Jean-François Billeter - Une autre Aurélia

  • Original : Französisch, 2017


    INHALT/BEMERKUNGEN :
    Der Sinologe Jean-François Billeter war 48 Jahre lang mit seiner chinesischen Frau Wen verheiratet. Sie verstarb 72jährig, jung geblieben, im November 2012 unerwartet, schnell. Billeter liefert in diesem kurzen, sehr intensiven Werk chronologisch Ausschnitte aus seinen Aufzeichnungen seit dem Tode seiner Frau. Diese gehen präzise, aber nicht distanziert, auf die Rolle der Gefühle ein, der Vorstellungskraft, der Erinnerung an diese und jene Momente einer gemeinsamen Vergangenheit, aber auch einer Form der Suche nach rechtem Gleichgewicht im Hier und Jetzt : Wie lebe ich die Beziehung mit einem Gegenwärtigen-Abwesenden ? Was sagt uns das über unseren Partner, über uns ?


    Der französische Titel spielt auf ein Werk von Gérard de Nerval an « Aurélia » (siehe auch : http://blogs.lexpress.fr/les-8…-entre-le-reve-et-la-vie/ ). Dort schildert der Dichter von seiner Leidenschaft für eine verstorbene, abwesende Frau. Es führt ihn an den Rand des Wahnsinns. Hier bei Billeter aber bleibt die Abwesende präsent und führt nicht zu Wahnsinn und Verlust, sondern nahezu zu einem neuen Verständnis seiner Selbst und des Anderen (Bezüge zu: Erweiterung der franz. Produktbeschreibung). Vielleicht hätte dieses Buch bei dem stark deutschkulturell geprägten Billeter auch « Die andere Sophie » heissen können, in Anspielung auf die von ihm ebenfalls erwähnte Beziehung zwischen Novals (=Friedrich von Hardenberg) und seiner Verlobten Sophie… ?!


    In all seinen starken Emotionen sind diese Gedanken so garnicht düster, sondern lichtvoll. Sie laden uns alle ein, intensiv zu leben, selbst und gerade in dem, was andere eventuell « nur » Verlust nennen. Wir sind gerufen, nicht treu einer Trauer, sondern einem Glück gegenüber zu sein. Ein echt starker Text !


    «Quelle chance d’avoir eu cette compagne dans ma vie. J’ai été heureux avec elle, il faut que je le sois sans elle. Je lui dois cela.»


    «Welch ein Glück, diese Gefährtin in meinem Leben gehabt zu haben. Ich war mit ihr glücklich, und es ist notwendig, es ohne sie zu sein. Ich bin es ihr schuldig.»


    AUTOR :
    Jean François Billeter, chinesischer Name Bì Láidé 毕来德/畢來德, (* 7. Juni 1939 in Basel) ist ein Schweizer emeritierter Professor der Universität Genf, Sinologe und Essayist. Seine Muttersprache ist französisch, aber bis zur Abitur besuchte er die Schule auf Deutsch. Er studierte danach französische Literaturgeschichte an der Universität Basel, dann in Genf, wo er 1961 seinen Abschluss erhielt. 1962 begann er an der Pariser École des langues et civilisations orientales Chinesisch zu studieren und setzte dieses Studium von 1963 bis 1966 in Peking fort, das erste Jahr an der Preparatory School for Foreign Students, dann an der Abteilung für klassische chinesische Literatur an der Universität Peking. 1966 heiratete er die Ärztin Ts’ui Wen 崔文. Nach einem einjährigen Aufenthalt in der Schweiz konnte das Ehepaar nicht, wie vorgesehen, nach Peking zurückkehren, weil die Universitäten infolge der Kulturrevolution geschlossen waren. Nach einem Studienjahr in Paris (1967/68) entschlossen sie sich, nach Japan zu ziehen, wo Billeter als Doktorand im Research Institute for Humanistic Studies der Universität Kyoto unter der Leitung von Shimada Kenji 岛田虔次über den heterodoxen Denker der Ende Ming-Zeit Li Zhi 李贽 (1527–1602, sprich Li Dj) forschte. An diesen zweijährigen Aufenthalt in Kyoto (1968–1970) schloss sich ein Besuch des New Asia College in Hong Kong an (1970–1971 ; dieses Institut wurde später Teil der Chinese University). Dieser Ausbildungsweg wurde im ersten Jahr durch ein Stipendium der Universität Genf ermöglicht, in der Folge durch eine mehrjährige Unterstützung des Schweizer Nationalfonds für wissenschaftliche Forschung. J.F.Billeters Doktorat über Li Zhi wurde 1976 in Genf abgeschlossen und 1979 veröffentlicht.


    1970 wurde Billeter Assistent am Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich und unterrichtete dort bis 1978. 1971 erhielt er zudem einen Lehrauftrag für chinesische Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Genf. 1973 schuf er dort in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau einen chinesischen Sprachunterricht, der sich nach und nach zu einem vollständigen Studiengang über Sprache und Kultur Chinas entwickelte. 1987 wurde er zum Ordinarius ernannt. Als er 1999 vorzeitig seine Lehrtätigkeit aufgab, um sich seinen eigenen Arbeiten zu widmen, veröffentlichte er ein Mémoire sur les études chinoises à Genève et ailleurs in dem er eine kritische Bilanz seiner beruflichen Erfahrung zog. Eine grosszügige Unterstützung der Chiang-Ching-kuo Foundation (Taipei) hatte es ihm ermöglicht, sich in den Jahren 1992–1994 zeitweilig ganz der Forschung zu widmen. Damals begann er seine Studien über den Philosophen Zhuangzi.


    Da der Rahmen, in dem sich die China-Studien in Genf zunächst entwickelten, sehr eng gesteckt war, mussten sie eine besonders gut durch-dachte Einführung in die Sprache zur Grundlage haben. Billeter und seine Ehefrau Ts’ui Wen, die inzwischen eine unentbehrliche Mitarbeiterin geworden war, entwickelten eine Art und Weise, diese Sprache zu lehren, die sich bewährte und die Ts’ui Wen dank ihrer pädagogischen Begabung über die Jahre weiterentwickelte. Aus dieser gemeinsamen Arbeit entstand ein neues Verständnis des sprachlichen Gestus im Chinesischen, das Billeter in der Form einer synthetischen Darstellung festzuhalten gedenkt. Dazu wird sich ein Essay über die Lehrmethode gesellen.



    Taschenbuch: 96 Seiten
    Verlag: Editions Allia (24. August 2017)
    Sprache: Französisch
    ISBN-13: 979-1030406825
    ASIN: B07117K4LL


    Natürlich könnte man dieses Buch unter gewissen Gesichtspunkten unter Biographisches einstellen. Doch es beleuchtet einige Jahre dieses Lebens nur unter einem Gesichtspunkt. So ist es auch fast ein Essay, eine Sammlung von Gedanken… ?