen. Das stand für mich direkt nach der Lektüre im Vordergrund.


    Der autobiographische Ansatz, der hier sehr wohl in Betracht kommen kann, und der dann sehr viel mit der Aufgabe des Spiels zu tun hat, bezieht sich auf das vorzeitige Ableben des Autors. Als ich „Die Welt von Gestern“ las, konnte ich es gar nicht begreifen warum dieser vorausschauende Mensch so kurz vor dem Ende des Krieges sich das Leben genommen hat. Zweig wäre für die Nachkriegszeit so wichtig für die Kunst und Literatur gewesen, das fand ich sehr schade. Leider kam der genaue Grund, warum Zweig das tat, nicht aus dem Buch hervor. Nur, dass er psychisch sehr darunter litt, weil er nicht in seiner Muttersprache veröffentlichen konnte, in fremden Ländern lebte, ja seine Bücher verbrannt und verboten waren. Doch dieses Schicksal hatten auch andere. Th. Mann z. B., er musste sich in Amerika auch noch zusätzlich einen finanziellen Rahmen schaffen; er war zwar nie arm, aber die finanziellen Mittel mussten dort neu angelegt werden. Zweig hatte nie Geldprobleme, aber anscheinend war er viel labiler und zerbrechlicher als Mann.


    Darüber hinaus gibt es bestimmt noch weitere Interpretationsmöglichkeiten, und ich hätte gerne gewusst, welche Zweig selber in Betracht gezogen hat.

  • Stefan Zweig ist in der Tat eine tragische Figur.Wie ich gerade lese hat er sich mit seiner Frau gemeinsam das Leben genommen,weil sie glaubten ihre geistige Heimat Europa verloren zu haben.
    Seinen Tod sehe ich auch,wie auch seine Novelle, als Sinnbild dafür,daß die Nazis Menschenleben in vielerlei Hinsicht zerstört haben.

  • Ich bin eigentlich auch schon mit dem Buch durch und möchte noch einen Gedanken in die Runde werfen.


    Dass Zweig mit dieser Novelle auch eigene Erlebnisse verarbeitet, wurde schon erwähnt. Auf die Frage des von der Schachsucht heimgesuchten Dr.B., wie lange er schon darunter leide, antwortete dieser "seit dem 13. März". Wie wir alle wissen, erfolgte an diesem Tag der Anschluss Österreichs.


    Ich bin jetzt über einen Gedankengang gestolpert (der nicht von mir ist), der mir aber eigentlich sehr gut gefällt, und die in folgende Richtung geht:


    Dr. B. verkörpert die Opfer des Nazi-Regimes. Nur aufgrund seines (inneren) Widerstandes überlebt er, dies verdankt er auch dem Schachspiel.
    Czentovic, als arroganter, grober, eigentlich unintelligenter und v.a. emotionsloser Mensch absolviert sein Schachspiel wie ein Roboter - ihm kommt die Rolle des Faschisten zu, gedrillt auf eine Tätigkeit.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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  • Habe das Buch mitgelesen (meine erste Leserunde :bounce: ) und habe es kein einziges Mal bereut. Eher im Gegenteil, ich war sehr fasziniert von dem Buch. Eine klasse Idee, die sehr gut umgesetzt worden ist.


    Danke danke, ohne Euch hätte ich das Buch bestimmt nicht gelesen :D

  • Da ich im Urlaub war als die Leserunde begonnen hat, melde ich mich jetzt kurz zu Wort:


    Ich habe das Buch diese Nacht in einem Rutsch durchgelesen und es hat mir gut gefallen. Es war das erste, das ich von Zweig gelesen habe und ich mag seinen Schreibstil, die etwas längeren, verschachtelten Sätze.
    Dr. B. ist in meinen Augen ein Sympathieträger mit seiner anfangs ruhigen, zurückhaltenden Art, er erweckt durch sein Schicksal Mitleid und man wünscht ihm förmlich, dass er die Schachpartie gegen den überheblichen Czentovic gewinnt.
    Überrascht war ich von dem Ende, da ich mir sicher war, dass er in den Wahnsinn abdriftet und nicht in der Lage ist, mit Hilfe des Erzählers das Spiel abzubrechen.
    Im Interpretieren bin ich nicht besonders gut, deshalb lasse ich das hier auch lieber :)
    Mir hat sich beim Lesen der Novelle auch der Gedanke aufgedrängt, wie leicht man wieder in alte Strukturen (Sucht/Manie) verfällt.
    Alles in allem hat mich die Schachnovelle neugierig auf weitere Bücher von Zweig gemacht.

  • Zitat

    Original von Schoenchen
    Stefan Zweig ist in der Tat eine tragische Figur.Wie ich gerade lese hat er sich mit seiner Frau gemeinsam das Leben genommen,weil sie glaubten ihre geistige Heimat Europa verloren zu haben.
    Seinen Tod sehe ich auch,wie auch seine Novelle, als Sinnbild dafür,daß die Nazis Menschenleben in vielerlei Hinsicht zerstört haben.


    Sein Selbstmord wurde ja von Vielen als Resignation kritisiert und vor dem Nachahmen gewarnt.

  • Ich habe das Buch heute zu Ende gelesen.


    Was mich etwas verwunderte war, das Dr. B sofort seine ganze Lebensgeschichte dem Erzähler erzählt, obwohl er doch ein Fremder war...? Nur weil der Erzähler auch Österreicher war? Schweißt das so sehr zusammen, dass man so vertrauensvoll ist?
    Aber letztendlich war es ja gut, dass Dr. B ihn eingeweiht hat, denn schließlich hat der Erzähler ihn in die "normale" Welt zurückgeholt.


    Ich weiß auch nicht, ob ich absolut zustimmen sollte, dass Czentovic sooo dumm sei. Er ist vielleicht ungebildet und hat eine Lese-/Rechtschreibschwäche. Aber man muss schon eine gewisse Intelligenz haben um Schachweltmeister zu werden!
    Die Geldgier macht ihn vielleicht unsympathisch, aber ich finde es in seinem Fall nicht unverständlich. Schach scheint ihm die einzige Geldquelle zu bieten. Warum sollte er die nicht nutzen? Er wird schon selbst erkannt haben, dass er Schwierigkeiten mit anderen Dingen hat und nutzt sein Genie aus, um seinen Lebensunterhalt und eventuell auch schon seine Rente zu schaffen. Es könnte ja auch jeden Tag zu Ende sein mit seiner Weltmeisterschaft und ein anderes Schachgenie könnte bekannt werden - wie es Dr. B beispielhaft zeigt!


    Dass Dr. B hier als Sympathieträger hervortritt, würde ich seiner ruhigen und höflichen Art zusprechen. Auch seine relativ objektive Sicht auf die Vergangenheit, die er einfach einem Unbekannten erzählen kann, erzeugt Vertrauensseligkeit und Freundschaftlichkeit. Diese Selbstreflexion legt sein Ich bloß und bringt ihn uns nahe. Czentovic hingegen ist verschwiegen und wird uns nur durch Gerüchte, Anekdoten und Zeitungsberichten vertraut gemacht.


    Rosalita
    Diese Theorie finde ich auch einigermaßen plausibel.