Gaëlle Josse – Une longue impatience

  • Französisch, 2018


    INHALT :
    Anne, Fischersfrau, verliert 1943 ihren Mann Yonn auf See. Ihrer Ehe entstammt Louis, 1934 geboren. Nach zwei Trauerjahren, der angemessenen Abstandszeit, hält Apotheker Etienne um ihre Hand an. Von je her war er in sie verliebt, und wartete geduldig. Er verspricht, Louis wie seinen Sohn anzunehmen. Doch als Gabriel und Jeanne geboren werden wächst der Abstand zwischen Stiefvater und -sohn. Es kommt zu einer unbeherrschten Tat, und Louis verschwindet im Frühjahr 1950 auf See. Annes Leben ist von der Erwartung der Wiederkehr ihres Sohnes geprägt. Und die Monate vergehen...


    BEMERKUNGEN :
    Anne selber ist hier die Ich-Erzählerin : Sie beginnt mit der Beschreibung des Tages , an dem Louis nicht heimkehrt und schwankt dann in ihrer Schilderung zwischen dem fortlaufenden Rückblenden auf die Vergangenheit, ihrem einfachen Leben in erster Ehe als Fischersfrau in einer nahezu ärmlichen Hütte, dem Verlust ihres Mannes, der zweiten Heirat mit Etienne etc einerseits. Und schiebt dann jene Briefe ein, die sie an ihren Sohn auf See richtet : dort malt sie ihm und sich die vorgestellte Wiederkehr aus, ein immenses Festmahl, die wiedergefundene Harmonie, die gewährte gegenseitige Vergebung.


    Diese hier chronologisch erzählten Einzelheiten enthüllen sich eher in einem Versteckspielen mit jenen. Genau das kann als Kunstgriff durchgehen. Es gibt derer andere in diesem Buch. Ohne Zweifel kann man – wie es der französische Klappentext tut und sicherlich nahezu alle angetanen Leser dieses neuen Werkes der Autorin, bezaubert sein von der poetischen, feinfühligen Sprache oder auch den Abgründen einer mütterlichen Liebe ohne Grenzen. Doch ich zitiere mal einen Eindruck, der mir schon beim Lesen ihres mE besten Werkes Gaëlle Josse – Les heures silencieuses damals durch den Kopf ging :


    « Mit skeptischem Blick (den ich leider nicht ganz vermeiden konnte) fragte ich mich, ob eine Frau des XVII. Jahrhunderts wirklich SO geschrieben hätte, in dieser Sprache und in diesem Stil ihrem Leben hätte Ausdruck geben können. Doch sollte man vielleicht diese Skepsis vergessen und sich an einem schönen Leseerlebnis freuen. »


    Also umgemünzt auf unsere Geschichte : Eine Frau, die sich öfter als « ungebildet » und aus armen Hause vorstellt, ehemalige Fischersfrau, die sichtbar (und zu Unrecht) in ihrem neuen Milieu der Stadt als Apothekerinnenfrau abgelehnt oder schief angesehen wird : Wird sie wirklich SO schreiben können ? Niemand in den von mir gelesenen Rezis und Leseeindrücken hebt diesen Gegensatz hervor. Geht er als weiterer Kunstgriff durch ? Obwohl das Thema und auch die Sprache an sich was Anziehendes hat, ist das Ganze als solches einfach nicht stimmig und wirkt gekünstelt. Es herrscht eine Kluft zwischen dem einerseits unterstrichenem Ursprungsmilieu Annes und der (Sprach-)Atmosphäre des Buches.


    Ich werde versuchen, der Autorin diese Frage zu stellen, wenn sie bald hier in der Gegend sein wird.


    AUTORIN :
    Gaëlle Josse ist eine französische Schriftstellerin, die 1960 geboren wurde. Studium des Rechts, Journalismus' und der Psychologie. Sie verbrachte einige Jahre auf Neu-Kaledonien und arbeitet derzeit als Redakteurin in einem Journal und für eine Internetseite. Sie gestaltet auch Bildungskurse für Erwachsene im geschriebenen und mündlichen Ausdruck. Für Kinder und Erwachsene organisiert sie ebenso Begegnungen zu einem musikalischen Werk.


