Harry Mulisch: Das Attentat

  • Gerade eben hab ich von Harry Mulisch "Das Attentat" beendet und möchte es euch gleich vorstellen.


    Inhalt laut Klappentext:
    Anton Steenwijk ist noch ein Junge, als das nationalsozialistische Deutschland die Niederlande besetzt. Als Widerstandskämpfer einen Offizier der holländischen Faschisten erschießen und den Leichnam vor dem Haus seiner Eltern ablegen, sind die Folgen für Anton dramatisch. Die Deutschen stecken sein Elternhaus in Brand, und Anton wird von seinen Familienangehörigen getrennt, die noch an Ort und Stelle umgebracht werden. Er wächst fortan bei einem Onkel auf und beginnt nach und nach, die Ereignisse zu verdrängen. Selbst als er nach Kriegsende vom schrecklichen Los seiner Angehörigen erfährt, verspürt er keinen Drang, die Täter ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Seine Berufswahl wirkt geradezu symbolhaft: Er arbeitet als Anästhesist, aber eigentlich, so scheint es, will er seine eigene traumatische Erinnerung betäuben. Doch immer wieder wird er mit der Vergangenheit konfrontiert, bis er eines Tages die Augen nicht mehr verschließen kann.


    Meine Meinung:
    Das Buch hat mich schwer beeindruckt und immer wieder Gänsehaut bei mir erzeugt. Es ist einfühlsam geschrieben, gibt Einblick in die Psyche der Hauptfigur und geht nahe.
    Anton Steenwijk erlebt das Attentat auf sein Wohnhaus, wird von seiner Familie weggebracht, die er nie wieder sieht. Und trotzdem hinterfragt er lange nichts, will ewig nichts von der Vergangenheit, von dieser schicksalshaften Nacht wissen. Doch auch diese Geschichte lässt sich nicht verdrängen, sie holt Anton im Laufe seines Lebens bruchstückhaft immer wieder ein, bis auch die letzten Fragen schließlich für ihn gekärt sind und die Geschichte schließlich - zum Teil - auch in einem anderen Licht dasteht. Denn auch wenn der Tathergang im Groben immer klar war, sind es im Endeffekt die Details, die Anton zum Nachdenken bringen und ihm (und somit auch dem Leser) in einigen Punkten eine andere Sicht der Dinge ermöglichen.


    Ich werde nach diesem Buch - mein 1. Mulisch - sicher noch weitere von dem Autor lesen und kann es ohne wenn und aber weiterempfehlen.

    Liebe Grüße,
    Azrael


    Aktuelles Buch: "Schwarz zur Erinnerung" von Charlene Thompson

  • Hallo Azrael,


    na....wenn das kein Buch für mich ist. :thumleft: Zum einen spielt es in meiner zweiten Heimat und zum anderen wird ein Kapitel der Geschichte behandelt, dass mich immer interessiert.
    Mit Sicherheit ist es bei meiner nächsten Buchbestellung dabei.


    Grüsse von Bonprix :wink:

  • Hallo Azrael!


    Ich kann dir auf alle Fälle noch "Siegfried" von Mulisch empfehlen und "Die Entdeckung des Himmels" ist wohl sein bekanntestes Werk. Aber "Siegfried" hat mir sehr gut gefallen. Es geht darin um einen Autoren, der nach Wien reist um eine Lesung zu halten. Insgeheim interessiert ihn Wien jedoch, weil es die Heimatstadt Hitler's ist. Und dann trifft er bei einer Lesung auf ein altes Ehepaar, welches ihm erzählt, dass Hitler einen Sohn hatte. Aber das ist noch nicht alles.... Am Schluss philosophiert Mulisch wieder und bringt dem Leser seine Gedanken nahe.
    Wirlich Spitze :cheers: !!!

    "Gern lesen heisst, die einem im Leben zugeteilten Stunden der Langeweile gegen solche des Entzückens eintauschen."

  • Jenny: danke! "Die Entdeckung des Himmels" hab ich nach der Lektüre von "Das Attentat" gleich notiert gehabt, weil mir der Titel natürlich bekannt war. Und "Siegfried" klingt unheimlich gut und ist auch gleich aufgeschrieben. Da ich jetzt in Wien wohne, interessierts mich natürlich gleich noch mehr.


    @Bonprix: Ich hab mir beim Attentat gleich gedacht, dass das was für dich sein könnte - das wird dir sicher gefallen!

