KLR: 2. Teil des Romans

  • Ich bin jetzt in diesem 2. Teil bei Kapitel 8 angelangt und versuche, meine Gedanken, Eindrücke und Ahnungen niederzuschreiben.


    Charles und Emma Bovary sind nun in der neuen Heimat angekommen, doch die Erwartungen erfüllen sich nicht. Es ist genauso ein Kaff und zudem bleiben Charles' Patienten aus. Emma wird mehr und mehr vom Hass zerfressen und auch Charles fühlt sich hier nicht wirklich wohl.


    Für einen Augenblick hatte ich Mitleid mit ihr, als sie in der Kirche war und versuchte, den Priester auf ihr Leid aufmerksam zu machen, dieser sie aber nicht ernstnahm, denn so eine wie sie, die hat wohl keine Probleme zu haben. Seelisches Leid kann einem ebenso zu Grunde richten wie Hunger oder Armut.


    Als sie jedoch gleich anschließend so grob zu ihrer Tochter war und dann auch noch ihr eigenes Kind als "hässlich" bezeichnete, schwand dieses Mitleid genauso schnell wie es gekommen ist. :( .


    Ich kann mir noch kein Urteil bilden, bin sehr hin- und hergerissen, denn irgendwie verstehe ich Emma auch. Mal sehen, welche Abgründe sich noch auftun ..... ;)

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Hallo,


    ich bin schon ein Kapitel weiter als Rosalita, sprich die Landwirtschaftsausstellung habe ich schon hinter mir und Rodolpho auch schon ein bißchen näher besichtigt.
    Insgesamt ging's mir sehr ähnlich wie Rosalita, die Szene mit dem Pfarrer war hart. Wahrscheinlich muß man dabei aber bedenken, dass psychische Krankheiten wie Depressionen (und wie das beschrieben wird klingt das nach Depressionen) damals nicht als solche wahrgenommen wurden, man hatte eben schwache Nerven und sollte sich zusammenreißen, fertig.


    Dass und wie sie diese Probleme an ihrem Kind ausläßt hat mich ebenso geschockt, auch schon die erste Szenen, als sie die Amme besuchte. Dass man Kinder in etwas gehobeneren Kreisen zu Ammen gegeben hatten, war vielleicht normal, und Flaubert gibt uns keinen Hinweis darauf, wieso das so entschieden wurde.


    Katia

  • ich finde auch, daß die szenen mit dem kind schon schockierend sind. da kommt emmas desinteresse an anderen menschen, sogar am eigenen fleisch und blut durch. diese zustände im haus der amme!


    ich denke mal, emma will natürlich nicht stillen, denn das ruiniert die figur. und wer etwas besseres sein möchte, hat natürlich eine amme bzw. kinderfrau für den nachwuchs. aber wer es sich leisten kann, hat eine solche frau eben als hausangestellte. da zeigt sich dann wieder mal: mehr schein als sein. deshalb wird das kind aus dem haus gegeben. was soll aus diesem kind werden, wenn es nach einem jahr wieder ins haus der eltern gebracht wird und neue bezugspersonen bekommt?

  • Ich habe gestern noch Kapitel 8 (Landwirtschaftsausstellung) gelesen und war sehr beeindruckt davon, wie aktuell Flaubert heute immer noch ist :shock: . Diese Landwirtschaftsausstellung könnte genausogut ein Parteitag der Volkspartei im Wahljahr 2006 sein :mrgreen:


    Jedenfalls hat die gute Emma in Rudolphe einen Seelengefährten, ein männliches Pendant, gefunden.


    Ich habe soeben nachgelesen dass "Madame Bovary" 1857 erschienen ist und ich schätze mal, dass es auch in dieser Zeit spielt. Madame Bovary ist ihrer Zeit voraus, sie passt nicht in dieses System von damals, wie würde ihr es im 21. Jahrhundert ergehen?

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • Habe den zweiten Teil beendet.
    Dass die "Beziehung " zu Rodolph nicht gut endet, war ja eigentlich von Anfang an klar, schließlich hat er seine Gefühle nur gespielt. Und Emma ist zu naiv, um zu bemerken, dass sie nur ausgenutzt wird.
    Bedrückend war die Szene um die Klumpfussoperation, hier haben sich eigentlich alle Beteiligten nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Charles ist zu schwach sich zu wehren, der Apotheker und Emma sehen nur ihren eigenen Vorteil, nicht aber die Risiken. Und Emma sieht hinterher auch nicht Hippolytes Leid sondern nur die Reputation die ihr dadurch entgangen ist... Gut gefällt mir wie neutral Flaubert schreibt, er stellt sich nicht auf Emmas Seite, er stellt sich nicht gegen Emma, er beschreibt eigentlich nur - dadurch bleibt dem Leser mehr Spielraum; man muß selbst ihr Verhalten beurteilen. Bei mir überwiegt immer noch eher das Mitleid, auch wenn Emma sich in manchen Situationen wirklich unschön verhält.


