Detlev Meyer - Das Sonnenkind

  • Autor: Detlev Meyer
    Titel: Das Sonnenkind
    Seiten: 232
    ISBN: 978-3-351-03718-5
    Verlag: aufbau


    Autor:
    Detlev Meyer wurde 1948 in Berlin geboren und studierte zunächst Bibliotheks- und Informationswissenschaften, bevor er als Bibliothekar in Toronto und Entwicklunsghelfer in Jamaika arbeitete. Er erhielt mehrere Literaturstipendien und widmete sich in Gedichten und Prosatexten als einer der wenigen offen schwul lebenden Autoren der Szene, sowie der Bedrohung durch Aids und deren Folgen. Sein letzes Werk erschien postum 2001 (Das Sonnenkind), nachdem er 1999 starb.


    Inhalt:
    Carsten ist fast zehn Jahre alt, ein wenig altklug und entdeckt die Welt mit seinen Kinderaugen. Das sind die Besuche des Cafe Kranzler mit Opa, das Spielen mit Freunden auf der Straße und die Eltern, die den kleinen wissbegierigen und manchmal alklugen Bengel, Herr werden müssen. Doch, der Großvater erkrankt und versucht seine Umgebung davon abzuschirmen, ´der Junge indes macht seine ganz eigenen Erfahrungen mit der ihn meist wohlgesonnenen Umgebung, die dennoch ihre Tücken hat. Bühne frei für das Sonnenkind... (eigene Inhaltsangabe)


    Rezension:
    Carsten, fast zehn Jahre alt, wächst im "richtigen" Teil Berlins auf, als der Westen im Wohlstand des Wirtschaftswunders schwelgte, sich die Demokratie dadurch etablierte und überhaupt das Leben am schönsten ist. Warum auch nicht, wo doch der Junge von allen gemocht wird? Die Großeltern dichten sich eine adlige Herkunft an, verwöhnen ihren Enkel nach Strich und Faden, der Vater hadert mit den Kriegserinnerungen, versucht nach vorne zu blicken, der Großvater hat eine Geliebte und der Bruder macht aus allem ein Geschäft. Und alle mögen den Sonnenschein, vom Truseweg aus Neukölln, welches noch nicht das Viertel von Einwanderen ist, welches es einmal werden wird. Das Leben ist schön. Detlev Meyer erzählt aus der Kindheit seines alten Egos. Entstanden ist mit den "Sonnenkind" ein wunderbares Straßenportrait liebenswerter Figuren, die Betrachtung einer quirligen, sich findenden Metropole in Kleinformat.


    Der Leser erfährt die Welt aus der Sicht eines altklugen, wissbegierigen, aber vorwitzigen und liebenswerten Bengels, der es faustdick hinter den Ohren hat, damit aber ganz und gar nach der Familie kommt. Alle Charaktere sind schrullig, neben der Spur und doch so, wie man die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Berliner darstellen würde, wäre dies gefordert. Passieren tut dabei nicht viel, es ist trotzdem amüsant zu lesen, wie der Kleine die Widersprüchlichkeit der Erwachsenenwelt begreift und für sich zu nutzen weiß. So wird der grantige Hausmeister ebenso um den kleinen Finger gewickelt, wie der tödlichen Krankheit des Großvaters der Schrecken genommen und der Leser kann gar nicht ohne Schmunzeln, Lächeln, von Zeile zu Zeile springen, Wort für Wort in sich aufsaugen. Ein kleiner Großstadtroman, der es in sich hat.


    Geschrieben aus wechselnder Ich-Perspektive der handelnden Protagonisten ist der Lesende nah dran an den Figuren, die man durchweg für voll nehmen kann. Genau so stellt man sich diese und jene Person vor, und eben nicht anders. Der Schreib- und Erzählstil macht sie greifbar, den Großvater, der seinem geliebten Enkel die Krankheit zu erklären versucht, sich selbst aber ebenso erklären muss, den Vater, der versucht Frau und Söhnen Herr zu werden und die Kinder, die ob ihres Charakterzugs im gesamten Straßenzug berühmt und berüchtigt sind.