    Liebe Grüße,
    Azrael


    Aktuelles Buch: "Schwarz zur Erinnerung" von Charlene Thompson

  • hab "das attentat" durch die sz-bibliothek ebenfalls vor kurzem gelesen und bin ziemlich begeistert.


    ich habe es regelrecht verschlungen und "die entdeckung des himmels" ist dadurch in seinem sub ziemlich weit nach oben gerutscht.




    lg katha

  • "Das Attentat" ist ein leicht und fesselnd zu lesender Roman mit einem Protagonisten, Anton, der im Alter von ungefähr zwölf Jahren durch die Nationalsozialisten seine Eltern und seinen Bruder verliert. Sie alle werden erschossen, willkürlich wie die meisten der Millionen Opfer der Hitler-Schreckensherrschaft. Anton, der ab diesem Zeitpunkt bei Onkel und Tante lebt, wird erwachsen, studiert, wird Anästhesist, und nähert sich, beschrieben in fünf Episoden in den Jahren 1945 bis 1981, der Wahrheit um die Ermordung seiner Familie. Der Roman dreht sich um die Frage: Wer ist schuld am Tod von Antons Familie. In erster Linie selbstverständlich die deutschen Nationalsozialisten. In zweiter Linie die holländischen Kollaborateure. Aber wie steht es mit der Schuld der Nachbarn, die durch eine Handlung erst die Familie Antons hineinziehen? Und wie mit der Schuld der holländischen Widerstandskämpfer, die erst durch ein tödlichen Attentat auf einen Kollaborateur den Vorgang ins Rollen bringen?
    Ich finde ein sehr zum Nachdenken anregendes Buch, das einem beim Lesen den Wahnsinn dieser Zeit vor Augen führt und einem erneut Dankbarkeit spüren lässt, in der heutigen Zeit leben zu dürfen.


    Viele Grüße JP :flower:

  • Also Das Attentat hat mir persönlich leider nicht so zugesagt. Die Entdeckung des Himmels und Siegfried dafür um so mehr. Auserdem habe ich noch ein anderes Buch von ihm gelesen was mir allerdings auch nicht so zugesagt hat. Aber das ist wohl mal wieder Geschmackssache nachdem viele hier vom "Attentat" auch so begeistert sind. :idea:


    Aber wie gesagt mir persönlich hat "Die Entdeckung des Himmels" am besten von ihm gefallen. Allerdings ist da der "Leseaufwand" auch entsprechend grösser....


    LG


    Arbora

    Leb gleich der Rose, strahlend schön, die blüht im Morgenschein,
    die stetig wächst zum Licht empor - nie zweifelnd ihres Seins.

  • Also erstmal nur schon die Seitenzahl (so um die 800 Seiten), was mich allerdings nur gereizt hat. Ich liebe Bücher die nicht so schnell vorbei sind.


    Auserdem passiert in dem Buch auch viel was auf Geschichtliches anspielt. Das war für mich als total unwissende was Geschichte angeht teilweise etwas anstrengend da ich vieles nicht auf Anhieb verstanden habe.


    Aber trotzdem fand ich das Buch super. Und es hat auch was das ich jedes mal wenn ich das Buch lese etwas neues entdecke. Ich lerne ja auch noch dazu :lol:


    LG


    Arbora

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    die stetig wächst zum Licht empor - nie zweifelnd ihres Seins.

  • Aha :cyclopsani:


    Es hat ja zwei Möglichkeit gegeben: Den Aufwand, den das Lesen erzeugt, z.B. wenn man sich vorher mit dem Thema vertraut machen muss.


    Oder der Zeitaufwand, der durch das Lesen erzeugt wird, wenn also das Buch relativ dick ist.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Also eigentlich beide Möglichkeiten... Obwohl ich mich nicht vorher mit dem Thema vertraut habe sondern mehr so nebenbei, plötzlich sah ich z.b. im Fernsehen ständig Dinge die ich auch in dem Buch gelesen hatte...


    LG


    Arbora

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  • Das Attentat gehört zu meinen TOP 3 Büchern. Vor allem der Schluss war einfach grandios und hat mich sehr mitgenommen. Die Entdeckung des Himmels liegt auch auf meinem SUB, ich hoffe ich komme da noch dieses Jahr hin :bounce:

  • Jänner 1945, Haarlem, Holland.
    Vor dem Haus der Familie Steenwijk wird ein nazifreundlicher holländischer Polizist von Widerständlern erschossen. Die deutsche Besatzung macht kurzen Prozess, fasst den Täter, erschießt in einem Akt der Willkür das Ehepaar Steenwijk sowie deren Sohn Peter. Das Haus wird in Schutt und Asche gelegt. Anton, der damals 12-jährige Sohn ist der einzige Überlebende. Nach einer Nacht im Gefängnis wächst er dann bei Verwandten auf und führt eigentlich ein recht „normales“ Leben.


