Harry Mulisch: Das Attentat

  • Oh je, das ist ja nun schon ne Weile her ... ich habe einfach meine Rezi von damals kopiert. Ich meine, es habe den einen oder anderen Bezug zur damaligen holländischen Politik gegeben, mit dem ich nichts anfangen konnte. Die generelle Demo- und Anti-Atomkraft-Welle ist mir natürlich schon ein Begriff.


    Vielleicht muss ich das Buch einfach noch mal lesen ;)


    Nun "müssen" ja nicht, doch auch ich halte dieses Buch durchaus für eine spätere Zweitlektüre gut genug zu sein!

  • Und nun muss ich wohl bald zum Schinken greifen, will sagen zur „Entdeckung des Himmels“?


    Da bin ich aber mal gespannt! Ich muss nämlich gestehen, dass ich kein Harry Mulisch-Fan bin. Als ich vor vielen Jahren die „Entdeckung des Himmels“ las, schien es mir zunächst ein interessantes, vielschichtiges Buch zu sein. Aber im Laufe der Lektüre fand ich es zunehmend überfrachteter und grässlicher. Weil ich einem Autor in der Regel immer eine zweite Chance gebe (und weil der SZ-Band billig war :mrgreen: ), habe ich später noch das „Attentat“ gelesen. Das gefiel mir dann wesentlich besser. So begeistert wie Ihr war ich allerdings nicht. Woran das lag, kann ich nicht mehr genau sagen. Vielleicht an der Sprache. Die Sprache eines Romans ist mir sehr wichtig, und Mulisch ist nicht gerade ein brillanter Stilist. Außerdem habe ich noch dumpf in Erinnerung, dass es nach meinem Empfinden selbst in diesem kurzen Text doch einige langweilige, uninteressante Passagen gab. Jedenfalls habe ich danach kein Bedürfnis mehr verspürt, noch ein weiteres Buch von Mulisch zu lesen.


    Gruß
    mofre


    Übrigens: Ich habe das Buch zunächst nicht gefunden, weil es unter „Historische Romane“ eingeordnet ist. Es gehört aber unter "Romane/Erzählungen", sonst müssten wir alle Romane, die während und nach der Nazizeit spielen, als "History" bezeichnen.

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

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  • Übrigens: Ich habe das Buch zunächst nicht gefunden, weil es unter „Historische Romane“ eingeordnet ist. Es gehört aber unter "Romane/Erzählungen", sonst müssten wir alle Romane, die während und nach der Nazizeit spielen, als "History" bezeichnen.


    DANKE mofre für den Hinweis... :thumleft: Du hast natürlich vollkommen Recht, und ich habe den Thread in den Bereich >Romane/ Erzählungen< verschoben. :wink:

  • Ich habe auch etwas Respekt vor der "Entdeckung des Himmels" und sah schon, dass es viel kompakter, komplizierte - oder eben überfrachteter - ist. Mal sehen.



    ...habe ich später noch das „Attentat“ gelesen. Das gefiel mir dann wesentlich besser. So begeistert wie Ihr war ich allerdings nicht. Woran das lag, kann ich nicht mehr genau sagen. Vielleicht an der Sprache. Die Sprache eines Romans ist mir sehr wichtig, und Mulisch ist nicht gerade ein brillanter Stilist. Außerdem habe ich noch dumpf in Erinnerung, dass es nach meinem Empfinden selbst in diesem kurzen Text doch einige langweilige, uninteressante Passagen gab.


    Klar empfindet dass jeder anders! Mir fiel ebenfalls auf, dass alle fünf (?) Episoden sehr gemächlich anfangen. Vielleicht empfandest Du das als langweilig, da nicht spannende Elemente liefernd. Ich fand für mich für mich das Wort "scheinbar harmlos" passend: der Autor fängt bei "X" mit belanglosen Dingen an, und dann, schwupp, kommt ein/das Element, das die ganze Sichtweise auf die Ereignisse der Vergangenheit (das Attentat) verändert. Das fand ich im Nachhinein als echte Kunst! Hat mich sehr beeindruckt!


    Ich stimme Dir aber zu, dass der Reiz nicht in der Sprache an sich liegt.