    Autobiographische Züge hat der Roman, in dem der Autor auf vorangegangenes Geschriebenes und auf seine Kindheit Bezug nimmt und sich so selbst ein Denkmal gesetzt ha. Es is dies, sein letztes großes Werk, in welchen Detlev Meyer sich seiner Kindheit bewusst wird, die schön und angenehm war, als die Welt noch fass- und beherrschbar war, der Mauerbau nicht drohte und überhaupt Politik keine Rolle spielte. Nicht für einen Zehnjährigen, dessen Interesse sich nur in den Grenzen seiner unmittelbaren Umgebung bewegt.


    "Das Sonnenkind", ist ein gefälliger Roman, dessen Wirkung man sich kaum entziehen können wird, der gute Laune, eben die eines Kindes, verbreitet und mit Gewinn gelesen werden kann. Vielleicht sollten wir uns alle irgendwann an unsere Kindheit, an die Sonnentage, erinnern? Es könnte sich lohnen.

  • Carsten wächst in der Nachkriegszeit recht behütet in Berlin auf. Der Neunjährige ist klein für sein Alter, dafür aber umso gescheiter. Neue Wörter saugt er förmlich in sich auf, um sie bei der nächstbesten Gelegenheit anzuwenden, und er liebt es, mit seinem stets korrekt gekleideten Opa im Café Kranzler zu sitzen und Limonade aus einem Cognacschwenker zu trinken.


    Der Großvater ist für ihn Bezugsperson und Vorbild in Sachen Erscheinung, ein ehemaliger Prokurist, der gerne herrschaftlich tut, nicht zuletzt, weil seine sehr standesbewusste Gattin doch sehr bedauert, dass der Adelstitel einer Vorfahrin wegen einer Mesalliance nicht mehr bis zu ihr durchgedrungen ist, und seit Jahrzehnten nebenbei was mit seiner ehemaligen Sekretärin am Laufen hat.


    Carstens Eltern sind bodenständige Leute, die Mutter zupackend und patent, der Vater im Erziehungsstil für die damalige Zeit recht modern, doch ihn plagen immer noch die Erinnerungen an seine Kriegserlebnisse. Stephan, der ältere Bruder, macht seine ersten Gehversuche in der Liebe und versucht, möglichst cool zu sein, hat aber auch durchaus ein Herz für den Jüngeren.


    Über weite Strecken besteht das Buch Alltagsszenen aus dem Leben eines Kindes, einer relativ typischen Kindheit um 1960, erst spät im Buch sieht sich Carsten zum ersten Mal mit der Sterblichkeit nahestehender Menschen konfrontiert. Doch egal in welcher Lebenslage, Detlev Meyer malt sie so liebevoll mit kleinen, authentischen Details aus, dass es eine Freude ist. Ein wenig erinnert sein Stil manchmal an Erich Kästners humorvolle und dabei oft unterschwellig bissig-treffende Art, nicht nur wegen des Schauplatzes Berlin.


    Auch das Porträt der Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland trifft ins Schwarze. Der geliebte Opa, den wir hauptsächlich mit den Augen des Kindes Carsten sehen, war vor 1945 offenbar ein strammer Nazi, die Großmutter standesdünkelt und hypochondert sich durchs Leben und spielt hinter der Ex-Sekretärin, mittlerweile auch eine "ramponierte Blondine", bei allem Drama doch im Herzen ihres Mannes die zweite Geige, der Vater leidet an seinem Kriegstrauma, doch über die Vergangenheit will niemand mehr reden.


    Und mittendrin der altkluge Carsten, ein guter Beobachter, der sich über die seltsame Welt der Erwachsenen gerne so seine Gedanken macht, vieles in Frage stellt und einem beim Lesen richtig ans Herz wächst.


    Ein warmherziges, auf leise Art oft witziges, aber auch leicht melancholisches Buch mit autobiographischem Touch. Das Nachwort, das uns den leider früh verstorbenen Meyer als Person vorstellt, ist eine schöne Abschlussnote und deutet darauf hin, dass zumindest Anklänge an sein eigenes Leben vorhanden sind.