    Sie lebt in der Pariser Region und veröffentlichte mehrere Gedichtbände und veröffentlichte in verschiedenen Publikationen, bevor sie sich 2011 mit « Les heures silencieuses » an einem ersten Roman versuchte. Inzwischen sind weitere hinzugekommen. Mehrere Auszeichnungen und Preise.



    Broché: 190 pages
    Editeur : Les Editions Noir Sur Blanc (4 janvier 2018)
    Collection : Notabilia
    Langue : Français
    ISBN-10: 2882504896
    ISBN-13: 978-2882504890

  • Trotz Deiner Kritikpunkte klingt das Buch interessant. Weißt Du, ob es auch auf deutsch erscheint oder erscheinen wird?

  • Hallo Magdalena! Das Buch IST zweifelsohne interessant. Was ich bemängele scheint kaum einem aufzustossen und insofern vielleicht eine weit weggeholte Kritik.


    Eventuell kommt hinzu, dass hier ganz offensichtlich ein Mutterherz spricht. Für mich ist der Ton da sehr feminin. Findet das Buch vielleicht bei Frauen noch mehr Anklang?


    Bislang sind meines Wissens nach nur "Riviera Express" übersetzt (kenne ich nicht), aber ansonsten keine weiteren Bücher von Gaëlle Josse, was wieder einmal die seltsamen Kriterien der deutschen Editionslandschaft zeigt. Hier in Frankreich hat die Autorin einen ziemlich anerkannten Status.


    Ich schaute gerade nach: Auf Englisch scheinen mehrere Werke erschienen zu sein! Siehe auch: https://en.wikipedia.org/wiki/Ga%C3%ABlle_Josse

  • Oh super, dann kann ich mich ja mal auf die englischen Ausgaben stürzen. Mein Französisch ist leider nicht wirklich gut genug für ganze Bücher.

  • Oh super, dann kann ich mich ja mal auf die englischen Ausgaben stürzen. Mein Französisch ist leider nicht wirklich gut genug für ganze Bücher.

    Ja, schau mal! Ich hoffe, dass diese Angaben sich auf tatsächlich existierende Ausgaben beziehen, und nicht einfach nur Behilfsübersetzungen der französischen Titel sind...


    Andre Bücher sind auch auf Spanisch, Italienisch, Holländisch erschienen. "Les heures silencieuses, sowas wie "Die stillen Stunden" sind schon prima. Auch den "Wächter von Ellis Island" war sehr interessant - ganz anders.


    Was aber hier die französische Sprache anbetrifft gebe ich Dir wohl Recht: Sie ist sicherlich teils sehr fein, geschliffen, poliert. Man merkt der Autorin an, dass sie aus einem lyrischen Hintergrund stammt...

  • Ich fand den Roman manchmal - hattet Ihr das rausgehört? - auch ein wenig mütterlich-überbeschützend, eine Frau, Anne, die sich fast in dieser Beziehung zu Louis verliert. Ja, nun, verst¨ndlich, wenn dieser mit 16 vondannen zieht.
    Und dann war da noch die etwas zu zisilierte, lyrische Sprache, die für mich wie in einem Kontrast zum Milieu Annes steht.


    Sie stammt also ursprünglich eher aus einfachen Verhältnissen, war mit einem Fischer verheiratet. Dessen Tod, ihre zweijährige Witwenschaft war schon wie ein vorzeitiger Schlussstrich. Doch dann: Etienne, der Apotheker! Aus gutem Hause kann seine Entscheidung nur mißbilligt werden. Und seine Heirat mit Anne widerspricht allen Standesunterschieden.


    Ich schreibe davon nochmals, weil ich eben in der literarischen Beilage von "Le Monde" dazu einen längeren Abschnitt fand. Dort wird das Buch wesentlichst auf dieser Ebene verstanden: Unüberbrückbare Standesunterschiede, und eine immer mehr isoliert dastehende Frau und Mutter.