    Katia

  • Der Zweite Teil liest sich jetzt ja wirklich zunehmend spannender.
    Keine Frage,die Szene mit der Tochter und allgemein auch die Art wie Emma ihre Tochter behandelt finde ich grausam.Mir wurde richtig übel. :shock:
    Aber wie soll auch ein Mensch jemanden wirklich lieben können,der sich nicht einmal selbst lieben kann? Zudem denke ich auch,wie Katia,dass sie einfach auch manisch depressiv ist.Hilfe war zu diesen Zeiten da sicher von niemandem zu erwarten.
    Und zu allem Überfluss gerät sie auch noch an einen berechnenden Schuft,wie Rodolphe,der sie schamlos ausnutzt.
    Emma ist schon eine tragische Figur.
    Die Landwirtschaftsaustellung war ja dann wohl der Höhepunkt an Kritik an dem Bürgertum der damaligen Zeit,schätze ich mal.Schön waren die Blenden von Rodolphes Verführung , auf den Reden schwingenden Präfekturrrat,die immer schneller wechselten.
    Im Prinzip verführen sie ja beide....

  • Ja,die Klumpfussoperation! :shock: Au weia!
    Allerdings macht sich Emma ja nicht so sehr Gedanken um den armen Hippolyte,der ohne Amputation gestorben wäre,sondern viel mehr um das Versagen ihres Ehemannes,der es mal wieder vergeigt hat berühmt zu werden und in die Oberschicht aufzusteigen.... :roll:


    Ach ja,wusstet ihr das diese Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht?
    Kaum zu glauben,oder?

  • Ich würde gerne auf die Depression zurückkommen, die ja für mich keine ist. In meinen Unterlagen habe ich folgendes gefunden, wie Freud diese Sache sieht: Es sind Neurotiker, die ihre Triebe unterdrücken. In Emmas Beispiel, die ihre Triebe auf die Phantasie überträgt, also verleugnet und kontrolliert, die Triebe werden abgelehnt durch das Gewissen und äußere Zwänge. Was zu Unlust führt, Antriebsschwäche usw.. Neurotiker brechen dann von Zeit zu Zeit aus, was Emma ja an ihren Mitmenschen auslässt; sie neigen natürlich immer zur Ersatzbefriedigung, oft Alkohol.
    Depressionen, da fällt eine Mauer runter, diese Menschen können einfach nicht mehr, alles ist zuviel, alles stellt eine unendlich Hürde dar, selbst kleine Kleinigkeiten. Und Emma such ja gerade ihren Ersatz darin, eine perfekte Hausfrau zu sein.

  • Zitat

    Original von Heidi Hof
    Depressionen, da fällt eine Mauer runter, diese Menschen können einfach nicht mehr, alles ist zuviel, alles stellt eine unendlich Hürde dar, selbst kleine Kleinigkeiten. Und Emma such ja gerade ihren Ersatz darin, eine perfekte Hausfrau zu sein.


    Ich meinte die Phase, nachdem Leon abgereist ist, bevor sie zum Pfarrer geht. Da eben ist sie antriebslos und läßt auch den Haushalt schleifen, liegt nur in ihrem Zimmer und macht eigentlich gar nichts.
    Lehnt denn wirklich ihr Gewissen ihre Triebe ab, ist es nicht eher der Mangel an Möglichkeiten? Immerhin zeigt sie eigentlich keine Reue als sie ihren Mann betrügt!


    Katia

  • Ich bin mittlerweile auch mit dem 2. Teil fertig.


    Für mich ist Emma innerlich zerfressen von Ehrgeiz, Neid und anderen dunklen Gelüsten. Sie mag sich selber nicht und deshalb kann sie auch ihre Umwelt nicht mögen. Ich denke, sie wird nie zufriedenzustellen sein, auch wenn sie ihre Leidenschaft ausleben kann, wird es immer noch ein "höher - weiter - größer" geben.


    Auch wenn ich sie irgendwie verstehen kann (sich nicht mit dem kleinbürgerlichen Leben zufrieden geben, nach Höherem zu streben) erlangt sie eigentlich nicht meine Sympathie. Als sie Erfolg und Ruhm ihres Mannes im Zuge dieser Operation witterte, kamen so richtig ihre wahren Züge ans Tageslicht. Gier und Stolz, uns so quasi "um sich in seinem Ruhm zu sonnen, dazu ist Charles zu gebrauchen". Für mich ist sie menschenverachtend, rücksichtslos und habgierig, und dafür lasse ich auch keine "Krankheit" als Ausrede gelten.
    Nein, ich mag sie nicht.