  • Vielleicht empfandest Du das als langweilig, da nicht spannende Elemente liefernd.


    Das vermutest Du bei einer, die schon den dritten Band Proust liest?! [-(:loool: Nein, nein, ich komme gut ohne im äußeren Sinne spannende Elemente aus. Die Romane von Fontane, Musil, Kafka und Thomas Mann oder, um einige zeitgenössische Schriftsteller zu nennen, Genazino, Sebald oder Updike sind auch nicht unbedingt für ihre spannende Handlung bekannt, und trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen?) schätze ich sie sehr. Soweit ich mich erinnern kann, begann das „Attentat“ gut, zog sich im Mittelteil dann etwas (es gab da meiner Meinung nach einige überflüssige Stellen) und wurde gegen Ende wieder stärker. Aber es wird wohl tatsächlich an der Sprache gelegen haben, dass ich das Buch zwar durchaus lesbar, aber nicht nachhaltig beeindruckend fand.


    Gruß
    mofre

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  • Bevor ich "Die Entdeckung des Himmels" lesen wollte, habe ich erst Mal zu diesem Buch gegriffen. Ich bin etwas zwiegespalten mit meinem Leseeindruck. Es gab da ein oder zwei Punkte, da hatte der Zufall doch –der Dramatik willen- arg nachgeholfen. Allerdings brachte das Ganze ja dann wieder neue Überlegungen hervor. Wie geht man mit so einer Tat um? Wie geht es demjenigen, der eigentlich unschuldig war und trotzdem leiden musste? Wie geht man miteinander um?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • In dem Roman "Das Attentat" (niederländischer Originaltitel "De Aanslag") von Harry Mulisch, erschienen im Jahr 1982 in Amsterdam, geht es um das Kriegsschicksal eines Jungen und wie er dieses verarbeitet. Denn erst nach vielen Jahren der Verdrängung aus Angst vor der Auseinandersetzung mit der schlimmen Zeit, bleibt Anton quasi nichts anderes mehr übrig als sich mit alldem zu beschäftigen was damals passiert ist.


    Mit dem Bestseller "Das Attentat" gelang dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch 1982 der internationale Durchbruch. Er schildert das Schicksal des Holländers Anton Steenwijk, der als Jugendlicher kurz vor Ende des 2. Weltkriegs Familie und Elternhaus bei der Strafaktion deutscher Besatzungstruppen verliert. Seine Vergangenheit holt den Protagonisten immer dann ein, wenn sämtliche Beteiligte an diesem schrecklichen Ereignis nach und nach in seinem Leben wieder auftauchen


    In dem Buch sind viele Leitmotive eingebaut (Zähne, Zahnschmerzen, Eidechsen, Vulkan, Stein) die das Buch wenn man sich richtig damit beschäftigt zu einem richtigen Kunstwerk machen.
    Ich persönlich fand das Buch beim Lesen ein wenig langweilig und nicht ganz so ansprechend. Vorallem das Ende kam mir durch die langen Diagloge der Protagonisten zu lang und detailreich vor, da dort einfach nur noch alles aufgeklärt wird und nichts richtiges mehr geschieht.
    Doch wenn man sich für das Buch Zeit nimmt und sich mit den Leitmotiven und den lateinischen Zitaten beschäftigt und alles Hinterfragt versteht man erst wie künstlerisch Harry Mulisch den ganzen Roman aufgebaut hat.


    :arrow: Alles in einem ein sehr gelungener Roman, der allerdings nichts für Zwischendurch und danach einfach wieder zum weglegen ist, sondern für den man sich echt Zeit nehmen sollte!

  • Danke für Deine Eindrücke!


    Das Buch wurde hier: Harry Mulisch: Das Attentat schon ausführlich kommentiert. Vielleicht kann ein Moderator die Freds zusammenführen?

  • Hallo in die Runde,


    ich habe über die Suchfunktion hier im Forum nach Threads zu Harry Mulisch gesucht. Gefunden habe ich ihn in diversen Zitat-Threads und auf SUBs. Einen eigenen Thread zum Buch gibt es wohl noch keinen. Ich habe dieses Buch vor vielen Jahren gekauft als die Reihe "50 große Romane des 20. Jahrhunderts" von der Süddeutschen Zeitung herausgebracht wurde und habe es seitdem mehrmals gelesen.


