Umberto Eco "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana, Originaltitel "La misteriosa fiamma della regina Loana"
im Forum "Ich lese gerade wurde das Buch kurz vorgestellt: Umberto Eco Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana
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Der Held des Romans heißt Giambattista Bodoni, ist von Beruf Antiquar und muss nach einem Schlaganfall lernen, ohne einen Teil seiner Erinnerungen auszukommen. Zwar weiß er noch sehr genau, was er einst aus der Bibel und über das klassische Altertum gelernt hat, aber sein Enkelkind ist ihm völlig fremd, und er könnte auch nicht sagen, ob er mit seiner hübschen Assistentin einmal eine Affäre hatte. “Ich wusste alles über Alexander den Großen, aber nichts über meinen kleinen Alessandro”, sinniert er.
Also begibt er sich im Haus seiner Großeltern, das sich in der norditalienischen Provinz befindet, auf Spurensuche. Alte Bücher, Comic-Hefte, Schallplatten, Fotografien und vieles mehr helfen ihm, sich Stück für Stück in die Vergangenheit zurückzuhangeln. Und mit jedem Fragment, das er sich unter großen Mühen zurückerobert, muss er erkennen, wie sehr der Erwachsene Bodoni von den Vorlieben des kleinen Giambattista geprägt wurde, wie sehr dem Fluss seiner Bildung ein Strom aus scheinbar Trivialem unterliegt.
Nicht zufällig wurde Bodoni zur selben Zeit geboren wie sein Autor: In Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana erkundet Umberto Eco seine eigenen Wurzeln. Im Vorfeld des Romans hat er monatelang nach Erinnerungsstücken aus seiner Kindheit gefahndet, sei es in seinen eigenen Archiven oder bei Sammlern und im Internet. Somit ist sein Roman als Dokument einer bestimmten Zeit gleichermaßen subjektiv wie repräsentativ. Eco-Freunde werden den versierten Historiker ebenso wieder finden wie den verspielten Sprachwissenschaftler. Akademischer Ernst und überbordende Fabulierfreude machen aus diesem Buch ein Leseerlebnis ersten Ranges.
Zumindest ein Kunststück hat Eco geschafft: Ein Buch zu schreiben, das ebenso genial wie langweilig ist.
Der erste Teil - der Ich-Erzähler erwacht aus dem Koma - fängt gut an; interessant ist geschildert, wie er ohne persönliche Erinnerungen, aber mit tausenden von Zitaten, Bildern, Buchpassagen, Gedichten, usw. im Kopf seine ersten Schritte in ein neues Leben macht. Er erkennt die Bücher seines Antiquariats, weiss, wo sie eingeordnet sind und wieviel sie Wert sind, aber seine Assistentin erkennt er nicht. Die intellektuelle Seite seines Gehirns funktioniert perfekt, alles, was er jemals gelesen hat, scheint fest gespeichert, aber von der emotionalen Seite ist nichts mehr übrig, d.h. sobald sich mit Erinnerungen Gefühle verbinden (Tod der Eltern, erste Liebe, seine Kinder und Enkel), ist nichts davon übrig.
Man liest fassungslos: Wie kann ein Mensch eine solche Menge intellektuelles Wissen im Kopf behalten? Wie ist es möglich, scheinbar jedes Wort, das man jemals gelesen hat, für immer zu speichern? - Dass Eco hiermit auch sich selbst als genialen Literaturkenner darstellt, braucht nur am Rande erwähnt zu werden. -
Im zweiten Teil führt der Erzähler den Leser in das Haus seiner Großeltern, in dem auf verstaubten Dachböden, verdunkelten Arbeitszimmern, hinter verborgenen Wänden und in eingemauerten Regalen die ganze Vergangenheit in Form von Büchern, Comics, Zeitschriften, Schallplatten, alten Schulheften, aber auch Zigarettenschachteln und Espressodosen herumliegt und auf Entdeckung wartet. Der Großvater konnte nichts wegwerfen.
Wäre ich eine Italienerin in Ecos Alter, wäre diese Passage des Buches eine wahre Fundgrube und ein Schatz, in dem ich mich und meine Erinnerungen wiederfinden könnte (s. Serjenas Aussage im o.a. Thread). Aber ich bin weder das eine noch das andere, und in diesem Teil des Buches habe ich mich stellenweise gelangweilt. Anfangs fand ich es nett, die Bildchen zu betrachten, die Geschichten dazu zu lesen, aber wenn nach dem hundertsten Comic der hunderterste kommt und anschließend auch noch die Briefmarkensammlung aus dem 2. Weltkrieg Marke für Marke beschrieben wird, lese ich die nächsten Seiten nur noch quer und hoffe, dass ich nichts Entscheidendes verpasse: Die Erkenntnisse, die er über sich selbst, seine Familie und die politische Situation aus seinen alten Schulheften, Notizen seines Großvaters oder Berichten der Haushälterin zieht. Immer dann, wenn er die Figuren seines damaligen Lebens als handelnde Personen ins Spiel bringt, wird die Geschichte wieder farbig und lebendig.
Über den dritten Teil verrate ich nichts. Ich müsste sonst komplett spoilern. Nur soviel: Der Höhepunkt des Buches, wo sich das erfahrene und das intellektuelle Leben vereinen in einer Art "apokalyptischem Comic".
Wen man mit Sicherheit genial nennen kann: Den Übersetzer Burkhart Kroeber, der es schafft, soviel italienisch im deutschen Text zu belassen, dass der originale Klang (z.B. eines Gedichtes) erhalten bleibt, gleichzeitig aber so zu übersetzen, dass man auch ohne Italienischkenntnisse kein Problem mit dem Verständnis hat.
Ich habe sehr lange an diesem Buch gesessen. Man kann es keinesfalls zwischendurch lesen, sondern braucht Ruhe und Konzentration - also kein Buch für Mittagspausen oder Zugfahrten. Es hat mir nochmal einige wichtige Informationen zum Thema "Italien und die Zeit des 2. Weltkriegs" aus einer persönlichen Sicht nahegebracht, und ich habe auch über Literatur, nicht nur die italienische, einiges Neue erfahren.
Marie
(mit Gruß an @ Rita, die neugierig darauf wartet, dass ich das Buch endlich fertig habe )