Lauren Oliver - Replica

  • Inhalt: Irgendwo an der Küste Floridas liegt das Haven Institut, eine Forschungseinrichtung, die vom Militär abgesichert wird. Hinter diesen verschlossenen Türen wurde Lyra gemacht und großgezogen, wird dort untersucht und überwacht. Denn Lyra ist eine Replica, äußerlich ein Mensch, aber eigentlich ein Klon.
    Als ein Anschlag auf das Institut verübt wird, entkommt Lyra zusammen mit Nummer 27, einem männlichen Replica. Aber keiner von beiden hat jemals die Welt außerhalb von Haven betreten.


    Gemma wächst unter strenger Obhut auf: Zahlreiche Krankheiten in ihrer Kindheit haben ihre Eltern ängstlich gemacht; Sport, Ausgehen oder Reisen sind strikt verboten. Gemma leidet unter Mobbing, ihrem Körpergefühl und ihrer eingeschränkten Freiheit. Umso emsiger freut sie sich auf einen Trip mit ihrer besten Freundin April nach Florida. Doch dann hinterlässt ein Unbekannter eine Nachricht, der ihre Eltern in Panik ausbrechen lässt. Als sie auch noch beinahe entführt wird, entscheidet sich Gemma, herauszufinden, was ihre Eltern vor ihr verstecken.


    Zur Aufmachung: Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven jeweils vollständig erzählt und dem Leser steht es offen, mit welcher er beginnt. Das Buch hat zwei Cover und zwei erste Seiten und je nachdem, auf welcher man beginnt, hat das Auswirkungen auf das Gefühl beim Lesen des anderen Teils. Ich selbst habe mit Lyra aus Zufall begonnen, das sollte beim Lesen der Rezi bitte beachtet werden.


    Meine Meinung: Lyras Geschichte beginnt in Haven mitten im routinierten und sterilen Alltag der Replicas. Sie wissen, dass sie nicht wie "normale" Menschen sind, und sie wissen, dass es auch eine Welt außerhalb des Instituts gibt. Aber Lyra hat noch nie von jemandem gehört, der fliehen wollte. Die Replicas sind zu sehr an ihr Dasein gewöhnt, dass sie es in Zweifel ziehen würden. Im Verlauf der Geschichte berichtet Lyra immer wieder von gestorbenen Replicas, vom Abtransport der Leichen. Wie Replicas aufgrund von Krankheiten verrückt werden, weil sie eben nicht natürlich gezeugte Menschen sind. Sie tut das mit einer gewissen Nüchternheit und Naivität, die ihr in Haven angelegt wird. Wie viele andere hält sie sich nicht ganz an die Regeln, sondern versteckt unter anderem ein Buch und weitere kleine Besitztümer vor den Krankenschwestern, aber die Existenz von Haven stellt sie nie in Frage. Dr. Saperstein, Leiter des Instituts, wird auch wie selbstverständlich als "Gott" bezeichnet.

    Zitat

    There was no world without Haven. Haven was the world.


    Gemma wächst ebenfalls stark eingeschränkt auf. Obwohl ihre Eltern deutlich wohlhabend sind, hat sie so gut wie keine Freiheiten. Den Großteil ihrer Kindheit musste sie in Krankenhäusern verbringen und so sind ihre Eltern immer besonders besorgt um sie. Das macht sich besonders an ihrem Selbstvertrauen bemerkbar: Weil sie etwas fülliger ist und in der Schule gemobbt wird, kann sie beispielsweise nicht mehr vor anderen Leuten essen.
    Gemmas Geschichte hat mehr Handlung, indem sie mehr Sachen herausfindet und Geheimnissen auf die Spur kommt. Es kommt zu teils sehr actionreichen Szenen. Lyras Seite erklärt mehr, was Haven ist, wie sich Haven anfühlt. Die beiden Mädchen treffen im Laufe der Ereignisse auch aufeinander und es ist spannend, wie unterschiedlich dies wahrgenommen wird. Liest man erst von Gemma, kann ich mir gut vorstellen, dass Lyra im Anschluss erst Klarheit über bestimmtes Verhalten bringt. Andersherum kann man es sich eigentlich immer bereits denken, weil es für den Leser eher "normale" Reaktionen Gemmas sind, die Lyra verunsichern.


    Lyras Perspektive zeigt, wie sie nicht in der Lage ist, die Welt aber auch Menschen einschätzen zu können, weil sie nicht mit ihnen vertraut ist. Gemma ist teils das Ergebnis von Bodyshaming und Mobbing. Beide müssen in der Geschichte lernen, aus ihren festgefahrenen Bildern zu entkommen. Das ist die Charakterentwicklung, die von Beginn an angestrebt wird. Gleichzeitig geht es natürlich auch um die Frage, was "Mensch sein" bedeutet, wobei hier noch mehr Potential lauert, das vermutlich im Nachfolger zum Zuge kommt.


    Die männlichen Charaktere sind alle ziemlich gut gelungen, wobei es etwas nervt, dass Gemma die drei jüngeren Typen früher oder später aus pubertärer Sicht bewertet. Ja, ein bisschen Teenie-Romanze ist natürlich drin, aber für mich persönlich ist das ganz süß gemacht. Sehr blass und unnötig ist April, Gemmas beste Freundin, die man wirklich nur als blass und unnötig beschreiben kann. Ihre Existenz mag zwar auf Handlungsebene relevant sein, aber nicht einmal in Verbindung zu Gemmas Perspektive springt auch nur ein Hauch von Charakter über.


    Wie immer lässt sich Lauren Oliver so schön flüssig lesen. Die Protagonistinnen passen perfekt in ihr Schema von Hauptfiguren. Sicher könnte man sich der zugrunde liegenden Thematik etwas tiefgründiger, vielleicht ethisch oder philosophisch nähern, aber es ist eben ein Jugendbuch. Dass hier zwei Charaktere die Geschichte jeweils aus ihrer eigenen Perspektive erzählen dürfen, passt auch zum Endpunkt des Buches.
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    "All we have to decide is what to do with the time that is given to us."