Elizabeth George - Nie sollst du vergessen / A Traitor to Memory

  • An einem regnerischen Abend wird eine Frau in London überfahren. Es handelt sich eindeutig um Mord. Bei ihren Ermittlungen sehen sich Inspector Lynley und Barbara Havers bald einem düsteren Familiendrama gegenüber, in dem überzogener Ehrgeiz, falsch verstandene Liebe und verzweifelte Lügen bereits vor zwanzig Jahren tödliche Konsequenzen hatten. Und sie erleben verblüfft, dass man sie von höchster Stelle aus bei ihren Recherchen zu behindern sucht. Doch Lynley und Havers lassen sich davon nicht beirren...


    Der Sohn der getöteten Frau ist ein Geiger, der unter einer Spielblockade leidet, und nicht mehr auftreten kann. Seine Psychotherapeutin rät ihm, sein Leben in chronologischer Reihenfolge aufzuschreiben, wodurch längst verdrängte Erlebnisse u. a. aus seiner Kindheit an die Oberfläche kommen und er einiges zu verarbeiten hat.


    Wieder ein großartiger Elizabeth-George-Thriller. Wie bei „Asche zu Asche“ werden auch hier immer wieder Tagebucheintragungen (hier die des Geigers) angeführt, die das Leben der Protagonisten und auch den Fall an sich aus einer völlig anderen Perspektive zeigen.


    Wie immer schafft die Autorin es, einen unglaublichen Spannungsbogen aufzubauen und beeindruckt durch einen absolut perfekten Erzählstil.


    Aber irgendwie wird mir Thomas Lynley von einem Roman zum nächsten unsympathischer. Ganz im Gegensatz zu seiner Mitarbeiterin Barbara Havers...!


    Jetzt habe ich mir gerade die anderen Elizabeth-George-Beiträge ein bisschen durchgelesen, und festgestellt, dass dieses Buch allgemein nicht so gut wegkommt, aber ich fand es ganz großartig. Was wieder zeigt, wie wichtig es ist, sich ein eigenes Bild zu machen und wie verschieden Geschmäcker sind... :wink:


    Lg
    Susannah

  • Zu denen, die dieses Buch für eines der schwächsten der Reihe halten, gehöre ich auch. (Nur der nächste Band "Wer die Wahrheit sucht" gefiel mir noch weniger.)


    Dass Lynley und Havers nur Nebenfiguren sind und das Geschehen nicht mehr aus ihrer Warte erzählt wird, hat mir nicht gefallen. Man wartet darauf, dass die entscheidenden Anstöße zum Fortgang der Geschichte von den beiden kommen, wie man es von den Vorgängerbänden gewohnt war, aber das ist hier nicht so. Man könnte das Buch eher unter "Familiendrama" einordnen als unter "Krimi".
    Außerdem fand ich das Buch - ein 900-Seiten-Wälzer - um mindestens 200 Seiten zu dick.


    Das Schlimmste allerdings war,


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Da gebe ich dir recht, Marie. Diesen Teil fand ich auch ganz, ganz schlimm und überflüssig.


    "Wer die Wahrheit sucht" hab ich noch immer nicht gelesen... Nach allem, was ich darüber gehört habe, traue ich mich nicht! :roll::wink:

  • Zwei Frauen werden in London bei Nacht und Nebel überfahren, keiner will etwas gesehen haben, die Beweislage ist äußerst unklar. Die Polizei vermutet angesichts der Identität des einen Opfers einen Zusammenhang mit einem rätselhaften Todesfall, der zwei Jahrzehnte zurückliegt und aufgrund der Medienberichterstattung über den darauffolgenden Prozess die Gemüter bewegt hat wie kaum ein anderer Kriminalfall seit dem 2. Weltkrieg.


    Die Beamten vor Ort ziehen Scotland Yard hinzu, denn einer der Ermittler von damals ist kein Geringerer als Malcolm Webberly, den wir schon lange als Lynleys direkten Vorgesetzten kennen. Eine intensive Spurensuche beginnt, die zu der ziemlich dysfunktionalen Familie des Stargeigers Gideon Davies führt. Gideon wurde schon im Kindergartenalter als Wunderkind bekannt und legte eine steile Karriere hin, doch derzeit kann er nicht auftreten, weil er unter einer unerklärlichen Blockade leidet.


    Lynley, Havers und Nkata haben zunächst ihre liebe Mühe damit, die zahlreichen Fäden zu entwirren, die hier miteinander verstrickt sind. Auch als Leser und Mitrater hat man es nicht allzu leicht. Es dauert ziemlich lange, bis sich klärt, wer in diesem verzwickten Fall an welchen Platz gehört, und natürlich führt Elizabeth George uns wieder mit viel Geschick aufs Glatteis, was Motiv und Identität des Täters angeht.


    Zum zweiten Mal nach "Asche zu Asche" bedient sie sich hier des Erzählkniffs, einen Teil des Buches auf einer anderen Zeitebene und aus Sicht einer Figur zu erzählen, deren Rolle anfangs noch gar nicht klar ist. Hier steht neben den Ermittlungen nun Gideon im Vordergrund, der in einer tiefen Krise steckt und widerstrebend seine persönliche Geschichte seiner Psychologin erzählt, wobei lang verschüttete Erinnerungen wach werden.


    Dieser Band ist bei vielen Fans der Serie nicht gerade beliebt, mir hat er jedoch auch im zweiten Durchgang gut gefallen. Man mag ihm anlasten, dass ein paar eher unwichtige Details etwas zu breit ausgewalzt wurden, doch ich fand es insgesamt spannend zu sehen, wie sich eins zum anderen findet und auch klar wird, wie Gideons Vergangenheit mit den aktuellen Geschehnissen zusammenhängt.


    Das einzige, was mich wirklich gestört hat, war der für meine Begriffe zu offene und abrupte Schluss und mal wieder ein eher künstlich aufgebauschtes Lynley-Beziehungsproblem. Da hätte ich lieber Barbara Havers' Nachbarn, Azhar und die kleine Hadiyyah, wiedergesehen.

  • Dieser Teil der Reihe war für mich eine echte Herausforderung. Ich habe dafür über ein Jahr gebraucht, weil mich die endlosen Tagebucheinträge Gideons gelangweilt haben. Ich nehme dann solche Bücher mit in den Schrebergarten und quäle mich nach und nach durch, weil ich da etwas mehr Ruhe habe.

    Außerdem fand ich das Buch - ein 900-Seiten-Wälzer - um mindestens 200 Seiten zu dick.

    Von mir aus hätte man auch 400 Seiten weglassen können. Die Grundidee und auch die Auflösung (von dem was aufgelöst wurde) haben mir gut gefallen, aber alles wurde leider viel zu breit getreten. Hatte das Gefühl, dass die Autorin sich zunächst verzettelt hat mit den ganzen Figuren und am Ende musste es dann mal fertig werden, weil es zu lang wurde. Auch für mich bisher der deutlich schwächste Band der Reihe.

  • Ich lese das Buch gerade in den Büropausen und tu mich auch ein bisschen schwer damit. Bei einem Krimi bin ich eher gerne in der Nähe der Ermittler. Für meine Begriffe wird Gideon hier ein bisschen zu viel Platz eingeräumt.
    Barbara gefällt mir äußerst gut in der Serie - ihre Gedankengänge und auch die Dialoge mit ihr genieße ich sehr (in der Film-Serie fand ich Lynley interessanter).

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)