    Vorneweg gesagt: Das Buch ist harter Lesestoff. Im Gegensatz zu einem beliebigen Krimi, in dem zwar vielleicht auch diverse Leute sterben, kann man sich in diesem Buch nicht wirklich von den Geschehnissen distanzieren. Das liegt auch an der Tatsache, dass die Geschichte aus der Sicht des zu Anfang des Buches zwölf Jahre alten Anton erzählt wird. Da "Das Attentat" zeitgeschichtliche Fragen behandelt, die nach wie vor relevant sind und die Frage nach dem Täter hinfällig ist, verzichte ich hier auf das Setzen eines Spoilers. Im Klappentext steht neben "Parabel vom Erinnern und Verdrängen. Von kollektiver Schuld und individuellem Traumata." auch "spannend wie eine Detektivgeschichte" - das finde ich hier etwas fehl am Platz, aber das ist nur meine subjektive Meinung. "Schonungslos, aber differenziert" steht da auch noch, dem kann ich durchaus zustimmen.


    Der zweite Weltkriegt geht dem Ende entgegen, der sogenannte Hungerwinter plagt die Niederländer. Neben der Angst vor Bombenangriffen muss man auch den Faschisten gegenüber vorsichtig sein. Der Abend, an dem die Geschichte nicht nur beginnt, sondern auch fast sofort ihren traurigen Höhepunkt erreicht, der dann den Rest des Buches und auch Antons weiteren Lebensweg entscheidend prägt, beginnt wie jeder andere Abend dieser Zeit für Antons Familie. Die Fenster sind verdunkelt, die Familie ist hungrig, weil es nicht genug zu Essen gibt. Aber dennoch ist die Stimmung fast heiter, man sitzt zusammen, liest, erledigt Hausaufgaben, Handarbeiten, später wird ein Brettspiel gespielt.


    Und dann knallen plötzlich Schüsse vor dem Haus. Fake Ploeg, Polizist und Nationalsozialist, wird in der Straße vor Antons Elternhaus bzw. vor dem Haus der Nachbarn von Widerstandskämpfern erschossen. Antons Nachbarn legen die Leiche vor seinem Elternhaus ab. In dieser Nacht sterben Antons Bruder, der die Leiche eigentlich noch wegschaffen wollte, und seine Eltern durch die Hand der angerückten Soldaten. Zudem sterben weitere Geiseln der Faschisten. Antons Elternhaus geht in Flammen auf. All das geschieht als Strafe für den Tod von Fake Ploeg, obwohl von Anfang an klar ist, dass die Tat nicht von seinen Eltern verübt wurde. Anton wird von seinen Eltern getrennt und wartet in einem Auto. Als das Haus brennt, wird ihm zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig warm. Da die Nationalsozialisten mit einem Kind nicht wirklich etwas anzufangen wissen, wird er für kurze Zeit in eine Zelle gebracht, in der ihm eine unbekannte Frau in der Dunkelheit etwas Licht und Wärme gibt. Dass es sich bei dieser Frau um eben jene Widerstandskämpferin handelt, die an der Ermorderung von Fake Ploeg und dadurch indirekt am Tod seiner Familie verantwortlich ist, erfährt er erst viel später.


    Anton wird nach jener Nacht von seinem Onkel und seiner Tante aufgenommen, zu denen er ein liebevolles, aber leicht distanziertes Verhältnis hat. Er fühlt sich damit aber durchaus wohl und hält sich oft irgendwo in der Mitte auf, weit weg von den Extremen, aber auch weit entfernt von größeren Gefühlen, wie z.B. der Trauer um seine Eltern, seinen Bruder und dem Schock über die Geschehnisse jener Nacht. Seine Noten in der Schule und an der Uni während des Medizinstudiums sind weder gut noch schlecht, politisch hat er eigentlich keine Meinung. Später studiert er Medizin. Dass er sich auf die Anästhesie spezialisiert, überrascht nicht, sondern passt zu seinem Wesen. Er nimmt die Geschehnisse sehr ruhig auf, schiebt das alles von sich weg, versucht dem auszuweichen und trägt es natürlich immer bei sich. Trotzdem oder wohl auch genau deswegen findet er im Laufe der Geschichte bzw. im Laufe seines Lebens Menschen, die ihm die fehlenden Puzzlestücke geben, die er braucht, um die Geschehnisse dieser blutigen Nacht rekonstruieren zu können.