    In insgesamt 5 „Episoden“ im Zeitraum von 1945 bis 1981 wird das Leben des Anton Steenwijk erzählt, der eigentlich dieses Erlebnis verdrängen und die Vergangenheit ruhen lassen will. Doch immer wieder wird er mit Menschen und Szenen konfrontiert und das Erlebte begleitet und überschattet sein Leben.
    Der Stil ist nüchtern, fast beiläufig wird die Geschichte „erzählt“, ohne aber Distanz zum Protagonisten zu erzeugen.


    Es ist die Frage nach der Schuld, die sich wie ein roter Faden durch das 200-Seiten-Buch zieht.
    Sind die Deutschen schuld? Sind es die holländischen Kollaborateure oder gar die Widerständler, die den Polizisten erschossen haben? Wären da noch die Nachbarn, die auch ihre Finger im Spiel hatten ….


    Anton beginnt zu verstehen, dass es keinen „Schuldigen“ gibt, bzw. dass man, um die Schuldfrage zu klären, wohl bis zu Adam und Eva zurückkehren muss.


    Ein Satz ist mir aufgefallen, es geht um die Namensgebung bei Kindern:

    Zitat

    „Erst wenn es wieder Adolfs gibt, haben wir den 2. Weltkrieg wirklich überwunden“


    Es gibt viele Bücher, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung und dem Thema 2. Weltkrieg beschäftigen. Aber dieses Buch behandelt die Thematik in einer Form, die mich sprachlos macht. Neben Imre Kertesz’ „Roman eines Schicksallosen“ ist „Das Attentat“ für mich ein ganz wichtiges Buch, das jeder gelesen haben sollte! Aufrüttelnd, nüchtern, ohne anzuklagen, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Besserwisserei und es hinterlässt das Bewusstsein, dass man sehr vorsichtig sein soll mit Pauschalverurteilungen und Schuldzuweisungen!


    Ganz große Literatur!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Nach dem Tode Mulischs, aber auch zur Vorbereitung eines Aufenthaltes in den Niederlanden wollte ich endlich etwas von ihm lesen. Ehrlich gesagt erschien mir „Die Entdeckung des Himmels“ ein bisschen zu mächtig, da griff ich halt zum „Attentat“ und habe es keinesfalls bereut. Welche Entdeckung!


    Zunächst kommt der Roman daher als eingepackt in die Endphase des Zweiten Weltkrieges und geht in dem Sinne auch ein Stück Zeitgeschichte nach. Davon war ja auch schon die Rede.


    Doch wie kann man die Überraschung ausdrücken, die man nach jedem Kapitel, nach jeder Episode verspürt? Immer fängt solch eine Episode recht harmlos an, mit scheinbar neuen Erzählsträngen. Wir glaubten, etwas von der Ausgangsgeschichte verstanden zu haben, doch Mulisch spielt mit uns auch: Jedes Mal lassen uns neue Enthüllungen an unserem Bild von der Vergangenheit zweifeln und anstatt dass jene so stabil und klar ist, wie sie in den Augen mancher eben ist, verändert sie ihr Gesicht und lässt uns unser Verständnis vom Geschehenen ändern. Und wenn wir also oft zu früh urteilten? Verurteilten? Und wenn wir uns von den großen und definitiven Verurteilungen und Meinungen hüten sollten ?


    Mulisch wuchs selber in einem Umfeld auf, in dem er mit den (An-)Fragen der Geschichte und der Zeitgenossen leben musste. Er baut hier auf subtile Art einen Roman auf, der sich nicht nur fesselnd lesen lässt, sondern zudem einige wirklich wichtige Fragen stellt über Schuld, Unschuld und manche Absurdität...


    Sehr überzeugend und nur zu empfehlen!


    Und nun muss ich wohl bald zum Schinken greifen, will sagen zur „Entdeckung des Himmels“?

  • Je kürzer die Tage umso besser die Bücher! Danke wiederum fürs "Ausgraben" des Threads, der hier offenbar die letzten 4 (!) Jahre (fast auf den Tag genau) brach lag. Vielleicht findet dieses Buch nach der neuerlichen Empfehlung von tom fleo doch noch den einen oder anderen Leser?