    Die oben schon erwähnte Distanz des Erzählers finde ich auch sehr bemerkenswert. Er ergreift für niemanden Partei und lasst es eher dem Leser über, Sympathien und Antipathien zu bilden.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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  • Sie hat doch viele Phasen in denen eine Mauer fällt.
    Die Phase als Rodlphe abreist ist ein sehr gutes Beispiel.Es gab auch andere Anlässe und zur Erholung von diesen Zuständen sind sie doch sogar auch nach Yonville gezogen.
    Manisch depressiv...
    Habe mal eine gute Defenition im Netz gefunden:

    Zitat

    Mediziner bezeichnen die Krankheit auch als bipolare affektive Störung, weil sich zwei Krankheitsbilder mit starken Gefühlsregungen (Affekte) - die Depression und die Manie - abwechseln (bipolar). "Die depressive Phase ist mehr als eine schlechte Stimmung. Die Menschen fühlen sich oft wie versteinert", erklärt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Sprecher des Kompetenznetzes Depression an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. "In der manischen Phase sind die Betroffenen dann voller überschüssiger Energie, haben tausend Ideen gleichzeitig im Kopf und machen Riesenpläne, die oft mit großen Geldausgaben verbunden sind. Die Risiken realisieren sie aber nicht, weil sie sich so glücklich fühlen", sagt der Experte.


    Ich finde das passt doch irgendwie,oder?
    Aber:
    Letzendlich sind wir uns aber schon einig,dass sie irgendwie ein psychisches Problem hat,oder?


    Habe ein bisschen weitergelesen und
    jetzt wiederholt sich das selbe Spiel mit dem armen Leon...
    Oh Mann! #-o

  • Ich fühle mich ja schon fast gemüßigt Folgendes zu sagen (auch wenn es den Touch von hinterwäldlerisch, verständnislos, unaufgeschlossen und primitiv hat :scratch: ):


    Ich denke, der guten Emma würde es nicht schaden, von 5 Uhr morgens bis spätnachts bei fürchterlich schlechtem Wetter auf einem fürchterlich dreckigen Feld körperliche Schwerstarbeit zu verrichten, nur um sich abends in einer baufälligen Hütte, in der sie wohnt, ein paar Stück Brot leisten zu können .... vielleicht kommt dann ein bisschen mehr Zufriedenheit in ihr Leben .... :-,

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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  • ich denke auch, daß da eine psychische erkrankung beschrieben wird, aber man darf natürlich nicht vergessen, daß der roman weit weit vor freud geschrieben wurde. und wenn es für dinge kein wort gibt, dann gibt es sie gewissermaßen auch nicht.


    ob der erzähler wirklich so neutral ist, wie es die sprache zu sein scheint, ist für mich noch die frage. wenn ich mir vorstelle, daß er das alles ja auch anders beschreiben könnte, es aber immer so rauskommt, daß emma die böse ist, dann denke ich schon, daß er parteiisch ist.


    normalerweise sind doch immer die männer die verführer. rodolphe macht sich ja auch einen plan, um emma rumzukriegen. aber das wird nur einen kurzen moment lang beschrieben und dann nicht weiter erwähnt. emmas leidenschaft für rodolphe und leon dagegen zieht sich über seitenlange beschreibungen. fast wirkt es dadurch so, als seien diese männer von einer stalkerin verfolgt und fürchterlich zu bedauern. aber sie haben es doch auch selbst initiiert! nur sind ihnen die folgen dann mit der zeit ganz fürchterlich lästig.

  • Hallo Schoenchen


    Ich habe gestern u.a. auch das 7 te Kapitel gelesen. Dort beschreibt Flaubert für mich zunächst Liebeskummer als Léon abgereist ist. Danach erlischt dieses innere Feuer, und Emma wird sehr aktiv: Einkaufen, Sprachen lernen und Bücher lesen. Das sind die sogenannten Ersatzbefriedigungen. Das spricht nicht für depressive Menschen, auch nicht für manisch Depressiv :P:loool:


    Aber im Grunde ist es mir auch egal welche Erkrankung es ist. :wink:
    Dennoch habe ich für Emma großes Verständnis, ich würde sie nicht zur Zwangsarbeit verdonnern :P:loool:

  • So, auch geschafft :D


    So richtig gutheißen kann ich die Sache mit dem armen Charles nicht mehr, allerdings steht auf der anderen Seite eine "kranke" Frau. Mein Verständnis schrumpft :wink: , obwohl ich dann wieder denke, sie bekommt das gar nicht mit. So sehr ist sie in ihre eigene Welt verzettelt, sie hat ja eine wahnsinnige Vorstellungskraft und Phantasie.


    Ich freue mich auf den letzten Teil :thumleft: