Choga Regina Egbeme - Hinter goldenen Gittern

  • Hinter goldenen Gittern
    Autorin: Choga Regina Egbeme
    Ullstein-Taschenbuch (2001)
    ISBN 3-548-36304-0
    255 Seiten
    Euro: 7,95


    Geschichten von Frauen, die „nach auswärts“ heirateten und damit böse auf die Nase fielen, sind seit Betty Mahmoudis „Nicht ohne meine Tochter“ ein ständiger Bestandteil der Som-merliteratur und bei der Häufigkeit dieser Art von Leidensgeschichten und auch der Häufig-keit ihrer Verfilmungen fragt man sich doch relativ regelmäßig, warum es immer noch Frauen gibt, die so etwas machen. Seit der „Weißen Massai“ habe ich das Gefühl, dass es hierbei ei-nen irgendwie gearteten psychologischen Defekt geben muss.


    Dieses Buch ist allerdings etwas anders. Es wurde nicht von der heiratenden Frau geschrie-ben, die mit 42 Jahren als die 33. Frau in den Harem eines Afrikaners einheiratete und dort anscheinend ziemlich glücklich wurde – was sehr mit der Weltoffenheit und dem Verständnis ihres Mannes zu tun hatte, sondern von ihrer Tochter, die in diesem Harem ebenfalls sehr glücklich aufwuchs und ihre Halbgeschwister aus Deutschland erst wesentlich später kennen lernte. Sie wächst als wohl behütete Tochter vieler Mütter auf und erst als sie mit sechszehn Jahren zwangsverheiratet werden muss, bricht eine Welt für sie zusammen, denn ihr neuer Herr hat sehr eigene und sehr rabiate Vorstellungen vom Eheleben. Mit Hilfe ihrer Mutter gelingt ihr die Flucht, und sie darf eine etwas abseits gelegene Farm ihres Vaters mit den an-deren Frauen bewirtschaften, was sehr gut gelingt, bis der Vater sehr krank wird und schließ-lich stirbt und der geschmähte Exmann von Choga zum Haupterben eingesetzt wird. Danach - und besonders nach dem Tod ihrer Mutter – wird das Leben für Choga zur Hölle, der sie sich nur unter großen Anstrengungen entziehen kann.


    Dieser Roman gibt eine sehr andere Sicht des Lebens in einem Harem als man es aus der sonst eher erotisierend angehauchten Literatur zu diesem Thema gewöhnt ist und zeigt, wie und wo diese Praxis des Zusammenlebens auch heute noch praktiziert wird. Dabei fehlt es dem Buch ganz an einem didaktisch feministisch erhobenen Zeigefinger, da für die Autorin dieses Leben durch ihre eigenen Lebensumstände der Normalzustand gewesen ist, was erst durch die Brechung durch das Denken der Leserin oder des Lesers wieder in Frage gestellt wird. Als Mann stellt man sich unwillkürlich die Frage, wie das Leben eines Mannes in einer rein matriarchalischen Gesellschaft unter diesen Vorzeichen aussehen würde und wie sich eine männliche Psyche unter diesen Umständen Entwickeln würde. Ein durchaus nachdenk-lich stimmendes Buch, dass man vielleicht nicht so ohne Weiteres in die oben kritisierte Art der Frauenliteratur einordnen sollte.


    K.-G. Beck

  • Ich habe diese Biografie von Choga Regina Egbeme vor vielen, vielen Jahren zum ersten Mal gelesen, und seither immer wieder. Ihr Schicksal und das Leben, das sie beschreibt, ist einerseits traurig und schockierend, andererseits aber auch von Glück durchzogen.


    Choga ist in einem "Harem" aufgewachsen, bzw. in einer christlichen Sekte in Nigeria, als Tochter eines Schwarzen Afrikaners und einer Weißen Deutschen. Nicht nur aufgrund der Herkunft ihrer Mutter, sondern auch aufgrund einer Gehbehinderung nimmt sie eine Sonderrolle in der Gesellschaft ein. Sie beschreibt in diesem Buch ihre glückliche Kindheit mit vielen Müttern und vielen Geschwistern, mit viel Liebe und Geborgenheit. Zugleich wird durch ihre Beschreibungen jedoch auch deutlich, welchen strengen Regeln die Mitglieder dieser Familie unterliegen. Das Ausmaß dieser Regeln ist Choga in ihrer Kindheit nicht immer bewusst, zudem fehlt ihr der Vergleich mit anderen Kulturen, in denen (insbesondere die Frauen) selbstbestimmter Leben können. Als sie jedoch langsam erwachsen wird und nicht nur mit dem Tod geliebter Menschen, sondern auch ihrer eigenen Zwangshochzeit konfrontiert wird, beginnt sie, die Regeln ihres Vaters in Frage zu stellen.


    Während die erste Hälfte dieses Buches Chogas Kindheit beschreibt und ein eher friedliches Bild dieser Kommune abgibt, gibt es in der zweiten Hälfte einige dramatische Szenen und Wendungen. Ich konnte Chogas Verzweiflung und Angst sehr gut nachempfinden und habe mit ihr gezittert und gebangt. Einige besonders schmerzvolle Szenen waren für mich nur schwer zu ertragen. Choga war in meinen Augen eine sehr starke junge Frau, die trotz ihrer scheinbar aussichtslosen Lage um ihre Freiheit gekämpft hat. Ihre Erlebnisse haben mich sehr berührt.

    Obwohl Chogas Geschichte so schmerzvoll und traurig ist, hat mir das Buch durch die positive Beschreibung ihrer Kindheit auch begreiflich gemacht, warum es manche Menschen in solch eine Form des Zusammenlebens zieht.


    "Hinter goldenen Gittern" ist der erste Teil einer Trilogie und beschreibt Chogas gesamte Kindheit und Jugend, während die beiden folgenden Bücher einen sehr viel kürzeren Zeitraum danach behandeln. Obwohl mir auch diese gefallen haben und mich insbesondere das traurige Ende dieser Reihe sehr berührt hat, ist dieser erste Band für mich deutlich ergreifender gewesen.


    Fazit:

    Eine sehr bewegende, schockierende und spannende Biografie, die sowohl die positiven, als auch die negativen Seiten der Gesellschaft beschreibt, in der die Autorin aufgewachsen ist. Sehr empfehlenswerte :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: Sterne.

    Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen. Kurt Tucholsky :wink: