• John Griesemer
    Rausch
    marebuchverlag (Hardcover/2003)
    ISBN 3-936384-86-X
    686 Seiten


    Wenn die Menschen versuchen große Dinge zu tun, dann müssen oft private Überlegungen dahinter zurück treten und ihre Leben verändern sich dadurch stark. In diesem Buch versuchen sehr viele Beteiligte sehr große Dinge zu tun und dabei wachsen sie in neue Richtungen und teilweise auch aus ihren bisherigen Leben hinaus.


    1857: Isambard Kingdom Brunel hat das bis zu diesem Zeitpunkt größte Luxusschiff der Welt entworfen, einen Stahlkoloss mit dem Namen Great Eastern, der alles bisher da Gewesene in den Schatten stellen soll. Beim Bau dieses gigantischen Schiffs kommt es immer wieder zu neuen Schwierigkeiten, aber die Arbeiten laufen gut voran und der Stapellauf des Schiffs von der Isle of Dogs steht kurz bevor. Als Gäste mit von der Partie sind der amerikanische Ingenieur Chester Ludlow – Sohn eines berühmten Landschaftsmalers -, Jack Trace – ein Zeitungsillustrator – und noch einige andere Leute, die uns in der Folge immer wieder begegnen sollen. Sie kommen zu einem großen Karneval, den die Eigener des Schiffes aus dem komplizierten Stapellauf gemacht haben ohne den Bauleiter zuvor davon zu unterrichten, der für dieses Unternehmen eigentlich absolute Ruhe auf dem Gelände braucht. Folgerichtig geht der Stapellauf dann auch Schiff und kostet Menschenleben und Gesundheit.


    Eines der Leben, die verloren gehen ist das des Vaters von Madeleine Donovan, die als Prostituierte in einem Themsetunnel arbeitet. Hier begegnet sie Jack Trace, der nach seinen Erfahrungen auf dem Werftgelände – und dem Kennenlernen eines komischen Deutschen namens Karl Marx – mehr zufällig in diesen Bereich gekommen ist. Bei einem geschäftlichen Geschlechtsakt mit der jungen Irin hat er – durch einige ihrer Bemerkungen zur technischen Entwicklung – plötzlich die Vision für sein künstlerisches Lebenswerk, das den Namen Fortschritt tragen soll. Doch der Weg dahin wird für ihn – und auch für Madeleine – sehr lang und wechselhaft sein.


    Unter anderem wird ihn sein weiterer Weg mit Jonathan Lindt zusammenbringen, einen Österreicher, der in London an einem Schaustellstück arbeitet, dass dazu dienen soll, die Finanzierung des ersten Interkontinentaltelegraphenkabels zu sichern. Die erste Begegnung dieser beiden hat allerdings nichts mit diesem Unternehmen zu tun, dass Jack später für die Zeitung als Begleiter dokumentieren wird. Da trifft er schon eher auf den amerikanischen Ingenieur, der für die Verlegeeinrichtung der Kabel verantwortlich ist und die technische Leitung des Unternehmens hat. Auf Grund seines guten Aussehens und Auftretens wird er allerdings von Mr. Spude – einem der Finanziers des Unternehmens – dazu genötigt, bei Aufführungen von Herrn Lindts Werk die Moderation zu betreiben. Dies treibt ihn in den Berufsbereich, den vor ihrer Ehe seine Frau Frances besetzt hielt, die nun, einige Jahre nach dem Tod ihrer gemeinsamen Tochter immer mehr von ihrem Mann entfremdet ist. Und während dieser sich in England immer deutlicher der Ehefrau Jonathan Lindts annähert, beschäftigt sich Frances immer stärker mit Okkultismus und somit einer anderen Form der Signalübertragung, wobei ihr auch Chesters Bruder Otis behilflich ist. Bis sie schließlich selber in den Vereinigten Staaten auf spiritistische Tournee geht und dabei sogar auf das Ehepaar Lincoln trifft.


    Alle Beteiligten gehen weite Wege um zueinander und zu sich selbst zu finden und schließlich ihre jeweiligen Lebensprojekte zu einem entgültigen Erfolg zu bringen. Und man muss sich als Leserin und Leser immer wieder fragen, was ist wichtig: Die persönliche Ebene oder die historisch wirksame Ebene? Was ist Signal und was ist Rauschen, wie sie den Originaltitel bilden? Eine große Frage in einem großartigen Buch.



    K.-G. Beck-Ewerhardy

  • Kurz vor Beginn: In meinem Buch heißt Jonathan Lindt Joachim! wie kommt denn sowas zustande?


    Aber im Ernst: Ein großes Buch. Episch und bildgewaltig. K.G. hat das schon sehr gut beschrieben. Auch mich faszinierte das Spannungsfeld zwischen der technischen und der persönlichen Ebene der Protagonisten und der Handlung. Selbst jetzt wüsste ich nicht zu entscheiden, ob es ein Buch über die technische Entwicklung oder über das persönliche Erleben der Menschen ist. Und genau das gefällt mir ausnehmend gut. Hier hängt alles mit allem zusammen und Griesemer schafft es, uns dies fühlen zu lassen, ohne uns im Chaos zu verlieren. Denn beim Lesen fühle ich sehr gut, dass es eben wirklich zusammenhängt. Die Verflechtungen, so kompliziert sie auch sind, Griesemer macht ein Muster daraus.
    Die Personen sind bunt und vielschichtig, die Kulissen überzeugend. Vielleicht ist es ein klein wenig zu lang geraten, aber das ist wahrhaftig gut zu verschmerzen, lebt man sich doch zunehmend ein in die beschriebene Welt.
    Der Stil ist angenehm, da holpert nichts, da verschreckt wenig und der manchmal etwas lakonische Ton bringt auch eine Prise Humor hinein.
    So muss ein Roman sein.
    Mir hats gut gefallen.

  • Das Buch habe ich vor langer Zeit auch mit großer Begeisterung gelesen. Leider war das noch vor der Zeit, als ich angefangen habe, alle gelesenen Bücher auch zu rezensieren.


    Ich meine übrigens auch, dass Herr Lindt Joachim mit Vornamen hieß. Ist der nicht immer gejoggt wie ein Verrückter?

  • Liest Du im Original?


    Mir ist es hin und wieder sogar schon untergekommen, dass Vornamen bei der Übersetzung verändert wurden.