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Das Buch habe ich schon vor einigen Jahren gelesen und nach der "Entdeckung des Himmels" zum zweitliebsten Mulisch gekürt.


    Meine Meinung:


    Nach dem großartigen "Die Entdeckung des Himmels" hatte ich an allen anderen Mulisch-Büchern etwas zu meckern.


    Nicht so bei dem hier.


    Die Geschichte beginnt 1945 in Haarlem, Holland, im kalten "Hungerwinter". Anton lebt mit seinem Bruder und seinen Eltern in einer stillen Seitenstraße. Eines Nachts zerreißen Schüsse die Stille, die Mutter läuft ans Fenster und sieht vor dem Nachbarhaus auf der Straße die Leiche des Nazisympathisanten und Polizisten Fake Ploeg. Die Nachbarn kommen aus dem Haus und schleifen den Toten ein Haus weiter. Antons Bruder will die Leiche wegschaffen, doch da kommen die Deutschen, verhaften die ganze Familie unter Verdacht, Ploeg getötet zu haben und brennen das Haus nieder.


    Anton wird von seinen Eltern getrennt und erfährt später, dass sie und auch sein Bruder von den Deutschen umgebracht wurden. Er wächst bei seinem Onkel auf, studiert Medizin, wird Anästhesist, heiratet, wird Vater - ein an der Oberfläche völlig normales Leben. Doch tief im Inneren trägt er immer noch die quälende Erinnerung an diese furchtbare Nacht mit sich.


    Die Geschichte wird in fünf Episoden zwischen 1945 und 1981 erzählt, in jeder Episode nach dem schrecklichen Vorfall hat Anton eine Begegnung, die die Erinnerung wieder wachruft und ihn zwingt, sich damit auseinanderzusetzen.


    Mulisch erzählt nachdenklich, tiefgründig, aber auch sehr plastisch, man sieht die Geschehnisse wie einen Film vor dem inneren Auge ablaufen und macht sich mit Anton selbst so seine Gedanken um Erinnerung, Schuld, Vergangenheit und Zukunft.


    Trotz der Zeitsprünge und eingestreuten längeren Gedankengänge ist das Buch sehr flüssig zu lesen und "rund".


    Nur das letzte Kapitel konnte ich nicht so gut einordnen, weil ich zuwenig Ahnung von der holländischen Zeitgeschichte habe, mit etwas mehr Hintergrund hätte ich damit wohl noch mehr anfangen können.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Der Satz mit den "kleinen Adolfs" ist mir auch im Gedächtnis geblieben.

  • Danke für Deinen interessanten Beitrag, der mich noch zusätzlich motiviert, zur "Entdeckung des Himmels" zu greifen.



    Nur das letzte Kapitel konnte ich nicht so gut einordnen, weil ich zuwenig Ahnung von der holländischen Zeitgeschichte habe, mit etwas mehr Hintergrund hätte ich damit wohl noch mehr anfangen können.


    Worauf nimmst Du Bezug? Auf die geschilderten Umstände Anfang der 80iger Jahre? Das sah in Deutschland (ich habe gute Erinnerungen daran...) ähnlich aus: Demos gegen den Natonachrüstungsbeschluss, bzw. gegen die Atomkraft.


    Oder meintest Du die Schlüsselhandlung von 1945 und die neuen Erhellungen?

  • Danke für Deinen interessanten Beitrag, der mich noch zusätzlich motiviert, zur "Entdeckung des Himmels" zu greifen.


    Schön! Da bin ich ja mal gespannt, ob es Dir auch so gut gefällt wie mir - eines der wenigen Bücher in meinem "Erwachsenenleseleben", das ich zweimal gelesen habe und es wieder tun würde ;)


    Zitat

    Worauf nimmst Du Bezug? Auf die geschilderten Umstände Anfang der 80iger Jahre? Das sah in Deutschland (ich habe gute Erinnerungen daran...) ähnlich aus: Demos gegen den Natonachrüstungsbeschluss, bzw. gegen die Atomkraft.


    Oh je, das ist ja nun schon ne Weile her ... ich habe einfach meine Rezi von damals kopiert. Ich meine, es habe den einen oder anderen Bezug zur damaligen holländischen Politik gegeben, mit dem ich nichts anfangen konnte. Die generelle Demo- und Anti-Atomkraft-Welle ist mir natürlich schon ein Begriff.


    Vielleicht muss ich das Buch einfach noch mal lesen ;)