    Wie Anton feststellen muss, ist keiner der Beteiligten, außer seinen Eltern, die niemandem etwas getan haben, und den Nationalsozialisten, deren Verbrechen unzählige Bücher füllen, nur schuldig oder unschuldig. Doch auch bei den Nationalsozialisten gibt es Momente der Hilfsbereitschaft einem kleinen Jungen gegenüber. Wäre Anton allerdings Jude gewesen, hätte es diese Momente wohl nicht gegeben. Das ist durchaus paradox, wenn man bedenkt, dass die Hand, die Anton Nahrung und warme Kleidung reicht, und jene Hand, die Antons Eltern und seinen Bruder Peter erschießt, dem gleichen Befehlshaber untersteht.


    Vater und Tochter Korteweg, die Nachbarn, die die Leiche vor Antons Elternhaus legten, wollten dadurch nicht nur sich und ihr Haus beschützen, sondern auch eine andere Nachbarsfamilie, die Juden vor den Nationalsozialisten versteckten, sowie die Eidechsen von Vater Korteweg, die für ihn mehr als ein Hobby und so ziemlich der Mittelpunkt seines Lebens sind. Aus Reue zertritt er die Eidechsen nach jener Nacht. Die Kortewegs wandern später aus, aus Angst vor Antons Rache. Daran hat Anton allerdings kein Interesse. Vater Korteweg begeht später Selbstmord. Karin Korteweg erzählt Anton gegen Ende der Geschichte die restlichen Details bzw. die Gründe für die Verlagerung der Leiche und erzählt ihm auch Genaueres zum Tod seines Bruders, an dessen Tod die Kortewegs, die ihr eigenes Leben retten wollten, nicht wirklich unschuldig sind.


    Fake Ploeg hatte mehrere Gefangene schwer gefoltert. Die beiden Widerstandskämpfer Truus und Cor Takes, die Fake Ploeg gemeinsam erschossen, wussten, dass seine Ermordung eventuell unschuldige Opfer fordern würde. Durch seinen Tod konnten aber zumindest weitere Folterungen verhindert werden. Cor Takes kann sich retten, muss aber die vom sterbenden Fake Ploeg schwer verletzte Truus zurücklassen, nachdem ihr Versteck von einer Anwohnerin an die Soldaten verraten wurde.Truus, die später hingerichtet wird, erklärt Anton, der zu diesem Zeitpunkt vom Tod seiner Eltern und von Truus Beteiligung an der Tat nichts weiß, den Kampf zwischen den Angehörigen des Widerstands und den Faschisten so:

    "Wir müssen ein bißchen wie sie werden, damit wir sie bekämpfen können, ein bißchen von uns selbst aufgeben. Sie haben damit keine Schwierigkeiten, sie können uns ohne Skrupel kaputtmachen. Wir müssen erst ein bißchen von uns selbst kaputtmachen, bevor wir sie kaputtmachen können. Sie nicht, sie können einfach sie selbst bleiben, darum sind sie so stark. Aber weil kein Licht in ihnen ist, werden sie schließlich doch verlieren. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht zu sehr wie sie werden, denn dann hätten sie am Ende doch noch gewonnen..." S. 46 in meiner Ausgabe von 2004


    Die Familie von Fake Ploeg hatte mit den Folterungen zwar nichts zu tun, verliert aber den Familienvater und muss nach dem Krieg in ein anderes Viertel umziehen, um Repressalien zu entgehen. Die Mutter wird eine Weile interniert und arbeitet danach als Putzfrau. Der Sohn Fake, ihn kennt Anton aus der Schule, ist sehr verbittert. Anton hatte ihm während der Schulzeit einmal aus einer brenzeligen Situation herausgeholfen, dennoch ist Fake ihm gegenüber nicht nur verbittert, sondern auch ziemlich ungerecht. Fakes Neid auf Antons beruflichen Werdegang, sein Hang zur Gewalttätigkeit, seine fehlenden Empathie für das Schicksal anderer und die Tatsache, dass er die schlechten Seiten seines Vaters nicht wahrhaben will, bestimmen das Gespräch.


