Marquis de Sade - Incest

  • Marquis de Sade
    Incest (Foreword by Janet Street-Porter)
    Hesperus (Softcover/2003)
    ISBN 1-84391-0303-6
    89 Seiten


    Dies ist eine neue Übersetzung dieses Texts, bei der einige bisher unbekannte Textfragmente mit einbezogen wurden. Anders als die als Letztes besprochenen Bücher de Sades geht dieses Buch wieder auf die philosophische Grundhaltung der ersten Ausgabe der „Justine“ zurück und das Buch wird als eine Warnung und Mahnung vor dem philosophischen Systematisieren beschrieben, dass in de Sades Zeit für einige der größten Grausamkeiten der französischen Revolution verantwortlich gewesen sein dürfte. Wie sich dieses unter anderem ausgewirkt haben dürfte, können die interessierten Leserinnen und Leser in der Geschichte des deutschen Jakobiners Schneider näher betrachten. Aber auch in der Zirkelschluss durchsetzten Systematik von Rousseaus „Essay über die Ungleichheit“. Man kann die Gefahren dieser philosophischen Systematisierung aber auch an Terry Pratchett zweiten Teil der „Wissenschaft der Scheibenwelt“ sehen, in dem sich die an diesem Werk beteiligten Wissenschaftler über die philosophische und psychologische Befindlichkeit eines Großinquisitors auslassen. Die Schreiber der beiden Vorworte des vorliegenden Buchs nennen de Sade deswegen mit seinem Werk einen eigentlich philanthropisch-extremistischen Philosophieterroristen. Was die Irritation des Rezensenten mit de Sades Werk eventuell erklären könnte.


    „Incest“ ist halb autobiographisch und greift speziell sein schwieriges Verhältnis zu seiner Schwiegermutter auf, die ja viel mit der polizeilichen Verfolgung ihrer ihres Schwiegersohns zu tun hatte, was nach der Verführung ihrer jüngeren Tochter natürlich in gewisser Weise verständlich ist – er war mit der älteren Tochter verheiratet und die jüngere Tochter war eine Novizin.


    Der Hauptprotagonist dieses Romans ist Monsieur de Franval, ein Libertin reinsten Wassers, der mit 19 Jahren eine wesentlich jüngere Frau heiratet und von dieser bald eine schöne Tochter namens Eugénie erhält, die er die ersten sieben Jahre ihres Lebens unter Ausschluss der Mutter und unter Vermeidung jeglicher religiöser Unterweisung erzieht. Später, als sie ihr 14 Lebensjahr vollendet, verführt er sie auf eine relativ hinterhältige Art und Weise und konzentriert danach geschickt ihre Aufmerksamkeit auf sich und lässt in ihr einen großen Hass auf ihre Mutter entstehen.


    Als seine verschiedenen libertinen Aktivitäten schließlich dazu führen, dass er Paris verlassen muss, ist seine Tochter mittlerweile zu einem verlängerten Arm seines Denkens und Handelns geworden, was er allerdings unter dem Mantel einer freiheitlichen Erziehung zu verbergen versteht. In seinem Auftrag und in seiner Abwesenheit tötet Eugénie schließlich ihre Mutter und im Moment deren Todes wird ihr erstmals klar, was ihr Leben bisher gewesen ist und sie stirbt selbst vor Verzweiflung. Diese Ereignisse führen schließlich zu Fanvrals Läuterung, was für de Sade ein eher unüblicher Ausgang der Geschichte ist.


    Interessant für die Betrachtung der philosophischen Hintergründe, sind in diesem Buch neben den Autorenkommentaren auch die Gespräche zwischen dem Adligen und einem zur Abwechslung mal würdigen Kleriker, die das sonst eher unangefochtene philosophische System von de Sades Bösewichten ernsthaft in Frage stellt. Alleine deswegen lohnt es sich, dieses Buch ergänzend zu den bereits Angesprochenen zu lesen, da es ein etwas anderes Licht auf die bekannteren Schriften de Sades wirft. Hierzu tragen auch die beiden Vorworte bei, die in ihrer Art den gleichen Weg gehen und damit – wenn schon nicht zum besseren Verständnis – zum stärkeren Nachdenken über de Sades Werk einladen.