    Cor Takes, der Widerstandskämpfer, der in jener Nacht seine geliebte Truus und seinen Bruder, eine der ermordeten Geiseln, verlor, ist nicht nur Widerstandskämpfer, sondern hat auch an der Ermordung von Verrätern aus den eigenen Reihen mitgewirkt. Zufällig bzw. ohne Absicht treffen Anton und Cor nach einer Beerdigung aufeinander als Cor Details zur Ermordung von Fake Ploeg erzählt und Anton nachfragt, ohne das eigentlich zu wollen. Das Gespräch zwischen Cor und Anton hat einen etwas ungewöhnlichen Verlauf, Cor stellt die Notwendigkeit der Ermordung von Fake Ploeg über alles und auch über das Leben von Antons Familie. Dennoch fühlt Anton sich ihm zutiefst verbunden. Cor leidet immer noch darunter, dass Truus ihm genommen wurde und ihm niemals sagen konnte, dass sie ihn liebt. Anton weiß das in den tiefen seiner Erinnerung, hat es aber verdrängt, da Truus es ihm in jener Nacht erzählt hat, aber er kann sich erst viel später wieder daran erinnern.


    All diese Puzzlestücke finden schließlich ihren Weg zu Anton, der eigentlich nicht aktiv danach sucht, aber immer wieder unter Migräne und auch anderen Symptomen leidet,die Wohl auf jene Nacht zurückzuführen sind. Anton geht dem aber nicht gezielt nach. Gegen Ende des Buches nimmt der unpolitische Anton anfangs eher überredet als freiwillig an einer Friedensdemonstation teil. Dort trifft er Karin Korteweg, die ihm die fehlenden Puzzlestücke gibt. Das geht mehr von ihr aus als von Anton, da ihr Bedürfnis, es loszuwerden, vordergründig größer ist als Antons Bedürfnis nach Wissen. Nach dem Gespräch mit Karin Korteweg kann Anton sich endlich auch so richtig für die Friedensdemonstration begeistern. Das Buch endet mit Antons Erkenntnis, dass jeder schuldig und unschuldig ist.


    Dieses Buch ist erstmals im Jahre 1982 erschienen, also lange nach dem Zweiten Weltkrieg, lange nach der literarischen Stunde Null, der Trümmerliteratur, der Nachkriegsliteratur, lange nach Heinrich Böll und auch lange nach den '68ern. Ich finde das Buch beeindruckend in seiner Differenziertheit. Es ist eigentlich nur ein schmales Bändchen, 205 Seiten hat meine Ausgabe und dennoch steckt so viel darin. Ich habe das Buch mehrere Male gelesen, bis ich das mit dem Feuer, dem Licht, den Explosionen und dem Vulkan durchschaut hatte. Das geht zurück auf den römischen Autor Plinius und seine Beschreibung eines Vulkanausbruches. Auch die vielen Antithesen sind auffällig, z.B. Licht vs. Dunkel, die aber immer wieder nicht unbedingt im positiven Sinne aufgebrochen werden. Leser werden in diesem Zusammenhang feststellen, dass gerade Antons Distanziertheit den Leser umso stärker in das Buch hineinzieht. Aber zu den Stilmitteln und der Konstruktion des Buches ist bereits so viel geschrieben worden, dass ich das hier nicht nochmal ausbreiten will.


    Was mich an diesem Buch abgesehen von der differenzierten Betrachtungsweise am allermeisten beeindruckt hat, sind die sprachlichen Fähigkeiten des Autors. Diese ermöglichen es dem Leser, durch das Buch hindurch zu gleiten, wie ein angewärmtes Messer durch Butter. Aber gerade dieses mühelose Lesen dieser erschütternden Dinge und die Tatsache, dass man sich von Antons Geschichte so schlecht distanzieren kann, hinterlassen einen bleibenden Eindruck beim Leser. Im Gegensatz zu Anton kann man sich nicht stellenweise auf einen harmlosen Mittelweg zurückziehen. Als Leser wird man stellenweise überwältigt, muss aber trotzdem das Gute im Schlechten sehen und das Schlechte im Guten, muss sich den Verlust der Familie und des Elternhauses vorstellen, muss Anton dabei zu sehen, wie er durchs Leben wandert und diese Puzzlestücke findet. Manchmal möchte man Anton schütterln und ihn fragen, wie er das alles so relativ gleichmütig und ohne Rachegedanken hinnehmen kann und trotzdem furchtbar leidet. Seine Haltung ist wohl ein weiterer geschickter Schachzug des Autors, um den Leser auf keinen Fall gleichgültig bleiben zu lassen.


    Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Buch vor 1982 Leser gefunden hätte, gerade wegen der Differenziertheit und der Beschreibung der Schuld in der Unschuld und der Unschuld in der Schuld. Beim Lesen habe ich öfters an Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" aus dem Jahre 1963 gedacht, obwohl diese Bücher abgesehen von der Länge und dem allgemeinen Thema eigentlich nicht viel gemeinsam haben. Hans Schnier, der Clown, lässt seine Umgebung, die den Krieg und alles, was damit zu tun hat, abhaken will, absichtlich und mit gezielten Aktionen bzw. Anrufen und Bemerkungen nicht vergessen. Schuldige bzw. Beteiligte versuchen, sich nach dem Krieg reinzuwaschen, versuchen ihre Beteiligung zu bagatellisieren und es herrscht mehr oder weniger kollektive Verdrängung, gegen die der Clown vorzugehen versucht. Anton Steenwijk weicht aus und kann gerade deswegen nicht vergessen, weil er in seinem Ausweichen immer wieder mit Personen konfrontiert wird, die an den Geschehnissen beteiligt waren und unbedingt darüber reden wollen. Der Clown bringt die für seine Umwelt leidigen Themen immer wieder auf den Tisch, Anton, von dem eigentlich Rache und gezielte Suche nach Antworten auf naheliegende Fragen erwartet wird, bringt nichts auf den Tisch, sondern bekommt hin und wieder etwas vorgesetzt. Anton soll verstehen, nachvollziehen können, soll vergeben und die anderen Personen dadurch von der Last ihrer Erinnerungen, ihrer Schuld, ihrer Verantwortung und ihren eigenen Kümmerissen befreien. Anton ist, ohne das zu wollen, für viele andere Menschen im Buch eine zentrale Figur. Der Clown sollte eigentlich keine zentrale Stellung haben, zumindest möchte man ihm diese nicht zugestehen, aber er verschafft sie sich, indem er den Finger in alte Wunden legt und das Verdrängen behindert. Er macht sich dadurch natürlich unbeliebt. Der kirchliche Aspekt und auch der mehr oder weniger gelingende Humor, der bei den "Ansichten eines Clowns" durchgängiges Thema ist, fehlt natürlich bei "Das Attentat" völlig. Trotzdem ist auch bei den "Ansichten eines Clowns" die Schuld in der Unschuld und umgekehrt immer wieder ein Thema.


    Es mag durchaus sein, dass andere Leser diese Assoziation nicht haben, aber ich würde interessierten Lesern empfehlen, beide Bücher zu lesen.
    Man mag jetzt vielleicht argumentieren, dass der Zweite Weltkrieg lange vorbei ist, aber vorbei ist nicht vergessen. Ich denke, dass dieses große Thema noch viel Zeit brauchen wird. Irgendwo in "Das Attentat" steht, dass erst der Dritte Weltkrieg die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger auslöschen wird. Die Seite dazu finde ich grade nicht mehr. Wollen wir hoffen, dass es bei zwei Weltkriegen bleibt. Es gibt auch ohne Weltkriege genug kriegerische Auseinandersetzungen und Leid.

  • Könnte bitte ein Moderator meinen Thread in den Rezensionsbereich verschieben? Ich bin noch nicht so lange hier und habe offenbar den falschen Bereich erwischt. Das wäre sehr nett, danke schön.